Sabine Müller arbeitet nicht mehr bei Balance

Wie viel kostet die Defibulation? Das kostet 350 bis 500, die Narkose allein beträgt über 200. Wir haben, Gott sei Dank!, Ärzte, die sagen, den Eingriff machen wir so, aber die Narkose muss man doch bezahlen. Das kostet immer zwischen 350 und 500.

Ob wir uns mit anderen Beratungsstellen vernetzen: Zu Berlin habe ich keine Kontakte. Die Beratungsstelle in Berlin ist meines Wissens nach geschlossen.

Renate Bernhard: Dazu kann ich etwas sagen. Sabine Müller arbeitet nicht mehr bei Balance. Es gab offenbar persönliche Schwierigkeiten. Ich weiß nicht, inwieweit sie noch beratend tätig sind. Wir haben letztes Jahr unseren Film gezeigt und sind politisch tätig. Sabine Müller macht weiterhin Beratungen auch privat und sehr engagiert.

So richtig entwickelt scheint mir das da nicht. Beschwören kann ich es nicht. Da müsste man nachfragen.

Jawahir Cumar: Wir haben Kontakte mit der Beratungsstelle in Frankfurt. Wir haben gute Kontakte bei Terre des Femmes. Sie vermitteln uns auch Frauen. Auch haben wir Kontakte zu einem Verein, der auch in Frankfurt sitzt. Sie schicken auch Frauen zu uns. Ob es die Beratungsstelle in Berlin noch gibt, weiß ich nicht.

Renate Bernhard: Wir haben in unserem Film eine koptische Familie aus dem Sudan, die es nur dem beherzten Eingreifen eines Pfarrers verdankt, dass sie heute noch hier lebt und dass sie nach einem achtjährigen Kampf endlich Asyl bekommen hat. Sie waren hierher gekommen als Kriegsflüchtlinge. Das war der schwerste Fall, den Frau Dr. Sabine Müller zu betreuen hatte. Die Frau sagte: Ihr Leben stand im Zeichen des Messers. Sie wurde in der Hochzeitsnacht aufgeschnitten, sie wurde zu jeder Geburt aufgeschnitten und wieder zugenäht. Insgesamt wurde diese Frau neun Mal an ihren Genitalien operiert und leidet jetzt unter nicht mehr zu bekämpfenden anhaltenden Schmerzen und immer wieder auftretenden neuen Abszessen.

Nach den Operationen kamen immer noch Komplikationen dazu. Dieser Frau ist nur mit einer lebenslangen Schmerztherapie zu helfen. Sabine Müller hatte das in ihrem Gutachten beschrieben. Sie hoffe, dass ihr Aufenthalt in einem Land gewährt wird, indem sie angstfrei leben kann. Denn auch die Angst kann den chronischen Schmerz verstärken.

Mit diesem Gutachten hat die Frau langfristig und mithilfe des Kampfes einer Anwältin letztendlich Asyl bekommen. Bevor diese Frau bei der Sabine Müller gelandet ist, hat sich der Pfarrer für sie eingesetzt. Sie waren von Deutschland nach Holland geflohen, wurden dort verhaftet, wieder zurückgeschoben, sollten ausgeflogen werden, bekamen Beruhigungsmittel gespritzt, als sie sich dagegen wehrten. Am wartenden Flugzeug hat der Pfarrer schließlich bewirkt, dass die Familie doch nicht wegfliegen musste. Mit diesem Gutachten im Hintergrund, weil die Mutter so schwer krank war, haben sie Asyl bekommen. Auch geht es um das Schicksal der beiden Töchter dieser Familie. Die Mutter war verstümmelt worden. Das wollte sie aber ihren Töchtern nicht mehr antun. Nichtsdestotrotz muss eine Frau, wenn sie in diesem Land heiraten will, einen Mann finden, der sie unverstümmelt nimmt. Das ist nicht einfach.

Die eine Schwester hatte einen sudanesischen Mann kennengelernt, der hier gelebt hatte, darüber gelesen hatte. Sie hat einen sudanesischen Mann gefunden, der sie unbeschnitten geheiratet hat. Die andere Tochter lebt ­ sie ist Mitte 20 ­ für Afrikanerinnen ist sie eine alte Jungfer, wenn sie dann noch nicht verheiratet ist ­ immer noch bei ihren Eltern. Das ist ein Schicksal, das ich damit beleuchten wollte. Ich habe letztens mit UNHCR gesprochen, habe gerade einen Artikel für die EMMA verfasst, in dem diese Fragen berührt werden. Anna Büllesbach von der UNHCR hat gesagt: Es habe ein Wandel stattgefunden, es sei leichter für Frauen geworden, mit dieser Problematik hier Asyl zu bekommen. Sie war begeistert.

Wenn man an einem Runden Tisch in Nordrhein-Westfalen sitzt und dort hört, was hier in der Abschiebehaft in Neuss vor sich geht, dann ist man entsetzt, dass Anna Büllesbach von einem Paradigmenwechsel spricht. Kürzlich wurde eine Stelle in der Frauenberatung abgebaut. Zwei Frauen haben in der Abschiebehaft in Neuss gearbeitet. Einer fünfsprachigen Frau wurde in der Frauenberatung die Stelle gekürzt. Sie kümmerte sich um Frauen aus Osteuropa, die Prostitutionsopfer sind. Sie hat sich auch um betroffene afrikanische Frauen gekümmert. Sie berichtete von X Fällen, in denen Frauen, die gesagt haben, dass sie genitalverstümmelt seien, abgeschoben wurden.

