JVA
Die Vorfälle in der Zelle sind von dem in der JVA anwesenden Justizvollzugspersonal nicht erkannt worden. Einen Versuch des Opfers, mittels eines Rufknopfes auf seine Situation aufmerksam zu machen, unterbanden die Beschuldigten, indem sie über die damit verbundene Gegensprechanlage den Vollzugsbeamten mitteilten, dass es sich um einen Fehlruf gehandelt habe.
Auch bei einem späteren Erscheinen von zwei Beamten im Haftraum gelang es den Beschuldigten, diese davon zu überzeugen, dass von Dritten wahrgenommener Lärm auf das Verrücken von Möbeln zurückzuführen sei. - Soweit der Bericht der Staatsanwaltschaft.
Als wir am Dienstagmittag die Bestätigung der Staatsanwaltschaft bekamen, es bestehe der dringende Tatverdacht, dass das Opfer nach vorangegangenen sehr erheblichen Misshandlungen in der Zelle stranguliert und dadurch getötet worden sei, haben wir zunächst telefonisch die Vorsitzende der Vollzugskommission informiert. Diese Information ist gestern mündlich durch den zuständigen Abteilungsleiter gegenüber den Obleuten konkretisiert worden, soweit wir selbst zu diesem Zeitpunkt zu einer Konkretisierung in der Lage waren.
Die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelt in alle Richtungen. Daneben finden in meinem Haus auf meine Anordnung hin disziplinare Vorermittlungen statt. Ich werde mich heute in die Justizvollzugsanstalt Siegburg begeben, um mich über die aktuelle Situation dort zu informieren. Dann werde ich auch über weitere Maßnahmen entscheiden.
Vorsitzender Dr. Robert Orth: Herzlichen Dank, Frau Ministerin. Es hat sich bereits der Kollege Sichau zu Wort gemeldet. Bitte, Herr Kollege.
Sichau (SPD): Da bleiben einem zunächst die Worte stecken. Gleichwohl danke schön für Ihren Bericht.
Es gibt natürlich eine Menge Fragen, auch Einzelfragen. Das ist in einer solchen Situation klar, wobei sich natürlich insbesondere folgende Fragen stellen: Erstens. Welche Haftbedingungen gibt es am Wochenende?
Zweitens. Was ist da zu verbessern? - Denn das ist ja schon eine ausgesprochen problematische Situation, dass so etwas dann am Wochenende nicht erkannt wird.
Drittens. Welche Konsequenzen sind bereits jetzt absehbar?
Viertens. Herr Dr. Neufeind, der Leiter der JVA Siegburg, soll eine Pressemitteilung herausgegeben haben, die angeblich in Absprache mit Staatsanwaltschaft und Polizei erfolgt ist, was diese bestreiten. Wie ist insofern der Sachverhalt?
Vorsitzender Dr. Robert Orth: Frau Ministerin, bitte.
Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter: Herr Sichau, die Haftbedingungen am Wochenende sind sicherlich zu überprüfen. Sie wissen: Am Wochenende findet natürlich keine Arbeit statt, findet Sport nur eingeschränkt statt. Wir haben gestern die Haftanstalten insgesamt darauf aufmerksam gemacht, gerade am Wochenende noch aufmerksamer zu sein.
Über die Konsequenzen werden wir nach genauer Prüfung dieses Falles entscheiden.
Mit der Pressemitteilung ist es so, dass über den bis Montag angenommenen Suizid am Montagmorgen berichtet worden ist. Ich habe vorhin ja vorgelesen, dass auch die Staatsanwaltschaft zunächst von einem Suizid ausgegangen ist. Als die Staatsanwaltschaft dann die Ermittlungen aufgenommen hatte, lag die Pressehoheit natürlich bei der Staatsanwaltschaft und nicht mehr bei der JVA. Zu dem Zeitpunkt, als die Pressemitteilung herausgegeben worden ist, ist man von einem Suizid ausgegangen.
(Frank Sichau [SPD]: Was war mit den Absprachen?)
- Ich habe keine Kenntnis von genauen Absprachen zwischen Staatsanwaltschaft und JVA, bevor es zu der Frage kam: Werden Ermittlungen wegen eines Tötungsdelikts aufgenommen? In dem Moment, als die Staatsanwaltschaft diese Ermittlungen aufgenommen hat, hat sie nach der Berichtslage die JVA aufgefordert, nicht mehr Stellung zu nehmen, was auch selbstverständlich ist. Denn in Ermittlungsverfahren ist die Pressehoheit bei der Staatsanwaltschaft. Die Pressemitteilung der JVA kam, bevor es diese Kenntnis gab: zu einem Zeitpunkt, als sowohl der Arzt der JVA als auch die Staatsanwaltschaft und die Rechtsmedizinerin noch von einem Suizid ausgingen.
