Ausbildung

Flussabwärts weist er Turbulenzen auf, und einige Menschen kämpfen verzweifelt darum, den Kopf über Wasser zu halten. Manche schaffen es, aus eigener Kraft wieder ans Ufer zu kommen, andere aber müssen von Lebensrettungsspezialisten herausgezogen und vor dem Ertrinken gerettet werden.

Pathogenese, die die Homöostase als Normalzustand annimmt, beruht auf der Idee, es könne Menschen geben, die die überwiegende Zeit ihres Lebens trockenen Fußes den Verlauf des Flusses abschreiten und sich nur in Ausnahmefällen die Füße nass machen. Dem pathogenetischen Modell zufolge befinden sich Menschen in der Regel im Gleichgewicht, und nur bei einer Kombination ungünstiger Zustände oder Ereignisse kommt es zu Beeinträchtigungen, zu Krankheiten. Dann muss Energie aufgewendet werden, um die Homöostase wieder herzustellen. Das salutogenetische Modelle geht hingegen von Heterostase und Ungleichgewicht als Normalfall aus.

Ungleichgewicht und Leid werden ebenso wie der Tod als inhärente Bestandteile menschlicher Existenz betrachtet. Um in der Metapher zu bleiben: Wir alle sind vom Zeitpunkt der Empfängnis bis zu dem, an dem wir die Kante des Wasserfalls passieren und sterben, in dem Fluss. Der menschliche Organismus wird als System definiert, das wie alle Systeme der Kraft der Entropie, d.h. der Tendenz zu Auflösung und Zerfall, ausgeliefert ist. Es muss daher laufend Energie in das System eingeführt werden, um Chaos und Zerfall zu vermeiden. Menschen bleiben nicht von selbst in einem Gleichgewicht, das nur von gelegentlichen Störungen unterbrochen wird, sondern sie sind einer Flut von Stimuli ausgesetzt, die fortdauernd Anpassungsleistungen und aktive Bewältigung erfordern.

Angesichts der Tatsache, dass Pathogene ubiquitär10 sind, durchdringend, endemisch11 und weit verbreitet, ist salutogenetischem Denken zufolge das eigentliche Rätsel nicht, warum Menschen krank werden und sterben, sondern warum es eigentlich so erstaunlich viele trotz schwieriger Bedingungen, zahlreicher Anforderungen und zerstörerischer Umwelt schaffen, sich in einem beträchtlichen Ausmaß physisch und psychisch mehr gesund als krank zu halten.

In der Formulierung mehr gesund als krank verbirgt sich eine weitere Grundannahme des salutogenetischen Modells: Krankheit und Gesundheit werden als Pole eines multidimensionalen Kontinuums definiert, nicht als sich ausschließende Gegensätze. Auf diesem Kontinuum können Menschen sich mehr in die eine oder die andere Richtung bewegen; Menschen sind nicht gesund oder krank, sondern sie befinden sich hinsichtlich verschiedener für Gesundheit und Krankheit relevanter Dimensionen (z.B. körperlicher Befund, subjektives Befinden, Schmerz, Therapierbarkeit) auf einem Punkt des Kontinuums. Krankheit ist nicht Ausfall eines Systems und abgrenzbares, isoliertes Ereignis, sondern sie wird im Sinne einer Ent-Gesundung als Prozess verstanden, eingebettet in die Geschichte eines Menschen. Das Verständnis dieses Prozesses gelingt durch ein möglichst breites Wissen über einen Menschen, über seine gesamte innere und äußere Situation, wobei selbstverständlich seine Stärken und Möglichkeiten, also die gesunden Anteile, mitberücksichtigt werden müssen.

Während pathogenetische Modelle das Ziel verfolgen, Bedingungen zu identifizieren, unter denen Menschen krank werden, also Risikofaktoren fokussieren, stellen salu10

Ubiquitär: überall vorkommend

Endemische Krankheiten: Krankheiten, die ständig in einer Bevölkerung auftreten, die Krankheitsursache ist dauerhaft präsent

togenetische Modelle die Frage in den Mittelpunkt, warum bzw. wie Menschen auch unter schwierigen Bedingungen und angesichts der Omnipräsenz von Pathogenen ein möglichst hohes Ausmaß an Gesundheit erreichen. Ressourcen werden dabei sowohl in der sozialen und gesellschaftlichen Situation (Ausbildungs- und Arbeitsplatzsicherheit, ökonomische Absicherung, gesunde Umwelt, sozialer und politischer Frieden) wie in individuellen Faktoren (Wissen, Intelligenz, Problemlösefähigkeit, familiäre und soziale Einbettung, eigenes Gesundheitsverhalten) gesehen.

Gesundheitsförderung

Der Begriff der Gesundheitsförderung (health promotion) wurde durch die WHO protegiert und von der ersten internationalen Konferenz für Gesundheitsförderung in der Ottawa-Charta12

1986 definiert: Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen... In diesem Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit betont wie die körperlichen Fähigkeiten. Die Verantwortung für die Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden hin.

