Rehabilitation

Die Ausschußmitglieder der Fraktion der SPD stellen fest, dass der damalige Regierungsbevollmächtigte Josef Duchac außerhalb der jedermann zugänglichen Informationsquellen darüber informiert wurde, dass in der Firma Eichsfeld-Bau Leinefelde Straftaten begangen worden sein sollen. Daraus resultierte ein pflichtwidriges Handeln des Josef Duchac, durch Unterlassung der Information der Strafverfolgungsbehörden. Die Verschaffung persönlicher Vorteile war nicht feststellbar.

3. Willibald Böck

Tatsachenfeststellungen

Die Untersuchungen des Untersuchungsausschusses I/2 des Thüringer Landtags führten zu folgenden Tatsachenfeststellungen:

Im Jahr 1990 fanden zumeist in Bernterode, Kreis Worbis, im Haus des Willibald Böck, regelmäßige Gesprächsrunden statt. Teilnehmer waren u.a. Willibald Böck, Franz-Georg Pfitzenreuter, Peter Flechs, Strozynski und andere.

Gegenstand dieser Gespräche waren politisch aktuelle Ereignisse und Vorgänge im Kreis Worbis bzw. im ganzen Eichsfeld.

Festzuhalten ist, dass die politischen Aktivitäten der CDU im Kreis Worbis darauf gerichtet waren, bereits am 31. Januar 1990 die Führungspositionen des Rates des Kreises Worbis neu zu besetzen. Der spätere Landrat, Peter Flechs, wurde kommissarischer Vorsitzender der Kreisverwaltung, Willibald Böck wurde stellvertretender Ratsvorsitzender. Ursache dafür ist laut Aussage des Karl-Walter Strozynski: Willi Böck hat uns getrieben, hat gesagt, macht das, bringt das in Ordnung. (Protokoll 14. Sitzung, S. 83)

In der Folge erhielt Willibald Böck durch die Wahl am 18. März 1990 ein Mandat als Abgeordneter der Volkskammer, Peter Flechs wurde nach der Wahl am 5. Mai 1990 zum Landrat des Landkreises Worbis bestellt, Karl-Walter Strozynski war ab Mai 1990 Abgeordneter des Kreistages und ab Dezember 1990 Kreistagspräsident des Kreistages Worbis. Franz-Georg Pfitzenreuter wurde im Februar 1990 zum Amtsleiter des Amtes für Rehabilitation und Bürgerberatung durch den damaligen ersten Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Kreises Worbis, Willibald Böck, berufen. Ab der Kommunalwahl am 5. Mai 1990 gab es weiterhin einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Vergangenheitsbewältigung, zur Aufklärung von Amtsmißbrauch und Korruption, dessen Vorsitzender zunächst Peter Flechs selbst, späterhin jedoch Horst Dornieden war.

Aus den Einlassungen von Wolfgang Fiedler, Franz-Georg Pfitzenreuter, Horst Dornieden, Karl-Walter Strozynski und Friedrich Kaufhold sowie Willibald Böck ist zu schlußfolgern, dass insbesondere bei den regelmäßigen Gesprächsrunden Informationsaustausch stattfand, der die mögliche oder tatsächliche Belastung von Personen beinhaltete, für das frühere Ministerium für Staatssicherheit der DDR inoffiziell gearbeitet zu haben. Im weiteren wurden durch Franz-Georg Pfitzenreuter die Arbeitsergebnisse seines Amtes mitgeteilt, welche mögliche kriminelle Handlungen von Personen im Eichsfeld betraf. Franz-Georg Pfitzenreuter ging davon aus, dass jegliche Informationen, welche über solche Handlungen von ihm gegeben wurden, an zuständige Stellen des Bezirkes Erfurt weitergegeben werden würden, so an den Regierungsbevollmächtigten Josef Duchac oder an Polizeidienststellen. Diese Verfahrensweise wurde etwa ab Oktober 1990 sogar durch schriftliche Informationen ergänzt fortgesetzt, weit über einen Zeitpunkt hinaus, an dem Willibald Böck bereits zum Innenminister des Landes Thüringen ernannt worden war.

