Ich habe eine besondere Frage an Frau Hund um das zu fokussieren was sie sehr beeindruckend vorgetragen hat

Sigrid Beer (GRÜNE): Ich möchte mich bei den Experten der zweiten Runde bedanken, auch dafür - wir sind in der Zeit weit fortgeschritten -, dass Sie so lange ausgeharrt haben, um ihre Statements abzugeben.

Ich habe eine besondere Frage an Frau Hund, um das zu fokussieren, was sie sehr beeindruckend vorgetragen hat. Wie, glauben Sie, können die Energien sinnvoller verwendet werden als in dem bürokratischen Schulpalast, den Sie auch beschrieben haben, der sich hier neu entwickelt und der zur pädagogischen Qualitätsentwicklung offensichtlich nicht beiträgt, wie Sie das sehr deutlich ausgeführt haben?

Rechnen Sie damit, dass nach den Vorstellungen der Landesregierung ab dem 01.08. gerichtsfeste Grundschulempfehlungen überhaupt möglich sind? Welche Gruppen von Eltern werden dann den von Ihnen eindringlich beschriebenen Klageweg gehen, weil sie begriffen haben, dass unser Schulsystem aus einem Berechtigungswesen besteht und mit welcher Brisanz mögliche Abschlüsse ausgestattet sein können. Wer wird Ihrer Meinung nach, auch vom sozialen Hintergrund her, solche Wege beschreiten?

Ute Schäfer (SPD): Herzlichen Dank auch von mir. Es ist sehr erhellend, welche Aspekte alles beleuchtet werden. - Ich habe eine Frage an die Landeselternschaft der Gymnasien, aber auch an den Elternverein. Sie beide haben darauf abgehoben, wie richtig und wichtig die Grundschulgutachten sind und dass es gut ist, wenn die Grundschullehrerinnen und -lehrer verbindlich sagen, welche Schulform jetzt die geeignete für das Kind ist.

Vor dem Hintergrund der Information, die die Landeselternschaft der Grundschule gegeben hat - Herr Depenbrock hat es ausgeführt, dass in Bayern der Notendurchschnitt zählt, in Bayern entscheiden die Grundschullehrer aufgrund des Notendurchschnitts, auf welche weiterführende Schule das Kind geht -: Ist Ihnen denn bekannt, dass die Zahl der Rückläufer vom Gymnasium in Bayern mit 24 % noch größer ist als in Nordrhein-Westfalen? Wie schätzen Sie das im Verhältnis dazu ein?

Ingrid Pieper-von Heiden (FDP): Mein Dank an die zweite Runde. Bevor ich zwei Fragen stelle, eine Anmerkung zu Frau Kühn. Sie hatten aus dem Referentenentwurf zitiert, der so nicht zutrifft. Jedes Kind hat das Recht auf individuelle Förderung, steht dort, und nicht nur Hochbegabte. Darüber hinaus ist es nicht korrekt, wenn Sie sagen, die Durchlässigkeit sei eingeschränkt - im Gegenteil: Sie wird im Referentenentwurf aufgewertet. Es wird darauf hingewiesen, dass diese künftig am Ende jeder Jahrgangsstufe gegeben sein wird.

Eine Frage an Herrn Dr. Köneke: Sie sprachen vom Problem der Überlappungen.

Gerade die Fälle von Überlappungen werden, was die Verbindlichkeit der Grundschulgutachten anbetrifft, künftig kein Problem sein, denn dort entscheiden ja in jedem Fall die Eltern.

Eine vertiefende Frage an Herrn Woestmann: Sie sprachen von der diagnostischen Kompetenz, die bei den Lehrerinnen und Lehrern verbessert werden müsse. Halten Sie es für erforderlich, diese zum verpflichtenden, umfangreichen Bestandteil der künftigen Lehrerausbildung insgesamt zu machen? Könnte der Prognoseunterricht in Fällen von großem Zweifel wertvolle Hinweise geben, wenn er nicht nur gelerntes Wissen abfragt, sondern auch das vorhandene Leistungspotenzial eines Kindes erfasst?

Sylvia Löhrmann (GRÜNE): Ich möchte beim Thema Durchlässigkeit erhöhen, was allgemein gewünscht ist, nachhaken und möchte Frau Hund und Herrn Köneke vor ihrem Erfahrungshintergrund fragen: Wenn jetzt, wie geplant, die Schulzeitverkürzung am Gymnasium auf die Sekundarstufe I begrenzt wird, man auf das System 9 plus 3 zurückgeht, die Bildungsgänge und die Studientafeln sich in Zukunft sehr von denen der anderen Schulformen der Sekundarstufe I wesentlich unterscheiden werden: Wie schätzen Sie dann das Thema Durchlässigkeit des Wechsels von einer Schule der Sekundarstufe I zum Gymnasium ein?

Ute Schäfer (SPD): Ich benötige etwas mehr Erhellung von Prof. Bos vor dem Hintergrund der Charts, die wir jetzt vorliegen haben. Baden-Württemberg wurde häufig positiv genannt. Wenn ich jetzt dieses Modell 3 mit den relativen Chancen nehme, dann fällt mir auf, dass die Lücke zwischen dem, was man erwarten könnte, und dem, was die Eltern tatsächlich tun, recht groß ist. Vielleicht könnten Sie das noch einmal von der wissenschaftlichen Seite her beleuchten.