Die Ottawa-Charta konkretisiert dies mit weiteren grundsätzlichen Aussagen. Dazu gehören globale Voraussetzungen für Gesundheit, die notwendige Interessenvertretung innerhalb politischer und gesellschaftlicher Systeme, Geschlechtergerechtigkeit und die Selbstverpflichtung zu internationalem Handeln.

Mit dem Modell der Gesundheitsförderung wird die Abkehr von einer öffentlichen Gesundheitspolitik hin zu einer Querschnittszuständigkeit angestrebt, in der der Sektor Gesundheit mit anderen gesellschaftlich und politisch relevanten Sektoren wie der Arbeits- und Sozialpolitik, Finanzpolitik, Umwelt-, Ernährungs- und usw. verknüpft ist. Gesundheit soll zu einem entscheidenden Faktor im gesamtgesellschaftlichen Planungsprozess werden. Die physische und soziale Lebenswelt soll gesundheitsförderliches Verhalten ermöglichen und unterstützen. Als zentrale Bestandteile der Gesundheitsförderung gelten Selbstbestimmung und zur Schaffung gesundheitsförderlicher Strukturen. Im Sinne des Empowerment besteht die Aufgabe Professioneller darin, Menschen Kompetenzen und Strategien zu vermitteln, damit diese ihre gestalterische Rolle wahrnehmen können. Die Neuorientierung des Gesundheitswesens soll zu einer Reduktion der vorwiegend kurativen Versorgungsinstitutionen führen, zugunsten von Angeboten, die auf die Förderung von Gesundheit orientiert sind.

Wenn wir heute über Gesundheit sprechen, sollten wir dies unter einer veränderten Perspektive und in einem erweiterten Verständnis tun. Zu dieser veränderten Perspektive hat maßgeblich die Ottawa-Charta der Gesundheitsförderung beigetragen, die 1986 auf der 1. Konferenz zur Gesundheitsförderung der Weltgesundheitskonferenz (WHO) in Ottawa (Kanada) verabschiedet worden ist

Für die strategische Ausrichtung der Gesundheitsförderung sollen fünf miteinander interagierende Aktionsebenen eingesetzt werden:

· gesundheitsförderliche Gesamtpolitik entwickeln,

· gesundheitsförderliche Lebenswelten schaffen,

· gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktivitäten unterstützen,

· persönliche Kompetenzen entwickeln und

· Gesundheitsdienste neu orientieren.

Prävention

Während der Begriff der Gesundheitsförderung sich demnach auf alle politischen Ebenen und Bereiche sowie auf die Lebenswelten der Menschen bezieht, zielt Prävention in einem engeren Sinne auf gesunderhaltende Eingriffe. Prä­venire bedeutet Zuvorkommen und meint im umfassendsten Wortsinn im Gesundheitsbereich alles, was geeignet ist, Krankheiten vorzubeugen, zu verhindern, zu vermeiden. Prävention zielt auf die Verhinderung von Krankheiten ab, ist damit in der Zielführung enger als die Gesundheitsförderung und gleichzeitig spezifischer. Entsprechend der saltuogenetischen Sichtweise ist der Begriff pathogenetisch orientiert und daher häufig mit einem Präfix versehen: Herz-Kreislauf-Prävention, Suchtprävention etc.

In der Präventionsdiskussion werden drei Ebenen der Prävention unterschieden: Primäre Prävention meint die Verhinderung des Auftretens einer spezifischen Symptomatik (z.B. Schmerz, Bluthochdruck) oder eines Verhaltens (z.B. Drogenkonsum, Überernährung). Sekundäre Prävention bedeutet die frühzeitige Erkennung von Symptomen mit dem Ziel der frühzeitigen Intervention, um einer Chronifizierung vorzubeugen.

Tertiäre Prävention umfasst alle Maßnahmen, um Folgestörungen bestehender Erkrankungen zu verhindern und Rückfällen vorzubeugen.

In der Praxis lassen sich die drei Interventionsebenen nicht scharf voneinander abgrenzen. Die Mehrzahl der Präventionsmaßnahmen ist dem Bereich der sekundären Prävention zuzuordnen; es haben sich hier auch die Begriffe der Früherkennung und Frühintervention eingebürgert.

Einen weiteren Unterschied gibt es zwischen personen- und strukturzentrierter Prävention: Prävention kann sich auf einzelne Personen und ihr Verhalten beziehen (Verhaltensprävention), oder auf strukturelle Maßnahmen der Reduzierung und Minimierung von Erkrankungsrisiken wie betriebliche Anlagengestaltung, Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen oder Lärmschutz (Verhältnisprävention).

Ganzheitlichkeit

Die Enquetekommission bemühte sich in ihrer Arbeit um einen ganzheitlichen Blick, d.h. eine Perspektive, die verschiedene Einflussfaktoren für Gesunderhaltung und Krankheitsentstehung berücksichtigt.