Frau Vormfenne Ihre Ausführung hat mich schon
Renate Hendricks (SPD): Ich möchte mich herzlich für die SPD-Fraktion dafür bedanken, dass Sie da sind. Ich finde es auch sehr gut, dass wir auf diese Art und Weise einen Einblick in die Stellungnahme der Praktiker bekommen, die jeden Tag mit den Problemen konfrontiert sind.
Ich habe ein paar Fragen. Frau Vormfenne, Ihre Ausführung hat mich schon geschockt.
Sie haben deutlich gemacht, in welchem Spannungsfeld sich Ausbildung im Weiterbildungskolleg oder Berufskollegs befindet. Die Betriebe befürchten, dass es hier eine Art Wettbewerb im Dumping gibt, einen Wettbewerb darin, wer die wenigsten Stunden anbietet, wodurch die Schüler möglichst wenig Stunden aus dem Betrieb herausgezogen werden. Das würde dem widersprechen, was Frau Beer gerade gesagt hat, dass es auch eine moralische Verpflichtung der Betriebe gibt, eine möglichst intensive Bildung der jungen Auszubildenden sicherzustellen. Ist es wirklich in dieser Weise abzusehen, dass das existiert?
Das Zweite, was mich interessieren würde, betrifft Prof. Hansis. Sie haben eben darauf hingewiesen, dass man differenzierter bei der Frage der Berufsschulausbildung hinschauen muss. Das trifft sich mit meinen eigenen Erfahrungen mit einem Sohn, der das Abitur gemacht hat und anschließend eine Ausbildung gemacht hat. Ich hatte das Gefühl, dass teilweise nicht die Frage der modularen Ausbildung im Vordergrund steht, sondern dass die Ausbildung für alle gleich ist. Das würde bedeuten, dass man deutliche Einspareffekte haben könnte, wenn man schaut, was die jungen Leute mitbringen, welche Vorbildung sie haben und wie man sie gezielt auf ihre Fortbildung hin weiterqualifizieren kann. Es würde mich auch interessieren, aus Ihrer Sicht heraus zu erfahren, in welchen Bereichen das möglich ist.
An den Vertreter der katholischen Kirche: Ich fand es interessant, dass Herr Prälat Vogt eben darauf hingewiesen hat, dass es auch für die Absolventen des Gymnasiums, also diejenigen, die mit einer allgemeinen Hochschulreife die Schule verlassen, notwendig wäre, dass sie anschließend Religion auch in den Berufskollegs belegen.
Ich bin kein Gegner des Religionsunterrichtes, wahrhaftig nicht. An diesem Punkt gehen wir doch davon aus, dass jemand eine stabile Reife bekommen hat. Wenn diejenigen, die das Abitur haben, diese Reife noch nicht haben, dann weiß ich in der Tat nicht, wie man sie eigentlich noch erreichen soll.
Carina Gödecke (SPD): Ich habe an den Vertreter des Katholischen Büros eine Frage.
Der Stellenwert des Faches Religion wird unterschiedlich bewertet. Das wird auch in den unterschiedlichen Stellungnahmen deutlich. Das ist Thema der öffentlichen Debatte. Haben Sie unter dem Gesichtspunkt, weil Sie sich stark auf diesen Aspekt in der schriftlichen und auch in der mündlichen Stellungnahme konzentriert haben, auch noch einmal die Frage der Abschaffung der Schulbezirke intern debattiert? Gibt es auch dazu eine Haltung des Katholischen Büros?
Zum Thema Schulbezirke generell konnte man unterschiedliche Bekundungen für die Beibehaltung - man kann genauso gut sagen - für die Abschaffung finden. Ich möchte mich nicht über die Begrifflichkeiten streiten, weil man manchmal die Argumentation nur umdrehen oder anders lesen muss. Es gibt unterschiedliche Begründungen für die Beibehaltung. Man konnte sie lesen. Wir haben schon einige gehört. Wir werden noch 15 von 40 dere Begründungen für die Beibehaltung der Schulbezirke hören. Deshalb kann ich noch nicht gezielt jemanden fragen. Ich möchte all denjenigen aus der ersten und aus der zweiten Runde, die antworten möchten oder können, die Frage stellen, ob es zwischen dem kreisfreien und dem kreisangehörigen Raum Unterschiede in der Argumentation gibt, was die Beibehaltung von Schulbezirken angeht. Gibt es unterschiedliche Situationen, die man kennen muss, wenn man sich mit dem Gesamtkomplex auseinander setzt?
Gerhard Kühn (Katholisches Büro NRW): Ich darf zunächst einmal auf den gemeinsamen Bildungskongress von evangelischer und katholischer Kirche im Jahre 2000 in Berlin verweisen. Dort wurde unter anderem in der These 10 unterstrichen - ich zitiere -: Jedes Ding hat seine Zeit. Jeder Mensch braucht seine Zeit.... Die Wirtschaft ist die funktionale Basis unseres Lebens, aber sie ist nicht das ganze Leben. Daher dürfen Ziele und Inhalte der Bildung nicht allein nach Nützlichkeitskriterien für die Wirtschaft bestimmt werden. In der Schule darf es keinen Verdrängungskampf
- diese Frage haben wir in unterschiedlichen Bereichen vorliegen der harten gegen die weichen Fächer geben. Noch immer haben sich diese angeblich weichen Fächer als die bestandskräftigsten in der Bildungsgeschichte erwiesen.
