Dies bedeute die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung als Ultima Ratio vor dem Zugriff der Justiz und der

Jugendhilfe immer noch besser als die Einweisung in eine kinder- und jugendpsychiatrische Anstalt oder die Verhängung von U-Haft bzw. von Jugendstrafe bei strafmündigen Jugendlichen.

Dies bedeute: die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung als Ultima Ratio vor dem Zugriff der Justiz und der Psychiatrie.

Im Übrigen seien eine pädagogische Einflussnahme und eine verlässliche Beziehung nur dann möglich, wenn die Kinder anwesend seien und nicht weglaufen könnten und so von ihrem kriminellen Umfeld getrennt würden. Damit erfolge auch ein Schutz der potenziellen Opfer.

Die gegenteilige Meinung zeigt auf, dass die im Kinder- und Jugendhilfegesetz vorgesehenen Instrumente ausreichen, dass insbesondere in den Heimen eine gute pädagogische Arbeit geleistet wird und so verlässliche Beziehungen zu den Erzieherinnen und Erziehern aufgebaut werden, die ein Einschließen der Kinder und Jugendlichen entbehrlich machen.

Voraussetzung sei allerdings eine hochwertige pädagogische Betreuung und Erziehung mit entsprechenden Rahmenbedingungen, z. B. eine 1:1-Betreuung. Diese Erzieher müssten speziell auf den Umgang mit den schwierigen und aggressiven Kindern vorbereitet werden. Erfolge erforderten ein passgenaues Konzept.

Selbst bei den allermeisten hochdelinquenten Kindern und Jugendlichen sei eine geschlossene Unterbringung nicht die geeignete Maßnahme. In Niedersachsen habe sich gezeigt, dass von 550 infrage kommenden Kindern nach genauer Überprüfung zehn Kinder übrig geblieben seien, für die man einen Bedarf an Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung festgestellt habe.

Damit werde deutlich, wie schwierig es sei, eine entsprechende Diagnose zu stellen.

Auch die Tatsache allein, dass ambulante Maßnahmen nicht gegriffen hätten, könne nicht für eine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung sprechen. Es scheine, dass die Entweichquote in geschlossenen wie in offenen Einrichtungen gleich groß sei; denn beide Einrichtungen seien keine Gefängnisse.

Bekannt sei, dass Fachleute immer wieder feststellten, dass oft Mängel im Jugendhilfesystem, auch durch knappe finanzielle Ressourcen hervorgerufen, einen echten oder vermeintlichen Bedarf an Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung produzierten. Natürlich gebe es erfolgreiche pädagogische Ansätze, Programme und Projekte zur frühzeitigen intensiven Betreuung schwieriger und aggressiver Kinder und Jugendlicher, die aber aus Kostengründen bei weitem nicht ausgeschöpft würden. - So weit die aktuelle Debatte.

Meine Damen und Herren, uns stellt sich daher die Frage, ob das, was die FDP fordert, der Weisheit letzter Schluss ist. Sie befasst sich in ihrem Antrag nur mit delinquenten Kindern bis 14 Jahren, die mit den bisherigen Instrumentarien der Jugendhilfe nicht zurechtgekommen sind. Für diese Kinder verlangen Sie, meine Damen und Herren von der FDP, eine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung nach dem Projekt Insel in Brandenburg.

Für uns ist der Ansatz zu kurz gegriffen, denn wir müssen auch die über 14-Jährigen in die Betrachtung einbeziehen. Im Übrigen wird die Frage nicht beantwortet, was passiert, wenn diese Kinder in ihren Heimatort und ihre Familien zurück müssen.

Sie wollen sie doch wohl nicht ihr Leben lang oder zumindest bis zum Alter von 18 Jahren in solche Einrichtungen aufnehmen.

(Widerspruch von Horst Engel [FDP])

- Hier sind noch viele Fragen zu beantworten; dies scheint mir noch nicht sehr ausgegoren zu sein.

Weltweit gibt es viele Maßnahmen, um aggressiven Kindern zu begegnen, ob in militärischer Hackordnung wie in Kanada oder in Einrichtungen in NRW und im Bundesgebiet.

Überall aber wird deutlich, dass es keine einfache Lösung gibt. Das Wegschließen strafmündiger Jugendlicher in Jugendgefängnissen oder Strafunmündiger in geschlossenen Erziehungseinrichtungen scheint kein Erfolg versprechender Ansatz zu sein.

Wir brauchen im Grunde Projekte, die jungen Menschen Hoffnung und Zuversicht geben. Unabdingbar ist hier eine intensive Zusammenarbeit zwischen Eltern, Kindern und der Jugendhilfe, wie das Beispiel in Sachsen zeigt. Hierbei hoffen wir auf Unterstützung durch die Landesregierung und die kommunalen Spitzenverbände; Letztere können wir hier - insbesondere bei der Ausdifferenzierung der Hilfen für Kinder und Jugendliche nicht außen vor lassen.

