Grundschule

Landtag Nordrhein-Westfalen Ausschussprotokoll 14/424

38. Sitzung (öffentlich) schm

Förderstunden sehr begrüßen, auch dazu führt, dass sich der Gesamtablauf in Schulen sich verändert, beispielsweise an Gymnasien mit der Schulzeitverkürzungsvorgabe in Richtung Ganztagsbetrieb. Das bringt neue organisatorische Herausforderungen mit sich, das bringt neue pädagogische Herausforderungen mit sich, das bringt aber auch neue Belastungsfaktoren mit sich. Über letztere müssen wir in einem anderen Zusammenhang, gerechtere Arbeitszeitregelungen für Lehrkräfte, noch einmal gesondert sprechen, dann aber auch mit Nachdruck.

Prof. Dr. Hermann Hansis (Alfred-Müller-Armack-Berufskolleg, Köln): Ich bedanke mich für die freundliche Einladung und für Ihr Interesse an Schulleitungsarbeit. Ich selbst bin als Leiter eines Berufskollegs mit etwas über 3.000 Schülerinnen und Schülern und etwas über 100 Lehrkräften selbst Betroffener.

Ich möchte zunächst feststellen, dass ich gut finde, dass für die Grundschulen zugelegt wurde. Das mag dem einen oder anderen nicht genug sein, aber wir wissen, wie schwierig es ist, überhaupt etwas zuzulegen. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die kleinen Systeme noch mehr gestärkt werden; die haben es besonders schwer, überhaupt auf nennenswerte Leitungssystemzeiten zu kommen, auch weil bei ihnen die Berechnung der sonstigen Belastungsmöglichkeiten noch marginaler ansetzt.

Ich sage das aus meiner Wahrnehmung als zuständig für die Teilnahme der Region Köln an dem Modellversuch Selbstständige Schulen. Unsere Grundschulen tun sich schwer mit all dem ­ nicht von der Sache her, sondern von der zeitlichen Belastung her ­, was sie in die Gänge bringen wollen. Das vorab, damit das nicht aus dem Blickfeld gerät.

Die andere Maßnahme in der Verordnung gibt eine alte Auseinandersetzung wieder, die wir aus Sicht der Berufskollegs geführt hatten, weil es uns immer etwas kurios erschien, dass es einen Differenzierungszuschlag für ein System gibt, das aus Sicht von Berufskollegs vergleichsweise wenig Differenziertheit ausweist, es aber nicht unser Anliegen war, die Gesamtschule schlechter zu stellen, sondern die Berufskollegs entsprechend besser zu stellen. Alles andere kann perspektivisch nicht sinnvoll sein.

Vor welchem Hintergrund behaupte ich das? Ich komme zur Frage von Frau Schäfer, wobei ich die Frage nicht ausschließlich auf die letzten zwei Jahre beziehen möchte. Ich denke, dass in den letzten zehn Jahren insgesamt eine Entwicklung mit mehr Eigenverantwortung für Schulen ­ und zwar für Schulen insgesamt, nicht nur für Schulleitungen

­ eingeleitet wurde, die allerdings Kollegien mit zu bewegen haben, eine Entwicklung, die mehr Eigenverantwortung für den Gesamtzusammenhang von Unterrichtsentwicklung, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung bedeutet. Aus dem Gesamtzusammenhang heraus ließe sich nun ein ganzes Tableau an mittlerweile hinzugekommenen Aufgaben benennen. Ich denke, das braucht man im Kreis dieser Sachverständigen nicht zu tun. Die Aufgaben sind einfach da.

