Krankenpflege

Ich bezweifle, dass alle Pflegekräfte die Forderung nach einer Kammer unterstützen, und kenne auch ganz andere Stimmen. Ein Pflegebeitrag von 6 bis 8 monatlich ist viel Geld für eine Krankenpflegekraft, das sollten wir alle nicht verkennen. Wir reden zurzeit ­ das ist ein kleiner Schlenker ­ in der Krankenversicherung über einen Zusatzbeitrag von 8, der die Nation schon aufrührt. Für die Pflegekammer käme dann noch einmal ein Beitrag von 8 dazu, und man hätte nicht die Möglichkeit, zu entscheiden, ob man das möchte oder nicht, denn es geht um eine Zwangsmitgliedschaft. Ich bezweifle, dass das die Diskussion ist, die wir im Moment führen sollten.

Es gibt vordringlichere Probleme, über die wir zwingend diskutieren müssen.

Ulrich Pannen (Landesverbände der Pflegekassen AOK Rheinland/Hamburg in NRW): Das Anliegen, die Lobby für die Pflegekräfte zu stärken, ist aus meiner Sicht absolut verständlich und nachvollziehbar, aber ­ Sie haben es gerade gesagt, Frau Howe ­ die Einrichtung einer Pflegekammer ist nicht zielführend. Herr Meiwes hat schon gesagt, dass es eigentlich nichts gibt, was nicht schon geregelt wäre.

Einen Aspekt möchte ich noch erwähnen, wenn wir über Standards reden: Nach § 113a SGB XI sollen auf der Bundesebene Expertenstandards entwickelt werden, was ich für zielführender halte, als dies in jedem einzelnen Bundesland zu tun. Die Ausbildung, Weiterbildung oder Vertretung ist über die jeweiligen Verbände geregelt.

Wir haben heute Berufsverbände wie den mit am Tisch, die explizit überwiegend Pflegekräfte vertreten und wesentlich weniger die Einrichtung selbst. Es ist eigentlich alles geregelt. Ich glaube, die Möglichkeiten einer Pflegekammer werden bei Weitem überschätzt. Deswegen kann ich nur davon abraten.

Die Frage ist: Müssen wir uns nicht Gedanken machen, wie wir die Lobby anderweitig stärken können? Da läuft man natürlich immer wieder gegen mediale Pumpen, wenn ich das so salopp sagen darf. Denn ein schlechter Fall in der Pflege, der in den Medien transportiert wird, stellt gleich ganz viele in der Fakultät an die Wand und tut so, als ob die gesamte Pflege schlecht wäre. Das ist aber nicht der Fall. Da wird ein sehr guter Job geleistet, der sehr schwierig ist. Das Problem ist, dass es zu wenige Zeitungen gibt, die bereit sind, auch einmal positive Meldungen nach vorne zu transportieren. Viel besser wäre eine konzertierte Aktion mithilfe der Politik, um zu zeigen, was die Pflege alles leistet.

Stefan Juchems (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe): Unser Anliegen ist nicht unbedingt die Lobbyarbeit ­ das ist ein Nebeneffekt ­, sondern hauptsächlich der Schutz der Bevölkerung vor qualitativer Unterversorgung. Die Eigenverantwortlichkeit in der Pflege ist mehr und mehr gegeben. Es ist notwendig, dass man auch eigene Entscheidungen treffen kann. Der Elektriker ist dem Schreiner gegenüber auch nicht weisungsbefugt. Es sind letzten Endes zwei verschiedene Professionsverständnisse, die sich immer mehr voneinander entfernen, weil der Wissensgewinn in jedem Fachfeld jährlich steigt. Wir haben es von den Medizinern gehört, das Gleiche kann ich für die Pflege bestätigen. Pflege ist seit zwölf Jahren ein akademisch erlernbarer Beruf in Deutschland. Die Pflegewissenschaft ist mittlerweile flächen deckend implementiert, und sie wird immer bemüht sein, weiter nach vorne zu gehen.

Die Frage, ob Pflegende Mitglied einer Pflegekammer werden wollen oder nicht, können wir hier nicht beantworten. Da müssen wir sie schon selber fragen.

(Inge Howe [SPD]: Das habe ich getan!)

­ Genau, wir haben es getan. In Hessen gab es den Auftrag, eine Studie durchzuführen. Sie ist leider noch nicht veröffentlicht, sonst hätte ich sie gerne heute mitgebracht. In dieser Studie bestätigen 98 % der Pflegenden, dass sie die Einrichtung einer Pflegekammer wünschen.

(Inge Howe [SPD]: Derzeit keine Beschäftigung mit dem Thema, sagt das MAGS!) Vorsitzender Günter Garbrecht: Jetzt geht es mit Fragen der Abgeordneten weiter.

­ Frau Kollegin Gebhard, bitte schön.

Heike Gebhard (SPD): Den Wunsch, der Pflege einen größeren Stellenwert einzuräumen, unterstützen wir hoffentlich alle. Die Bedeutung ist klar. Die Frage ist: Ist die Kammer das geeignete Instrument dazu?

