Wie sieht es bei den bildungsfernen Teilen unserer Gesellschaft aus Da liegt ein zentrales Problem vor

Ausschuss für Generationen, Familie und Integration (40.) 09.11.

Ausschuss für Schule und Weiterbildung (48.) me Prof. Dr. Dr. Konrad Ehlich: Die Bedeutung der Elternarbeit kann nur nachdrücklich unterstrichen werden. Wenn wir das aber ein bisschen differenzieren, dann haben wir sehr unterschiedliche Situationen. Ich weiß nicht, was der genaue Gegensatz zu bildungsfern ist, ich sage einmal: bildungsnah. Die bildungsnahen Schichten der Bevölkerung machen das ohnehin. Diese Eltern sind im Allgemeinen intensiv involviert und tun etwas für ihre Kinder, damit es sprachlich gut vorangeht. Da wird gelesen usw.

Wie sieht es bei den bildungsfernen Teilen unserer Gesellschaft aus? Da liegt ein zentrales Problem vor. Wenn wir uns die Migrationssituation ansehen, dann herrscht dort eine etwas andere Lage. Maßnahmen, die dort gemacht werden - Elternkontakte usw. - erreichen häufig die Gruppen, die ohnehin hoch motiviert sind. Das ist sozusagen der Sesamstraßeneffekt, ein herrliches Programm für Kinder, die schon gelernt haben, mit Sprache zu spielen usw. Ich weiß nicht, inwieweit die ursprüngliche Zielgruppe tatsächlich erreicht worden ist.

So ähnlich ist es auch mit der Elternarbeit. Hier ist systematisch die Fantasie zu neuen Formen gefragt, um mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, die von all diesen Dingen sehr weit entfernt sind. Ein wichtiger Punkt für die Eltern, die in der Migration nach Deutschland gekommen sind, ist ein intensiverer Kontakt zwischen den Bemühungen, von denen wir hier reden, einerseits und den Migrationssprachkursen andererseits. Wir sind gerade dabei, dort ein Rahmencurriculum zu entwickeln, wobei dann Schule und der Kontakt der Eltern mit den schulbezogenen Institutionen, Kindertagesstätten etc. eine größere Rolle spielt, als es etwa beim gemeinsamen europäischen Referenzrahmen der Fall ist. An den gesellschaftlichen Maßnahmen muss systematisch gearbeitet, diese müssen verzahnt werden. Ich weiß nicht, ob es gute Erfahrungen gibt, die verallgemeinert werden könnten, wie man an die Eltern herankommt, die am meisten in Bezug auf eine Veränderung auch ihres sprachlichen Verhaltens gegenüber ihren Kindern gefragt sind.

Christiane Bainski (Hauptstelle der RAA Essen): Wir haben in unseren Konzepten im Verbund der RAA die Zusammenarbeit mit den Eltern schon von klein auf bis in den Übergang Schule, Beruf integriert und vielfältige Erfahrungen gemacht. Es ist aber nicht nur im Zusammenhang mit der Sprachförderung wesentlich, die Eltern einzubeziehen. Gerade heute haben Eltern in der Frage der Erziehung ihrer Kinder eine Vielzahl von Fragen. Dafür brauchen sie kompetente Ansprechpartner und -partnerinnen. Wenn sie diese im Fachpersonal der Kindertageseinrichtung oder der Schule finden, stärkt das die Zusammenarbeit und macht die Wege kürzer, um bei problematischen Sichtweisen oder Erfahrungsweisen bei Kindern schneller intervenieren oder die Elternhäuser einbeziehen zu können.

Mit dem Programm Rucksack haben wir beispielsweise im Bereich der Grundschule die Erfahrung gemacht, dass die Eltern, die darüber informiert werden, welche Lernstrategien, welche Lernformen die Grundschule einsetzt, ihre Kinder von zu Hause aus ganz anders unterstützen können, um den Unterricht allein vom Herangehen, von den Lernhaltungsfragen her zu verstehen.

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Im Sprachförderbereich kommt noch folgender Aspekt hinzu: Wenn die Eltern - wir haben in Nordrhein-Westfalen das Elternnetzwerk NRW. - Integration miteinander, von Herrn Kufen moderiert, dem Integrationsbeauftragten der Landesregierung - sehr klar sagen, sie wünschen sich, dass die Mehrsprachigkeit ihrer Kinder gestützt wird, dann sind gerade Projekte oder Konzepte der Zusammenarbeit mit Eltern sehr hilfreich, die genau da ansetzen. Im Bereich der frühen Bildung kann das geschehen, indem man die Eltern zu Experten ihrer Familiensprachen macht oder mit Fachpersonal, das zwei- oder mehrsprachig ist, unterstützend eingreift. Die Regeleinrichtung ist dann die Einrichtung, wo Deutsch - auch als Zweitsprache - kompetent vermittelt wird, am besten in Abstimmung miteinander.

Auch in schulischen Fragen kann dies genutzt werden, denn es wird immer wieder betont, wie wichtig es ist, die Ressource der Familiensprache nicht einfach verkümmern zu lassen und Deutsch als Zweitsprache sowie die Familiensprache insgesamt im Sprachbesitz der Kinder zu stärken. Dabei ist die Zusammenarbeit mit den Eltern ein wesentlicher Faktor.

