Grundschule

Sie in den Kommunen den Schulleitern geradezu über die Schultern sehen und nachschauen können, wie das abläuft.

Es wird doch in den Zeitungen berichtet. Nehmen Sie das Beispiel Oerlinghausen, Lippische Landeszeitung, 27. Februar: Der Gymnasialschulleiter behauptet, er könne rein aufgrund der Aktenlage ­ also dem Abschlusszeugnis des 3. Schuljahres und dem Halbjahreszeugnis des 4. Schuljahres ­ besser beurteilen, welche Schulform die richtige ist, und nimmt damit 17 % der Kinder auf, die keine Empfehlung fürs Gymnasium haben, obwohl er gleichzeitig davon spricht, dass ein Rekordergebnis bei den Anmeldezahlen vorliegt. Das sind in diesem Falle 23 Kinder; das wäre für die benachbarte Realschule bereits fast eine komplette Klasse.

Ein zweites Beispiel: Ein Realschulleiter handelt möglicherweise ähnlich. Mit Blick auf seine Anmeldezahlen hält er sich die Option offen; damit seine Dreizügigkeit erhalten bleibt, nimmt er auch Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulempfehlung auf.

Oder drittes Beispiel: Der Leiter einer Realschule lehnt es ab, Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulempfehlung aufzunehmen; der Leiter des benachbarten Gymnasiums hingegen nimmt sie ohne weiteres auf.

So ließen sich diese Beispiele ganz beliebig fortsetzen. Die Frage ist jetzt: Was bedeutet das? Warum ist das so? Die Gymnasien und Gesamtschulen haben ein überaus hohes Interesse daran, möglichst viele Schülerinnen und Schüler aufzunehmen, auch mit anders lautendem Gutachten. Sie nehmen diese Schüler dankbar auf, denn die Stellenzahl ist immer noch der entscheidende Verteilerschlüssel für die Anzahl der Beförderungsstellen und Entlastungstatbestände. Und das rechnet sich bei den Langzeitschulformen mit der günstigen Schüler-Lehrer-Relation, so dass man zunehmend feststellen muss: Bei zurückgehenden Schülerzahlen entdecken die Gymnasien die begabten Hauptschüler und die begabten Realschüler.

Ich komme zum Anfang zurück. Im Mittelpunkt der Überlegungen sollte nach wie vor das Wohl der Schülerinnen und Schüler stehen. Und da sind in erster Linie, wie in anderen Bereichen unseres Lebens, die Fachleute gefragt. Daran ändern auch Gutachten wie das von Dr. Rainer Block von der Universität Essen nichts; er stellt die These auf, dass die Ursache für einen schulischen Abstieg häufiger in einer falschen Grundschulempfehlung als in überhöhten elterlichen Bildungsansprüchen liegt. Diese Aussagen können jedoch so keinen Bestand haben. Wie bereits eingangs erwähnt, sind die Grundschulgutachten in Nordrhein-Westfalen noch nicht verbindlich. Folglich werden sie zurzeit auch noch nicht so abgegeben, wie das vielleicht notwendig ist, weil auch der Druck bei den Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern sehr groß ist.

Eine wirklich fundierte Betrachtung kann meines Erachtens nur in einem Bundesland durchgeführt werden, das bereits jetzt die Grundschulgutachten für verbindlich erklärt hat und das seine Lehrerinnen und Lehrer zielgerichtet in ihrer Diagnosefähigkeit weiter- und fortgebildet hat. Schauen Sie nach Bayern und Baden-Württemberg! Diese Länder schneiden bei Pisa erfolgreich ab. Dass manche Untersuchungen in Nordrhein Westfalen nicht in allen Bereichen seriös sein können, liegt nicht zuletzt auch daran, dass zwei entscheidende Vorgaben der nordrhein-westfälischen Schulgesetzgebung nicht berücksichtigt werden: erstens der Drittelerlass. Er ermöglicht nämlich, dass bei insgesamt schwachem Niveau eine große Zahl von Schülerinnen und Schülern mit

Hauptschulempfehlung problemlos die Realschule durchlaufen können und entsprechend viele mit Realschulempfehlung auch das Gymnasium. Richtigerweise hat die Landesregierung entschieden, den Drittelerlass aufzuheben.

In Nordrhein-Westfalen gibt es noch keine einheitliche, landesweite Qualitätskontrolle am Ende der Bildungskette. Die formale Bescheinigung genügt nicht, um gültige Aussagen über die Qualität eines Abschlusses zu machen. Und auch da setzt die Landesregierung heute richtigerweise neue Akzente.

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Untersuchung am Evangelischen Gymnasium in Meinerzhagen, die in einer Zeitschrift der Landeselternschaft Gymnasien vom Februar abgedruckt ist. Ich nehme an, Herr Korthauer wird darauf noch eingehen.

Vorab möchte ich aber schon einmal darauf hinweisen, dass hier die Daten von rund 2.500 Schülerinnen und Schülern über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren erhoben worden sind.

Es stellt sich heraus, dass die Schülerinnen und Schüler, die von ihrer Grundschule die Beurteilung geeignet für das Gymnasium erhalten hatten, doppelt so gut waren wie diejenigen, die das vielleicht geeignet hatten. Von den Geeigneten erreichten zwei Drittel das Abitur ohne Verzögerung, von den vielleicht Geeigneten nur ein Drittel.

Hieran zeigt sich, dass Langzeituntersuchungen eher geeignet sind, über die Wirksamkeit von Grundschulempfehlungen Aufschluss zu geben.

