Brigitte Balbach Realschullehrerverband NRW Düsseldorf Frau Beer ich fange mit Ihnen an bevor ich gleich etwas zur Sache sage

Genauso haben wir bei den Hauptschülern Gruppen, die sehr wohl in den Durchschnittsbereich der Realschüler hineingeraten würden. Sonst würden die Realschulen diese Schüler auch nicht im Zuge des demografischen Wandels aufnehmen. Das zeigt im Grunde genommen, dass man weiß, dass es ein Potenzial gibt, das in der eigenen Schulform Erfolg haben könnte.

Brigitte Balbach (Realschullehrerverband NRW, Düsseldorf): Frau Beer, ich fange mit Ihnen an, bevor ich gleich etwas zur Sache sage. Sie haben die Frage gestellt, die Ihnen Herr Brambach nie beantwortet hat: (Sigrid Beer [GRÜNE]: Nicht beantworten konnte!)

Was ist ein Realschüler? ­ Ich denke mir, das liegt daran, dass er, insbesondere bezogen auf Frauen, ein sehr höflicher und netter Mensch ist. Er wird Ihnen die Antwort erspart haben.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Er konnte es nicht!)

Denn ein Realschüler ist ein Schüler, der die Realschule besucht.

Es ist nicht mehr und auch nicht weniger. So ist es einfach.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Genau: Mehr nicht!)

­ Das müssen Sie ertragen. Ich sitze mit roten Öhrchen hier und denke mir manchmal, ich höre nicht recht.

Eine Frage wurde hier angesprochen: Was ist das Beste für Schülerinnen und Schüler? ­ Die Frage hat Frau Schwarzhoff in meinen Augen wunderbar angesprochen.

Sie hat es auch aus Sicht eines Elternteils angesprochen, und ich denke, sie hat es so angesprochen, dass es uns alle an dieser Stelle einen könnte. Ich denke, wir alle haben das gleiche Interesse. Ich bin absolut nicht studiengläubig. Das heißt, ich bin mir darüber im Klaren, dass man den entsprechenden Professor oder das entsprechende Institut finden wird, welches belegt, was man selber glaubt. Insofern halte ich es für müßig, ständig mit irgendwelchen Studien aufzuwarten und irgendetwas vorzulegen, was nach ein paar Wochen widerlegt werden kann.

Frau Beer und einige andere haben hier eine wichtige Frage gestellt: Wann wird ein Schüler am besten gefördert? Wann kommt er in den Genuss der Bildung? Wann sind die Rahmenbedingungen dafür am besten? ­ Die Antwort ist meinen Augen nicht einfach die: Dann machen wir eine Grundschulempfehlung oder keine Grundschulempfehlung. Oder dann machen wir die Einheitsschule oder keine Einheitsschule. ­ Darüber kann man sich natürlich stundenlang unterhalten. Wir könnten hier übernachten, aber es würde nichts bringen. Denn darüber diskutieren wir schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten; Frau Schwarzhoff hat darauf ebenfalls netterweise hingewiesen. Das ist müßig.

Die Frage, die sich stellt, ist: Wie müssen die Rahmenbedingungen aussehen? ­ Die Rahmenbedingungen enthalten drei Faktoren: einmal die Eltern, einmal die Schüler selbst und einmal die Lehrer und Lehrerinnen, die damit befasst sind, den Stoff oder die Bildung zu vermitteln.

Wenn es um die Grundschulempfehlungen geht, fange ich mit den Eltern an. Es ist bedauerlich, aber so ist zurzeit die Entwicklung, dass die Eltern ­ suggeriert durch die Presse und Veröffentlichungen wie beispielsweise PISA- oder OECD-Berichte ­ der Ansicht sind, dass ihr Kind nur mit Abitur irgendetwas in der Gesellschaft wert ist.

Es mag sein, dass Frau Schwarzhoff das schlicht gesagt hat. Aber sie hat es meiner Meinung nach toll gesagt. Sie hat sich getraut, den Wert eines Menschen herauszustellen und nicht einfach zu sagen: Das ist ein Leistungsträger, und da wollen wir bei der Leistung gucken, und den Rest tun wir weg. ­ Bei den Grundschulempfehlungen ist es eben nicht so, dass nur die Leistung gemessen und der Rest weggeschmissen wird. Vielmehr wird der gesamte Schüler beobachtet und begutachtet, und es wird prognostiziert. Das umfasst generell immer alles.

Eltern brauchen dazu auch den Blick, den auch Fremde und nicht nur sie selbst auf ihr Kind werfen. So viel zum Elternwillen und dazu, ob dieser komplett freigegeben werden soll. Ich bin der Ansicht, das sollte man tunlichst nicht tun. Ich habe selbst drei Kinder und habe immer versucht, in Kontakt mit den Lehrern zu treten, um herauszufinden, wie sich meine Kinder in der Schule verhalten. Zu Hause verhalten sie sich nämlich ganz anders. Man selbst möchte das Beste, und hier möchte ich Frau Schwarzhoff zustimmen ­ ich weiß es von meinen drei Kindern ­: Das Beste muss nicht das Abitur sein.

Ich bin auch nicht der Ansicht, dass Glücklichsein als Sinngebung das Nonplusultra im Leben sein muss, aber darüber können wir uns gerne an anderer Stelle unterhalten. Das spielt jetzt keine Rolle.