Ich komme auf mein Eingangsbeispiel zurück.

Köln leidet darunter, dass es in dieser Stadt eine Ansammlung von Menschen gibt, die sich weder unserem Wertesystem noch unserer Verfassung unterordnen wollen.

Vizepräsident Dr. Helmut Linssen: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Engel?

Jürgen Jentsch (SPD): Bitte sehr.

Vizepräsident Dr. Helmut Linssen: Bitte schön, Herr Engel.

Horst Engel (FDP): Herr Kollege Jentsch, ist Ihnen entgangen, dass ich genau das, was Sie jetzt zum Schluss kritisierten, ebenfalls kritisiere? Auch ich will keine Mauern, keine abgeschlossenen Türen und keine vergitterten Fenster. Dies ist das

Neue und bundesweit Einzigartige.

Jürgen Jentsch (SPD): Wir haben in Nordrhein Westfalen, aber auch in anderen Bundesländern ähnliche Einrichtungen. Überall gibt es Erfolge und Misserfolge. Es gibt kein Patentrezept; von daher muss man sich mit allen Beispielen auseinander setzen, die es im Bundesgebiet gibt, und möglicherweise auch Beispiele aus dem Ausland einbeziehen. Ich warne aber davor, anzunehmen, dass wir eine Patentlösung finden.

Nach meinem Dafürhalten muss die Justiz in Köln gegenüber den Erziehenden deutlich machen, dass rechtsfreie Zonen nicht geduldet werden.

Dies schließt die vollziehbare Drohung ein, den Eltern die Erziehung ihrer Kinder zu entziehen.

Auch darüber muss dann nachgedacht werden.

Hier sind das Jugendamt, die Polizei und die Justiz gefordert.

Meine Damen und Herren, die beschriebenen Probleme gibt es hier und dort. Aber bevor wir zu Schnellschüssen kommen, sollten wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, die es unterhalb der Ebene von geschlossenen Einrichtungen gibt. Vielleicht gelingt es uns in den Fachausschüssen, gemeinsam gangbare Konzepte aufzuzeigen, die dann - unter Mitarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Richtern - von den Kommunen übernommen werden. Dann kommen wir vielleicht etwas weiter.

Dabei dürfte es von Interesse sein, mit welchen Methoden, vor allem aber mit welchen Ergebnissen in den Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen und den anderen Bundesländern gearbeitet wird.

Nur daraus können wir lernen.

Wir stimmen der Überweisung zu. Über Einzelheiten werden wir uns dann in den Ausschüssen unterhalten. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Helmut Linssen: Vielen Dank, Herr Kollege Jentsch. - Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Tenhumberg.

Bernhard Tenhumberg (CDU): Herr Präsident!

Meine Damen und Herren! Der FDP-Antrag spricht einen Teilbereich von Lösungsmöglichkeiten auf dem Feld der Kinder- und Jugendkriminalität an. Es ist aber nur ein Teilbereich der umfassenden präventiven und repressiven Verhinderung von Kinder- und Jugendkriminalität, wobei der Antrag allerdings Anlass dazu sein kann, über die Gesamtproblematik zu sprechen.

Ich halte es für gut, dass es der FDP in diesem Antrag nicht um ein Wegsperren geht, wie manchmal unterstellt wird. Im Interesse der Betroffenen geht es vielmehr darum, falls alle Angebote der Familien- und Jugendhilfe keine Ergebnisse zeigen, die Jugendlichen ausgewogenen pädagogischen Angeboten mit einer klaren Zielsetzung zuzuführen. Prävention, meine Damen und Herren, muss durch die Möglichkeit der Sanktion ergänzt werden. Kinder und Jugendliche machen zunehmend die Erfahrung, dass ihnen keine Grenzen gesetzt werden. Wichtig ist aber, dass ihnen die Verantwortlichkeit ihres strafbaren Tuns deutlich gemacht wird. Bei rechtswidrigem Verhalten muss darum frühzeitig eine Reaktion der zuständigen Behörden erfolgen.

Die CDU hat mehrfach - insbesondere mit ihrem Antrag aus dem Jahre 1998 in der Drucksache 12/3003 - eine Gesamtlösung und Gesamtsicht eingefordert, wobei der Grundsatz Prävention vor Repression galt und auch zukünftig gilt.

94 % der Kinder und Jugendlichen treten polizeilich nicht in Erscheinung. Das wollen wir in dieser Debatte bitte nicht vergessen. Die große Mehrzahl integriert sich damit ohne ein sozial auffälliges Verhalten in die Erwachsenengesellschaft. Nur ein kleiner Teil der Kinder und Jugendlichen gilt als Mehrfachtäter. Allerdings nimmt diese Zahl in Quantität und Qualität zu.

