Situation der öffentlichen Bibliotheken in Hessen

Die Große Anfrage beantwortet die Ministerin für Wissenschaft und Kunst im Namen der Landesregierung wie folgt:

Frage 1. Welche kulturellen Aufgaben sollten nach Auffassung der Landesregierung öffentliche Bibliotheken erfüllen?

Sind sie mit ihrer Aufgabenstellung im digitalen Zeitalter noch zeitgemäß?

Die öffentlichen Bibliotheken sind Teil der eigenständigen Kulturarbeit der Kommunen sowie der freien Träger. Die Landesregierung fördert im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Einrichtung und Unterhaltung öffentlicher Bibliotheken durch ihre finanziellen Zuwendungen und durch fachliche Beratung. Die staatlichen Zuwendungen haben Anreizcharakter und setzen Eigenleistungen der Bibliotheksträger voraus. Diese Position ist unter den Ländern unstrittig und wurde 1994 noch einmal durch eine Empfehlung der Kultusministerkonferenz unterstrichen (3. Empfehlung zum öffentlichen Bibliothekswesen).

Unter öffentlichen Bibliotheken werden solche verstanden, die in der Trägerschaft der Kommunen (oder anderer Körperschaften des Öffentlichen Rechts sowie freier Träger) allgemein zugänglich sind und nach fachlichen Grundsätzen verwaltet werden. Das Land Hessen konzentriert seine finanzielle Förderung auf die kommunalen Bibliotheken. Die öffentlichen Bibliotheken sind Informations-, Bildungs- und Kultureinrichtungen. Sie haben die Aufgabe, der Bevölkerung Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, Bild- und Tonträger und andere Medien bereitzustellen sowie Daten und Informationen zu übermitteln und die Benutzerinnen und Benutzer zu beraten. Sie sollen zur allgemeinen Orientierung und freien Meinungsäußerung beitragen, die Aus-, Fort- und Weiterbildung fördern, die tägliche Berufsarbeit unterstützen und Möglichkeiten für Begegnung und Meinungsaustausch sowie die Gestaltung der Freizeit anbieten. Sie stehen allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern offen, sind förderlich für verantwortliches Handeln des Einzelnen und dienen zugleich der Gesellschaft im demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Über die traditionellen Bibliotheksangebote hinaus verstehen sich öffentliche Bibliotheken heute als Informationszentren und Begegnungsstätten, die gleichzeitig der Leseförderung dienen und kulturelle Aktivitäten ermöglichen. In kleinen Kommunen sind sie oft die einzige kulturelle Einrichtung.

Die Aufgaben der öffentlichen Bibliotheken wandeln sich in der Informationsgesellschaft; sie werden durch die neuen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung nicht überflüssig. Im Gegenteil: In der neuen, sich schnell ändernden Informationsumwelt behält das Lesen als Kulturtechnik entscheidende Bedeutung. Um in diesem Strukturwandel das Entstehen von Barrieren zu vermeiden, muss neben der Lesefähigkeit ("Literacy") immer stärker auch die "Information Literacy" entwickelt werden, das heißt die Fähigkeit, Informationen zu finden, zu bewerten und mit ihnen gestaltend umzugehen.

Das Bild der Bibliotheken wird dadurch künftig noch stärker von der Dienstleistungsqualität, das heißt den personengebundenen Serviceleistungen, geprägt sein. Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare müssen als Experten für die gedruckten wie die elektronischen Medien ihren Nutzern die angemessenen Wege im vielfältigen Geflecht der Daten und in der Informationsflut zeigen und sie für den selbstständigen Umgang mit Daten und Informationen schulen.

Die Funktion der öffentlichen Bibliotheken als Ausleihbibliotheken wird durch die neuen technischen Bedingungen und Möglichkeiten relativ gering tangiert, im Wesentlichen verändert sich das Spektrum der ausgeliehenen Materialien. In sehr viel stärkerem Maße verändert sich aber ihre Funktion als Auskunftsbibliothek (Reference Library). Digitale Informationen und Publikationen sowie die neuartigen Möglichkeiten zur Informationsrecherche wirken sich hier aus. Die Bibliotheken benötigen hierfür speziell weitergebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die finanziellen und rechtlichen Möglichkeiten zur kostengünstigen Vermittlung dieser Online-Angebote. Dies ist bislang im Bereich der hessischen wie auch anderer deutschen öffentlichen Bibliotheken erst in Ansätzen realisiert. In diesem Bereich werden auch die Grenzen zu den wissenschaftlichen Bibliotheken fließend; die bisher stark voneinander separierten Bereiche müssen ein neues Verständnis und Verhältnis zueinander gewinnen.

