Spenden

Zum anderen haben Sie vorhin gesagt, dass es ganz wichtig ist, die Männer mitzunehmen, insbesondere in den Communities bzw. in den Migrationskreisen. Auf wie viel Widerstand stoßen Sie? Haben Sie Erfahrungen darüber, wieweit man bereit ist, offen mitzuarbeiten und das Thema offen anzugehen?

Franziska Gruber (Terre des Femmes e. V., Menschenrechte für die Frau, Tübingen): Zu den Zahlen: Dadurch, dass es in Deutschland keine Meldepflicht gibt, gibt es keine zuverlässigen Zahlen, wie viele Frauen tatsächlich in Deutschland leben, die bereits betroffen sind, und wie viele Mädchen gefährdet sind. Terre des Femmes hat vom Statistischen Bundesamt die Zahlen der in Deutschland offiziell gemeldeten Migrantinnen aus den afrikanischen Verbreitungsländern und weiß über Quellen wie UNICEF und die WHO, wie hoch die Beschneidungsrate in den jeweiligen Herkunftsländern ist. Sie variiert von annähernd 100 % bis zu wenigen Prozenten in einigen Ländern, weil Genitalverstümmelung stark von der ethnischen Zugehörigkeit und nicht von der Staatsangehörigkeit abhängt.

Ich nenne die bundesweiten Zahlen: Wir gehen aufgrund dieser Berechnung, die eine Schätzung ist, davon aus, dass mindestens 19.000 bereits betroffene Frauen im gesamten Bundesgebiet leben. Wir stufen die Mädchen, die aus diesen Ländern gemeldet sind, die unter 15 Jahre alt sind ­ die Zahlen kann man beim Statistischen Bundesamt erfragen ­, als gefährdet ein. Das sind im Moment 4.000 bis 5.000. Wir gehen aber davon aus, dass diese Zahlen eindeutig eine Untergrenze darstellen, weil in der Statistik nicht die Frauen erfasst werden, die illegal in Deutschland leben oder diejenigen, die mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft haben, was aber nicht automatisch bedeutet, dass sie gegen Genitalverstümmelung sind. Das heißt, die Töchter dieser Frauen sind unter Umständen auch gefährdet. Sie sind in dieser Statistik nicht erfasst.

Für Nordrhein-Westfalen haben wir uns die Zahlen vom Statistischen Landesamt geben lassen. Demnach leben 16.000 Frauen aus den Verbreitungsländern hier. Anhand der Beschneidungsraten in den jeweiligen Herkunftsländern gehen wir davon aus, dass ein Drittel bis die Hälfte betroffen ist. Aber das ist eine Schätzung. Das heißt, es gibt keine gesicherten Zahlen darüber. Es ist sehr schwierig zu sagen, wie viele gefährdete Mädchen hier in Nordrhein-Westfalen leben. Ich denke, dass die Erfahrungen, die Jawahir Cumar bei Stop Mutilation macht, auch eine eigene Sprache sprechen, dass sehr viele Betroffene kommen und Rat suchen.

Zur medizinischen Behandlung: Zu den Kosten einer Defibulation kann vielleicht auch Frau Cumar etwas sagen. Meines Wissens kostet sie zwischen 300 und

Es ist bedauerlich, dass weder Herr Dr. Zerm noch Frau Dr. Müller da sind.

Meines Wissens nach ist es so, dass die OP nicht im Diagnoseschlüssel erfasst ist und damit immer ein Problem besteht, diese Leistungen abzurechnen. Da wäre es sicher sinnvoll, von medizinischen Expertinnen und Experten etwas zu hören.

Renate Bernhard (Solingen): Ich kann dazu nur ergänzend sagen, dass ich weiß, dass man bei Balance, wo Dr. Sabine Müller gearbeitet hat, sehr stark auf Spenden angewiesen ist. Viele Frauen kommen, die gar nicht versichert sind, weil sie hier ille gal sind. Das war die einzige Anlaufstelle für betroffene Frauen, wo sie überhaupt Betreuung finden konnten mit diesen massiven gynäkologischen Problemen, die solche Frauen mitunter haben. Wenn man sich vorstellt, dass man nicht einmal ganz normal pinkeln kann, dass man unter Umständen eine halbe Stunde braucht, um sich von dem Urin zu befreien. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man so leben kann. Das ist Realität für die Frauen, abgesehen von den Menstruationsbeschwerden. Diese Frauen finden oft keine medizinische Betreuung, vor allem wenn sie illegal hier sind.

Franziska Gruber: Im Moment ist es so ­ das haben Sie, Frau Pieper-von Heiden, angesprochen ­, dass es keine Meldepflicht für Ärzte gibt, wenn sie eine Genitalverstümmelung feststellen. In Deutschland ist die ärztliche Schweigepflicht sehr hoch angesiedelt. Ärzte haben nach der geltenden Rechtslage meines Wissens die Möglichkeit, ihre Schweigepflicht zu brechen. Allerdings sind sie in Deutschland dazu nicht verpflichtet. Deshalb fordert Terre des Femmes, dass es eine Meldepflicht für Ärzte an das Jugendamt geben soll, wenn sie feststellen, dass Minderjährige in Deutschland genitalverstümmelt sind, um dann besonders die jüngeren Geschwister oder andere weibliche Familienangehörige in der Familie durch Gespräche von Mitarbeiterinnen des Jugendamtes oder auch durch Untersuchungen zum Beispiel vom Kinderarzt oder der Kinderärztin zu schützen.

