Tageseinrichtungen

Landtag Nordrhein-Westfalen Ausschussprotokoll 14/412

Meine Bitte zum Abschluss: Tragen Sie im Rahmen Ihrer Verantwortlichkeit dazu bei, dass die klaren Strukturen und Zuordnungen von Verantwortlichkeiten, die die Stärke und die Qualität der Jugendhilfe, der Jugendämter und der Landesjugendämter ausmachen, gesichert und gestärkt werden. Nutzen Sie also, um wieder auf den Ausgangspunkt zurückzukommen, die Föderalismusreform in diesem Sinne. - Danke schön!

Matthias Selle (Jugendamt der Stadt Recklinghausen): Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrte Damen und Herren, auch ich bedanke mich für die Einladung. Ich werde die Redezeit von fünf Minuten wahrscheinlich unterschreiten.

Ich stelle mich kurz vor: Ich bin Pädagoge und leite das Jugendamt der Stadt Recklinghausen, einer kleineren Großstadt mit 125.000 Einwohnern. Zuvor habe ich als Abteilungsleiter in der Stadt Münster gearbeitet. Davor habe ich die freie Wohlfahrtspflege von innen kennengelernt, weil ich beim Diakonischen Werk tätig war. Ich habe einen multiperspektivischen Blick, zumindest im Rückblick. Ich war sehr lange Zeit auch in der Jugendverbandsarbeit aktiv. Ich werde gleich darauf zu sprechen kommen, was das in diesem Kontext für mich bedeutet.

Was ich Ihnen jetzt sagen werde, ist ein Stückweit pragmatisch. Ich stelle mir die Frage, die ich vorher auch mit anderen Jugendamtsleitern besprochen habe: Warum sollte man etwas verändern, was eigentlich sehr bewährt ist? Auf die Zweigliedrigkeit der Jugendhilfe können wir aus meiner Sicht stolz sein. Sie bietet hervorragende Möglichkeiten der Kommunikation sowie der Abstimmung zwischen freier und öffentlicher Jugendhilfe. Die theoretische Möglichkeit, die das Land nun hat, die Strukturen zu verändern, muss aus meiner Sicht heute nicht genutzt werden. Diese Sicht teilen sehr viele in der Jugendhilfe.

Die bewährte Struktur, von der ich spreche, ist wie folgt: Im Jugendhilfeausschuss als Teil des Jugendamtes wird geregelt, dass die freie und öffentliche Jugendhilfe die Jugendhilfeplanung abstimmt und sich somit ständig darüber informiert, was für Jugendliche wichtig ist. Das sollte bestehen bleiben.

Nebenbei stärkt das ganz enorm das bürgerschaftliche Engagement. In Jugendhilfeausschüssen sind relativ früh junge Leute aktiv, wie die Vertreter von Kinder- und Jugendparlamenten. Viele Jugendhilfeausschüsse binden die Sprecherinnen und Sprecher der AGs nach § 78 SGB VIII ein. Das führt dazu, dass es ein sehr effektives Miteinander gibt.

Aus Sicht eines Jugendamtsleiters ist die Zweigliedrigkeit des Jugendamtes ein Garant für eine gemeinsame Verantwortung, die durch den öffentlichen und durch die freien Träger der Jugendhilfe getragen wird. Das führt dazu, dass man auch Verständnis für die andere Seite hat.

In der Diskussion um das neue Kindergartenrecht habe ich erst gestern in der AG 78 erlebt, wie wichtig es ist, sich häufig zusammenzusetzen und für die andere Seite und ihre Perspektive Verständnis aufzubringen. Das kann man im Jugendhilfeausschuss sehr gut üben. Eine Verwaltung des Jugendamtes ohne Jugendhilfeausschuss ist für mich im Moment nur schwer vorstellbar.

Nun zur Perspektive von Jugendämtern und Landesjugendämtern: Die kommunalen Jugendämter sind aus meiner Sicht mit den Landesjugendämtern sehr gut bedient, Herr Meyer. Jedoch ist richtig: Je größer ein Jugendamt ist, desto mehr kann es selbst, ohne die Hilfe des Landesjugendamtes leisten.

Als Praxisbeispiel möchte ich besonders auf § 45 SGB VIII und den Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen hinweisen. Die Stadt Recklinghausen ist eine Gemeinde, die unter den Maßgaben von § 81 GO NRW arbeitet und sich also in einem Haushaltssicherungskonzept befindet. Sie hat größte finanzielle Schwierigkeiten. Die Stadt Recklinghausen ist froh, dass es bestimmte Mindeststandards gibt, zum Beispiel für die Ausgestaltung der Kindertagesbetreuung in Kindertageseinrichtungen.

Ich glaube, es wäre für uns schwierig, uns selbst zu kontrollieren und uns selbst die Bedingungen vorzuschreiben, wie eine personelle Ausstattung einer Kindergartengruppe auszusehen hat. Ich will nicht ständig eine Diskussion mit unserer Finanzverwaltung führen. Ich weiß, dass es von großem Vorteil ist, wenn uns Dritte in ausgesprochen sensiblen Themenfeldern auf die Finger schauen.

Von Bedeutung ist in diesem Kontext auch § 22 a Abs. 5 SGB VIII. Darin steht, dass öffentliche Jugendhilfeträger auf die Qualität der Kindertageseinrichtungen der freien Träger hinwirken sollen. Dieses Hinwirken funktioniert aus meiner Sicht nur partnerschaftlich. Diese Partnerschaft manifestiert sich in der ständigen Kooperation über den Jugendhilfeausschuss und über das Instrument der Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII.

