Integration

29. Sitzung (öffentlicher Teil) kle 1 Drogenkonsum nicht kriminalisieren, Justiz nicht überlasten: Hilfe statt Strafe muss oberstes Prinzip der Drogenpolitik bleiben Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

­ Zuziehung von Sachverständigen ­ Vorsitzender Dr. Robert Orth: Ich begrüße die Sachverständigen herzlich in unserem Kreis und bitte sie, uns ein kurzes mündliches Eingangsstatement von rund drei Minuten vorzutragen. Anschließend haben die Abgeordneten Gelegenheit, gezielte Nachfragen zu stellen.

Joachim Alxnat (Düsseldorfer Drogenhilfe): Lassen Sie mich zunächst auf den Hintergrund hinweisen, vor dem ich den folgenden Kommentar abgebe. Ich spreche hier als Träger einer Beratungsstelle, die sowohl den präventiven Bereich als auch den Bereich der Überlebenshilfe bedient. Unser Angebot geht also von der Prävention bis zum Konsumraum. Insofern sind wir von dieser Thematik in mehrerlei Hinsicht betroffen.

Außerdem möchte ich vorausschicken, dass ich Sucht nicht primär aus der juristischen Sicht, sondern auch als Krankheit betrachte. Das Betäubungsmittelgesetz an sich kann Sucht nicht bekämpfen. Vielmehr ist es ein Vehikel, um gesellschaftliche Maßnahmen zu steuern. Aus meiner Sicht müsste nach wie vor das Prinzip Hilfe statt Strafe verfolgt werden. Der § 31 a diente von seiner Geschichte her eigentlich auch der Entpönalisierung. Und Körner schreibt im Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz, dass gerade dieser § 31 a ein Schritt ist, um Drogenkonsumenten und Abhängige der Strafverfolgung zu entziehen und der Drogenberatung, der Drogenhilfe und der Drogentherapie zuzuführen. ­ Das sind die Basics, die man nach meiner Auffassung als Ausgangssituation sehen muss.

Der Runderlass beinhaltet drei Themenbereiche: die Reduzierung der Höchstmenge bei Cannabisprodukten auf 6 g, die Abschaffung der Höchstmenge für Heroin, Kokain und Amphetamine sowie die Einstellung von Verfahren bei Jugendlichen und ihnen gleichgestellten Heranwachsenden nur unter Auflagen. ­ Aus meiner Sicht ist dazu im Einzelnen Folgendes zu sagen.

Erstens. Bei der Veränderung der Höchstmenge für Cannabisprodukte handelt es sich um ein Anliegen, das schon seit 1994 virulent ist und durch ein Grundsatzurteil gefordert wird. Wir sind heute in der Situation, dass die 16 Bundesländer nach wie vor keine einheitliche Betrachtung zum Umgang mit den Höchstmengen vornehmen.

Frau Müller-Piepenkötter hat hier sicherlich einen Versuch gestartet, der bezogen auf das Thema Cannabis eine bundesweit ähnliche bzw. einheitliche Herangehensweise sieht. In den Urteilen der Richter in Nordrhein-Westfalen werden ungefähr 6 g auch jetzt schon als eine praktikable Menge angesehen.

29. Sitzung (öffentlicher Teil) kle Zweitens. Die Abschaffung der Höchstmenge für Heroin, Kokain und Amphetamine stellt aus meiner Sicht einen Rückschritt gegenüber dem Sinn des § 31 a dar; denn mit der Einführung dieses Paragrafen wurde genau das gegensätzliche Ziel der Entpönalisierung verfolgt.

Drittens. Dass Ermittlungsverfahren gegen Jugendliche und junge Heranwachsende nur unter Auflagen eingestellt werden dürfen, ist meines Erachtens gar nicht nötig; denn es gibt heute schon die Möglichkeit, für jugendliche auffällige Konsumenten a) im Rahmen der Jugendgerichtshilfe oder auch b) bei Ermittlungen der Polizei Gruppenangebote in Beratungsstellen zu etablieren. In diesem Rahmen ist Früherkennung möglich; als eine Variante kann genannt werden. Dort passiert schon das, was mit dem § 31 a eigentlich noch einmal initiiert werden sollte. Insofern ist eine Notwendigkeit für die hier vorgesehene Bestimmung aus meiner Sicht gar nicht gegeben.

Zusammenfassend stelle ich fest: In Punkt III des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird kritisiert, dass das drogenpolitische Prinzip Hilfe vor Strafe geschwächt wird. In der Tat lassen sich Drogenabhängige durch eine angedrohte verschärfte Strafverfolgung grundsätzlich nicht vom Erwerb abhalten, weil Süchtige nun einmal ein süchtiges Verhalten haben. Dazu gehört eben, den Stoff zu erwerben, und leider Gottes auch, davon zu konsumieren. Wenn Drogenabhängige auf diese Weise eher kriminalisiert werden, wird die Arbeit von niedrigschwelligen Angeboten der Drogenhilfe erschwert. Dem kann ich aus meiner Sicht keinesfalls zustimmen.