Vor diesem Hintergrund müssen auch durch Bildungsinstitutionen Möglichkeiten zum Lernen geschaffen werden. Es ist klar, dass Zeit zum Lernen eine geschenkte Zeit ist und dass diese Zeit kostet und verpflichtet.
Das gibt mir Gelegenheit, auf die Fragen nach Wertevermittlung und Religionsunterricht einzugehen; Frau Hendricks, Sie hatten das zugespitzt auf die Frage: Religionsunterricht für Abiturienten? Wir alle hören da oder dort - das war in den letzten Jahren in verschiedenen Wellen zu beobachten -: Die Auszubildenden haben doch vorher schon genügend Religionsunterricht gehabt, also könnte man das auf jeden Fall abstellen. - Dies scheint mir der Situation der jungen Menschen aber nicht gerecht zu werden, wenn man sich die entwicklungspsychologischen, die lebensweltlichen Veränderungen anschaut, die sich durch den Eintritt in das Berufsleben ergeben.
Sie haben die Reife von Abiturienten angesprochen. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass die Reife das eine ist, dass aber existentielle Situationen durchaus wieder dazu führen, dass man sich mit den Grundfragen des Lebens beschäftigt. Der Eintritt in das Berufsleben ist eine neue Lebensphase. Es ist eine neue Schulform. Eben in den Beiträgen wurde auch deutlich, wie komplex diese Schulform und wie schwer die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen vor Ort ist. In dieser Berufs- und Arbeitswelt sind neue Kontexte zu beobachten, es gibt andere Perspektiven, eine neue Dringlichkeit. Das deckt sich auch mit Rückmeldungen, die wir sowohl von Auszubildenden haben wie auch von den Kolleginnen und Kollegen, die in dem Unterricht tätig sind.
Ich bedauere es, dass der eine oder andere Praktiker heute leider verhindert ist, der aus entsprechenden Erfahrungen einiges beitragen könnte. Man kann es zugespitzt formulieren: Das Fach - in dem Falle: katholische Religionslehre - ergibt sich aus der besonderen Notwendigkeit. Es erreicht eine besondere Zielgruppe und bietet auch von daher eine gewisse Chance.
Ich bin eben auch auf die Frage der Schulbezirke angesprochen worden. Im Bereich der katholischen Kirche gibt es unterschiedliche Positionen; deshalb haben wir uns öffentlich nicht dazu geäußert, auch wenn es von der Tendenz her sicher in die Richtung geht, die Frau Vormfenne eben vorgetragen hat: Unterstreichung des Gesichtspunkts Schließung der Kienbaum-Lücken. Das will ich ausdrücklich sagen. Das ist ein Problem, das sich seit einigen Jahren gestellt hat, das auch unter der neuen Landesregierung weiterhin engagiert verfolgt werden sollte.
Elke Vormfenne: Es ging einmal um die Gefahr des Unterrichtsangebotsdumpings, wie ich das bezeichnet habe. Sie haben zum anderen gesagt, dass dargestellt wurde, dass auch die Werteerziehung ihren Stellenwert haben muss und gefragt, wie das dann zusammenpasst.
Ich möchte dies einmal an einem Bild darstellen: Ich breite meine Arme aus. Auf der einen Seite ergreifen die Betriebe meine Hand, die das Wort Ausbildung parallel mit Bildung sehen, die sehr wohl gemeinsam mit den Berufskollegs die Ausbildung auch bezogen auf die - zumindest ansatzweise - volle Stundenzahl, also auch den berufsübergreifenden und Differenzierungsbereich erfüllt sehen wollen. Das sind die engagierten Ausbildungsbetriebe, von denen wir sehr viele haben. Auf der anderen Seite zerren aber Personen an meiner Hand - das sind diejenigen, die ich vorhin auch kurz beschrieben habe -, deren Priorität auf der Anwesenheit der Auszubildenden im Betrieb liegt und weniger auf dem Begriff der Ausbildung im Sinne von Bildung.
In der Praxis ist es so, dass in den Schulen an beiden Seiten gezogen wird. Dabei ist die eine Seite meistens die lautere und aggressivere. Es ist die Frage, wie lange es die Berufskollegs aushalten werden, dem nicht nachzugeben. Deswegen hatte ich vorhin gesagt: Ich begrüße es, dass die Bezirksfachklassen wieder etabliert werden, weil wir genau dort auch diese Situation haben.
Damit komme ich noch einmal zu der Frage, ob es Unterschiede zwischen Kreisen und kreisfreien Städten gibt. Hier haben wir bereits eine Diskussion, wenn es um die Bestellung der Bezirksfachklassenverzeichnisse geht. Sie sehen schon, wenn die Diskussion da ist, dass die moderierende Aktivität der Bezirksregierung nötig ist, um eben die Interessen auszugleichen.
Prof. Dr. Hermann Hansis (Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen): Ich will den Gedanken gerne ergänzen, den Frau Vormfenne vorgetragen hat. Sie hat gefragt: Mit welcher Ausbildungslandschaft müssen wir rechnen? - Diese ist sehr unterschiedlich. Wir können beobachten, dass diejenigen Ausbildungsbetriebe, die auch für eigenen Bedarf ausbilden, mit uns gemeinsam ein vergleichbares Qualitätsverständnis und Qualitätsinteresse haben. Wenn ich nicht nur, aber auch für eigenen Bedarf ausbilde, bin ich als Ausbilder an den Langfristwirkungen etwa im Hinblick auf Gesundheitsfragen interessiert. Wenn ich denjenigen weiter beschäftigen will, ist das ein Thema: Hat er in dieser Beziehung etwas gelernt?