JVA

Es ist auch zu einem neuen Rollenverständnis gekommen: einerseits bei den Anstaltsleitungen, die diesmal nicht in erster Linie Berichtende an die Aufsichtsbehörde waren, sondern gelernt haben, Gesamtverantwortung für ihren Bereich zu übernehmen, diese Verantwortung auch zu leben und sich tatsächlich als Führungskräfte zu verstehen. Andererseits hat auch das Ministerium in den Zeiten danach einen Lernprozess hinter sich gebracht, indem die Mitarbeiter nämlich gesehen haben, dass sie sich auf keinen Fall mit Detailfragen überfrachten dürfen, sondern in erster Linie für die Aufsicht und für die prospektive Steuerung zuständig sind. Es hat sich daher auch neuer Steuerungsmodelle bedient. Die Kommunikation zwischen Anstalten und Ministerien hat sich wunderbar entwickelt. Es sind eine ganz neue Nähe und ein neues Verständnis entstanden.

Meine Kernaussage lautet deswegen: Ein Justizvollzug, der so sensibel ist und einen solch komplexen Auftrag hat, braucht kurze Informations- und schnelle Entscheidungswege, und er braucht insbesondere starke Führungskräfte, die die Gesamtverantwortung übernehmen und diese Gesamtverantwortung auch leben. Zugleich braucht der Justizvollzug eine Aufsichtsbehörde, die sich auf die Steuerung durch Strukturen und durch Qualitätsstandards beschränkt.

In diesem ganzen System hat nach meinem Verständnis eine Mittelbehörde keinen Platz. Ich spreche von Niedersachsen und muss sagen, dass in der damaligen Zeit, vor 1995, durch die langen Entscheidungswege und die manchmal unklaren Zuständigkeiten das Vorhandensein einer Mittelbehörde nicht immer ganz ohne Risiko war.

Dr. Rupert Stadler (Bayerisches Staatsministerium der Justiz): Herr Vorsitzender:

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Zunächst zu meiner Person: Ich bin seit ca. vier Jahren stellvertretender Leiter der Strafvollzugsabteilung im bayerischen Justizministerium und leite seit 1992, also seit etwa 15 Jahren, das Personalreferat in der Abteilung F. Das ist die Abteilung Justizvollzug im bayerischen Justizministerium.

Zum Gesetzentwurf. Aus der Sicht des bayerisches Justizvollzugs möchte ich folgende Kernthesen aufstellen: In Bayern ist der Justizvollzug - das unterscheidet uns von Niedersachsen; wir hatten nie eine Mittelbehörde - seit jeher von einem zweistufigen Behördenaufbau geprägt. Es hat, anders selbstverständlich als in der allgemeinen Justiz, nie eine Mittelbehörde im Justizvollzug gegeben. Generalstaatsanwaltschaft und Oberlandesgericht sind bei uns bei Staatsanwaltschaften und Gerichten natürlich genauso vorhanden. Im Justizvollzug ist das jedoch nicht so.

Daher kann ich Ihnen keine Erfahrungen mit einem dreistufigen Aufbau vermitteln und kann Ihnen auch nicht sagen, wie das in Bayern gesehen wird. Die Leitung des gesamten bayerischen Justizvollzugs liegt bei uns im Ministerium. Dort ist die Abteilung Justizvollzug mit insgesamt 25 Bediensteten eingerichtet. Sie nimmt als oberste Dienstbehörde und zugleich einzige Aufsichtsbehörde über die insgesamt 36 bayerischen Justizvollzugseinrichtungen umfassende Aufgaben wahr.

Die Vertreter des Ministeriums besuchen die bayerischen Anstalten regelmäßig. Wir sind sehr oft draußen und führen sehr viele Gespräche vor Ort: bei Baubesprechungen, bei Sicherheitsbesprechungen, bei Personalbesprechungen. Wir wissen also sehr genau, was in unseren 36 Justizvollzugseinrichtungen und in unserer Justizvollzugsschule tagtäglich passiert. Dieser unmittelbare Kontakt zwischen Ministerium und Außenbehörden sorgt für kurze Entscheidungswege und gewährleistet die Nähe des Ministeriums zur Vollzugspraxis.