Wichtig ist auch, die Eltern über die Integrationskurse zu erreichen. Deswegen haben wir uns dafür eingesetzt, dass Informationen über bestehende Beratungsangebote stärker integriert werden. Wir wollen uns an die Träger der Integrationskurse wenden, um die Präventionsbroschüren bekannt zu machen. Dabei sind wir aber auch auf Unterstützung angewiesen. Wir sind eine Nicht-Regierungsorganisation, die das nicht in dem Maße leisten kann.

Es wurde gefragt, welche Erfahrungen es in anderen EU-Ländern gibt. Ich möchte zwei Beispiele nennen: Frankreich hat ein sehr restriktives Vorgehen. Frankreich ist eines der wenigen EU-Länder, in denen es bereits Prozesse gegen Eltern und Beschneiderinnen gegeben hat, mittlerweile über 30 Prozesse. Das ist für die betroffenen Familien, in denen Töchter ihre Eltern angeklagt haben, ganz schwierig. Soweit ich weiß, ist in Frankreich unter den Migrantinnen und Migranten das Wissen verbreitet, dass Genitalverstümmelung in Frankreich verboten ist. Dort gibt es nicht mehr den Umstand, dass Migrantinnen einreisen und lange Zeit nicht wissen, dass in Europa Genitalverstümmelung in allen Ländern unter den Straftatbestand der Körperverletzung fällt oder in anderen Ländern explizit durch Gesetze verboten ist.

In Schweden gibt es ein Modell, das weniger restriktiv ist. Es setzt mehr auf den Dialog mit den Communities. Ich denke, man sollte in Deutschland eine Mischung aus beiden Maßnahmen versuchen, einerseits klarzustellen, dass es nicht toleriert wird, dass Mädchen dieser schweren Menschenrechtsverletzung ausgesetzt werden; gleichzeitig ­ das zeigen auch die Verbote in afrikanischen Ländern ­ reichen Gesetze allein ohne Aufklärung, ohne Dialog nicht aus und sind nicht wirksam.

Was die Männer angeht, so müssen wir von Terre des Femmes sagen: Es ist schwierig, die Männer zu erreichen. Wir versuchen das über unsere Unterrichtsmap pe, in der wir auch ein Kapitel haben, warum betrifft das Thema auch Jungen? Es ist wichtig, dass klar wird, dass das Thema nicht nur Mädchen etwas angeht.

Ich möchte gerne auf die Frage von Ihnen, Frau Steffens, antworten, ob die Aufklärung an Schulen nicht zur Stigmatisierung führt. Wir haben uns sehr viele Gedanken gemacht. Unsere Unterrichtsmappe ist so aufgebaut: Das erste Kapitel behandelt den Alltag von Mädchen und Jungen in afrikanischen Ländern, um die rassistischen Vorurteile und Klischees, die auch schon Kinder über afrikanische Länder haben, abzubauen.

Wir haben Unterrichtsvorschläge, in denen es auch um Themen geht, die die Jugendlichen hier stark beschäftigen, nämlich Schönheitsoperationen und Essstörungen, gesellschaftlicher, vielleicht etwas subtilerer Druck, der besonders auf Mädchen lastet, bestimmten Idealen zu folgen. Das ist natürlich nicht 1:1 auf die Genitalverstümmelung übertragbar. Es geht auch darum, Jugendliche zur Reflektion anzuregen, welche gesellschaftlichen Zwänge dazu führen, dass Menschen sich so oder so verhalten, um etwas mehr Verständnis für die Hintergründe dieser Praxis zu bekommen, was aber nicht heißen soll, dass sie irgendwie gerechtfertigt werden soll.

Jawahir Cumar (Stop Mutilation e. V., Düsseldorf): Frau Steffens hat gefragt, wie hoch der Bedarf ist. Wir haben durchschnittlich 15 bis 20 Beratungen in der Woche, nicht nur aus Düsseldorf, sondern aus Dortmund, Bonn, Köln, Mönchengladbach.

Wenn eine Frau aus Dortmund kommt, um sich zu beraten, dann hat sie schon wichtige Gründe. Der Bedarf ist sehr groß. Wir haben allerdings nur drei Personen, die beraten können.

Unsere Beratungsstelle wird nicht vom Land Nordrhein-Westfalen finanziert. Wir haben einen Raum von der Diakonie. Wir benutzen ihn mit mehreren Vereinen, sodass wir unsere Termine haben. Wenn eine Frau um 8 Uhr abends Zeit hat ­ ihr Mann ist zu Hause und passt auf die Kinder auf ­, dann können wir den Raum manchmal nicht nutzen. Dann muss die Frau zu mir nach Hause kommen oder wir müssen uns außerhalb treffen. Der Raum gehört uns selber nicht. Wir haben zwei Männer und mich, die beraten.

Es gibt sehr viele Männer, die sich interessieren oder Fragen haben. Sie würden aber lieber mit einem Mann sprechen. Wir haben einen Jüngeren aus Eritrea und einen Mann aus Somalia. Beide sprechen englisch, einer spricht französisch und deutsch. Viele Männer melden sich zur Beratung an und haben Fragen zu dem Thema. Dann findet eine Beratung unter Männern bzw. Frauen statt. Wir haben vom Land Nordrhein-Westfalen Gelder für unseren Verein Stop Mutilation bekommen. Wir machen Fotoausstellungen ­ im Juni 2006 war die Ausstellung im Landtag. Für die Beratungen bekommen wir kein Geld. Wir versuchen, andere Räumlichkeiten mit Spendengeldern zu mieten. Das hat bis jetzt noch nicht geklappt. Wir sind auf der Suche. Wir müssen eben immer mit den anderen Vereinen kooperieren, an welchen Tagen wir den Raum nutzen können. Wir haben offiziell drei Beratungstage. Darüber hinaus beraten wir auch oft abends, weil die Frauen oft erst abends, samstags oder sonntags können.