Herr Juchems und Herr Risse, Sie haben insbesondere gesagt, Sie wollen die Qualität sichern. Um die Qualität zu sichern, brauchen Sie Instrumente. Mit welchen Instrumenten wollen Sie das tun? Sie haben gleichzeitig ausgeführt, welche Instrumente Ihnen alle nicht zur Verfügung stehen, die ich aber für unabdingbar halte, um die Qualität zu sichern. Welche Instrumente glauben Sie in einer Kammer zu haben, um das tatsächlich umsetzen zu können? Sie hätten dann einen öffentlich-rechtlichen Auftrag, also die Verantwortung dafür. Sie bekämen nicht nur etwas, sondern müssten auch etwas geben. Ich habe die große Sorge, dass Sie diesem Anspruch gar nicht gerecht werden können, weil Sie die Instrumente dazu nicht erhalten. Können Sie das noch einmal erklären?

Dr. Stefan Romberg (FDP): Ich möchte an die Frage von Frau Gebhard anschließen. ­ Die Ausführungen, dass die Bevölkerung geschützt werden müsse, fand ich schon ein wenig bedrohlich, so als müssten sich alle, die im Moment gepflegt werden, ernsthaft Sorgen machen. Das ist eine mutige Aussage. Wir sind aber sicher einig darin, dass Qualitätsaspekte immer weiter ausgebaut werden können. Mit welchen konkreten Mitteln könnte denn eine Kammer zu einer erheblichen Qualitätssteigerung beitragen?

Der Großteil der Experten war eher zurückhaltend gegenüber einer Pflegekammer.

Aufgrund dieser Bewertung möchte ich die Frage stellen: Wie kann auch ohne eine Pflegekammer weiter an der Qualitätssicherung, an unterschiedlichen Instrumenten dafür gearbeitet werden? Vorsitzender Günter Garbrecht: Jetzt kommen wir zur abschließenden Beantwortungsrunde und beginnen bei Herrn Risse. ­ Bitte schön.

Ludger Risse (Pflegerat NRW, BALK): Das Szenario, das möglicherweise durch die Betonung des Schutzes der Bevölkerung durch den Raum kreist, ist nicht ganz richtig. Es ist nicht so, dass es in der Pflege erhebliche Defizite gibt, dass die armen Leute geschützt werden müssen, aber es gibt natürlich Defizite. Es ist uns wichtig, an dieser Stelle den Auftrag einer Pflegekammer deutlich zu machen. Es geht nicht um eine Interessenvertretung oder Lobbyarbeit der Pflege ­ auch wenn ich es sehr gut finde, dass andere die Notwendigkeit anerkennen, das ist aber nicht das zentrale Thema ­, sondern um eine Zukunftsaufgabe. Es geht darum, sicherzustellen, dass geeignete, qualifizierte Menschen Pflege leisten, und zwar in ganz erheblichen Teilen in eigener Verantwortung. Natürlich sind Maßnahmen der Behandlungspflege vom Arzt angeordnet. Die Frage ist: Wo fängt es an, und wo hört es auf? Darüber kann man sicherlich diskutieren.

Alle krankheitsvorbeugenden Maßnahmen ­ nehmen wir beispielsweise die Dekubitusprophylaxe, das ist eine von vielen ­ sind klassische Aufgaben, die die Pflege selbstständig wahrnimmt. Das müssen Menschen übernehmen, die genau wissen, was sie tun. Niemand hat gesagt, dass Pflegende schlecht ausgebildet sind, auch wir nicht. Aber nach der Ausbildung gibt es Dinge, bei denen wir der Ansicht sind, dass etwas mehr geregelt werden muss als jetzt. Denn die einmal erworbene Ausbildung als Pflegekraft ­ das ist ähnlich wie bei den Ärzten, Sie haben vorhin von der Verdoppelung des Wissens gesprochen, das ist in der Pflege nicht viel anders ­ qualifiziert dazu, unabhängig davon, was man tatsächlich getan hat, eigenverantwortlich ­ auch ohne direkte Aufsicht ­ Pflege auszuüben. Selbst diejenige, die 1957 Examen gemacht und dann vielleicht gar nicht mehr in ihrem Beruf gearbeitet hat, könnte heute ohne Weiteres in einem ambulanten Pflegedienst arbeiten und völlig selbstständig Menschen versorgen, auch wenn sie zwischendurch nicht ein Blättchen Fachliteratur gelesen hat. Das wäre so, sie würde als Pflegefachkraft gelten und auch als solche bezahlt.

(Heike Gebhard [SPD]: In dem Alter nicht mehr!)

Dieses Extrembeispiel ist sicherlich die Ausnahme, aber wir haben tatsächlich ein Defizit, was die Weiterqualifikation nach Abschluss der Ausbildung angeht. Es gibt auch Dinge, die überhaupt nicht geregelt sind. Was muss man zum Beispiel tun, um seine Qualifikation zu erhalten? Ebenso ist nicht geregelt: Was befähigt mich dazu, als Gutachter aufzutreten? Welche Ausbildung, welche Fachkenntnis befähigt mich zum pflegerischen Case-Manager?

Das führt uns zu der Ansicht: Wenn wir dauerhaft sicherstellen wollen, dass die Bevölkerung die qualitativ ausgebildeten Pflegekräfte an ihrer Seite hat, die sie benötigt, dann bedarf es dazu entsprechender Instrumente. Diese Instrumente ­ um auf Ihre Frage zurückzukommen ­ wären a) die Registrierung in der Kammer, die b) mit einem regelmäßigen Qualifikationsnachweis verbunden ist, zum Beispiel einem Punktesystem, ähnlich wie es auch die Ärzte haben.