(Frank Sichau [SPD]: Können wir die Pressemitteilung der JVA dem Protokoll beifügen? - Danke.) Vorsitzender Dr. Robert Orth: Herr Kollege Jäger.
Ralf Jäger (SPD): Frau Ministerin, trifft es zu, dass die Staatsanwaltschaft gestern erklärt hat, dass es keine dienstrechtlich relevanten Verfehlungen seitens des Personals der JVA Siegburg gegeben habe, oder handelt es sich um eine Fehlinformation aus der Presse?
Sie hatten gerade angedeutet, dass Sie Schritte unternommen hätten. Welche konkreten Weisungen haben Sie als Ministerin jetzt vorgenommen, um derartige Vorfälle aktuell, beispielsweise durch Nachahmertäter, unmittelbar zu verhindern?
Wie sieht die Personalausstattung der JVA Siegburg aus? Sind dort Planstellen besetzt oder unbesetzt? Hat es bei der Zahl der Planstellen in der jüngsten Vergangenheit Veränderungen gegeben? Wie sieht konkret die personelle Besetzung an Wochenenden in der JVA Siegburg aus?
Vorsitzender Dr. Robert Orth: Bitte, Frau Ministerin.
Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter: Soweit die Staatsanwaltschaft zu der Frage Ermittlungen gegen Justizvollzugsbedienstete Erklärungen abgegeben hat, bezog sich das natürlich auf strafrechtliche staatsanwaltschaftliche Ermittlungen.
Ich selbst habe, wie ich bereits sagte, gestern die Justizvollzugsanstalten erneut sensibilisiert, wobei Sie sich sicher sein können, dass alle Justizvollzugsanstalten durch diesen Vorfall schon von sich aus sensibilisiert werden, am Wochenende besondere Obacht walten zu lassen, und dies insbesondere in Hafträumen, in denen Mehrfachbelegung stattfindet, und auch überraschend zu kontrollieren.
Zur personellen Besetzung kann ich im Moment sagen, dass es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass dieser Vorfall auf Personalnot zurückzuführen ist. Es waren zwei Bedienstete zweimal mit dem Fall befasst.
(Ralf Jäger [SPD]: Ich hatte nach der personellen Besetzung gefragt, nach der Zahl der Planstellen und danach, ob diese verändert worden ist.)
- Die Anzahl der Planstellen ist im letzten Jahr nicht verändert worden.
(Ralf Jäger [SPD]: Die sind auch besetzt?)
- Die sind, soweit ich weiß, auch besetzt.
Ich werde, das sagte ich bereits, heute nach Siegburg fahren und all diese Punkte genauer klären. Gegenstand unserer Erörterung wird natürlich auch sein, unabhängig von einem eventuellen Fehlverhalten in Siegburg zu klären, was wir am Wochenende tun müssen, was wir ändern müssen.
Vorsitzender Dr. Robert Orth: Herr Kollege Möbius.
Christian Möbius (CDU): Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zunächst einmal die Betroffenheit über dieses Verhalten, was in der Justizvollzugsanstalt in Siegburg von Mithäftlingen gezeigt worden ist, ausdrücken. Diese Betroffenheit verspüren wir, glaube ich, alle.
Ich möchte mich an dieser Stelle bedanken, dass die Justizvollzugskommission gestern zu einer Sondersitzung zusammengetreten ist und wir schon vorab informiert worden sind, auch in Einzelheiten und auch unter Berücksichtigung sämtlicher zu berücksichtigender Tatsachen, die uns von Herrn Mainzer vonseiten des Justizministeriums geschildert worden sind, um einen ersten Überblick über diesen tragischen Fall zu erhalten.
Mir ist wichtig - das ist gestern auch am Rande der Sondersitzung der Vollzugskommission deutlich geworden -, dass es sich um ein Zusammenwirken von drei Mithäftlingen gehandelt hat, die vorher nicht irgendwie gemeinschaftlich in einer Tat in Erscheinung getreten sind. Das heißt: Es handelt sich um drei Individuen, die sich offensichtlich zusammengerottet haben, um sich gegen einen Mithäftling zu verwenden, und zwar auf eine Art und Weise, die uns, glaube ich, alle nur das Blut gefrieren lässt, wenn man sich anhört, dass sowohl der sexuelle Missbrauch als auch die Art und Weise der Gewaltanwendung in der Haftzelle der JVA geschehen sind.