Richterinnen und Richter auf Probe

Wenn Richterinnen und Richter auf Probe in Thüringen solche Leistungen erbringen würden wie der Thüringer Justizminister Dr. Jentsch mit seinen Beurteilungsrichtlinien und seinem Entwurf eines Thüringer Richtergesetzes, müßten sie gehen.

Seit Mai 1992 ist in Thüringen - nach Anhörung der Gerichtspräsidenten, aber nicht der Richterschaft - eine Verwaltungsvorschrift für die dienstliche Beurteilung von Richtern, Staatsanwälten und Beamten auf Probe (Probezeitbeurteilung) in Kraft, die in Deutschland ihresgleichen sucht. Sie trägt die Unterschrift von Dr. Jentsch.

Die Gerichtspräsidenten in Thüringen sollen bei einer Proberichter-Beurteilung neun Kreuze in jeweils eines von vier Kästchen (erheblich über Durchschnitt, Durchschnitt, unter Durchschnitt, erheblich unter Durchschnitt) machen. Diese Kästchen stehen neben z. T. zusammengewürfelten Merkmalen. So deckt etwa ein Kreuz neben den juristischen Fachkenntnissen die Merkmale Umfang der Fachkenntnisse, das Bemühen um Fortbildung und das Beseitigen von Lücken ab. Eine Begründung für die Plazierung der Kreuze ist nicht vorgesehen, dafür eine abschließende Feststellung, ob sich der Richter gut bewährt, bewährt, noch nicht bewährt oder nicht bewährt hat. Diese Feststellung soll möglichst kurz gehalten sein. Von fairen Beurteilungsverfahren keine Spur. Das haben die Richterinnen und Richter auf Probe in Thüringen nicht verdient...

Als ich mir daraufhin die so vernichtend kritisierte Verwaltungsvorschrift des Thüringer Justizministeriums nebst dem dazugehörigen Formblatt im Justizministerialblatt (JMBl. 1992 S. 35) ansah, stellte ich fest, dass bis auf die Mitteilung, daß die Beurteilungsbögen neun Kreuze, d. h. neun Einzelbeurteilungen, vorsähen (das im Justizministerialblatt abgedruckte Beurteilungsformular für Richter und Staatsanwälte sieht hingegen zwölf Einzelbeurteilungen vor), die oben zitierte Beschreibung der Beurteilungsrichtlinie zutreffend ist. Das Beurteilungsformular sieht in der Tat eine schriftliche Begründung für die Plazierung der Kreuze nicht vor. Es lässt eine Differenzierung anhand der nach Ziffer 5.1 der Verwaltungsvorschrift zu würdigenden Merkmale (z. B. Umfang der Fachkenntnisse und Bemühen um Fortbildung und das Beseitigen von

Lücken als für die Beurteilung der juristischen Fachkenntnisse maßgeblichen Merkmale) nicht zu. Und schließlich soll nach Ziffer 5.2 der Verwaltungsvorschrift die Feststellung der Bewährung möglichst kurz sein, wofür im Beurteilungsformular eine ca. 20 x 4 cm große Spalte vorgesehen ist.

Ich frage die Landesregierung:

1. Was ist nach Meinung der Landesregierung der Grund für diese harsche Kritik des Richters Piorreck an der Verwaltungsvorschrift des Thüringer Justizministeriums?

2. Ist es zutreffend, dass die Verwaltungsvorschrift des Thüringer Justizministeriums für die dienstliche Beurteilung von Richtern, Staatsanwälten und Beamten auf Probe in Deutschland ihresgleichen sucht?

3. Wenn ja, worin besteht nach Ansicht der Landesregierung der Vorteil der Verwaltungsvorschrift des Thüringer Justizministeriums im Vergleich zu den Beurteilungsrichtlinien für die Richter auf Probe in anderen Bundesländern?

4. Wenn nein, in welchen Bundesländern gelten Richtlinien für die Probezeitbeurteilung, die der Verwaltungsvorschrift des Thüringer Justizministeriums inhaltlich entsprechen?

