Sangerhausen

Am 20. und 21. Januar 1993 berichtete die Mitteldeutsche Zeitung Sangerhausen/Artern in mehreren umfangreichen Artikeln über eine Zusammenkunft von Kommunalpolitikern des Kreises Artern, darunter auch des Arterner Bürgermeisters, mit dem Innenminister von Sachsen-Anhalt und dem Landrat von Sangerhausen in Sangerhausen. Der Zeitung nach ging es dabei um einen beabsichtigten Länderwechsel thüringischer Gemeinden nach Sachsen-Anhalt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Haben die thüringischen Kommunalpolitiker das Thüringer Innenministerium über diese Gespräche informiert, und worüber wurde in Sangerhausen verhandelt?

2. Welchen Standpunkt bezieht das Thüringer Innenministerium zu der Absicht einiger Gemeinden des Kreises Artern, nach Sachsen-Anhalt überzuwechseln, nachdem der Kreistag Artern 1990 auf der Grundlage einer Bürgerbefragung den Anschluß des Kreises Artern an Thüringen beschlossen hatte?

3. Welche konkreten Maßnahmen wird das Thüringer Innenministerium ergreifen, um einen Verlust Thüringer Gebietsteile an Sachsen-Anhalt zu verhindern?

4. Trifft es zu, dass laut Einigungsvertrag unter bestimmten Voraussetzungen Länderwechsel entsprechend des Ländereinführungsgesetzes von 1990 bis 1995 möglich sind?

5. Um welche Ausnahmeregelungen handelt es sich dabei, und können sie auf den Kreis Artern angewendet werden?

6. Sieht sich das Thüringer Innenministerium veranlaßt, in Magdeburg dagegen zu protestieren, dass Sachsen-Anhalt zur Bestandssicherung des Kreises Sangerhausen thüringische Gemeinden aus dem Kreis Artern abwirbt und damit gegen die Vereinbarung der Innenminister von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt aus dem Jahre 1991 verstößt?

7. Sind Übertritte von Gemeinden der Kreise Greiz und Zeulenroda nach Sachsen zu erwarten?

Vorbemerkung:

Der Landkreis Artern wurde im Jahre 1952 bei der Zerschlagung der Länder durch das DDR-Regime durch Zusammenlegung von Teilen der Kreise Sangerhausen, Sondershausen, Querfurt und des ehemaligen Kreises Eckartsberga gebildet

Auf der Grundlage des Verfassungsgesetzes zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik (Ländereinführungsgesetz) gehört der Landkreis Artern dem Land Thüringen an, nachdem sich in einer Bürgerabstimmung über die zukünftige Länderzugehörigkeit am 6. Mai 1990 64 Prozent für eine Zuordnung des Kreises zu dem neugebildeten Land Thüringen ausgesprochen hatten.

Das Ländereinführungsgesetz (LEG) regelt die Möglichkeit eines Länderwechsels einzelner Gemeinden. Gemeinden, die am 23. Juli 1952 einem anderen Bundesland angehörten, haben danach einen Anspruch auf Umgliederung zu diesem, wenn das Ergebnis einer durchgeführten Bürgerbefragung die Umgliederung fordert und ein Beschluß der Gemeindevertretung dieses Begehren bestätigt (§ 2 Abs. 3 LEG). Sonstige Gemeinden können nach Bürgerbefragung und Gemeindevertretungsbeschluß in der Form eines Staatsvertrages in ein anderes Bundesland umgegliedert werden, wenn die Landesregierung dies befürwortet (§ 2 Abs. 2 LEG).

Das Ländereinführungsgesetz findet auch Anwendung für die Gemeinden des Landkreises Artern.

Zu 1.:

Das Innenministerium wurde auf die angeblichen Gespräche Thüringer Kommunalpolitiker mit dem Innenminister von Sachsen-Anhalt in Sangerhausen ausschließlich durch Berichte aus der Presse aufmerksam. Nähere Informationen liegen dem Innenministerium nicht vor, daher kann zu der Frage des Gesprächsgegenstandes in Sangerhausen nicht Stellung bezogen werden.

