Gerhard Stranz Internationale Vereinigung der Waldorfkindergärten e V Herr Sagel Sie hatten nach der Sicht der Träger gefragt

150 Millionen herausgezogen werden und aus den anhängenden Systemen ­ Familienberatung, also Ehe-, Erziehungs-, Lebensberatungsstellen, Familienbildung und andere Bereiche ­ ebenfalls Geld herausgezogen wird, muss man sich fragen, wie das Verhältnis zwischen der rhetorisch sehr aufwendig beschworenen Blüte des Familienzentrums und der Herunterwirtschaftung dessen, was an flankierenden Leistungen für Familien zustande kommen soll, ist. Das kann man nicht alles unter dem Deckmantel Wir müssen einsparen wegretuschieren, sondern hier findet eindeutig ein Qualitätseinbruch statt, an einer Stelle, wo wir gleichzeitig im Zuge des demographischen Wandels beklagen, dass die Neigung von Menschen zur Familiengründung abnimmt. Hier müssten wir völlig konträre Punkte setzen ­ gegenüber dem, was gegenwärtig passiert.

Gerhard Stranz (Internationale Vereinigung der Waldorfkindergärten e. V.): Herr Sagel, Sie hatten nach der Sicht der Träger gefragt. Ich bin Geschäftsführer der Internationalen Vereinigung der Waldorfkindergärten. Ich fühle mich aber weiter gehend verpflichtet, nicht nur aus der Trägersicht zu sprechen, sondern auch aus der Sicht von Kindern. Ich bin auch Verantwortungsperson für die Volksinitiative NRW 2006. Insofern betrachte ich es als eine weiter gehende Aufgabe für beide Volksinitiativen, deutlich zu machen, dass das, was hier in diesem Landeshaushalt vorgesehen ist, ein weiterer kräftiger Einschnitt ins Netz der sozialen Sicherung von Familien, Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen ist.

Herr Klein hatte zu Anfang der Beratung darauf hingewiesen, ob es nicht die Notwendigkeit für eine generationengerechte Politik gibt. Frau Pabst hatte das auch angesprochen. Ich bin sehr für eine nachhaltige Politik. Das kann aber niemand alleine und niemand gegen andere machen. Insofern halte ich es für notwendig, dass eine langfristige Arbeit einsetzt, die alle Menschen ins Boot holt.

Die Volksinitiativen, die laufen, haben deutlich gemacht, dass viele Menschen in Nordrhein-Westfalen endlich eine Möglichkeit sehen zu sagen, dass es so nicht weitergehen kann. Bei den beiden Aufrufen, die wir haben, votieren auch viele Eltern entsprechend.

Enttäuscht und irritiert sind viele Beteiligte im Land ­ das muss ich einfach sagen ­, zumal die Versprechungen vor der Wahl, die Förder- und Arbeitsbedingungen zu verbessern, anschließend auch im Koalitionsvertrag manifestiert wurde. Der Haushaltsentwurf beinhaltet erhebliche Verbesserungen in der Verschlechterung. Das ist nur ein Baustein.

Ich muss daran erinnern: Wir haben seit 1999 eine Kürzung um 220 Millionen zu verkraften gehabt. Der Abbau von 13.000 Vollzeitstellen ist erfolgt. Tatsächlich haben wir inzwischen rund 78.000 Beschäftigte; damals waren es 71.000. Das ist eine große Solidaritätswelle zwischen den Beschäftigten in den Tageseinrichtungen gewesen, die nicht freiwillig erfolgt ist und zu erheblichen Belastungen geführt hat. Ich warne davor, die Struktur kaputtzukürzen ­ das ist ja kein Sparen ­, die für das Ziel kinder- und familienfreundlichstes Land Nordrhein-Westfalen notwendig ist. Herr Becker hatte schon darauf aufmerksam gemacht. Ich halte es auch nicht für verantwortlich, an verschlechterte Einrichtungen Zertifikate mit dem Hinweis Familienzentrum zu kleben.