Die Frage von Prof. Ehlich war: Wie kommen wir an die eher bildungsfernen Schichten heran? Es ist nicht unbedingt so, dass wir immer nur Eltern aus bildungsnahen Schichten haben. Im Ruhrgebiet mache ich die Erfahrung, wenn wir mit Rucksack, Griffbereit oder ähnlichen Programmen in Kindertageseinrichtungen arbeiten, die wir begleiten, dass das sehr gemischt ist, dass gerade Eltern mit einem Migrationshintergrund eine hohe Bildungsaspiration für ihre Kinder mitbringen. Sie möchten nämlich, dass sie hier erfolgreich sind, dass es ihnen einmal besser geht. Wir haben eher die Erfahrung, dass es schwieriger ist, Eltern abzuweisen, weil man nicht so viel Geld hat, um zum Beispiel Elternbegleiter zu finanzieren oder vergleichbare Programme durchzuführen, als dass wir die Eltern nicht gewinnen könnten, interessiert mitzuarbeiten.

Wenn wir schon das Elternnetzwerk im Land haben, das zumindest etwa 100 Elternvereine von Eltern mit einer Zuwanderungsgeschichte zusammenführt, dann ist bei den weiteren Maßnahmen stärker zu prüfen, wie die Kompetenz dieser bereits organisierten Elternschaft in Fragen der gemeinsamen Förderentwicklung einzubeziehen ist.

Helga Tillmann (Zentralverband der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Einrichtungen der katholischen Kirche Deutschlands): Elternarbeit ist auf jeden Fall ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil, nicht nur was die Sprachförderung, sondern überhaupt die gesamte pädagogische Arbeit in den Einrichtungen angeht. Wir stoßen aber an unsere Grenzen, wenn wir feststellen, dass wir es mit Eltern zu tun haben egal ob sie türkischer oder polnischer Herkunft sind -, die nicht unbedingt bereit sind, die deutsche Sprache zu erlernen. Wir haben es in den Einrichtungen häufig mit Frauen zu tun, die zu Hause sind, die an keinen Sprachförderprogrammen teilnehmen, die auch keiner Arbeit nachgehen, um die wir uns intensiv kümmern müssen, um ihnen überhaupt vermitteln zu können, was wir von ihnen wollen. Das endet in der Regel damit, dass wir darum bitten, dass der Vater, der die Sprache besser beherrscht, wenn er irgendwo arbeitet, anruft und sich erkundigt.

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Ausschuss für Schule und Weiterbildung (48.) me Sie merken schon: Das ist ein ungeheuer zeitaufwendiges Verfahren. Wir stoßen oft an unsere Grenzen und fragen uns: Wie sollen wir das alles noch leisten? Dafür gibt es auch keine Mittel. Ich würde sagen, es muss verpflichtend sein, egal aus welchem kulturellen Hintergrund man kommt, und ich frage mich, warum man es bei einer türkischen Frau nicht für erforderlich hält, dass sie die deutsche Sprache erlernt. Das würde vieles sehr vereinfachen. Ansonsten müssen wir einen äußerst mühsamen Weg beschreiten, der ausgesprochen zeitintensiv ist.

Petra Swetik (Fachverband für Kinder- und Jugendhilfe der AWO im Bezirksverband Mittelrhein): Ich möchte das auch unterstützen. Elternarbeit ist ein wesentliches Element in der Sprachförderung der Kinder. Wir müssen dort in der gleichen Art und Weise ansetzen wie bei der pädagogischen Arbeit mit den Kindern. Wir müssen die Eltern da abholen, wo sie sind. Es gibt mit Sicherheit Eltern, die wir an die Hand nehmen, denen wir zeigen müssen: Wie kann Sprachförderung zu Hause passieren? Da, wo sie schon stattfindet, müssen wir sie stärken, damit das noch intensiver geschieht. Die Idee von Frau Prof. Fried, viel mit Bildern zu arbeiten, ist mit Sicherheit sehr unterstützend, denn auch Eltern können die Bilder abspeichern und besser für sich übersetzen.

Wir müssen den Eltern Sprachpartner in den Einrichtungen bieten. Wenn sie mit ihrer Sprache kommen und das ihre Grundlage ist, dann müssen sie jemanden haben, auf den sie vertrauensvoll zugehen können, der ihre Sprache versteht. Das ist ein wesentliches Element. Wir müssen auch verstehen, dass Sprache nicht isoliert zu sehen ist. Sprache hat mit Kultur, mit Weltanschauung, mit Werten zu tun. Die Menschen, die mit einer anderen Sprache kommen, kommen auch mit einer anderen Weltanschauung, anderen Wertigkeiten und Wertesystemen. Wenn ich ihnen dann sage, was hier alles wichtig ist für ihr Kind, während sie aus einem ganz anderen kulturellen Zusammenhang, mit einem ganz anderen Selbstverständnis kommen, dann können wir viel miteinander reden - vorausgesetzt wir verstehen wenigstens die Sprache -, reden aber trotzdem ständig aneinander vorbei.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Die gleiche Handbewegung heißt im Deutschen: Bleib bloß weg! Im Griechischen bedeutet sie: Komm her! Das ist die gleiche Verhaltensweise. Wenn ich so etwas einsetze und das nicht weiß, kann ich die Eltern nicht erreichen und unterstützen. Die Teams in Tageseinrichtungen benötigen Kenntnisse über Kulturen und auch über Empfindlichkeiten. Gerade unter den Migranten sind sehr viele nicht alphabetisierte Menschen. Das heißt, sie müssen ganz anders angesprochen werden. Dann hilft mein Aushang nicht, dann muss ich mit Symbolen, mit anderen Instrumenten arbeiten.

Heinz-Josef Kessmann (Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege): Frau Prof. Fried, ich hoffe, Sie haben gehört, über welche Praxisschwierigkeiten berichtet wurde. Diese lassen es nicht wahrscheinlich erscheinen, dass sich solche Eltern mit dem Camcorder selbst aufnehmen und es dann auch noch in die Tageseinrichtung bringen, sondern es mangelt dort vermutlich allein schon am Camcorder.