Ab Oktober 1990 wurde der inoffizielle Informationsweg durch Gesprächsrunden nicht mehr beschritten, als Franz-Georg Pfitzenreuter festzustellen meinte, dass diese Informationsgaben keine Resultate erbrachten. Ab April 1991 gab es keine Kontakte mehr zwischen Franz-Georg Pfitzenreuter und Willibald Böck.

Beweiswürdigung Wolfgang Fiedler, Horst Dornieden, Friedrich Kaufhold, Arnold Senft, Karl-Walter Strozynski und Franz-Georg Pfitzenreuter haben in verschiedenen Aussagen (Protokolle 10., 14. und 18. Sitzung) glaubhaft ausgesagt, daß

Willibald Böck fortlaufend außerhalb der jedermann zugänglichen Informationsquellen darüber informiert wurde, daß im Lande Thüringen, insbesondere im Kreis Worbis

- Straftaten und Dienstvergehen begangen worden sein sollen, und

- bei der Polizei und in der Kreispolitik tätige oder tätig gewesene Personen für das ehemalige gearbeitet haben sollen.

Über das Vorhandensein von Eintragungen bezüglich der IM-Akte des damaligen Landrates Peter Flechs in Karteien, die sich in Sonderarchiven mit befanden, wurde Willibald Böck direkt von Wolfgang Fiedler informiert.

Die übrigen Informationsquellen waren im einzelnen nicht nachweisbar. Es ist jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall, dass eine Mehrzahl der Informationen ebenfalls aus den Sonderarchiven bzw. aus der Behörde des Sonderbeauftragten Gauck stammte, worauf die vom März 1991 datierende Liste (Vorlage UA I/2 49, S. 13) und die Zeugenaussagen Horst Dorniedens, Friedrich Kaufholds und Willibald Böcks hinweisen. Die Konsequenzen der unerlaubtem Überlassung oder Übergabe dieser Informationen aus an Nichtberechtigte waren Gegenstand der Untersuchungen des Ausschusses.

Die Plazierung der Informationen bei Willibald Böck erlangt eine rechtliche Relevanz, als Willibald Böck am 7. November 1990 zum Thüringer Innenminister bestellt wurde. Von diesem Tage an war die politische Verantwortlichkeit des Willibald Böck für die personelle Besetzung der Thüringer Polizei und Chef der Kommunalaufsicht gegeben.

Der von Willibald Böck geleistete Amtseid als Minister (Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen, Verfassung und Gesetze wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jederman üben werde), wurde von ihm mit der religiösen Formel beteuert: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. (vgl. Plenarprotokoll 1/4 S. 59)

Dieser Amtseid ist als eine ständige Verpflichtung eines Ministers aufzufassen, dass die verfassungsmäßige Ordnung zu schützen ist.

Dieser Verpflichtung ist der Innenminister Willibald Böck nicht nachgekommen.

Beweis: Im Einigungsvertrag vom 31. August 1990, Anlage I, Kapitel XIX Abschnitt III definiert der Gesetzgeber die Rechtsverhältnisse für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst mit der Sonderkündigungsregel im Falle:

(5) Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung ist insbesondere dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer

1....

2. für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. (vgl. Einigungsvertrag vom 31. August 1990)

Die Sonderkündigungsklausel folgte der allgemeinen Auffassung, dass von früheren hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern des zu vermuten ist, dass sie sich nicht dem Schutz der freiheitlichdemokratischen Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet fühlen.

Nach Auffassung der Ausschußmitglieder der SPD hätte der Innenminister des Landes Thüringen, Willibald Böck, nach Amtsantritt alle ihm persönlich bekannt gewordenen Verdachtsfälle von Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf Mitarbeit für das vordringlich prüfen lassen müssen, um über die möglichen Belastungen oder auch Haltlosigkeit von Verdachtsmomenten Gewißheit zu erlangen.

Da diese Personen im Bereich der Polizei und der Kommunalpolitik nicht vordringlich überprüft wurden, liegt eine schwerwiegende Pflichtverletzung durch den Innenminister Willibald Böck vor, die einem Bruch seines Amtseides gleichkommt.