Bei der Abschiebung ist es auch noch einmal problematisch. Das ist ein Tabu. Würden Sie einem fremden Beamten in einem Land, das Sie nicht kennen, etwas von Ihren Genitalien erzählen, wenn Sie auch im Land zu Hause nichts darüber erzählen dürfen? Darüber zu sprechen und das als ersten Asylgrund vorzubringen, dafür muss eine Frau extrem gebildet sein und wissen, wie die Asylgesetze hier laufen und was sie da sagen muss. Das ist ein Rattenschwanz von emotionalen und private Problemen.

Jawahir Cumar: Wir sprechen die ganze Zeit von Männern. Leider konnten die Männer aus meiner Beratungsstelle nicht mitkommen. Hier ist aber ein Herr Ibrahim Gei, einer der aktiven afrikanischen Männer, die sich für das Thema sehr interessieren. Ich treffe ihn überall da, wo wir das Thema ansprechen. Vielleicht kann er ja gleich noch etwas sagen.

Vorsitzende Elke Rühl: Das geht leider nicht. Er ist hier Gast. Da kann man nicht ohne Weiteres einbezogen werden.

Annette Watermann-Krass (SPD): Ich habe zwei Fragen, zum einen geht es um die rechtliche Beurteilung. Sie haben darauf abgezielt, dass in sieben Ländern Europas die Genitalverstümmelung unter Strafe gestellt ist. Die Ausführungen von Task Force beinhaltet eine Bewertung, dass es zu einer Reihenuntersuchung aller minderjährigen Mädchen aus der Risikogruppe kommen soll. Da hätte ich gerne Ihre Einschätzung, auch vielleicht von Frau Gruber. Sie haben etwas weiter ausgeführt. Wie schätzen Sie eine solche verpflichtende Reihenuntersuchung für diese Mädchen aus der Risikogruppe ein?

Die zweite Frage: Wenn Sie, was richtig ist, an den Schulen aufklären: Wie ist Ihre Erfahrung? Wie viele Beratungsgespräche ergeben sich über die Aufklärung? Das Phänomen haben wir auch beim Thema Aufklärung sexueller Gewalt bei Kindern und Mädchen. Was braucht es dann an weiterführender Unterstützung, Beratung, Einrichtung, Hilfemaßnahmen, wenn wir den präventiven Bereich deutlich verstärken?

Helga Gießelmann (SPD): Ich habe zwei Nachfragen: In Nordrhein-Westfalen gibt es noch Asylberatungsstellen, jedenfalls in manchen Kommunen vor Ort. Ist Ihnen bekannt, dass sie auch das Thema Genitalverstümmelung mit aufgreifen? Das müssen wir wissen, wenn wir gucken, was im Land möglich ist und was schon passiert.

Dann habe ich eine zusätzliche Frage zu dieser Balance zwischen dem Dialog mit den Kulturen und den Restriktionen, weil das für uns kein Weg ist. Sie haben die Meldepflicht angesprochen und sie gefordert. Wenn Mädchen beschnitten worden sind und sie eventuell weitere Geschwister haben, soll eine Meldung ans Jugendamt gehen. Andere fordern auch, dass eine solche Meldepflicht von Müttern, die beschnitten sind, weitergeht, um dann zu gucken, wie das mit der nächsten Generation läuft, damit da das Jugendamt verstärkt eingreift, aufklärt und möglicherweise hilft, die Genitalverstümmelung zu verhindern. Ich frage Sie, wie Sie das einschätzen.

Dann hätte ich gerne eine solche Mappe, die Sie für die Schulen erstellt haben. Auch hätte ich gerne die Adresse, wo man so etwas beziehen kann.

Zu den Kosten: Nach meinen Recherchen ist es äußerst schwer, einfach mit einzelnen Krankenkassen zu sprechen, die eventuell sagen, dass sie das freiwillig in ihren Leistungskatalog aufnehmen. Das ist nahezu unmöglich. Da müssen wir schon gucken, wie da eine Regelung für alle getroffen werden kann, um die entsprechenden Leistungen aufzunehmen.

Ingrid Pieper-von Heiden (FDP): In den bisherigen Aussagen sehe ich an einer Stelle eine Inkonsequenz. Wenn Sie sich auf der einen Seite einen eigenen Straftatbestand und eine Meldepflicht der Ärzte wünschen, dann aber sagen, dass Ihr Beweggrund dafür sei, dass man mit den Eltern spreche, um sie zu sensibilisieren und nachfolgende Mädchen zu schützen, dann macht das nicht unbedingt Sinn für mich.

Dann müsste man auch weiter gehen und sagen, wenn es eine Meldepflicht aus Sicht der Ärzte geben soll, wenn es einen eigenen Straftatbestand geben soll, dann muss zwingend auch die Anzeige der Eltern erfolgen, sofern der Fall nicht verjährt ist. Das muss doch dann im unmittelbaren Zusammenhang stehen.

Habe ich Sie da missverstanden? Oder wollen Sie diesen weitreichenden Weg, wenn Sie das andere einfordern, nicht gehen?

Barbara Steffens (GRÜNE): Ich möchte mit dem Punkt anfangen, der in vielen Diskussionen sehr umstritten ist.