Zu 2.:

Die Absicht einiger Gemeinden des Landkreises Artern, nach Sachsen-Anhalt überzuwechseln, kann in dieser Form seitens der Landesregierung nicht bestätigt werden. Bislang liegen dem Innenministerium keine Anträge von Gemeinden auf eine Umgliederung zum Bundesland Sachsen-Anhalt vor; dies gilt auch für das Vorliegen der o. a. Voraussetzungen, also hinsichtlich der Durchführung einer Bürgerbefragung und hinsichtlich des Vorliegens eines das Ergebnis einer solchen Befragung bestätigenden Gemeinderatsbeschlusses. Allerdings haben einzelne Gemeinden im Zusammenhang mit der Landkreisreform und der Frage des zukünftigen Sitzes der Kreisverwaltung einen Wechsel der Landeszugehörigkeit ins Gespräch gebracht, um ihren eigenen Vorstellungen ein größeres Gewicht zu verschaffen.

Zu 3.:

Das Innenministerium geht davon aus, dass es an der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt keine Verluste von Thüringer Gebietsteilengebenwird.

Im übrigen ist das Innenministerium auch in bezug auf die Probleme der Kommunen im Landkreis Artern gesprächsbereit und wird - sollten sich tatsächlich Umgliederungswünsche konkretisieren - wohl auch die Auffassung vermitteln können, daß ein Wechsel zum Bundesland Sachsen-Anhalt für Nordthüringer Kommunen keine Vorteile beinhaltet.

Den Problemen, die im Zusammenhang mit der Landkreisreform entstehen, wird durch Ausgleichsmaßnahmen, insbesondere Behördenverlagerungen und die Bereitstellung von Fördermitteln, Rechnung getragen. Ferner werden bei der noch anstehenden Durchführung der aus der Funktionalreform resultierenden Maßnahmen diejenigen Städte, die nicht Sitz der Kreisverwaltung bleiben, eine Aufwertung erfahren.

Zu 4.:

Das Ländereinführungsgesetz selbst enthält keine Vorschriften über eine zeitliche Befristung. Nach Artikel 143 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes ist das Ländereinführungsgesetz jedoch bis zum 31. Dezember 1995 befristet.

Zu 5.: Länderumgliederungen von Gemeinden sind daher bis zum 31. Dezember 1995 ohne zusätzliche Voraussetzungen unter den in der Vorbemerkung aufgeführten Voraussetzungen möglich.

Zu 6.:

Das Innenministerium hat sich mit Schreiben vom 26. Januar 1993 an den Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt, Herrn Hartmut Perschau, gewandt und darauf hingewiesen, dass eine direkte Einflußnahme auf thüringische Kommunen aus Sicht des Innenministeriums nicht zulässig ist und auf die gemeinsamen Gespräche in Erfurt und Potsdam verwiesen.

Zu 7.:

Das Innenministerium steht z. Zt. in Verhandlungen mit dem Sächsischen Staatsministerium des Innern bezüglich eines zweiten Staatsvertrages über einen Länderwechsel des Ortsteiles Cunsdorf der Gemeinde Schönbach, der aus dieser Gemeinde zum Zwecke einer Umgliederung nach Sachsen ausgegliedert wurde. Diesbezüglich ist ein Staatsvertrag im 1.Halbjahr1993zuerwarten.

Neben Cunsdorf haben die Gemeinden Arnsgrün, Bernsgrün, Cossengrün und Schönbach Anträge zur Durchführung einer Länderumgliederung auf der Grundlage von § 2 Abs. 2 LEG gestellt. Diesbezüglich ist noch keine Entscheidung der Landesregierung getroffen worden, so dass zu dem Ergebnis eines eventuellen Länderwechsels dieser Kommunen keine Ausführungen möglich sind.