Um den Strukturwandel und Innovationen der öffentlichen Bibliotheken zu fördern, ist ein Projekt zur Entwicklung einer Deutschen Internetbibliothek von der Bertelsmann-Stiftung gemeinsam mit dem Deutschen Bibliotheksverband ins Leben gerufen worden. Von den hessischen öffentlichen Bibliotheken sind die Stadtbibliotheken Langen und Frankfurt unter den 66 Bibliotheken der ersten Staffel vertreten. Mithilfe eines Internetportals soll ein gleichzeitiger Zugriff auf Internet-Quellen, Print- und Non-Print-Medien sowie frei zugängliche Volltexte ermöglicht werden. Hinzu tritt ein E-MailAuskunftdienst. Durch ein kooperatives Vorgehen sollen die professionellen Erschließungskenntnisse, die personellen Ressourcen und die Medienbestände der Bibliotheken übergreifend organisiert und nutzbar gemacht werden.

Frage 2. Wie schätzt die Landesregierung die derzeitige Lage der öffentlichen Bibliotheken in Hessen im Vergleich mit den anderen Bundesländern ein?

a) Wie viele öffentliche Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft in Kommunen mit mehr als 7.500 Einwohnern gibt es derzeit?

Es gibt in Hessen insgesamt 285 öffentliche Bibliotheken in 188 Kommunen, davon entfallen 169 Bibliotheken (in 133 Kommunen) auf den Bereich der Staatlichen Büchereistelle Darmstadt und 116 öffentliche Bibliotheken (in 54

Kommunen) auf den Bereich der Büchereistelle Kassel.

b) Wie viele Büchereien davon werden hauptamtlich und fachlich geleitet?

Weniger als ein Drittel der hessischen öffentlichen Bibliotheken wird hauptamtlich und fachlich geleitet, dies sind 82 öffentliche Bibliotheken in 77

Kommunen (davon 75 Bibliotheken in 70 Kommunen im Bereich der Büchereistelle Darmstadt). Weitere 29 öffentliche Bibliotheken in 27 Kommunen sind hauptamtlich geleitet, allerdings nicht von ausgebildeten Bibliothekarinnen oder Bibliothekaren. Hinzu kommt die Kreisjugendbibliothek in Alsfeld.

c) Wie viele von ihnen sind mehr als 25 Stunden in der Woche geöffnet?

Die im Sinne einer möglichst guten Erreichbarkeit wünschenswerte Öffnungszeit von 25 Stunden pro Woche wird nur von wenigen kommunalen Bibliotheken in Hessen erreicht oder überschritten: Dies ist bei 16 öffentlichen Bibliotheken in 16 Gemeinden der Fall (davon 2 im Bereich der Büchereistelle Kassel).

d) Hat sich die Zahl der Bibliotheksorte in den letzten zehn Jahren verändert?

Die Entwicklung der Zahl der Bibliotheksorte verlief im zurückliegenden Jahrzehnt in Hessen unterschiedlich. Im Betreuungsbereich der Staatlichen Büchereistelle Kassel kam es zu einer großen Zahl von Zusammenlegungen bzw. Schließungen (Abnahme um 90 auf 247 im Jahr 2000). Dies ist darauf zurückzuführen, dass es in diesem Landesteil infolge der kommunalen Neuordnung der 70er-Jahre besonders viele Einrichtungen in nunmehr unselbstständigen Ortsteilen gab. Auch von den verbliebenen Bibliotheken wird, wie die Antwort auf Frage 2 b) zeigt, der bei weitem überwiegende Teil von ehrenamtlichem bzw. nebenamtlichem Personal betreut.