Aus der Praxis kann ich Ihnen sagen, dass das Führungsinstrument, das wir tagtäglich zigmal nutzen, schlicht und einfach das Telefon ist. Wir telefonieren jeden Tag. Wenn ich als Personalreferent und Stellvertreter des Abteilungsleiters meine Aufgabe beschreiben müsste, so würde ich sagen: Wir telefonieren jeden Tag mit den Anstaltsleitern, die - Frau Steinhilper, das ist genauso wie mittlerweile bei Ihnen in Niedersachsen

- unsere zentralen Ansprechpartner sind. Auch wir haben die Anstaltsleiter über Jahre und Jahrzehnte hinweg in ihrer Position sehr gestärkt. Es wurden sehr viele Aufgaben an sie delegiert. Die Anstaltsleiter wirken nach innen, also in die Anstalt hinein, und nach außen - sie sind die Einzigen, die die Anstalten nach außen vertreten - als starke Persönlichkeiten mit einem großen Selbstbewusstsein. Sie leiten ihre Anstalten sehr selbstbewusst, sind aber auch sehr loyal uns gegenüber. Wir tauschen uns also täglich aus und wissen, wo die Probleme vor Ort sind.

Wesentlich ist für uns, dass wir zweimal im Jahr ca. eine Woche lang Dienstbesprechungen mit unseren Anstaltsleitern durchführen. Da gibt es eine sehr umfangreiche Tagesordnung. Alle aktuellen Probleme, die es im Vollzug in Bayern gibt, werden dort intensiv behandelt. Das sichert die Einheitlichkeit des Verwaltungsvollzugszugs in Bayern. Bayern ist - wie Nordrhein-Westfalen - ein Flächenstaat, für den es sehr wichtig ist, überall im Wesentlichen die gleiche Verwaltungspraxis zu haben.

Unsere Erfahrung ist, dass ein Ministerium auch ohne eine Mittelbehörde die notwendige Aufsicht über die Anstalten wirksam ausüben kann. Wir haben überhaupt keine Probleme damit. Unsere Erfahrungen sind gut. Wir sind der Auffassung, dass die Erfahrungen, die wir in Bayern gemacht haben, erwarten lassen, dass der mit dem nordrheinwestfälischen Entwurf verfolgte Gesetzeszweck, nämlich die Verwaltungsstrukturen zu verschlanken, die Sach- und Fachkompetenzen zu bündeln und den Abstimmungs- und Koordinierungsaufwand zwischen Aufsichtsbehörden und nachgeordneten Behörden zu verringern, erfüllt werden wird.

Abschließend möchte ich wie Frau Kollegin Dr. Steinhilper sagen: Der entscheidende Vorteil des zweistufigen Verwaltungsaufbaus im Justizvollzug sind die Nähe zu den Anstalten, der Informationsaustausch und die kurzen Wege. Wir sind in Fällen, in denen es besonders eilig ist, wirklich binnen Minuten über das informiert, was vor Ort passiert, und können entsprechend reagieren. Insgesamt hören Sie also von mir ein klares Ja zur Zweistufigkeit. Die Erfahrungen in Bayern sind uneingeschränkt gut.

Thomas Rösch (Leiter der Justizvollzugsanstalt Freiburg): Herr Vorsitzender! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Sehr verehrte Damen und Herren!

Ein paar Worte zu meiner Person: Ich bin Leiter der Justizvollzugsanstalt Freiburg; von Beruf bin ich Jurist. Ich leite die Anstalt in Freiburg seit 1989. Zuvor war ich kurz als Rechtsanwalt tätig. Dann habe ich in verschiedenen Justizvollzugsanstalten - Adelsheim, Bruchsal und Freiburg - und auch bei der Staatsanwaltschaft Freiburg gearbeitet.

