Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG)

Am 20. Oktober 1999 brannte im Werk Darmstadt der MERCK KGaA die Polyproduktionsanlage zur Herstellung von Pharmawirkstoffen und Chemikalien (interne Bezeichnung G1) weitgehend ab. Die Anlage war nach dem BundesImmissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftig und unterlag den Pflichten der 12.

Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Störfall-Verordnung). Der Betreiber der genannten Anlage war daher verpflichtet, diese Anlage entsprechend dem Stand der Sicherheitstechnik zu betreiben, d.h. von sich aus die erforderlichen Maßnahmen zur Anpassung an den Stand der Sicherheitstechnik zu ergreifen. Aufgrund der im Zusammenhang mit dem Brand bekannt gewordenen Tatsachen ergeben sich Fragen betreffend des bisherigen und geplanten Vollzugs des Bundes-Immissionsschutzgesetzes durch die Hessische Landesregierung.

Diese Vorbemerkung der Fragestellerin vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Frage 1. Welche rechtskräftigen Genehmigungen auf welcher Grundlage waren von welcher Behörde wann für Einrichtung und Betrieb der Anlage erteilt worden?

Auf die als Anlage beigefügte Aufstellung weise ich hin.

Frage 2. Nach § 5 Abs. 3 der Störfall-Verordnung hat der Betreiber einer entsprechenden Anlage die Behörden im Fall einer Betriebsstörung unverzüglich, umfassend und sachkundig zu beraten.

a) Welche Maßnahmen zur Beratung der Behörden erfolgten im genannten Fall durch den Betreiber?

b) Wann war den zuständigen Behörden bekannt, welche Stoffe in welchen Mengen in der Anlage zum Zeitpunkt des Brandes vorhanden waren?

c) Welche Konsequenzen wurden von ihnen daraus gezogen?

Zu 2 a):

Im vorliegenden Falle erfolgte die Information des Regierungspräsidiums Darmstadt hinsichtlich des Störfalleintritts einmal als D-3-Meldung an das Führungs- und Lagezentrum beim RP Darmstadt und darüber hinaus durch den Betreiber unverzüglich per Telefon beim zuständigen Immissionsschutzdezernat des RPU Darmstadt, das wiederum sein zuständiges Abfall- und Abwasserdezernat sowie die Behördenleitung informierte.

Vor Ort wurde die Berufsfeuerwehr im Info-Stab vom Leiter des Bereiches Umweltschutz, Feuerwehr und Sicherheit sowie vom Betriebsleiter des Gebäudes G1 beraten.

Die übrigen Behörden wurden in einem vom Info-Stab abgekoppelten Raum durch Vertreter der Firma MERCK KGaA informiert.

Zu 2 b):

Der Störfall geschah am 20. Oktober 1999 um 12.03 Uhr.

Bei Einweisung der ersten externen Einsatzkräfte (12.13 Uhr) wurden Xylol und Toluol als die brennenden Lösungsmittel angegeben. Im Info-Stab wurde diese Information bestätigt. Es konnten keine Angaben über die Mengen und über weitere betroffene Stoffe gemacht werden.

Die übrigen Behörden wurden vor Ort, der Lage entsprechend, über die zu diesem Zeitpunkt bekannten beteiligten Stoffe informiert.

Weitere Nachfragen am Brandtag hinsichtlich der Beteiligung von brom und chlorhaltigen Stoffen am Brandgeschehen durch das Immissionsschutzdezernat trugen zur weiteren Klärung der Lage bei.

Eine vollständige Aufstellung der Apparatebelegung in der Anlage mit Apparatenummer, Lösungsmittel und beteiligter Menge an Lösungsmitteln wurde von der Firma MERCK KGaA am 26. Oktober 1999 vorgelegt.

Zu 2 c):

Die Anforderung der öffentlichen Feuerwehr erfolgte am 20. Oktober 1999 um 12.06 Uhr. Im Laufe des Einsatzes wurden alle Kräfte der Berufsfeuerwehr und der Freiwilligen Feuerwehren der Stadt Darmstadt sowie der Werkfeuerwehr Röhm zur Brandbekämpfung eingesetzt.

Um 12.30 Uhr wurden die Zentralen Leitstellen der Landkreise DarmstadtDieburg und Groß-Gerau durch die Leitstelle der Berufsfeuerwehr über den Störfall informiert.