Bezogen auf Ihre Frage, ob es Einsparungsmöglichkeiten gibt, würde ich Ihnen empfehlen, nicht an drei Stellen Geld zu verbrennen, das Sie einsparen können: 52 von 56 rum, Sprachkurse und vorgezogene Einschulung von Kindern. Es gibt keine Notwendigkeit für die Einführung von Pilotphasen oder für die Beschränkung von Angeboten für Familienzentren auf 3.000 Kinder, weil das Kinder- und Jugendhilfegesetz von allen Einrichtungen verlangt ­ § 22 ­, dass sie diese Aufgaben übernehmen.

Bei der Sprachförderung war das Land 1977 bereit zu sagen: Wir brauchen eigentlich eine langfristige Finanzierung von Kindern. Ich wundere mich, dass die Halbwertzeit des politischen Wissens immer mehr abnimmt. Im Jahr 1980 war beschlossen worden, auf Elternbeiträge zu verzichten, um allen Kindern, insbesondere Kindern mit Migrationshintergrund, den Zugang zu Tageseinrichtungen zu erleichtern. Ich habe in meiner Stellungnahme noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen: Bedenken Sie die Überlegung, die Sie jetzt mit der Kommunalisierung vorgesehen haben. Die OECD hat in dem Länderbericht 2004 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Kommunalisierung zu einer Benachteiligung, zu einer stärkeren Segregation von Kindern führt. Wenn Sie das so einführen, machen Sie das, was Pisa kritisiert hat: eine Verstärkung von Benachteiligung.

Sie gehen ansonsten in Nordrhein-Westfalen von einem unzutreffenden Bildungsverständnis aus. Das können Sie im Schulrechtsänderungsgesetz nachlesen. Darin steht nämlich: wenn Bildung in der Schule beginnen kann. Sie müssen die Ausgaben auf den Kopf stellen und mehr für Bildung im Elementarbereich ausgeben. Dass es im Bereich für Schule mehr Geld gibt, ist zu begrüßen, aber an dieser Stelle haben Sie die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt. ­ Das ist vielleicht ein bisschen überzogen.

Es geht um drei Kürzungsbereiche, die von Bedeutung sind: Sachkostenkürzung, Ausstieg aus der Elternbeitragsdefizitregelung und Verlagerung der Elternbeitragsbemessung. Heute Morgen haben die kommunalen Spitzenverbände und Herr Schneider für den DGB gesagt: Das ist verkehrt. Ich will bei der Sachkostenkürzung ­ Herr Sagel hat konkret danach gefragt ­ auch auf die Auswirkungen aufmerksam machen. Alle Träger konnten sich darauf verlassen, dass der Konsolidierungsbeitrag am 31. Dezember 2005 endet. Das hat dazu geführt, dass die Träger, da die fixen Kosten gleich geblieben oder gestiegen sind, entweder die Eltern, wie es Herr Becker ausgeführt hat, als freiwillige Spender zusätzlich belasten mussten oder noch weiter reduzieren mussten. Wir haben in einer Veranstaltung einmal ausgewertet und festgestellt: In einzelnen Einrichtungen stehen pro Kind und Monat noch 50 Cent für pädagogische Arbeit zur Verfügung, weil das andere für andere Aktivitäten verfrühstückt wird.

Ich will noch auf einen Aspekt eingehen, den die kommunalen Spitzenverbände nicht angesprochen haben, aber sie sind kommunal verantwortlich. Sie können ­ ich habe das mit einem Verfassungsrechtler geklärt ­ die Regelung zur Sachkostenkürzung ab

1. Januar 2006 rückwirkend beschließen. Die Kommunen können das aber mit belastenden Verwaltungsakten nicht. Ich sage Ihnen, ich werde alle Träger entsprechend informieren, gegen einen solchen Bescheid, der erst im August erfolgen kann, Widerspruch einzulegen, sodass die Kommunen zusätzlich auf der Hälfte der Sachkostenkürzung sitzen bleiben werden. Insofern nur ein Hinweis ­ Herr Gerbrand hat es schon gesagt ­, dass es an anderer Stelle ähnliche Schwierigkeiten gibt.

