In Befragungen berichteten Frauen mit geistigen Behinderungen über unfreiwillige Abtreibungen und Kindesabnahmen

Bis vor zehn Jahren waren keine gesicherten Kenntnisse über Kinderwunsch, Elternschaft und die Lebensverhältnisse von Eltern mit geistigen Behinderungen und ihren Kindern in Deutschland verfügbar. 1993 begann ein erstes bundesweites Forschungsprojekt an der Universität Bremen sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Ermittelt wurden annähernd 1000 Elternschaften mit 1360 Kindern. Die nicht Erfassten mitgerechnet, ging die Forschungsgruppe für 1996 von 2500 Elternschaften aus. In NRW lebten zum damaligen Zeitpunkt 179 geistig behinderte Mütter mit ihren Kindern (Pixa-Kettner, Bargfrede und Blanken, 1996). Insgesamt ist die Zahl der Geburten von Kindern geistig behinderter Eltern in den letzen zehn Jahren deutlich angestiegen, ebenso wie die Häufigkeit des Zusammenlebens mit den Kindern (Bargfrede, 2001). Die Ergebnisse dieser ersten und weiterer Studien führte zur Vereinsgründung Verein für begleitete Elternschaft e.V., und 1998 konnte in Bremen in Zusammenarbeit mit der AWO Bremen die bundesweit erste Beratungsstelle3 eröffnet werden (Bargfrede, 2001). Geistig behinderte Frauen machen häufig die Erfahrung, dass das Thema im Kontakt mit ihnen gemieden wird oder sie in ihrem Kinderwunsch nicht ernstgenommen werden bzw. dieser kategorisch abgelehnt wird (Pixa-Kettner, 2003). Viele werden immer noch in dem Glauben erzogen, keine Kinder bekommen zu können (Zinsmeister, 2003). Ihre Kinderwunschmotive erfahren eine ungleich kritischere Hinterfragung, als dies bei nichtbehinderten Frauen der Fall ist. Nach Pixa-Kettner (2003) unterscheiden sich Motive für einen Kinderwunsch bei Frauen (und Männern) mit geistigen Behinderungen nicht von denen nichtbehinderter Frauen. Sie könnten lediglich um den besonderen Aspekt Kinderwunsch als Ausdruck von Normalität und Erwachsenheit erweitert werden.

In Befragungen berichteten Frauen mit geistigen Behinderungen über unfreiwillige Abtreibungen und Kindesabnahmen. Erzwungene Trennungen vom eigenen Kind aufgrund der Behinderung der Mutter ­ verschärft durch ein langfristiges Umgangsverbot ­ gehören demnach immer noch zum bundesdeutschen Alltag. Dabei werden die betroffenen Frauen häufig weder auf diese für sie traumatischen Ereignisse vorbereitet noch findet eine Trennungsbegleitung statt (Vlasak, 2004).

Die Entscheidung zur Elternschaft von Menschen mit geistigen Behinderungen kollidiert bei in Beratungsstellen, Betreuenden und Eltern oft mit deren eigenen inneren Bildern, Normen und Vorstellungen. Nichtbehinderte Personen beziehen in ihren Vorstellungen eine gelebte Elternschaft für Menschen mit Behinderungen sehr wenig ein. Erst das Wissen über beispielhafte Modelle betreuter Elternschaft und die Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Gleichheit schafft den inneren Spielraum, die Vorstellungen von Alternativen zuzulassen.

