Arbeitslosigkeit

Jedenfalls kann man das nicht in dieser Aktuellen Stunde abschließend beurteilen. Zweitens darf sie nur dort gelten, wo sie wirklich sinnvoll ist. Man darf sie nicht zu einem Dogma überhöhen. Drittens sollten Töne vermieden werden, die dazu führen, dass aus einem potenziell nützlichen Modell die Vorstufe zum Ende der freien Arztwahl und eine komplette Verlagerung der fachärztlichen Versorgung an stationäre Einrichtungen oder Versorgungszentren resultieren würde.

Frau Dedanwala, auch das Beispiel, das Sie genannt haben, ist sehr beeindruckend. Nur wäre vor dieser kardiologischen Ausschlussdiagnostik bei der Patientin die Diagnose einer Angstneurose gestellt worden, ohne die kardiologischen Befunde zu kennen, dann hätte man wahrscheinlich einen Kunstfehler-Prozess angestrengt, wenn eine solche Patientin an einem Herzinfarkt verstorben wäre, weil die Diagnose der Angstneurose falsch war. Man muss das nicht zu sehr ideologisch aufheizen.

Wir haben sehr genau zur Kenntnis genommen, dass der Vorsitzende des BKK-Landesverbandes NRW, Herr Hoffmann, den Vorstoß der Barmer Ersatzkasse als allenfalls ein Marketinginstrument bewertet hat. Wer für 10 pro Quartal auf sein Recht verzichtet, den Arzt bei Unzufriedenheit zu wechseln, wird dadurch nicht automatisch zum Prototyp eines mündigen Versicherten.

Andere Stimmen - ich mache sie mir nicht zu Eigen, aber ich nenne sie - machen auf die Gefahr aufmerksam, erst wenn der Hausarzt mit seinem Latein am Ende sei, werde der Patient an den Facharzt oder in die Klinik überwiesen, und dadurch würden Heilungserfolge verzögert und Behandlungen verteuert. Ich mache mir das nicht zu Eigen, aber ich will es nennen.

Ich glaube, dass wir als Landtag gut beraten sind, uns mit allzu euphorischen Bewertungen einzelner Lösungsideen zurückzuhalten, stattdessen wirklich abzuwarten, welche unterschiedlichen Lösungen die Praxis hervorbringt. Patienten, die diese Lotsenfunktion des Hausarztes wollen, sollen diese Funktion in Anspruch nehmen. Wer eine andere Lösung vorzieht, soll die Freiheit dazu behalten. Den Krankenkassen und Leistungserbringern wünschen wir als CDU viel Erfolg dabei, die Gestaltungsmöglichkeiten, die das GKVModernisierungsgesetz bietet, zu nutzen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU) Präsident Ulrich Schmidt: Danke schön, Kollege Henke. - Das Wort hat Frau Dr. Pavlik, FDP-Fraktion.

Dr. Jana Pavlik (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat heute Morgen eine Aktuelle Stunde zum Thema Hausarztmodelle zügig einführen - Lotsenfunktion statt Praxisgebühr beantragt.

Verehrter Herr Moron, wenn ich mir Ihre Begründung ansehe, müsste ich mich eigentlich für diese Steilvorlage der Kritik an der rot-grünen Gesundheitsreform bedanken, (Beifall bei der FDP) denn als Intention geben Sie ausdrücklich an, dass der mögliche Wegfall der Praxisgebühr - ich zitiere - die gesellschaftliche Akzeptanz der Gesundheitsreform erheblich verbessern würde.

Genau das ist Ihr Ziel. Sie merken jeden Tag mehr, dass die Bürger diese völlig misslungene Reform fast unisono ablehnen, und jetzt versuchen Sie mit allen Mitteln, den Leuten dieses Reformmonster schmackhaft zu machen. Dazu ist Ihnen auch die Manipulation der Versicherten nicht zu schade.

Aber ich sage Ihnen: Ihr Plan geht so nicht auf.

Den Gefallen wird Ihnen der Bürger nicht tun, diese Kröte einer bloßen Kostenverlagerung zu schlucken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Noch nie hat es in der Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Bestehen ein handwerklich und inhaltlich so schlechtes Gesetz gegeben wie das gegenwärtige

Gesundheitsreformgesetz. Es waren noch keine 30 Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes vergangen, dass Rot-Grün hinging, immer neue Änderungsvorschläge auf den Markt zu werfen, um wie Herr Moron es sagen würde - die gesellschaftliche Akzeptanz der Reform zu erhöhen.

(Zuruf von Vera Dedanwala [SPD] - Weitere Zurufe von der SPD)

- Beruhigen Sie sich, ich komme schon dahin.

Die Empörung in der Bevölkerung über dieses Gesetz hält bis heute an.