Ich würde gerne noch eine Anmerkung anhängen. Der § 31 a ist auch im Zusammenhang mit einem gemeinsamen Erlass der Ministerien für Schule und Weiterbildung, für Generationen, Familie, Frauen und Integration und für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 30. März 2007 zu sehen, nach dem das, was in Schulen an Konsum von Jugendlichen bekannt wird, der Polizei mitgeteilt werden muss. Mit dieser Haltung werden die alten Präventionskonzepte, die bewährt und anerkannt sind, ad absurdum geführt, weil so die Pädagogik nicht mehr greifen kann, sondern Verfolgung angesagt wird. Insofern habe ich den Eindruck, dass diese beiden Erlasse gemeinsam die Drogenpolitik ein Stück weit zurückdrehen.

Achim Halfmann (Gefährdetenhilfe Scheideweg): Ich spreche aus der Sicht eines Trägers, der zum einen in der Jugend- und Gemeinwesenarbeit im eher ländlichen Bereich und zum anderen in der ehrenamtlichen Kontaktgruppenarbeit im Strafvollzug engagiert ist. ­ Gestatten Sie mir fünf kurze Bemerkungen.

Beginnen möchte ich mit einer Vorbemerkung. Sucht und Drogenabhängigkeit kriminalisieren nicht. Vielmehr kann man in der Regel sagen, dass Sucht und Kriminalität gemeinsame Ursachen haben. Wenn wir heute jungen Menschen begegnen ­ nicht zuletzt auch bei uns im ländlichen Bereich ­, die Drogen konsumieren, dann handelt es sich dabei ganz oft um junge Menschen, die sozial desintegriert sind. Zumindest wird Drogenkonsum für diejenigen, die soziale Desintegration aufweisen, am Ende auch zum Problem. Die Ursachen liegen also tiefer. Nicht der Drogenkonsum kriminalisiert, sondern Kriminalität und Drogenkonsum sind ganz oft Ausdruck sozialer Desintegration oder anderer Probleme.

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Eine zweite Vorbemerkung: Wir erleben ­ das trifft gerade für unseren ländlichen Bereich zu ­ eine weitgehende Interventionslosigkeit. Zum einen hat sich die Jugendhilfe weitestgehend aus den ländlichen Regionen zurückgezogen. Das Verhalten und Fehlverhalten junger Menschen bleibt in der Regel ohne Reaktion und an sehr vielen Stellen auch ohne Hilfe. Das betrifft nicht nur den Drogenkonsum, sondern auch ganz viele andere Bereiche.

Im Sinne dieser allgemeinen Interventionslosigkeit erscheint es uns zumindest als ein Ansatz, im Bereich polizeilicher Interventionen ­ wie hier geschehen ­ Eigenbedarfsgrenzen aufzuheben oder herunterzusetzen. Bei Jugendlichen, die mit Drogen auffällig werden, handelt es sich um junge Menschen, die unterschiedliche Probleme mitbringen. Je eher wir hier ansetzen, je eher wir darauf reagieren, umso größer sind unsere Chancen, dass wir effektive Lebenshilfe und effektive Hilfen in den jeweiligen Situationen dieser jungen Menschen geben können.

Das beinhaltet natürlich, dass es dabei keineswegs nur um pönitive Sanktionen, also um schlichte Strafe, gehen kann. Das Jugendstrafrecht und das Strafrecht allgemein sowie die entsprechenden Prozessordnungen geben ja auch ganz andere Möglichkeiten, die Auffälligkeit junger Menschen zu nutzen. Reaktionen müssen kreativ sein.

Sie dürfen nicht nur auf das Versagen abstellen, sondern müssen die zugrunde liegenden Störungen berücksichtigen und auf die Integration dieser jungen Menschen zielen.

Ich will ein praktisches Beispiel aus unserem Bereich nennen. Bei uns in der Stadt gibt es zum Beispiel eine große Gruppe junger Menschen, die als sogenannte Aussiedler Drogen konsumieren. Wenn wir hier früh reagieren, reagieren wir besser, als wenn wir spät reagieren. Strafe allein reicht nicht. Es geht ganz entscheidend um die Frage nach Integration und nach Teilhabemöglichkeiten in unserer Gesellschaft, also nach Perspektiven.

Von daher sind wir, wie gesagt, durchaus dafür, hier früh zu reagieren ­ und auch polizeilich zu reagieren.

Lassen Sie mich noch ein anderes Thema ansprechen, weil es im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannt ist, nämlich die Drogenberatung im Strafvollzug.

Dieses Thema betrifft uns, weil wir dort stark engagiert sind. Die Forderung, Drogenberatung transparent zu gestalten und gerade freie Träger von außerhalb zum Zuge kommen zu lassen, erscheint uns sehr sinnvoll. Auch im Strafvollzug haben wir nur dann eine Chance, effektiv zu helfen, wenn wir jungen Gefangenen helfen, offen zu sein, sich Behandlungsangeboten zu öffnen, über ihre eigene Situation zu berichten und Perspektiven nach außen zu bauen. Das gibt größere Chancen als allein auf Kontrolle abgestellte Mechanismen. Hier haben Beratungsansätze von außen und Träger von außen eine Akzeptanz sowie eine Brückenfunktion, die ganz wichtig ist, um die Behandlungsvoraussetzungen zu erreichen.

Reiner Lindemann (Amtsgericht Moers): Ich möchte zu der Belastung der Justiz Stellung nehmen. In dem Antrag der Grünen heißt es, die Justiz solle nicht überlastet werden.