Ich möchte einen Punkt bestätigen, den Herr Meyer genannt hat: Die Stadt Recklinghausen befindet sich in einem Ballungsgebiet. Wir bekommen daher häufig Anrufe von Kunden, die gar nicht zu uns gehören. Der Bürger aus Herten, der Bürger aus Herne oder die Bürgerin aus Gelsenkirchen denken, sie könnten sich bei unserem Jugendamt erkundigen oder bestimmte Hilfen in Anspruch nehmen. Ich hielte es für wenig zweckmäßig, wenn das nicht nur über Stadtgrenzen, sondern auch über Landesgrenzen hinaus unterschiedlich wäre. Insbesondere der Aspekt der niedrigschwelligen Zugänge zu den Hilfen, die die Jugendhilfe anbietet, erfordert eine bundesweit einheitliche Organisationsform. Auch wenn die Bürger umziehen, müssen sie wissen: Das Jugendamt ist Partner bei Prävention, bei Hilfen und bei Maßnahmen, die für sie und ihre Kinder wichtig sind. Insofern wäre es ungünstig, wenn die Bürger zu Pfadfindern im Behördendschungel würden, was eine Folge der Zersplitterung der Strukturen in Deutschland sein könnte. Damit will ich es bewenden lassen. Ich antworte nachher noch gern auf Fragen. - Ich danke Ihnen dafür, dass Sie mich eingeladen haben.

Dr. Remi Stork (Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen): Meine Damen und Herren, ich darf Sie herzlich von Frau Loheide grüßen, die eigentlich als Vertreterin der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege heute hier sprechen wollte, aber leider verhindert ist.

Mein Name ist Remi Stork. Ich bin Referent im Diakonischen Werk von Westfalen. Mit einem Teil meiner Stelle bin ich auch Geschäftsführer eines evangelischen Familienverbandes. Heute spreche ich für die freie Wohlfahrtspflege.

Sie haben es vielleicht schon gemerkt und vielleicht haben Sie den gleichen Verdacht bekommen wie ich: In der heutigen Veranstaltung sind sich erstens anscheinend alle Sachverständigen einig. Zweitens sind alle Sachverständigen der Meinung, dass man nichts tun müsse; das ist einerseits sehr schön, andererseits sehr kompliziert.

(Christian Lindner [FDP]: Und wir setzen das um!)

- Sie sitzen das aus!

(Heiterkeit - Christian Lindner [FDP]: Wir setzen das um!)

- Das ist ja in diesem Fall das Gleiche.

(Heiterkeit) Vielleicht darf ich als Beispiel einige Gedanken hinzufügen; die schriftlichen Stellungnahmen liegen Ihnen vor.

Ich bin Pädagoge und rede daher gern in Beispielen und nicht so sehr allgemein und strukturell. Ich möchte aber doch deutlich machen, dass natürlich bei der Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe viel zu tun ist. Dafür brauchen wir keine Gesetzesinitiativen der Landesregierung oder von Landesseite aus. Das heißt nicht, dass alles so bleiben soll, wie es ist.

Wenn wir beispielsweise in ein Jugendamt oder in ein Landesjugendamt schauen, müssen wir natürlich schon sagen, dass wir beinahe in jedem Jugendamt Nordrhein Westfalens mittlerweile Dinge erkennen, die den mittlerweile geltenden gesetzlichen Regelungen nicht mehr ganz entsprechen. Das heißt, es gibt diese Auflösungstendenzen schon jetzt. Es gibt fast kein Jugendamt mehr, bei dem Jugendamt an der Tür steht, sondern überall steht etwas anderes, beispielsweise Fachbereich für.... In der Regel werden Aufgaben der Jugendhilfe nicht nur in einem Amt oder Fachbereich übernommen, sondern in verschiedenen. In der Regel hat der Jugendhilfeausschuss große Probleme festzustellen, wofür er zuständig ist und wofür nicht. Das ist ein Feld, das sich sehr stark entwickelt. Die Kooperation mit der Schule ist unglaublich wichtig. Wir brauchen dafür neue Formen der Kooperation.

Bisher sehen wir als freie Wohlfahrtspflege alles sehr skeptisch, was versucht, über das hinauszuschlagen, was auch notwendig ist. Wir sehen skeptisch, wenn Jugendämter Ausschüsse wie Schulausschüsse und Jugendhilfeausschüsse zusammenlegen, weil die freie Jugendhilfe dort dann nicht mehr so vertreten ist, wie es ansonsten üblich ist.

Auch die Vertreterinnen von Jugendverbänden und -initiativen tun sich zunehmend schwer. Wir bitten, darauf zu achten, dass so etwas nicht ausufert.

In Nordrhein-Westfalen gibt es ein besonderes Modell der Landesjugendämter. Auf die Erfolgsgeschichte der Landesjugendämter wurde schon hingewiesen. Die freie Wohlfahrtspflege kann sich im Prinzip anschließen. Es gibt eine starke, dienstleistungsorientierte Behördenstruktur mit guten Dienstleistungen in diesem Bereich. Wir haben allerdings darauf zu achten, dass beispielsweise die Landesjugendhilfeausschüsse und die örtlichen Jugendhilfeausschüsse als politische Ausschüsse wieder ernster genommen werden bzw. dass sie sich selbst auch ernster nehmen.