Es wäre unverzichtbar gewesen, ein sofortiges amtliches Nachprüfungsersuchen an das Sonderarchiv Erfurt und Berlin zu richten. Dies ist wissentlich unter Verletzung der Amtspflichten unterlassen worden und stellt einen Rechtsbruch dar. Bei Vorliegen glaubhafter Verdachtsmomente für eine Stasi-Mitarbeit gegen einen Willibald Böck dienstlich unterstellten staatlichen Landrat bzw. führende Polizei-Mitarbeiter wird nach dem Einigungsvertrag prinzipiell die Nichteignung für den öffentlichen Dienst vermutet. Es wird eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung angenommen, falls solche Personen weiterhin öffentliche Ämter bekleiden. Infolgedessen ordnet der Einigungsvertrag die umgehende Entfernung solcher Personen aus dem öffentlichen Dienst mittels fristloser Kündigung an. Die Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung wird umso größer, je höher diese Personen in der Verwaltungshierachie angesiedelt sind. Bei einem Landrat und leitendem Polizeibediensteten ist diese Gefahr geradezu offenkundig.

Der klar nachweisbare Rechtsbruch hätte die sofortige Entlassung aus dem Ministeramt nach sich ziehen müssen.

In Wertung der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses I/2 muss aus dem Verhalten des Willibald Böck geschlußfolgert werden: Willibald Böck nahm im Kreis Worbis die Rolle des politischen und organisatorischen Anführers der CDU ein. In dieser Rolle nutzte er die Opposition der Bürger ab dem Herbst 1989 gegen die Macht- und Verwaltungsstrukturen der SED, um mit den CDU-Mitgliedern des Kreises Worbis die Führungspo-sitionen der Kreisverwaltung zu erlangen und für die CDU als günstige Ausgangsposition für spätere Wahlen nutzbar zu machen. Nachdem er und andere CDU-Mitglieder durch die Wahlen am 18. März und 5. Mai 1990 beinahe sämtliche Führungspositionen in Legislative und Exekutive des Kreises Worbis und darüber hinaus demokratisch legitimiert übertragen erhielten, betrieb Willibald Böck eine Politik des Machterhalts. Die Sicherung der politischen und organisatorischen Führungspositionen wurde als wichtiger betrachtet, als die bekannt werdenden Belastungen einiger wichtiger, der CDU zugehörigen Kommunalpolitiker, einschließlich des Landrates Peter Flechs und des Kreistagspräsidenten Karl-Walter Strozynski.

Diese Politik sicherte auch bei den Landtags- und Bundestagswahlen 1990 hervorragende Ergebnisse für die CDU in Worbis und im Eichsfeld. Infolgedessen wurden anstelle möglicher rechtstaatlicher Aufklärung und entschlossenen Handelns durch den Innenminister möglicherweise auf schrittweises Ausgliedern belasteter Personen auf Grund unverdächtiger, gesundheitlicher oder persönlicher Probleme orientiert und so wurde verfahren (Flechs, Strozynski u.a.). Ähnlich sacht wurde möglicherweise mit belasteten Personen aus dem Polizeibereich verfahren, denkbar sind die Fälle Seidenstücker und Lüllepop. Dabei ist klar festzustellen, dass sich die CDU der Erkenntnisse des Amtes für Bürgerberatung und Rehabilitierung sowie anderer Behörden als Herrschaftswissen nutzbar machte. Die Diskussion solcher Inhalte in CDU-Kreistags-Fraktionssitzungen beweist dies.

Folgerichtig erscheint, dass Willibald Böck dem Peter Flechs nach seinem Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen aus dem Amt des Landrates bei der Suche nach geeigneter Erwerbstätigkeit behilflich war. (Protokoll 20.

Sitzung, S. 19)

Diese Verfahrensweise könnte geeignet sein, Enttäuschte in den eigenen Reihen von einer Aufdeckung der tatsächlichen Gründe für den Verlust von Ämtern und Mandaten abzuhalten.

Willibald Böck hat mit seinen Handlungen der jungen, sich entwickelnden Demokratie in Thüringen schweren Schaden zugefügt.