Die Justizvollzugsanstalt Freiburg ist eine Langstrafenanstalt mit 770 Haftplätzen. Es gibt eine Sonderzuständigkeit für alle Sicherheitsverwahrten des Landes die in Freiburg zentriert sind. Neben der Zuständigkeit für Gefangene mit langen Strafen gibt es eine Zuständigkeit für Jugendliche und Erwachsene in Untersuchungshaft, einen kleinen Kurzstrafenbereich und auch zwei offene Anstalten. Der Schwerpunkt der Anstalt ist sicherlich das Bildungszentrum. Die Anstalt ist insofern ein bisschen mit der JVA Münster vergleichbar. Die Anstalt hat einen Personalstand von 284 Stellen und 308 Köpfen.

Was den vorliegenden Gesetzentwurf betrifft, darf ich mich zunächst einmal dankenswerterweise auf das beziehen, was Frau Dr. Steinhilper und Herr Dr. Stadler bereits in Bezug auf die Nähe zu den Anstalten ausgeführt haben. Baden-Württemberg befindet sich in derselben Situation wie Bayern: Wir hatten noch nie eine Mittelbehörde. Ich kann aber aus meiner langjährigen Erfahrung als Anstaltsleiter - seit 1989 - sagen, dass der Kontakt unmittelbar ist. Ich kann Herrn Dr. Stadlers Auffassung bestätigen: Das wesentliche Arbeitsinstrument eines Anstaltsleiters ist das Telefon, also der direkte Draht zum Abteilungsleiter, zum stellvertretenden Abteilungsleiter oder zu wem auch immer beim Justizministerium. Davon wird ausgiebig Gebrauch gemacht. Es gibt keine Hemmschwellen, jemanden anzurufen, wenn es eine schwierige Frage zu lösen gilt.

Ich stimme mit meinen Vorrednern darin überein, dass durch dieses Verfahren - keine Mittelbehörde - die Position des Anstaltsleiters außerordentlich gestärkt wird. Der Anstaltsleiter bekommt mit diesem Modell sehr viel Eigenverantwortung übertragen. Diese stärkere Eigenverantwortung führt aber meines Erachtens auch zu einem größeren Engagement der Anstaltsleiter. Aus Sicht der unteren Verwaltungsbehörde kann ich - ergänzend zu dem, was Frau Dr. Steinhilper und Herr Dr. Stadler ausgeführt haben -: Wir fühlen uns als selbstständige und starke Anstaltsleiter, die in jeder Situation bereit sind, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Die kurzen Entscheidungswege sorgen neben einer schnellen Entscheidung auch dafür, dass das zuständige Justizministerium in Stuttgart sehr nah an der Praxis ist, also durchaus auch Einzelfälle zu lösen hat, was natürlich im Vergleich zu einem Ministerium mit großen Mittelbehörden - das Innenministerium ist angesprochen - eine andere Situation ist. Das ist klar. Wenn man keine Mittelbehörde hat, muss man im Justizministerium auch den einen oder anderen Einzelfall lösen.

Ganz konkret auf Nordrhein-Westfalen bezogen muss ich sagen: Ich sehe natürlich auch die Unterschiede. Von der Fläche her ist Nordrhein-Westfalen in etwa genauso groß wie Baden-Württemberg. Ein wesentlicher Unterschied besteht zum einen in der Einwohnerzahl: Baden-Württemberg hat 11 Millionen Einwohner, Nordrhein-Westfalen 18 Millionen. Zum anderen unterscheiden sich die Länder auch in der Zahl der Anstalten: Baden-Württemberg hat 18 Anstalten, Nordrhein-Westfalen 37. Wenn man sich die Gefangenenzahlen anschaut, stellt man fest, dass es noch einmal etwas ungünstiger aussieht: Nordrhein-Westfalen hat etwa 18.000 Gefangene, Baden-Württemberg nur 8.200. Damit steht Baden-Württemberg, bezogen auf die Belastung pro100.000 Einwohner, an zweiter Stelle in Deutschland. Insofern ist das nicht ganz vergleichbar.

Mittelbehörden sind sicherlich insofern von Vorteil, als dort Spezialwissen mit einem ordentlichen Personalstamm gebündelt werden kann. Das ist sicherlich ein Vorteil.