Die Warnung der Anlieger über das Nachbarschafts-Informations-System (NIS) erfolgte um 12.30 Uhr durch die Firma MERCK KGaA.

Um 12.35 Uhr wurde die Warnung der Bevölkerung über Rundfunk veranlasst, ein Polizei-Hubschrauber beobachtete den Verlauf der Wolke, die in 400 m bis 800 m Höhe zog.

Messfahrzeuge der Berufsfeuerwehr Darmstadt, des ABC-Zuges der Freiwilligen Feuerwehr Arheilgen und der Werkfeuerwehr wurden um 12.15 Uhr alarmiert und nahmen Messungen an den Werkgrenzen vor, wobei alle Messwerte deutlich unterhalb des MAK-Wertes lagen.

Aufgrund des Ausmaßes des Brandes wurden durch das Regierungspräsidium Darmstadt, Abt. Staatliches Umweltamt, unmittelbar nach dem Brand eine Probenahme und die anschließende Analytik hinsichtlich PCDD/F und PAK durch einen unabhängigen Gutachter veranlasst.

Ergebnis war, dass in Abwindrichtung außerhalb des Werkgeländes keine Belastungen aufgrund brandbedingter Schadstoffsedimentationen stattfanden.

Frage 3. Die letzte bekannte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Anlage wurde am 28. August 1997 vom Regierungspräsidium Darmstadt erteilt. Nach Aussagen eines Mitarbeiters der MERCK KGaA am 21. Oktober 1999 wurde von dieser kein Gebrauch gemacht.

a) Entspricht diese Aussage dem der Landesregierung vorliegenden Kenntnisstand?

b) Wann wurde der Verzicht auf diese Genehmigung der zuständigen Behörde rechtskräftig mitgeteilt?

c) Welche Maßnahmen hat die zuständige Behörde ergriffen, um die zahlreichen Nebenbestimmungen, wie z. B. die Verbesserung des Brand- und Explosionsschutzes der bestehenden Anlage, nach Bekanntwerden des Verzichtes auf die Genehmigung umzusetzen?

d) Ist der Landesregierung bekannt, ob Defizite bezüglich der Umsetzung dieser Nebenbestimmungen zum Zeitpunkt des Brandes bestanden haben?

Wenn ja, welche waren dies?

Zu 3 a):

Die letzte immissionsschutzrechtliche Genehmigung datiert vom 28. August 1997. Von der Genehmigung wurde Gebrauch gemacht. Die Inbetriebnahme der geänderten Anlage wurde mit Schreiben vom 5. Dezember 1997 der Überwachungsbehörde mitgeteilt.

Zu 3 b) und 3 c):

Ein Verzicht auf die am 28. August 1997 erteilte Genehmigung liegt nicht vor.

Zu 3 d):

Die Brandschutzauflagen nach Abschnitt 4 der Genehmigung wurden umgesetzt. (Ergebnis der Nachschau vom 25. Februar 1998.) Defizite bezüglich der Umsetzung der Nebenbestimmungen zum Zeitpunkt des Brandes sind nicht bekannt.

Frage 4. Im Rahmen der Pressekonferenz der MERCK KGaA am 21. Oktober 1999 wurde bekannt, dass eine Ausbreitung des Brandes über die brennbare Dacheindeckung von einem Brandabschnitt in andere möglich gewesen war, da die Brandwände entgegen der einschlägigen Vorschrift des Verbandes der Sachversicherer nicht über das Dach hochgezogen waren, d.h. Dach und Brandwände entsprachen nicht dem Stand der Sicherheitstechnik.

a) War dieser Sachverhalt den zuständigen Behörden bekannt?

b) Wann wurde die letzte Inspektion der Gesamtanlage durch eine Behörde oder einen von ihr beauftragten Sachverständigen durchgeführt?

c) Welche Aussagen sind im entsprechenden Inspektionsbericht oder Gutachten betreffend Defizite im Brand- und Explosionsschutz, insbesondere bezüglich der Brandwände, enthalten?

Zu 4 a):

Das Gebäude G1 ist in drei Brandabschnitte unterteilt, die Brandwände entsprechen § 30 (6) HBO. Im Dachbereich existieren Auskragungen von 50 cm in F-90-Qualität.