5. Weshalb ist die Landesregierung der Auffassung, dass das von der Verwaltungsvorschrift vorgeschriebene Formblatt für die Beurteilung der Richter und Staatsanwälte geeignet ist, um das unter Ziffer 2.1 der Verwaltungsvorschrift genannte Ziel, ein aussagefähiges, objektives und vergleichbares Bild der zu beurteilenden Personen zu liefern, zu erreichen?

6. Beabsichtigt die Landesregierung eine Änderung der Verwaltungsvorschrift des Thüringer Justizministeriums vom 24. Mai 1992 (2000-1-4/92)?

7. Inwieweit werden Einwendungen der betroffenen Richter und Staatsanwälte gegen ihre Beurteilung berücksichtigt?

Das Thüringer Justizministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 10. Mai 1993 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Über die Motivation des Richters Piorrek liegen mir keine Erkenntnisse vor.

Zu 2.: In den meisten Bundesländern wird die dienstliche Beurteilung in ähnlicher Form gehandhabt.

Zu 3.: Eine Beantwortung entfällt im Hinblick auf Frage 2.

Zu 4.: Soweit in der Kürze der Zeit feststellbar, entsprechen die Beurteilungsrichtlinien der neuen Bundesländer im wesentlichen derjenigen in Thüringen, was Beurteilungszeitpunkte und -prädikate angeht. Den Beurteilungsbögen ist stets gemeinsam, daß anhand vorgegebener Kriterien zu einzelnen Teilbereichen der dienstlichen Tätigkeit und zu besonderen Fähigkeiten Stellung zu nehmen ist. In einigen Ländern sind die Teilbereiche - wie etwa in Sachsen - mit ausformulierten Sätzen oder - wie etwa in Sachsen-Anhalt -, nach dem Muster Niedersachsens, mittels Ankreuzen vorgegebener Leistungsstufen zu bewerten. Soweit erkennbar, mündet die dienstliche Beurteilung in allen neuen Ländern in einem Prädikat zur Feststellung der Bewährung im Proberichterverhältnis, das denjenigen entspricht, die auch in Thüringen verwendet werden.

Zu 5.: Angesichts der sehr großen Anzahl von Richtern und Staatsanwälten zur Probe in Thüringen, die aufgrund der bestehenden Aufbausituation in keinem Verhältnis zu den in den westlichen Bundesländern üblichen Zahlen steht, mußte ein Beurteilungssystem geschaffen werden, das zügig und sicher geeignete von ungeeigneten Bewerbern trennt. Oberstes Ziel der Probezeitbeurteilung ist die Feststellung, ob sich der Beurteilte in seiner Funktion bewährt hat. Der exakteren Einschätzung der Leistungen eines Richters oder Beamten dienen erst die Beurteilungen nach der Ernennung auf Lebenszeit.

Durch die Verwendung vorgegebener Beurteilungsmerkmale wird eine höhere einheitliche Beurteilung gewährleistet. Anders als bei dem System der Beurteilung mittels freier Formulierung, wird ein höheres Maß an Vergleichbarkeit der einzelnen Beurteilungen erreicht. In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen werden, dass der zur Abgabe der Gesamtbeurteilung zur Verfügung stehende Raum selbstverständlich durch Anlage eines besonderen Blattes vergrößert werden kann und in der Praxis auch häufig wird.

Zu 6.: Derzeit nicht.

Zu 7.: Jedem Richter oder Beamten auf Probe steht es frei, sich zu der ihm eröffneten dienstlichen Beurteilung schriftlich zu äußern.

Die Äußerung gelangt mit der Beurteilung zur Personalakte.

In Fällen einer begründeten Beschwerde des Betroffenen wird stets versucht, einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Auffassungen zu finden. In der Regel dient dazu ein persönliches Gespräch mit dem Personalreferenten des Justizministeriums.