(Beifall bei der FDP)

Die Gewerkschaften haben es Ihnen vor einigen Wochen deutlich demonstriert, der Sozialverband hat es noch vorgestern in einer Großveranstaltung in der Düsseldorfer Messe deutlich gemacht. Ursprünglich sollten wir ja alle dort die Position der einzelnen Parteien vertreten, aber wir wurden auf Druck der getäuschten und völlig frustrierten Mitglieder, also Bürger und Opfer von misslungenen rot-grünen Reformversuchen, im wahrsten Sinne des Wortes ausgeladen. Sie wollen keine Politiker mehr sehen und hören. Warum? - Weil die Bürger die Nase voll haben von Täuschung, Hinterlist und völlig willkürlichen Belastungen, weil rot-grüne Reformen nur darin bestehen, in immer neuen Varianten den Bürger zu schröpfen.

Rot-Grün und im Grunde auch die zustimmende CDU haben die zahlreichen Belastungen der Bürger und Patienten mit dem Versprechen begründet, dass die Beiträge der Kassen sinken würden.

Nichts oder kaum etwas an Beitragssenkung ist in Sicht, und sie wird es auch künftig angesichts der hohen Verschuldung der Kassen und der weiter ansteigenden Gesundheitskosten nicht in nennenswertem Umfang geben.

Statt der versprochenen Beitragssenkung hat Rot Grün auf kaltem Weg durch die Praxisgebühr eine Beitragserhöhung um 40 pro Patient eingeführt, und das völlig unabhängig von der Verdiensthöhe und der sozialen Lage des Einzelnen. Das ist eben auch eine, allerdings rot-grüne, Variante von Solidarität und sozialer Verantwortung.

(Zuruf von Vera Dedanwala [SPD]) Aber dieser kalte Weg einer tatsächlichen Beitragserhöhung hat Ihnen mittlerweile kalte Füße verschafft, (Zuruf von Oda-Gerlind Gawlik [SPD])

- Kann ich vielleicht weiter sprechen? - und jetzt versuchen Sie mit allen Mitteln, Ihr eigenes Reformgesetz zu unterlaufen. Auf welche Weise? Das kann ich Ihnen genauso klar und deutlich sagen, wie ich die Praxisgebühr als das bezeichnet habe, was sie ist.

Zur kalten Ausbeutung durch die Praxisgebühr tritt jetzt die Entmündigung des Patienten, sich seinen Arzt selber zu suchen und der Versuch, die bewährte freie Arztwahl abzuschaffen, bloß in der Hoffnung, damit Geld zu sparen.

(Beifall bei der FDP)

Während das Gesundheitsreformgesetz die Mündigkeit des Patienten lauthals proklamiert und von einem informierten Patienten spricht, der selbst oder mit entscheiden soll, betreiben Sie durch die Einführung des Hausarztmodells dessen Entmündigung. Nicht der Patient soll entscheiden, welchen Arzt er aufsucht, sondern ein von den Kassen beauftragter Regulator, Hausarzt genannt.

Hätten Sie, Herr Moron, und mit Ihnen auch Ihr Kollege Vöge, vor Ihren Presseveröffentlichungen oder Ihrem heutigen Antrag zur Aktuellen Stunde vorab einmal die Barmer Ersatzkasse oder andere Kassen angerufen, um sich über die tatsächlichen Pläne zu informieren, wären Ihnen sicherlich auch ein paar Differenzierungen und einige noch ungelöste Probleme und Bedenken bezüglich Organisation und Qualifizierung oder Qualitätssicherheiten aus Kassensicht mitgeteilt worden.

So aber schießen Sie aus der Hüfte und rufen: Möglichst schnell her mit dem Gesundheitslotsen, bloß um das ungeliebte Kind der Praxisgebühr loszuwerden.

Ich halte einen Lotsen - wie in der Schifffahrt bekannt - für einen fachkundigen Lenker durch die Untiefen von Gewässern. Sie aber wollen keinen fachkundigen Lotsen, sondern einen von Interessen gelenkten, von den Kassen eingesetzten Regulator. Sie wollen keinen fachlich informierten und selbst entscheidenden Patienten, sondern ein reglementiertes Betreuungsobjekt.

Sie wollen mit Gewalt und mit allen Mitteln eine Praxisgebühr abschaffen, die bereits heute von Hunderttausenden legalen oder nicht legalen Ausnahmeregeln unterlaufen wird.

Sie wollen von Ihren eigenen, sozial unverantwortlichen Konsequenzen der rot-grünen Gesundheitsreform ablenken, die eine hinlängliche Gesundheitsvorsorge gerade für die sozial Schwachen, für Familien mit Kindern, für Rentner mit kleinen Renten, für zahlreiche Pflegebedürftige und Sozialhilfeempfänger nicht mehr garantieren kann.

Nicht nur Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Stagnation haben eine Farbe, nämlich rot-grün, sondern auch medizinische Mangelversorgung hat eine Farbe, nämlich ebenfalls rot-grün.

