Gütesiegelschulen

Vorstellung der Initiative Gütesiegel Individuelle Förderung und von Gütesiegelschulen mit wissenschaftlicher Begleitinformation Vorsitzender Wolfgang Große Brömer begrüßt Frau Annette Hellmann, Rektorin der Gemeinschaftsgrundschule Amshausen, Steinhagen, Frau Carola Pichmann, Rektorin der katholischen Hauptschule Overbergschule, Werl, Frau Heide Hesse, Rektorin der Realschule Bonn-Hardtberg sowie Prof. Dr. Kurt Czerwenka, Lüneburg.

Zunächst werde Frau Ministerin Sommer in das Thema einführen. Jede Schule werde sodann mit einem Powerpoint-Vortrag vorgestellt. Danach werde Prof. Czerwenka über die wissenschaftliche Begleitung des Gütesiegels informieren.

Ministerin Barbara Sommer (MSW) trägt vor:

Das Wichtige an diesem Tagesordnungspunkt sind unsere Schulen. Deswegen will ich nur ganz kurz einführen. Ich freue mich, dass diese drei Schulen exemplarisch für die vielen Schulen ausgewählt worden sind, die sich nicht nur auf den Weg gemacht haben, sondern die sehr viel vorzeigen können, was individuelle Förderung bedeutet. Unser Bestreben ist letztlich, nicht nur die individuelle Förderung punktuell irgendwo anzubinden, sondern daraus ein ganzes Gemälde, einen Teppich zu weben, der deutlich macht: Es greift in vieles ein, was diese Schulen schon können und was wir ergänzend für andere Schulen empfehlen können.

Neben der individuellen Förderung ­ die Schulen werden das im Einzelnen schulspezifisch gleich vorstellen ­ ist es mir wichtig, dass wir noch einige andere Punkte haben, die in den Bereich individuelle Förderung hineinpassen. Das sind zum Beispiel die Lernferien, die deutlich machen: Wir haben bestimmte Gruppen an Kindern und Jugendlichen, die besondere Förderung brauchen im Hinblick auf ihre Berufsorientierung, im Hinblick auf das nächste Ziel, versetzt zu werden oder weil sie besonders begabt sind. Ich freue mich auch, das bei unseren Schulen eine Maßnahme, die von den Lehrerverbänden auch getragen wird, sehr beliebt ist: Komm Mit! ­ Fördern statt Sitzenbleiben. Auch das ist ein Instrument der individuellen Förderung.

350 Schulen haben wir jetzt im Mai, die das Gütesiegel Individuelle Förderung haben. Das sind fast 10 % der gesamten Schulen. Das ist schon ein wichtiger und guter Schritt, zumal wir jetzt auch spüren, dass diese Schulen nicht nur mit ihrem Wissen, mit ihrem Können allein bleiben, sondern dass sie sich vernetzen, dass sie sich austauschen und dass Projekte auf allen Ebenen der Bezirksregierung anstehen, diese Schulen zu fördern und darüber hinaus auch etliche andere mitzunehmen.

Ich danke ganz besonders, stellvertretend für alle anderen, meinen anwesenden Kolleginnen und Kollegen, die sich heute darstellen. Ich danke aber auch all den anderen, die heute nicht da sind, die aber genauso vor Ort den Einzelnen in den Blick nehmen, damit uns keiner verloren geht. Ich freue mich auch, dass wir das Institut für Schulentwicklungsforschung aus Lüneburg gewinnen konnten. Sie, Herr Professor, untermauern vielleicht gleich aus Ihrer Sichtweise, wie wichtig individuelle Förderung uns ist und wie das vor Ort umgesetzt wird. Wir können vieles schön denken im theoretischen Bereich, wichtig ist aber das, was vor Ort läuft. Es ist unser aller Anliegen, dass es vor Ort auch ankommt und dort umgesetzt wird.

Herzlichen Dank, dass Sie gekommen sind.

Ein Letztes: Wir hoffen, dass wir wieder in den obersten Rängen des Schulpreises teilnehmen können. Der Preis wird erst im Juni vergeben. Wir haben 15 Schulen, die im oberen Bereich sind. Fünf daraus sind aus Nordrhein-Westfalen, auch Schulen, die sich besonders der individuellen Förderung verschrieben haben, die auch Komm Mit!-Schulen sind, aber auch Gütesiegelschulen. Es setzt sich fort, es setzt sich um. ­ Herzlichen Dank.

Rektorin Annette Hellmann (Gemeinschaftsgrundschule Amshausen, Steinhagen): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Die Grundschule ist die Schulform, die stark auf Anschauung und entdeckendes Lernen setzt. Ich denke, die meisten Menschen, die mir zuhören, haben lange Zeit keinen Fuß im Unterricht gehabt.

Ihre eigenen Kinder, sofern Sie welche haben, sind wahrscheinlich auch schon einige Zeit aus der Schule raus. Deshalb habe ich versucht, es möglichst anschaulich zu machen, und habe Ihnen auch Fotos mitgebracht. Die Grundschule beginnt für ein Kind heute nicht etwa mit dem ersten Schultag, sondern lange vorher, nämlich wenn die Schulanmeldung ansteht. Wir nehmen Kinder auf, die eine Altersbandbreite von bis zu zwei Jahren haben. Die Entwicklungsbandbreite dagegen beträgt häufig bis zu vier Jahre.

(Die Folien zu dem Vortrag sind diesem Protokoll als Anlage 1 beigefügt.)