Forschungsprojekte der vergangenen Jahre zeigen, dass viele Mütter mit geistiger Behinderung ihre Elternschaft unter ungünstigen Voraussetzungen beginnen. Oft sind sie in Heimen aufgewachsen und/oder haben innerfamiliäre Gewalttätigkeiten erlebt. Nur wenige haben in ihrer Kindheit oder Jugend ein geordnetes, harmonisches Familienleben kenngelernt und erinnern sich an elterliche Fürsorge, Wärme und positiv wahrgenommene Autorität, also an kindliche Erfahrungen, die sie in ihre eigene Elternschaft einbringen können. Obwohl viele Frauen mit geistigen Behinderungen oftmals negative Reaktionen ihrer Umgebung auf ihren Kinderwunsch und Schwangerschaft ertragen müssen, nehmen fast alle eine positive Beziehung zu ihrem Kind auf. Geistig behinderte Mütter sind sicherlich die am strengsten kontrollierten und überwachten Mütter in unserer Gesellschaft, an die bisweilen sogar höhere Maßstäbe angelegt werden als an andere Mütter.

Die Frage nach der Elternschaft von Frauen (und Männern) mit geistigen Behinderungen bekommt eine ganz andere Färbung, je nachdem, ob sie von der Seite des behinderten Paares aus betrachtet wird oder von der Seite des Kindes und seinen Entwicklungsmöglichkeiten in dieser Familie. Sie bedeutet vor allem für die Betreuenden eine Gratwanderung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Mutter/Eltern und dem Wohl des Kindes. Wenn z. B. die Vorstellungen der Mutter/Eltern über Erziehung das Wohl des Kindes gefährdet, müssen die das Ausmaß beurteilen, ebenso welche Maßnahmen den Schutz gewährleisten können und in die Personensorge eingreifen. Schlimmstenfalls müssen sie eine Empfehlung zum Entzug des Sorgerechts aussprechen. Die Verantwortung ist für die immens und erfordert eine sorgfältige und selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Person (Praszler, 2003).

Die Bereitstellung angemessener Unterstützungsangebote erweist sich für den positiven Verlauf der Elternschaft als bedeutsamen (Bargfrede, 2001). Sie müssen zeitlich intensiv (bis hin zu einer 24-stündigen Betreuung) und möglichst nah an der Lebensrealität orientiert sein, insbesondere an den Fähigkeiten der Eltern und von diesen angenommen werden. Obwohl die Finanzierung von Familien mit geistigen Behinderungen gesetzlich geregelt ist, kann die praktische Umsetzung verstellt sein.

Mutter, Vater und Kind werden häufig aus unterschiedlichen Töpfen finanziell unterstützt, was ein gemeinsames Wohnen unter Umständen verhindert. Auch Modelle ambulanter Betreuung von Müttern/Eltern mit geistiger Behinderung und ihren Kindern stoßen immer wieder an Finanzierungsgrenzen. Trägerorganisationen erhalten ihren Betreuungsauftrag vom Jugendamt im Rahmen der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH). Danach sind Leistungen in der Regel auf zwei Jahre begrenzt, was keinesfalls für die Betreuung von geistig behinderten Müttern/Eltern und ihrer Kinder ausreicht.

Wohnangebote für Mütter mit geistigen Behinderungen und ihre Kinder und Partner sind in NRW noch sehr vereinzelt und meist in den Ballungszentren angesiedelt, was für die Betroffenen eine belastende Umorientierung im Lebensumfeld bedeuten kann.

Ein Beispiel guter Praxis bietet die Diakonie Michaelshoven in Köln mit ihrem Wohnund Betreuungsangebot für derzeit drei Familien. Aus den Projekterfahrungen entstand ein Konzept zur stationären Begleitung von Müttern/Eltern mit geistigen Behinderungen und ihren Kindern. Es umfasst Leitprinzipien zum Thema Elternschaft, Kriterien zur institutionellen Begleitung und Ziele in der Betreuung von Eltern.

Sexualisierte Gewalt Lange hat die Lebenssituation von Frauen mit Behinderungen zu der Annahme geführt, dass sie, da sie häufig in geschützten Einrichtungen oder innerhalb der Familie leben, auch besonders vor sexualisierten Übergriffen geschützt sind. Erst in den 90er-Jahren wurde die Thematik der sexualisierten Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen mit Behinderungen aufgegriffen und in der Öffentlichkeit diskutiert. Auch wenn das Tabu im Tabu seither nicht länger ignoriert wird und die strukturellen, institutionellen und sozialen Risikofaktoren benannt wurden, sind insbesondere Frauen mit geistigen Behinderungen längst nicht ausreichend geschützt. Vielen in Einrichtungen der Behindertenhilfe und Angehörigen ist die Tatsache, dass behinderte Frauen allen Arten von sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind, immer noch nicht ausreichend präsent (Hagemann-White und Bohne, 2003).