Wann lernt ein Schüler, eine Schülerin am liebsten, am besten? ­ Wenn die Schülerinnen und Schüler gut motiviert sind und sich in möglichst kleinen Gruppen befinden. Die Gruppe kann 10 oder 15 Schüler beinhalten. Sie kann auch größer sein und beispielsweise 30 Schüler haben. Das kommt immer auf die Schüler sein. Ich denke, das ist sehr unterschiedlich. Das kann man aber herausfinden, und insofern halte ich die individuelle Förderung für ein sehr gutes Mittel, um darauf zuzugreifen und zu sagen: Da gucken wir mal, wie wir die, die das in der Größe der Klasse nicht schaffen, herausnehmen und mit ihnen etwas anderes machen.

Also, es kommt auf die Umgebung an. Dazu gehört auch die Klassenumgebung.

Deshalb sind wir im RLV immer dafür, dass die Kommunen dafür sorgen, dass die Schulräume gut ausgestattet sind und dass es eine Umgebung ist, in der Schüler gut lernen möchten. Es muss eine schöne Umgebung sein, die eben nicht kaputt oder zertreten ist. Das erzieht die Schülerinnen und Schüler dazu, ebenfalls pfleglich mit den Dingen umzugehen.

So gibt es auch andere Dinge, über die man nachdenken muss. Es muss Personen in der Schule geben ­ beispielsweise Sozialpädagogen oder Psychologen ­, auf die man gegebenenfalls zurückgreifen kann, wenn es zu Problemfällen kommt. Ich glau7 be nämlich nicht, dass Lehrerinnen und Lehrer langfristig den Wust von Aufgaben schaffen werden und können, dem sie momentan unterliegen.

Das sind Bedingungen, die meiner Meinung nach für Schüler ganz wichtig sind. Das würde ich auch nicht an einem dieser Faktoren festmachen, sondern an vielen. ­ Jetzt komme ich zum Hauptfaktor, den ich entscheidend finde und der zur Lehrerschaft führt. Ich glaube, die Schülerinnen und Schüler werden durch persönliche Zuwendung motiviert, und dies schafft der Lehrer oder die Lehrerin durch guten Unterricht. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was guter Unterricht ist. Ich möchte darauf nicht wissenschaftlich eingehen, aber darauf hinweisen, dass das für mich das Hauptkriterium dafür ist, wann Schüler gut lernen.

Der Punkt, der jetzt noch ansteht und von mir und auch der Landesregierung kritisch vorgetragen wird ­ Herr Winands weiß ein Lied davon zu singen ­, ist der, dass ich sage: Wir kommen zurzeit überhaupt nicht mehr dazu, guten Unterricht vorzubereiten und durchzuführen, weil wir ständig damit beschäftigt sind, irgendein Gütesiegel zu erhaschen. Es gibt ständig Konferenzen. Dann kommt wieder eine Neuerung, beispielsweise oder Ähnliches. Ich will Sie mit diesen Dingen nicht quälen, sondern nur sagen, dass die Kollegen und Kolleginnen deutlich darüber klagen, dass sie es nicht mehr schaffen, sich vernünftig vorzubereiten, sich etwas Neues auszudenken oder an einer Fortbildung teilzunehmen. Diese finden ja meistens nachmittags, abends und am Wochenende, also im Normalfall nicht mehr während der Unterrichtszeit statt. Das heißt, sie haben überhaupt keine Luft mehr, um sich um irgendetwas zu kümmern, was sie dann ausprobieren könnten. Die Kollegen und Kolleginnen wollen gar nichts mehr ausprobieren, weil sie es einfach nicht mehr schaffen. Sie schaffen es nicht mehr, beispielsweise ein Buch dazu zu lesen.

Kein Politiker wird daran vorbeikommen, sich dieser Aufgabe zu stellen, die Kollegen und Kolleginnen von Verwaltungsaufgaben und ähnlichem Zipp Zapp zu befreien und dafür zu sorgen, dass so dumme Sachen ­ ich nenne ein Beispiel, das uns unter den Nägeln brennt ­ wie zum Beispiel Lernstandserhebungen auswärts korrigiert werden. Wir müssen nichts abhaken, ein Kreuzchen machen und die Punkte unten zusammenzählen. Das ist nicht nötig. Das kann jemand anders erledigen. Ob wir dafür studentische Hilfskräfte oder anderes Personal nehmen, ist mir egal. Aber es muss deutlich nach Entlastung für Kollegen und Kolleginnen gesucht werden. Denn nur dann haben diese Zeit und Lust und sind selbst motiviert, guten Unterricht zu machen, der wiederum die Schüler motiviert. Deshalb halte ich solche Diskussionen für Schnickschnack. Denn die wahren Dinge haben nichts mit den Empfehlungen zu tun.

Frau Beer, ich spreche Sie jetzt direkt an, weil wir schon oft miteinander diskutiert haben. Sie können auch die individuellen Lernentwicklungspläne nehmen. Das ist eine Saumaloche. Haben Sie sich das schon einmal ernsthaft überlegt? Soll ich Bausteine erstellen, die ich für 30 Schüler mal zwölf Klassen zusammenzimmere? ­ Das muss doch auch machbar sein. Und wenn ein ernsthaftes Interesse daran besteht, dass auch tatsächlich eine Prognose abgegeben wird, dann müssen Lehrer und Lehrerinnen lernen, was Prognose und was Diagnostizieren heißt.