JVA

Aktuelle Viertelstunde Thema: Auswirkungen der von Minister Laumann geplanten Vollzugsumkehr im Maßregelvollzug von Therapie vor Strafe in Strafe vor Therapie vor dem Hintergrund der Vorkommnisse in der JVA Siegburg. Besteht zudem das im Justizvollzug aufgetretene Problem der Mehrfachbelegungen auch im Bereich des Maßregelvollzuges? auf Antrag der Fraktion der GRÜNEN Minister Karl-Josef Laumann berichtet wie folgt (siehe auch Vorlage 14/787):

Die brutale Ermordung des jungen Gefangenen in der JVA Siegburg hat uns alle erschüttert. Es bleibt sicherlich für viele von uns unfassbar, dass Menschen zu solchen Taten fähig sind, zu so einer unglaublichen Brutalität, Gefühlskälte und Menschenverachtung. Man stellt sich die Fragen: Hätte das auch im Maßregelvollzug passieren können? Tun wir genug, damit so etwas nicht geschehen kann?

Müssen wir noch mehr tun? - Die Grünen haben diese Fragen heute nicht ausdrücklich gestellt, aber sie stehen unausgesprochen im Raum, und das halte ich angesichts der Situation auch für ganz normal. Meine Meinung ist, dass wir auch in diesem Bereich nur dann Vertrauen haben können, wenn wir über die Situation im Maßregelvollzug transparent informieren und sie einfach so schildern, wie sie ist.

Ich möchte zunächst einmal der Frage nachgehen: Ist es im Maßregelvollzug möglich, dass ein Mensch von seinen Mitbewohnern nachts in einer verschlossenen Zelle stundenlang unbemerkt gefoltert und schließlich ermordet wird? Meine Antwort lautet: Theoretisch ist das möglich, wenn alle beteiligten Mitarbeiter ihre Dienstpflichten gravierend verletzen. Aber es gibt keine Anzeichen, dass mit solchen Pflichtverstößen zu rechnen ist. Deshalb: Nein, ein solcher Vorfall ist im Maßregelvollzug meines Erachtens so gut wie unmöglich.

Zu dieser Einschätzung führen mich zwei strukturelle Unterschiede zwischen dem Maßregelvollzug und dem Strafvollzug: Erstens. Wir haben es im Maßregelvollzug zum Teil mit gefährlichen Menschen zu tun; aber diese Menschen sind gefährlich, weil sie krank sind. Weil sie gefährlich sind, müssen sie bewacht werden, aber vor allem müssen sie auch behandelt und betreut werden. Deshalb ist der Personalschlüssel im Maßregelvollzug mit dem des Justizvollzugs nicht vergleichbar und kann es auch nicht sein.

Natürlich ist der Personalbedarf von Station zu Station unterschiedlich. Auf einer hoch gesicherten Aufnahmestation braucht man viel mehr Personal als auf einer offenen Rehastation. Ich kann Ihnen daher nur eine grobe Größenordnung nennen: Auf einer gesicherten Regelstation ohne Nachteinschluss werden für etwa 15 bis 20 Patienten meist zwei Nachtwachen eingesetzt. Das gilt insbesondere für Aufnahme- oder Krisenstationen. Falls nötig, wird diese Nachtwache durch eine sogenannte Pendelwache oder Bereitschaft erhöht. Falls vertretbar, kann die zweite Nachtwache auf einen Pendeldienst oder eine Bereitschaft reduziert werden. Bei Nachteinschluss und passender Patientenklientel kann auch eine Nachtwache ausreichen. Das heißt: Wir haben im Maßregelvollzug nachts regelmäßig einen Personalschlüssel von etwa 1:10 bis 1:20, also eine Nachtwache pro zehn bis 20 Patienten.

In der JVA Siegburg waren in der Mordnacht gemäß Ausschussprotokoll des Rechtsausschusses acht Kräfte für rund 700 Gefangene zuständig. Ich werte das nicht. Ich stelle nur fest: Wir haben im Maßregelvollzug eine vollkommen andere Aufgabenstellung, und wir haben deshalb auch einen vollkommen anderen Personalschlüssel.

Der zweite strukturelle Unterschied ist: Der Standard für den Nachteinschluss im Maßregelvollzug sind Einbettzimmer oder Zweibettzimmer. Das habe ich meinem Haus aktuell noch einmal ausdrücklich so vorgegeben. Dieser Standard wurde ohnehin bereits ausnahmslos für die neuen Kliniken angewendet und auch für die Umbauten im Rahmen des Sofortprogramms, über die ich Ihnen im Juni berichtet habe. Der nächtliche Einschluss mit mehr als zwei Patienten auf einem Zimmer ist daher schon heute eine absolute Ausnahme.

Landesweit gibt es zurzeit vier Vierbettzimmer mit Nachteinschluss. Bei insgesamt 2.280 Patienten in NRW sind das weniger als 1 % der Plätze. Hinzu kommen insgesamt elf Dreibettzimmer. Alles in allem sind also knapp 50 Patienten beziehungsweise rund 2 % aller Maßregelvollzugspatienten in Nordrhein-Westfalen nachts auf Zimmern mit mehr als zwei Patienten eingeschlossen.

Der Großteil dieser Plätze befindet sich in den Häusern 28 und 29 in. Es handelt sich um Plätze in hoch gesicherten Aufnahmestationen für Maßregelvollzugspatienten beziehungsweise vorläufige Unterbringungen gemäß § 126

a Diese Stationen sind aufgrund des anhaltenden Aufnahmedrucks in erheblichem Maße überbelegt. Gegenmaßnahmen sind seit Langem eingeleitet und werden zeitnah greifen. Der Ersatzbau in Bedburg-Hau wird Mitte nächsten Jahres fertig gestellt. Haus 29 wird danach aufgegeben; das ist mit der Gemeinde vertraglich so vereinbart. Weitere spezielle Aufnahmeplätze entstehen in der neuen Klinik in Essen, auch für die bisher in Haus 28 untergebrachten Patienten gemäß § 126

a Für die Essener Klinik läuft zurzeit die Ausschreibung. Umso wichtiger ist eine ausreichende personelle Sicherung für die verbleibende Zeit. Zurzeit werden in den Häusern 28 und 29 für jeweils 50 Patienten je vier Nachtwachen eingesetzt.

Diese Nachtwachen führen stündlich Kontrollgänge durch. Bei Krisenpatienten erfolgt alle zehn bis 15 Minuten eine Sicherheitskontrolle.