Hinzu kommen sicher Besonderheiten der Berufskollegs mit einer Vielfalt an Organisations- und Managementaufgaben. Hinzu kommen etwa im Rahmen des Schulversuchs neue Aufgaben im Bereich der Sachmittel für Wirtschaft und der Personalbewirtschaftung. Das will ich aber gar nicht so sehr in den Vordergrund stellen. Die Dinge, die unabdingbar sein müssen, haben wir so bewältigt. Sie können immer wieder sagen: Es Landtag Nordrhein-Westfalen Ausschussprotokoll 14/424

38. Sitzung (öffentlich) schm ging doch. Warum braucht man mehr? Man braucht mehr, weil unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht alles in der Weise geleistet werden kann, wie es geleistet werden müsste.

Der Bereich, bei dem ich wahrnehme, dass er am ehesten vernachlässigt wird, ist der Personalbereich, der unmittelbare Führungsbereich. Mein Budget bringe ich raus. Das ist nicht das Thema. Und die Zeugnisse bekommen wir rechtzeitig unterschrieben. Das ist auch nicht das Thema. Aber es gibt Bereiche, die eher zurückstehen, deren Vernachlässigung auf Dauer wahrscheinlich wesentlich problematischer ist, als wenn man irgendeinen Termin nicht einhalten würde, was Zeugnisse betrifft.

Ich muss das mit der Deutlichkeit sagen, weil ich glaube, man kann sich nicht vorstellen, was es heißt, Personalverantwortung, d. h. Führungsverantwortung, Entwicklungsverantwortung, für über 100 Menschen zu haben, und zwar unmittelbar. Das gibt es in einer Verwaltung nicht. Da hat man eine Hierarchie, da hat man Zwischeninstanzen, die zuständig sind für unmittelbare Mitarbeiterführung und die dafür Zeit haben oder sich Zeit nehmen müssen.

Wir haben auch eine mittlere Ebene an unseren großen Systemen ­ und das ist gut so ­, auf die wird viel übertragen, aber primär im didaktisch koordinierenden, organisierenden Bereich. Vielmehr kann ich denen nicht zumuten, solange es für die mittlere Ebene keine Leitungszeit gibt. Man muss sich vorstellen, man macht Leute zu Führungskräften, sagt aber: Ihr habt weiterhin dasselbe operative Geschäft zu betreiben, nämlich 25 Stunden Unterricht zu machen. Das andere macht Ihr bitte für die A 15 dazu.

Ein solches Konzept hat Grenzen und es endet dort, wo Dinge geschoben werden können. Ich nehme wahr ­ ich glaube sogar, das verallgemeinern zu können ­: Es ist der Personalführungsbereich, der dabei am ehesten Gefahr läuft, zu kurz zu kommen.

Wenn man wünscht, dass Schulentwicklung schneller, nachhaltiger und breiter verankert vorangeht, dann braucht man Zeit für Führung.

Es gab zwischendurch eine Diskussion über Stärkung der Schulleitung durch mehr Macht. Da sage ich: Primär Stärkung der Schulleitung durch mehr Zeit. Mit Schulleitung meine ich dann auch die mittlere Führungsebene. Wenn Sie da etwas tun wollen, dann ausdrücklich nicht in erster für Schulleiter und ihre Stellvertreter ­ das sage ich so für mich, das darf ich auch freihändig ­, sondern für die, auf die wir ganz leicht die Dinge delegieren können, ohne ihnen bisher irgendeine Ressource mit einräumen zu können.

Das ist unser Problem.

Dorothea Schäfer (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW, Essen): Zunächst bedanke ich mich dafür, dass es erstmalig, wie ich vorhin hörte, eine Anhörung zur AVO gibt. Ich halte es für sehr sinnvoll und denke ­ das ist in den vorherigen Statements schon deutlich geworden ­, dass es eine gemeinsame Auffassung unter den unterschiedlichen Sachverständigen gibt, nämlich dass gute Schule Zeit braucht.

Jetzt sind wir erst einmal bei dem Bereich Leitung. Dazu, dass auch Lehrerinnen und Lehrer Zeit brauchen, kommen wir wahrscheinlich nachher noch. Gute Schule braucht Zeit, und Schulleitung braucht Zeit. Deswegen ist es das völlig falsche Signal, den Nordrhein-Westfalen Ausschussprotokoll 14/424

38. Sitzung (öffentlich) schm samtschulschulleitungen in dieser beabsichtigten Änderung der Verordnung massiv Leitungszeit zu streichen.