In den südlichen Landesteilen blieb der Bestand im Großen und Ganzen erhalten, die Anzahl der Bibliothekskommunen sank im zurückliegenden Jahrzehnt lediglich um zwei. Es kam jedoch in diesem Zeitraum zu gegenläufigen Bewegungen: Im Bereich der Kleinst-Büchereien sind sowohl Schließungen als auch (Wieder-)Eröffnungen zu verzeichnen. Bedeutender sind jedoch die Qualitätsverbesserungen im personellen Bereich, die zwischen 1990 und 2000 erreicht werden konnten: Die Anzahl der Bibliothekskommunen mit Fachpersonal erhöhte sich um 27 (davon 19 Diplombibliothekare) von 39 auf 66. In 12 Kommunen wurde erstmals hauptamtliches Personal bereitgestellt (zuvor geringfügige Beschäftigungsverhältnisse).

e) Welche der hauptamtlich und fachlich geleiteten Büchereien erfüllt die im "Bibliotheksplan 73" bundesweit als "bibliothekarische Grundversorgung" genannte Mindestnorm von zwei Medieneinheiten pro Einwohner?

Die genannte Mindestnorm hinsichtlich der Medienausstattung gilt nach dem Bibliotheksplan 73 für Bibliotheken der ersten Stufe, das heißt für Bibliotheken "in der Fläche"; daneben wurde für Orte, die im Sinne der Raumordnung die Funktion eines Oberzentrums wahrnehmen, der Aufbau von Bibliotheken zweiter Stufe gefordert (zur Abdeckung des "spezialisierten höheren Bedarfs auf allen Gebieten"), die mit denen der ersten Stufe eine funktionale Einheit in Form eines Bibliotheksverbundes bilden sollten. Zum Aufbau solcher Bibliotheksverbünde ist es in Deutschland nirgendwo gekommen. Ebenfalls jenseits des Niveaus einer Bibliothek erster Stufe ist die Stadtbücherei Rüsselsheim anzusiedeln, da die Sitzgemeinde regionalplanerisch betrachtet den Status eines Mittelzentrums mit Teilfunktionen eines Oberzentrums besitzt. Diese Bibliothek verfügt über 170.000 Medieneinheiten bei einer Einwohnerzahl von 59.500.

f) Wie viele öffentliche Bibliotheken in kirchlicher oder privater Trägerschaft gibt es zurzeit in Hessen?

Derzeit gibt es in Hessen 351 öffentliche Bibliotheken in kirchlicher bzw. privater Trägerschaft (ein Fall). Für die öffentlichen Bibliotheken in konfessioneller Trägerschaft gibt es kirchliche Fachstellen bei den jeweiligen Bistümern. Da der Zuschnitt der Kirchenprovinzen nicht mit den hessischen Landesgrenzen übereinstimmt, ergibt sich eine Zuständigkeit von vier katholischen und drei evangelischen Fachstellen:

- Evangelische Kirche: Darmstadt (79 Bibliotheken), Düsseldorf (12 Bibliotheken) und Kassel (67 Bibliotheken);

- Katholische Kirche: Fulda (54 Bibliotheken), Limburg (42 Bibliotheken), Mainz (95 Bibliotheken) und Paderborn (1 Bibliothek).

Frage 3. Wie beurteilt die Landesregierung die räumliche Abdeckung der Bibliotheksstandorte, bezogen auf die Landkreise und die Regierungspräsidien?

Im Landesentwicklungsplan 2000, den die Landesregierung im Dezember 2000 durch Rechtsverordnung festgestellt hat, wird die angestrebte Entwicklung Hessens bis zum Ende des laufenden Jahrzehnts in den einzelnen Planungsbereichen dargestellt. In die Planaufstellung wurden die Träger öffentlicher Belange, insbesondere die Kommunen, einbezogen. Darin werden auch angestrebte Standards für die Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungseinrichtungen beschrieben. Hinsichtlich der bibliothekarischen Versorgung finden sich im Landesentwicklungsplan folgende Abstufungen:

- Oberzentren: Zentral- und/oder Fachbibliothek,

- Mittelzentren: öffentliche Bibliothek mit hauptberuflicher Leitung,

- Unterzentren: öffentliche Bibliothek.

In Anlage 1 sind die Informationen über die aktuelle bibliothekarische Versorgung in den verschiedenen zentralörtlichen Systemen zusammengestellt.