Ich sage an dieser Stelle klipp und klar: Die Praxisgebühr muss abgeschafft werden, ohne Wenn und Aber. Das Hausarztmodell in der jetzt angedachten Form ist untauglich, Herr Moron, für einen solchen Abschaffungsversuch.

Wenn wir unnötige Belastungen der Kassen oder die Ausgabenseite steuern oder senken wollen, dann geht das viel einfacher: (Unruhe - Glocke) Trauen und muten Sie es den Bürgern und Patienten zu, den für sie günstigsten und besten Versorgungsweg zu finden. Lassen Sie ihnen die freie Wahl! Dann sind sie auch bereit zu zahlen oder Eigenbeteiligungen zu akzeptieren, weil sie dann dafür genau das bekommen, was sie haben möchten, nämlich fachkompetente medizinische Versorgung und nichts, was ihnen nur aufgebrummt wird. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP) Präsident Ulrich Schmidt: Danke schön, Frau Dr. Pavlik. - Das Wort hat Frau Steffens, Bündnis 90/Die Grünen.

Barbara Steffens (GRÜNE): Herr Präsident!

Meine Damen und Herren! Frau Pavlik, Sie scheinen sich mit dem, was in dem Letter of Intent verhandelt worden ist, überhaupt noch nicht beschäftigt zu haben. Darüber hinaus scheinen Sie nicht mehr so ganz im Blick zu haben, was Ihre Kollegen im Bundestag und im Verhandlungsprozess zur Gesundheitsreform und auch programmatisch vertreten haben.

(Beifall bei der SPD) Das, was Sie heute in die rot-grüne Gesundheitspolitik hinein interpretieren, damit aber nichts zu tun hat, ist vielleicht ein Essential in der Auswirkung Ihrer Gesundheitspolitik. Ich kann nur sagen:

In den Verhandlungen ist von Ihnen Lobbypolitik pur vertreten worden, genauso auf allen Podiumsdiskussionen. Es wäre schön gewesen, wenn Sie etwas anderes gemacht hätten als Fehlinterpretationen von Texten, die Sie vielleicht nicht verstanden haben.

(Beifall bei GRÜNEN und SPD - Dr. Robert Orth [FDP]: Unverschämtheit!)

Es wäre schön gewesen, wenn Sie einmal klar gesagt hätten, was Sie eigentlich wollen, statt Rot-Grün zu interpretieren. Ich kann Ihnen das aber im Detail noch einmal erklären. Möglicherweise wird sich Ihnen das dann erschließen.

Die Praxisgebühr ist ein Problem. Das ist keine Frage. Sie ist aber - das hat auch schon Frau Dedanwala gesagt - Ergebnis eines Verhandlungsprozesses. In diesem Bundesgesetz waren von Anfang an die Optionen enthalten, andere Modelle und Möglichkeiten zu erproben. Herr Henke hat einige Paragraphen aufgezählt. Im Detail will ich das nicht wiederholen. Wir haben über dieses Gesetz die Möglichkeit zu Hausarztmodellen.

Ich glaube nur, dass nicht jedes Hausarztmodell per se begrüßenswert ist, sondern dass man ganz genau im Detail gucken muss, wie ein Hausarztmodell ausgestaltet wird und ob es im Vordergrund stehend den qualitativen Anspruch hat, die Gesundheitspolitik für die Menschen zu verbessern? Oder steht bei diesem Modell im Vordergrund der Anspruch, einfach nur einzusparen.

Ich kann mich an viele Diskussionen erinnern, in denen damals auch von Vertretern der FDP Einkaufsmodelle nicht unbedingt abgelehnt worden sind. Ein Einkaufsmodell, bei dem die Kassen einzelne Verträge mit Ärzten abschließen können, ist aus unserer Sicht ein Modell, das absolut abzulehnen ist, weil es im Ergebnis dazu führen würde, dass man versuchen wird, vertraglich die billigste Versorgung zu regeln, statt zu versuchen, eine für die Patienten optimale Versorgung bei gleichzeitiger Bindung der Versicherten herzustellen.

Was die Barmer in den Diskussionen und Verhandlungen versucht, konterkariert nicht die freie Arztwahl - dazu kann ich gleich noch etwas sagen ­ und ist genau das Gegenteil eines Einkaufsmodells. Mit diesem Versuch hat man es geschafft, nicht mit einzelnen Ärzten verhandeln zu müssen, sondern mit einem Zusammenschluss der Hausärzte, nämlich der hausärztlichen Vertragsgemeinschaft in Gründung, zu verhandeln, und zwar nicht darüber, wie billig die Gesundheitspolitik sein kann, sondern darüber, wie qualitativ hochwertig sie sein kann.

Diskutiert und verhandelt worden ist über die Versorgung mit strukturierten Behandlungs- und Früherkennungsprogrammen bei koronaren Herzerkrankungen und über andere präventive Maßnahmen.