Wir lernen die Kinder im November kennen, wenn sie zur Schule angemeldet werden, nehmen uns Zeit, machen mit allen Kindern in einer 1:1-Situation ein elementarmathematisches Basisinterview und sprechen mit den Eltern über ihre Kinder. Die Eltern bekommen nach der Schulanmeldung von uns einen Elternfragebogen, der die verschiedenen Gesichtspunkte des Schulfähigkeitsprofils beleuchtet. Sie haben dann vier, fünf Wochen Zeit, ihre Kinder unter verschiedenen Aspekten zu betrachten, zu beurteilen. Diesen Fragebogen bringen die Eltern zurück zur Schule, wenn wir im Dezember einen Schulspielenachmittag mit allen Kindern machen. Da führen wir die Kinder in Dreier-Gruppen, von einer Lehrerin geleitet, durch zwölf unterschiedliche Situationen, in denen wir auf alle Bereiche der Schulfähigkeit schauen und uns so ein sehr genaues Bild machen können.

Dieses Bild gleichen wir ab mit dem Einschätzungsbogen der Eltern und setzen uns dann mit der Amtsärztin in Verbindung, die die Kinder gesehen hat. Die Eltern geben uns alle inzwischen selbstverständlich eine Einverständniserklärung zum Informationsaustausch mit allen Beteiligten. Das schließt auch den Kindergarten ein. Dann machen wir als Lehrerinnen-Team, all die, die beteiligt waren, die erste Förderkonferenz, ungefähr sechs, sieben Monate vor der Einschulung. Ich fange spätestens im Januar an, mit Eltern zu telefonieren, spreche sie manchmal auf kleine Defizite an, die uns aufgefallen sind, und lade all die Eltern, bei deren Kindern uns mehr Förder3 bedarf erscheint, Ende Januar zu einem Elternabend ein, auf dem wir unterschiedliche Förderschwerpunkte vorstellen.

Alle Eltern bekommen von uns für zu Hause eine Handreichung mit Empfehlungen für Spiele und Fördermöglichkeiten und eine sogenannte Lerntüte für ihr Kind. Da ist ein netter Brief an das Kind drin. Da sind alle möglichen Dinge drin, mit denen man schon ein halbes Jahr vor der Einschulung üben kann, sich weiterentwickeln kann.

Die gleiche Empfehlung bekommt man dann auch für den Kindergarten, sodass auch der Kindergarten weiß, wo wir noch Entwicklungsprobleme sehen.

Wir ziehen uns dann für einen Monat etwa zurück, gehen dann auf die Kindergärten zu, machen die erste Einschulungskonferenz und besuchen auch Kinder in Kitas, um genauer hinzuschauen, wenn wir irgendwo Probleme in der Entwicklung sehen.

Dann gibt es einen Elternabend vor der Einschulung. Dann besuchen uns die neuen Kinder in unseren jahrgangsgemischten Eingangsklassen und lernen ihre neuen Mitschüler kennen, schon einige Monate, bevor die Schule anfängt. Am ersten Schultag werden sie von ihren großen Patinnen und Paten begrüßt, von den Kindern, mit denen sie gemeinsam in der Klasse lernen werden. Dann haben wir schon ein ziemlich genaues Bild von jedem Kind. Aber trotzdem machen wir in der ersten Schulwoche eine Eingangsdiagnostik. Die Kinder bekommen von uns ein Heft, das heißt: Ichkann-Heft. Da darf man zeigen, was man kann, schreiben, was man kann, rechnen, was man kann, sich selbst malen. Wenn wir denken, das Kind liest auch schon ­ das sieht man am Schreibprozess ­, dann bekommt das Kind ein Blatt, das uns Aufschluss darüber gibt, inwiefern das Kind schon lesen kann, wie viel es lesen kann.

Wir werten das im Lehrerinnen-Team aus, gehen dann in eine gezielte Beobachtungsphase, die etwa die ersten vier Schulwochen umfasst. Da geht eine Kollegin, die später auch Förderunterricht im Lernstudium gibt, mit in den Unterricht. Spätestens nach sechs Wochen machen wir eine passgenaue Förder- oder Forderplanung für die neuen Kinder. Das heißt, nach sechs Wochen wissen wir eigentlich schon, welches Kind vielleicht in einem Jahr die Eingangsstufe durchlaufen kann und welches Kind vielleicht drei Jahre braucht. Das hat zur Folge, dass wir von Anfang an ganz stark individualisierte Lernangebote machen, nämlich den Stoff, den man können muss, bis zum Wechsel in Klasse 3 entweder in einem Jahr zu durchlaufen oder auf drei Jahre zu strecken, sodass man Zeit hat, an speziellen Defiziten zu arbeiten.

Damit das klappt, brauchen die Kinder nicht nur einen Lernpaten, ein älteres Kind in der Klasse, das sich um sie kümmert, sondern auch ganz klare Strukturen. Es kommt darauf an, den Kindern den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule zu erleichtern. Darum sind die Strukturen bei uns in der Schule überall gleich. Um das zu untermalen, habe ich ein paar Bilder mitgebracht. Die Kinder haben ein Symbol. Das Symbol ist am Kleiderhaken. Das Symbol ist am Schuhregal, in das die Hausschuhe gestellt werden. Das Symbol ist am Eigentumsfach in der Klasse. Wenn die Kinder morgens in den Raum kommen, finden sie sich zuerst einmal auf einem Versammlungsteppich ein. Wir haben in jeder Klasse einen großen runden Versammlungsteppich, im Übrigen inzwischen auch in der OGS und in allen anderen Räumen. Dort trifft man sich am Morgen. Dort findet man zunächst einmal seine Mitschüler.