Zu 4 b):

Die Durchführung der Brandverhütungsschau wurde der Werkfeuerwehr übertragen. Die letzte Brandverhütungsschau fand am 11. November 1997 statt.

Die letzte Inspektion der Gesamtanlage fand im Rahmen des Sonderprogramms "Anlagensicherheit" in der Zeit vom 16. September 1999 bis 5. Oktober 1999 statt.

Zu 4 c):

Bei der oben genannten Brandschau wurden ein Brandwanddurchbruch und die Funktionsfähigkeit einer Brandschutztür beanstandet. Im Bericht der Nachschau vom 25. Februar 1998 wurde die Beseitigung dieser Mängel festgestellt.

Der Prüfbericht der TÜ Hessen GmbH vom 20. Dezember 1999 im Rahmen des Sonderprogramms "Anlagensicherheit" kommt zu folgendem Ergebnis: Technischer Brandschutz

Es wird empfohlen, die Sturzmelder sturzbündig zu montieren.

Da die Leitungen in den Leitungsdurchführungen zwischen Produktion und Treppenhäusern nur in geringer Anzahl durchgeführt sind, wird empfohlen, sie zu vereinzeln und separat einzumörteln.

Es wird empfohlen, zur Entlüftung des Aufzugsmaschinenraumes Süd (G1

631) eine Kernbohrung über Dach anzubringen oder den vorhandenen Lüftungskanal mit einer I-30-Umhüllung zu versehen.

Die PVC-Platten über dem Heizungsrohrschacht im Treppenhaus Nord sind zu entfernen oder durch nicht brennbare Abdeckungen zu ersetzen.

Organisatorischer Brandschutz Folgende Prüfungsdokumentationen sind von der Werkfeuerwehr noch vorzulegen bzw. nachzureichen: Berichte über die Prüfungen der Feststellanlagen der Brandschutztüren, Nachweis über die Prüfung der Feuerwehrschläuche (sollten die Schläuche nicht mehr benötigt werden, so sind sie aus den Treppenräumen zu entfernen). Organisatorischer Explosionsschutz

Obwohl die elektrische Installation im gesamten Bereich (auch in Zone 2) explosionsgeschützt ausgeführt ist, sollte auch im Hinblick auf die ExVO (die den nicht elektrischen Explosionsschutz ab 2003 ausschließlich regelt) der Explosionschutz hinsichtlich der elektrostatischen Probleme berücksichtigt werden.

Folgende Maßnahmen sind zu ergreifen: Weitestgehende Vermeidung von elektrisch nicht leitfähigen Kunststoffen in Zone 1 durch z. B. - Entfernen der Abdeckhauben an den Feuerlöschern,

- Ersatz der Müllsäcke durch Papiersäcke oder elektrisch leitfähige Kunststoffsäcke bzw. Einsatz von Metalleimern,

- Entfernen von Planabdeckungen (über Fässern) in Zone 1 vermeiden,

- Vermeidung von elektrostatischen Aufladungen durch Aufbringen von Hinweisen wie "Ausschließlich feucht reinigen" auf Kunststoffflächen,

- Unterweisung der Mitarbeiter hinsichtlich der Gefahren durch Elektrostatik.

Die Zonen der Kesselwagenfüllstelle sind nach TRbF 111 festzulegen.

Frage 5. Nach vorliegenden Informationen erfolgten die Explosion und der Brand aufgrund eines Lecks in einer Kunststoffleitung, durch die brennbare Lösemittel gepumpt wurden.

a) Unterlag diese Leitung der Druckbehälter-Verordnung und/oder der Anlagenverordnung (VaWS: Verordnung des Umweltministeriums über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen und über Fachbetriebe)?

b) Für welche Stoffe und Betriebsdrücke war die Leitung zugelassen worden?

c) Wann war diese Leitung zuletzt im Auftrag einer Behörde oder durch eine Behörde geprüft worden?

d) Wann sollte die nächste Prüfung erfolgen?

e) Wie war die Leitung im Hinblick auf die Einhaltung der Verordnung über brennbare Flüssigkeiten (VbF: Verordnung über Anlagen zur Lagerung, Abfüllung und Beförderung brennbarer Flüssigkeiten zu Lande) und gegebenenfalls im Hinblick auf oben genannten Verordnungen beurteilt worden?