Die Erstreckung der Gefahrenabwehr auf die Verwaltung außerhalb der Polizeivollzugsbehörden hat gerade in Thüringen Tradition

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Begründung:

A. Allgemeines Polizei im materiellen Sinn bezeichnet im Bund und in den Ländern der Bundesrepublik einheitlich die Aufgabe der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Diese ist nicht allein der Vollzugspolizei vorbehalten, sondern fällt daneben auch einer Vielzahl von Verwaltungsbehörden zu. Neben der Tätigkeit von Spezialbehörden (z. B. Straßenbauverwaltung, Gesundheitsverwaltung), welche diese Aufgabe im Rahmen ihres jeweiligen Spezialgebietes lösen, treten die Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung, die neben und im engen Zusammenwirken mit der Vollzugspolizei für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung in ihrem jeweiligen Bereich Sorge tragen. Sie tun dies in all den Bereichen, die nicht speziellen Behörden zugewiesen sind.

Die Erstreckung der Gefahrenabwehr auf die Verwaltung außerhalb der Polizeivollzugsbehörden hat gerade in Thüringen Tradition. So formulierte § 32 der Landesverwaltungsordnung für Thüringen vom 9. Juni 1926 (GS 177) das Recht der Polizei wie folgt: Die Verwaltung hat als Polizei die Aufgabe, der Gesamtheit oder dem einzelnen bevorstehende Gefahren abzuwenden, durch die die öffentliche Ruhe, Sicherheit oder Ordnung gestört wird.

Diese Formulierung bringt prägnant zum Ausdruck, dass die Gefahrenabwehr als Funktion auch der staatlichen Verwaltung, nicht nur dem Polizeivollzugsdienst übertragen ist; ein Gesichtspunkt, der heute als Grundsatz des Sicherheitsrechts in Bund und Ländern gelten kann. Eine wesentliche Konsequenz hat dies auch insoweit, als die kommunalen Gebietskörperschaften in die Gefahrenabwehr eingebunden sind und somit dem Gedanken der kommunalen Selbstverwaltung Rechnung getragen wird.

Der vorliegende Entwurf verfolgt das Ziel, den im Land Thüringen bestehenden Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung ein im Vergleich zu den übrigen Bundesländern nach modernsten Gesichtspunkten gestaltetes Instrument an die Hand zu geben, um zusammen mit der Vollzugspolizei die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu gewährleisten. Der Bürger muss vor den Gefahren, die allgemein ihm und seiner Habe drohen, wirksam geschützt werden. Geschehen soll dies nach Möglichkeit durch ortsnahe Behörden und

2. Übersicht über den Aufbau und die einzelnen Vorschriften des Entwurfs Behördliche Gefahrenabwehr erfolgt grundsätzlich durch zwei Verfahrensweisen, nämlich zum einen durch individuelle Anordnungen für den Einzelfall, zum anderen durch abstrakt generelle Setzung von Rechtsvorschriften. Demgemäß enthält das Gesetz nach einem Ersten Abschnitt mit wenigen allgemeinen Vorschriften im Zweiten Abschnitt detaillierte Regelungen ordnungsbehördlicher Einzelmaßnahmen und der dazu allgemein notwendigen Befugnisse, im Dritten Abschnitt eine solche des Erlasses sicherheitsrechtlicher Verordnungen. Der Vierte Abschnitt formiert sodann einzelne Befugnisse und Ermächtigungen für Einzelmaßnahmen und den Verordnungserlaß auf Gebieten, die voraussichtlich in den kommenden Jahren in der Praxis der Gefahrenabwehr vor Ort allgemeine Bedeutung haben werden. Der Fünfte Abschnitt will zunächst mit Bußgeldvorschriften die Einhaltung sicherheitsrechtlicher Anund Verordnungen sicherstellen und verweist im übrigen wegen der Entschädigungs- und Ersatzansprüche sowie der Regelung des jeweils zu Drucksache 1/2047 den Rechtsweges auf die einschlägigen Bestimmungen des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) vom 4. Juni 1992 (GVBl. S. 199). In einem Sechsten Abschnitt finden sich die nötigen Übergangs- und Schlußbestimmungen.

Zu § 1: Begriff der Ordnungsbehörden

Die Bestimmung definiert, welche Behörden als Ordnungsbehörden im Sinne des Gesetzes anzusehen sind. Die Reihenfolge der Nennung will bereits hier den weiter unten näher ausformulierten Subsidiaritätsgrundsatz (vgl. § 26) deutlich machen. Dabei fällt die Verhütung von Zuwiderhandlungen gegen Ortsrecht in den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden (§ 2 der Vorläufigen den Verwaltungsgemeinschaften ist das ohnehin der Fall (§ 31a Abs. 1 VKO) - im übrigen die Aufgaben nach diesem Gesetz im übertragenen Wirkungskreis (§ 3 VKO) erfüllen. Die Landräte werden insoweit als untere staatliche Verwaltungsbehörden tätig (§ 91 Abs. 1 VKO); insoweit Verordnungen erlassen werden, handeln die Landkreise im übertragenen Wirkungskreis (§72Abs.3VKO).