Ulrike Hund: Zu der Frage von Frau Beer, wie die aufzuwendende Energie sinnvoller verwendet werden könnte: Ich muss ganz ehrlich sagen, ich habe im Moment Zweifel, ob überhaupt zusätzliche Energie vorhanden ist. In den Grundschulen ist im Moment ein bemerkenswerter Anlauf auf Unterrichtsqualität, Diagnosefähigkeit, individuelle Förderung und all das, was damit zusammenhängt, zu erkennen. Die Lehrer und Lehrerinnen an den Grundschulen sind damit mehr als ausgelastet. Insofern ist es schon schwierig, ihnen noch zusätzliche Erweiterungen ihrer Kompetenzen aufzudrücken.

Wenn sie ihre Gutachten gerichtsfest machen müssen, wäre das ein solcher Fall. Ich denke, dies ginge all den Aktivitäten verloren, die von allen gewünscht werden. Was die individuelle Förderung gerade zum Schulbeginn anbetrifft, sollten wir meiner Meinung versuchen, wie wir es jetzt tun, alle Energien verstärkt in diesen Bereich zu stecken und nicht noch zusätzliche Felder aufzumachen.

Was die Ressourcen in der Schulaufsicht anbetrifft, hat das noch einen zusätzlichen Aspekt. Wenn die Qualitätsteams installiert werden, geht an die personellen Ressourcen in der unteren Schulaufsicht, die hier in erster Linie betroffen ist. Das Aufgabenspektrum der unteren Schulaufsicht erlaubt es bei halbiertem Personalbestand nicht, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen. Wir werden es natürlich tun, wenn wir das müssen. Das ist nicht das Problem. Es ist nur die Frage, welche Bereiche darunter eventuell leiden werden. Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen.

Wenn das Schulgesetz ab 01.08. gilt, in dem Bereich Prognoseunterricht und verbindlichen Gutachten, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ab 01.01.2007, habe ich allerdings ein paar Probleme, mir vorzustellen, ob wir das in der notwendigen Qualität leisten können. Da wären sicherlich zusätzliche Anstrengungen im Bereich der

Weiterbildung, nicht nur der Lehrerausbildung - davon profitieren wir allerdings erst in ein paar Jahren - notwendig, insbesondere für Lehrerinnen und Lehrer vierter Klassen.

Welche Eltern sich gegen ein aus ihrer Sicht negatives Grundschulgutachten wehren werden, so werden das nach meiner gegenwärtigen Wahrnehmung zumindest all die Eltern sein, deren Kinder auf der Gesamtschule keinen Platz bekommen. Ich denke, das ist die Klientel. Ich kann das nur aus dem eingegrenzten Erfahrungsbereich meines Aufsichtsbezirkes sehen. In der Stadt Neuss gibt es zwei Gesamtschulen. Jedes Jahr werden mehr als 250 Anmeldungen an beiden Gesamtschulen abgelehnt. Insgesamt sind es ungefähr 300. Möglicherweise ist das das Potenzial von Eltern, die ihr Kind stattdessen auf eine Realschule oder ein Gymnasium schicken sollen, dies aber aufgrund des Grundschulgutachtens nicht können.

Dr. Bruno Köneke (GEW): Ich bin zunächst zum Thema Überlappung befragt worden.

Frau Pieper-von Heiden, ehe es zu einem Missverständnis unter uns beiden kommt: Ich verstehe unter Überlappung die Tatsache, dass ein Kind nach Einschätzung einer Grundschullehrerin, eines Grundschullehrers oder nach Einschätzung der aufnehmenden Schule in seinen Leistungspotenzialen zwischen zwei benachbarten Schulformen schwankt - konkret Realschule oder Gymnasium. Wenn in diesen Fällen das Elternrecht nach wie vor den Ausschlag gäbe, wäre der größte Teil der Kontroverse entschärft. Ich verstehe das Konzept der verbindlichen Grundschulempfehlung so, dass dann die Grundschule das letzte Wort hätte.

2001 werden die Empfehlungen der abgebenden Grundschulen offen gelegt. Ich werde jedes Jahr mit einer überschaubaren Zahl von abweichenden Empfehlungen konfrontiert. Die Erfahrung, dass Leute mit einer Hauptschulempfehlung ihr Kind am Gymnasium anmelden, ist singulär. Das halte ich auch für abwegig, um es pragmatisch zu betrachten. Aber es ist in der Tat jedes Jahr so, dass eine begrenzte Zahl von Kindern mit einer Realschulempfehlung am Gymnasium angemeldet wird.

Wie Frau Hund bereits in ihrem Statement dargelegt hat, kann der Schulleiter eines Gymnasiums nur dann ablehnen, wenn die Aufnahmekapazitäten erschöpft, also überschritten sind. Wenn ich mir die Zeugnisse dieser Kinder näher anschaue, fällt mir immer wieder auf, dass eine Reihe wiederum aus der begrenzten Teilgruppe derer, die mit einer Realschulempfehlung kommen, durchweg gute Noten ausweist, sodass ich mich wiederum als Außenstehender, aber um Kenntnis der Potenziale dieses Kindes bemühter Pädagoge frage, wieso das Kind eigentlich keine gymnasiale Empfehlung hat.

Umgekehrt stelle ich wieder in Einzelfällen fest, dass gymnasiale Empfehlungen auf der Basis von Zeugnissen ausgesprochen werden, die durchweg befriedigend sind.

Jetzt kann man - keine Frage - in der Branche fast alles begründen. Man kann sagen, ja: Die guten Leistungen des für Realschule geeigneten Kindes kommen nur dadurch zustande, dass dieses Kind ständig mit größtem Fleiß und Einsatz übt und die Eltern da hinterher sind. Deswegen ist dieses Kind auf Dauer den Anforderungen des Gymnasiums nicht gewachsen.

Die gymnasiale Empfehlung für das Kind mit dem Dreier-Zeugnis kann man damit rechtfertigen: ein schlampertes Genie. Aber Sie am Gymnasium werden das Kind schon erfolgreich begleiten.