Wir müssen uns im Parlament und in den zuständigen Ausschüssen mehr mit den Ursachen der Kinder- und Jugendkriminalität beschäftigen. Dazu hat es aufgrund unseres Antrags 1998 bereits eine öffentliche Anhörung und intensive Debatten gegeben. Handlungsansätze und eine kritische Weiterentwicklung der Präventionsmaßnahmen wurden eingefordert.

Was ist eigentlich bis heute geschehen? - Die Ursachen sind nach wie vor die gleichen. Sie sind in der Stellungnahme des Innenministers vom 15. Februar 1999 richtig beschrieben ­ ich zitiere -:

Mangelnde Zukunftsperspektiven, Arbeitslosigkeit und fehlende Ausbildungsplätze, ein konsumorientierter Lebensstil, Vereinzelungen, Drogenmissbrauch, die im Alltag erfahrene und über die Medien veranschaulichte Tolerierung von Gewalt als Mittel der Konfliktlösung, die wachsenden Herausforderungen an die Erziehungsaufgabe der Eltern, die zunehmende Bedeutung der Gruppen von Gleichaltrigen, die Zunahme an Risiko- und Gefährdungssituationen sowie Defizite in Orientierungs- und Verhaltensmustern können ausschlaggebend sein für Art, Schwere und Dauer des kriminellen Verhaltens im Kindes- und Jugendalter.

Der Erkenntnisstand ist also eindeutig.

Wie hat die Landesregierung darauf reagiert?

(Unruhe) Vizepräsident Dr. Helmut Linssen: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um etwas mehr Ruhe. Der Geräuschpegel ist zu hoch.

Bernd Tenhumberg (CDU): Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Sind die Schulen und Schulklassen zum Zweck sinnvoller pädagogischer Maßnahmen überschaubarer gemacht worden? Nein. Das Gegenteil trifft für Nordrhein-Westfalen zu. Wie soll bei überfüllten Klassen die Ansprache der pädagogisch Tätigen möglich sein? Wie soll bei dem vorhandenen Lehrermangel und dem Stundenausfall ein Erwerb von Medienkompetenz

- wie im Gutachten und in den Anhörungen dokumentiert - erfolgen, der Kinder und Jugendliche erst zu einem kritischen Umgang mit jugendgefährdenden Inhalten befähigt? Wie soll eigentlich bei der schlechten Ausstattung der pädagogischen Kräfte an nordrhein-westfälischen Schulen eine Verstärkung der geforderten Elternarbeit erfolgen, wie Sie von der Regierung das selbst bereits im Jahr 1999 gefordert haben?

Wir brauchen endlich Klassenverbände, die es den Lehrerinnen und Lehrern ermöglichen, gerade auf die benachteiligten Kinder und Jugendlichen einzugehen.

(Jürgen Jentsch [SPD]: Sie können den Schulen doch nicht die Schuld geben! Was soll das denn? Nein, man hat diese Mittel gekürzt und will sie zukünftig um weitere 25 % bis 50 % reduzieren.

Die angedachten Kürzungen im Landesjugendplan sind ein Beleg für die Konzeptionslosigkeit des Regierungshandelns in der Kinder- und Jugendpolitik. Es macht doch keinen Sinn, sich in diesem Land über die hohen Zahlen der Kinder- und Jugendkriminalität zu beschweren, wenn zugleich die Ausgaben für die Jugendarbeit rückgängig sind und wir es nicht einmal mehr schaffen, landesweit in allen Jugendämtern Angebote für soziale Gruppenarbeit oder ähnliche Aktivitäten vorzuhalten.

Was hat man getan, um jungen Menschen eine berufliche Ausbildung zu gewähren? - Defizit. Wir beklagen einen Lehrstellenmangel. Und für benachteiligte Jugendliche, meine Damen und Herren, werden bisher erfolgreiche Programme wie z. B. BUT - Beruf und Träger - von dieser Landesregierung ohne sachliche Begründung einfach gestrichen.

Sie von der Regierungskoalition haben doch noch vor kurzem den Ausbau von Kooperationsprojekten zur Steigerung der Lernmotivation so genannter schulmüder Jugendlicher gefordert. Ihr Reden und Ihr Handeln stehen hierzu im Widerspruch.

Zur Vermeidung einer sozialen Deklassierung brauchen wir eine Arbeitsmarkt- und Ausbildungspolitik, die den Kindern und deren Eltern Perspektiven eröffnet und Chancen einräumt, einen Beruf entsprechend ihren Interessen und Befähigungen zu ergreifen, (Jürgen Jentsch [SPD]: Sagen Sie das der Wirtschaft!) um aus der Arbeitslosigkeit bzw. Perspektivlosigkeit herauszukommen.

Die Aussichtslosigkeit, eine Arbeit zu finden, die Schwierigkeit, Anerkennung zu erreichen, und das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, fördern gerade bei Jugendlichen Gewalt und Straftaten.

Was tut man, um die Erziehungsfähigkeit und Erziehungsbereitschaft von Eltern zu fördern? - Die Förderung bleibt aus, weil das Land massiv Beratungsstellen abbaut.