Eben wurde vom Abgeordneten Hollstein gesagt, er habe mit Stirnrunzeln gelesen, dass die Gesamtschulen mehr als 100 Stellen verlieren. Genau das passiert durch den lapidaren Satz: Der bisherige Satz 4 wird gestrichen. Das sind etwas mehr als 100 Stellen, die den Gesamtschulen wirklich weggenommen werden, die bisher für die verschiedensten Schulleitungsaufgaben dringend benötigt wurden.

Ich finde es sehr interessant, dass plötzlich die Gesamtschule mit dem Gymnasium verglichen wird. Herr Silbernagel hat verschiedene Zahlen für unterschiedliche Schulgrößen genannt. Er hat das Gymnasium und die Realschule mit der Schulleitungsentlastung der Gesamtschule verglichen. Auch in der Stellungnahme von Herrn Peters steht, dass die Gesamtschulschulleitungen immer noch besser wegkommen. Genau das stimmt aber nicht.

Ich kann Ihnen ein einfaches Beispiel nennen: Bis zum Jahr 2000 hatte die Stadt Kamen zwei Gesamtschulen. In diesen beiden Gesamtschulen wurden etwa 1.900 Schülerinnen und Schüler beschult. Dafür standen den beiden Schulleitungen der Gesamtschulen insgesamt 75 Stunden Schulleitungspauschale zur Verfügung. Dann wurde eine Gesamtschule geschlossen, eine Hauptschule und eine Realschule wurden neu gegründet. Inzwischen werden diese drei Schulen ­ die eine Gesamtschule, die Hauptschule und die Realschule ­ von 2.122 Schülerinnen und Schülern besucht.

Wenn man die Leitungszeiten addiert, kommt man auf 98 Entlastungsstunden für Schulleitungsaufgaben. Nun kann man sagen: Da sind ja auch mehr Schüler als vorher.

Wenn man das wirklich vergleichen will, muss man einen Bezug machen: Jetzt kommt eine Anrechnungsstunde auf 21,6 Schülerinnen und Schüler, vorher eine auf 25.

Das heißt, der Satz, der in der Begründung zur Änderung der Verordnung steht, das war bisher alles so ungerecht, jetzt machen wir es endlich gerecht, ist sachlich falsch.

Denn Sie können eine Gesamtschule nicht mit einem Gymnasium vergleichen. Ich habe noch nicht gewusst, dass man am Gymnasium auch ab dem fünften Schuljahr prüfen muss: Welchen Bildungsgang wählt der Schüler? Was ist für ihn geeignet? Kann er vom G-Kurs in den E-Kurs aufsteigen? Muss er noch andere - (Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

­ Nein, das sind Schulleitungsentscheidungen, Beratungsaufgaben. Das machen die Klassenlehrer nicht. Ich weiß nicht, ob ich auf die Zwischenrufe reagieren muss.

Es gibt unterschiedliche Aufgaben. Ich will damit nicht sagen, dass ich der Meinung bin, dass die anderen Schulformen genügend Leitungszeit haben; das habe ich auch in der Stellungnahme ausgeführt. Natürlich hat das Berufskolleg ein ganz differenziertes System, ist aber eine reine Sekundarschule II. Wir haben die Klassen 5 bis 13 wie am Gymnasium, aber wenn ich es aufspalten würde, hätte ich zum Beispiel eine Hauptschule, eine Realschule und ein Gymnasium. Wir müssen das alles innerhalb einer Schulform realisieren ­ das ist auch gut so ­, es erfordert aber über die Aufgaben des Schulleiters hinaus, die nicht anders sind als an den anderen Schulformen, viel Leitungszeit in den anderen Abteilungen. So viel zur Gerechtigkeit.