Beim Ausstieg des Landes aus der Elternbeitragsdefizitregelung bin ich dabei gewesen, als diese Regelung im GTK ausgehandelt wurde. Wir waren damals stolz, das einzige

Bundesland zu sein, das für alle Kinder gleiche Zugangsbedingungen zu Tageseinrichtungen erreicht hat. Es gibt kein anderes Land, in dem das in dieser Weise der Fall ist.

Diese Regelung führt dazu, dass Eltern, unabhängig davon, ob sie in Duisburg, in Dortmund oder in Düsseldorf leben, zumindest vom Materiellen her den gleichen Zugang finden. Wenn das kommunalisiert wird oder wenn sich das Land verabschiedet, wird das zu höheren Beiträgen führen und die Ungleichheit in der Versorgung wird zunehmen. Die OECD beschreibt das ja. In den Kommunen mit höherer Belastung ist auch die Infrastruktur für Kinder schlechter. Das heißt, Sie würden die Zugangsmöglichkeiten für Kinder zu Bildungsprozessen zusätzlich belasten.

Der Hinweis, der heute oder gestern schon diskutiert ist: Wir haben auf der Bundesebene die Entlastung durch die steuerlichen Befreiungen. Insofern können wir doch in Nordrhein-Westfalen durchaus zulangen. Die steuerliche Regelung auf Bundesebene hatte andere Absichten und sollte nicht dazu dienen, dass auf andere Weise wieder abgeschöpft werden kann, was nun die Eltern zu zahlen haben.

Für mich ist die Situation so: Wenn das Land dieses vornimmt, zieht es sich aus seiner Verantwortung für ausgeglichene Lebensverhältnisse zu sorgen, weiter zurück. Wir haben in Nordrhein-Westfalen keine ordentliche Infrastruktur zur Versorgung von Kindern.

Wir haben für die Kinder im Kindergartenbereich nur eine Quote von 88 %. Die Quote von 99,5 % stimmt nicht, weil immer nur die Anzahl der Kinder im Verhältnis zu der Anzahl der Plätze gerechnet wird. Man muss berücksichtigen: Wir haben 3,7 Jahrgänge, die die Plätze brauchen. Insofern sind wir längst nicht ordentlich ausgestattet.

Das Zweite ist: Wir haben nicht einmal eine Versorgungsquote von 2,8 % für Kinder unter drei Jahren. Dort muss dringend noch etwas getan werden.

Zur Verlagerung der Elternbeiträge auf die Kommunen bitte ich Sie einfach nur nachzulesen, was die OECD festgestellt hat. Sie hat beschrieben, dass die Abhängigkeit von politischen Prioritäten oder Machtverteilungen zu unterschiedlichen Bildungschancen führt.

Das Ganze ist nur Bestandteil ­ das steht in der Begründung zum Haushaltsstrukturgesetz ­ für eine Umstellung der Finanzierung. Es soll alles leichter und verwaltungseinfacher werden. Die ersten Vorschläge, die mir bekannt sind, sagen, es soll das bayrische Modell übertragen werden. Der Vorwurf ist, wir haben in Nordrhein-Westfalen ein zu komplexes System. Wir haben ein komplexes System, weil damit eine sehr komplexe Materie bearbeitet wird. Wenn man so etwas sehr kurzfristig übernehmen würde, würde man die Konsequenzen nicht bedenken können. Bayern hat, was die Verwaltungsvereinfachung angeht, ein schmales Gesetz, eine Durchführungsverordnung. Aber in Bayern werden zurzeit mit Newslettern die Rechtsverhältnisse zurechtgerückt. Es gibt inzwischen 30 Newsletter. Sie sind notwendig, um dieses unklare Gesetz anzuwenden.

Machen Sie bitte nicht denselben Fehler! Sorgen Sie bitte dafür, dass die Kinder nicht unter einen unverantwortlichen Großversuch gestellt werden!

Alexander Popp (Schwules Netzwerk NRW e. V.): Ich möchte vorausschicken, dass Kürzungen im Bereich gleichgeschlechtlicher Lebensformen keine Frage der Haushaltskonsolidierung ist. Denn es handelt sich gerade einmal um insgesamt 240.000 die gespart werden könnten.