Abschließend erlaube ich mir noch zwei Bemerkungen. Die erste: Die Verteidiger der Elternrechte und Gegner der Reform sind häufig auch gleichzeitig die Befürworter der Gesamtschule. Wo bleibt aber in der Gesamtschule der Elternwille? Haben da die Eltern noch einen Einfluss auf den Bildungsgang?

Zweitens: Die Landeselternschaft Realschule in Nordrhein-Westfalen hat ebenso in ihrer Stellungnahme gefordert, den Grundschulempfehlungen für die Wahl der weiterführenden Schule zukünftig wieder mehr Verbindlichkeit zu geben. Damit verbindet sie die Hoffnung, dass man zahlreichen Schülern die negativen Erfahrungen einer Schullaufbahnkorrektur ersparen kann, die aufgrund falschen Ehrgeizes ihrer Eltern an einer sie überfordernden Schulform angemeldet werden könnten.

Das sagen die Eltern. Da sie nicht vertreten sind und wir eine enge Kooperation zum Wohle der Kinder und Jugendlichen pflegen, habe ich diese zentralen Aussagen hier eingebracht.

Mein Fazit: Die geplanten Regelungen gehen im Grunde genommen nicht weit genug.

Der Missbrauch, das Handeln aus fremden Motiven kann durch die Neuregelungen nicht effektiv verhindert werden. Die entscheidende Frage ist: Warum kann man in Nordrhein-Westfalen nicht das umsetzen, was in anderen Bundesländern seit Jahren erfolgreich praktiziert wird? Selbst in Ländern mit strengeren Regelungen, wie zum Beispiel Baden-Württemberg, finden zu Beginn jedes Übergangsverfahrens intensive Gespräche mit den Eltern des 4. Jahrgangs über die Wahl der Schullaufbahn statt, sodass die Rechte aus meiner Sicht hinreichend Berücksichtigung finden.

Mit den jetzt vorgesehenen Regelungen wird der Elternwille nach meiner Auffassung nicht eingeschränkt. Das Wohl des Kindes sollte für alle Eltern im Mittelpunkt jeglicher Überlegungen stehen. Meine pädagogische Erfahrung hat gezeigt, dass Aufsteigen stärker motiviert als Absteigen. Die Schulform Realschule ist ein deutlicher Beweis dafür, dass die Durchlässigkeit gegeben ist. Das wird auch, denke ich, mit der geplanten Eigenständigkeit der Schule in Zukunft nicht infrage gestellt.

Dr. Rainer Block (Universität Duisburg-Essen): Sehr geehrter Herr Vorsitzender!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich werde mich in meinen kurzen Ausführungen auf eine, meines Erachtens zentrale Frage aus dem großen Fragenkatalog des Ausschusses für Schule und Weiterbildung beziehen, und zwar die Frage nach der Validität bzw. der Trefferquote der so genannten Grundschulempfehlung.

Wenn man den Medien trauen darf, dann hat das hiesige Schulministerium die Frage nach der Qualität der Grundschulempfehlung, nach der Trefferquote und Validität der Grundschulempfehlung am 24. Januar 2006 schon abschließend beantwortet. Wenn ich die Pressemitteilung richtig verstanden habe, dann wisse man ­ so das Ministerium ­, dass 40 % der Schulempfehlungen der Grundschullehrer falsch seien.

(Zuruf)

­ Deshalb habe ich einschränkend formuliert: Wenn man den Medien trauen kann. Das war ein Zitat aus der WAZ vom 24. Januar. Ich persönlich bin etwas unsicherer, was die Quantifizierung der Trefferquote der Grundschulempfehlung anbelangt. Deshalb lautet meine erste These: Die Validität oder Trefferquote der Grundschulempfehlung insgesamt lässt sich nicht adäquat messen und ermitteln.

Wie komme ich zu dieser Auffassung? Alle jüngeren internationalen Schülerleistungsstudien haben gezeigt, dass es große Überschneidungsbereiche des Leistungsvermögens der Schüler unterschiedlicher Schulformen gibt. Wesentliche Anteile von Realschülern, mitunter noch Hauptschülern, erreichen das Leistungsniveau von Gymnasiasten. Je nach Domäne und Leistungsbereich sind es 30 % bis 40 % der Realschüler, die ein Niveau erreichen, das über dem des unteren Leistungsviertels der Gymnasiasten liegt. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass sich große Anteile von Schülern selbst am Ende ihrer Vollzeitschulpflicht auf einer für sie offensichtlich zu niedrigen Schulform befinden.

Wenn man diesen Sachverhalt ernst nimmt ­ und das ist meine These Nr. 2 ­, lässt sich die Trefferquote von Grundschulempfehlungen spätestens seit Pisa guten Gewissens nicht mehr dadurch ermitteln, dass man die Grundschulempfehlung mit der später besuchten und absolvierten Schulform abgleicht, wie es in der Forschungspraxis der Vergangenheit häufig der Fall war.

Damit verlieren aber all die Untersuchungen an Aussagekraft, die auf dieser alten, widerlegten Berechnungsgrundlage basieren. Davon betroffen ist auch die berühmte Untersuchung des Landesinstituts für Erziehung und Unterricht des Landes aus dem Jahre 2000, die auf der Basis dieses widerlegten Berechnungsmodells Trefferquoten der Grundschulempfehlung von vermeintlich über 90 % in Erfahrung gebracht hat.