Zu § 2: Aufgaben der Ordnungsbehörden

Die Bestimmung enthält in Absatz 1 eine allgemeine Definition der Aufgabe der Ordnungsbehörden. Sie ermächtigt nicht zu Eingriffen oder zum Verordnungserlaß. Der Begriff der Gefahr umfaßt in ihr zum einen Sachlagen, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen (konkrete Gefahr), aber auch Sachlagen, aus der nach allgemeiner Lebenserfahrung konkrete Gefahren im Einzelfall entstehen können (abstrakte Gefahr). Öffentliche Sicherheit meint die Unversehrtheit des Lebens, der Gesundheit, Ehre, Freiheit und des Vermögens, der Rechtsordnung und der Einrichtungen des Staates und sonstiger Träger von Hoheitsgewalt einschließlich der ungehinderten Ausübung von Hoheitsgewalt.

Öffentliche Ordnung umfaßt die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln und Wertvorstellungen für das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit, soweit die Beachtung dieser Regeln nach den herrschenden Auffassungen als unerläßliche Voraussetzung eines geordneten und gedeihlichen Gemeinschaftslebens betrachtet wird. Eine Störung liegt dann vor, wenn es im konkreten Fall bereits zu einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung gekommen ist.

Absatz 2 stellt allgemein klar, dass Aufgaben und Befugnisse der Ordnungsbehörden in bezug auf private Rechte nach diesem Gesetz grundsätzlich nur subsidiärer Natur sind: Zur Durchsetzung solcher Rechte sollen in erster Linie die Gerichte angerufen werden. Erst wenn dies aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist und ohne sofortiges Handeln der Ordnungsbehörden die Verwirklichung eines privaten Rechts in Frage gestellt wäre, dürfen letztere einschreiten (vgl. etwa § 13 Abs. 1 Nr. 3).

Zu § 3: Verhältnis zur Polizei; Vorrang der Ordnungsbehörde Ordnungsbehörden und Polizei haben weitgehend dieselbe Aufgabe, zu deren Erfüllung ihnen jeweils besondere, eigene Befugnisse zukommen. Damit muß eine Regelung für den Vorrang der beiden Behördenarten im Kollisionsfall getroffen werden. Eine solche enthält § 3 Abs. 1, den man auch als Vorrang 1/2047 der Sicherheitsbehörde bezeichnet. Er besagt, dass Maßnahmen der Ordnungsbehörden nicht durch Maßnahmen der Vollzugspolizei unterlaufen oder in ihr Gegenteil verkehrt werden dürfen. Nach dem Grundsatz des § 3 des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) ist die Vollzugspolizei grundsätzlich für unaufschiebbare, die Ordnungsbehörde für aufschiebbare Maßnahmen zuständig. Eine weitere Ausformung dieses Verhältnisses ist in § 9 des Polizeiorganisationsgesetzes enthalten. § 3 macht dieses Prinzip nochmals deutlich (Absatz 1). Absatz 2 hat einerseits insoweit klarstellende Funktion, als er auf das PAG verweist, macht andererseits aber auch deutlich, dass Vollzugshilfe nicht in jedem Falle geleistet werden muß. Absatz 2 ist insoweit eine verkürzte Darstellung der Pflicht zur Amtshilfe unter den Modifikationen der §§ 4 ff. des 293).

Auch wird damit schon von Anfang an auf die grundsätzliche Pflicht der Ordnungsbehörden zum Vollzug mit eigenen Kräften hingewiesen (§ 7).

Unter diesen Einzelmaßnahmen sind alle Maßnahmen der Ordnungsbehörden zu verstehen, welche in einem Einzelfall gegenüber einem konkreten Adressaten oder Adressatenkreis erlassen werden. Im Gegensatz dazu werden die im Dritten Abschnitt näher behandelten Verordnungen für eine Vielzahl von Fällen mit unbestimmten Adressaten erlassen. Der Zweite wie auch der Dritte Abschnitt regeln jeweils, was allgemein beim Erlaß der Einzelmaßnahme bzw. Verordnung zu beachten ist.

Zu § 4: Allgemeine Befugnisse der Ordnungsbehörden

Während § 2 die Aufgaben der Ordnungsbehörden umschreibt, legt Absatz 1 die Befugnisse für ordnungsbehördliche Einzelmaßnahmen fest. Er greift - wie auch aus einer Zusammenschau mit Absatz 2 deutlich wird - insgesamt nur dann ein, wenn die Ermächtigung zu einem Eingriff nicht in speziellen Bestimmungen dieses Gesetzes oder anderer Rechtsvorschriften enthalten ist; ist dies der Fall, so richtet sich die Eingriffsbefugnis allein nach diesen Bestimmungen. Ein Rückgriff auf die allgemeine Bestimmung des Absatzes 1 ist dann keinesfalls gestattet (sogenanntes Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung). Absatz 2 stellt deshalb nochmals klar, dass alle ordnungsbehördlichen Einzelmaßnahmen nur dann getroffen werden dürfen, wenn für sie eine formale gesetzliche Grundlage besteht. Dies fußt auf dem Verfassungsprinzip des Vorbehalts des Gesetzes.

Soweit dieses Gesetz keine Ermächtigung zur - notfalls zwangsweisen Durchsetzung von ordnungsbehördlichen Maßnahmen enthält, gilt für die Vollstreckung subsidiär immer das Thüringer Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz - - vom 7. August 1991 (GBVl. S. 285

- 314 -).

Die Bestimmung konkretisiert das verfassungsrechtliche Übermaßverbot in mehreren Ausformungen.

Absatz 1 formuliert den sogenannten Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs, Absatz 2 das sogenannte Verhältnismäßigkeitsprinzip im engeren Sinne.

Nachteil ist jeder Schaden für ein beliebiges Rechtsgut wie auch jede Schädigung öffentlicher Interessen.