Im deutschsprachigen Raum gibt es bisher keine repräsentativen Studien über das gesamte Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Aktuelle Untersuchungen legen aber den Verdacht nahe, dass Kinder und erwachsene Frauen mit geistigen Behinderungen eine besonders gefährdete Risikogruppe darstellen. Es wird davon ausgegangen, dass die Missbrauchsraten hier noch höher sind als in der nichtbehinderten Bevölkerung 2001). Frauen und Mädchen mit geistigen Behinderungen erfahren sexualisierte Gewalt nicht nur im sozialen Nahraum, sondern insbesondere jene, die in Einrichtungen leben, tragen ein erhöhtes Gewaltrisiko. Die Täter sind überwiegend männlich und rekrutieren sich sowohl aus Mitbewohnern wie Mitarbeitern von Einrichtungen oder Werkstätten, wobei die Geschlossenheit des Systems häufig verhindert, dass die Opfer wahrgenommen werden und ihnen angemessene Hilfe zuteil wird 2001). Da sie durch ihre Beeinträchtigung zum Teil auf Assistenz angewiesen sind, in stärkerem Maße in Abhängigkeiten leben als Frauen und Mädchen ohne Behinderung, eventuell über eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten verfügen oder ihnen durch mangelnde Sexualaufklärung keine Begrifflichkeiten über die erlebte Gewalt zur Verfügung stehen, sind sie in besonderem Maße verletzlich (Hagemann-White und Bohne, 2003). Häufig sind sexualisierte Gewalttaten Wiederholungstaten und ziehen sich über Jahre. Selbst wenn in einer Institution ein Fall bekannt wird, müssen die Täter nicht immer damit rechnen, strafrechtlich verfolgt zu werden (Gellenbeck, o.J.). Nach Degener (1995) kommt zur angenommen Unglaubwürdigkeit der Opfer für sie auch noch die Gefahr einer Sanktionierung durch die Heimleitung hinzu, die eher um den Ruf des Heimes als um den Schutz und die Würde der Bewohnerinnen bemüht sei.

Daneben wird häufig der Frau mit einer geistigen Behinderung die Verantwortung zu geschoben, sie hätte den Täter sexuell provoziert. Notizen in der Heimakte wie Unterbringung wegen sexueller Verwahrlosung bzw. Gefährdung unterstützen zudem, die Schuldzuweisung quasi diagnostisch als Persönlichkeitseigenschaft zu untermauern (Walter, 1996). Weitere Risikofaktoren sind eine Erziehung von Mädchen mit geistigen Behinderungen zur Anpassung und die benannte vermeintlich nicht vorhandene Glaubwürdigkeit der Opfer (wer will schon Sex mit so einer haben...). Begünstigt werden können sexuelle Übergriffe auch durch die bereits angesprochene gesellschaftliche Vorstellung von der Geschlechtslosigkeit und Asexualität behinderter Frauen. Eine Sterilisation oder Zwangsverhütung (z.B. durch die 3-Monatsspritze) kann einen sexuellen Übergriff Vorschub leisten, da eine Vergewaltigung zumindest in soweit unentdeckt bleibt, als dass sie keine Schwangerschaft zur Folge hat.

Durch die Neuordnung und Erweiterung des § 174 im Jahre 1998 ist zwar die Strafbarkeit sexuellen Missbrauchs auch auf Übergriffe in Betreuungs-, Beratungsoder Therapieverhältnissen ausgedehnt worden. In der Praxis jedoch ­ wie oben dargestellt ­ bietet dies allein keinen ausreichenden Schutz.