Schuldenbremse

Prof. Dr. Stefan Korioth (Ludwig-Maximilians-Universität München): Die Frage, ob wir uns bei zukünftigen Verschuldungsregelungen an dem EU-Recht orientieren sollen, würde ich eher verneinen. Vor zehn Jahren hätte ich noch gesagt, es sei eine tolle Idee, sich bei der zulässigen Verschuldung an Zahlen, an den berühmten Kriterien von 3 % bzw. von 60 % zu orientieren. Der Verlauf der letzten zehn Jahre hat mich aber eher skeptisch gemacht. Die europäische Praxis zeigt, dass man offensichtlich auch über Zahlen diskutieren kann. 3 % bedeuten nicht unbedingt 3 % und 60 % bedeuten nicht unbedingt 60 %. Eine wirkliche Verbesserung und Rationalisierung unseres Rechts würde ich mir durch solche Quoten insofern kaum versprechen.

Das Herunterbrechen der nach EU-Recht zulässigen Gesamtverschuldung der Bundesrepublik auf Bund und Länder hat man in der Föderalismusreform I schon anzugehen versucht. Herausgekommen ist in dem ominösen Art. 109 Abs. 5 GG ein Ausweichen gegenüber der Problematik. In diesem Artikel wird nur über den Sanktionsfall gegenüber der Gemeinschaft gesprochen. Es wurde jedoch nicht geschafft, einen nationalen Stabilitätspakt auf die Beine zu stellen. Dieses Problem muss man aber angehen. Darüber werden Sie sich gerade in einem Landtag im Klaren sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es bei der gegebenen Einnahmen-, Ausgaben- und Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern für die Länder vernünftig und rational wäre, sich auf einen festen Verschuldungsanteil einzulassen. Ein solcher Anteil ist für die Länder erheblich schwieriger einzuhalten als für den Bund. Wenn man in diese Richtung geht ­ die Landesregierung hätte dabei ja mitzureden ­, begibt man sich in sehr schwieriges Fahrwasser. Die Bindungswirkung wäre für die Länder sehr viel gefährlicher als für den Bund. Das muss beachtet werden. Ein Modell mit festen Verschuldungsanteilen muss mit bestimmten Beweglichkeiten im Verhältnis von Bund und Ländern ausgestattet werden.

Prof. em. Dr. Heinz Grossekettler (Westfälische Wilhelms-Universität Münster):

Ich möchte bei der Umsetzung des EU-Rechtes zur Verschuldung in nationales Recht anknüpfen. Der Wissenschaftliche Beirat beim BMF hat dazu ein Gutachten erarbeitet, dessen Inhalt ich hier nicht rekapitulieren möchte. Ich möchte aber einige Kernpunkte daraus erwähnen. Ich möchte mit der Aussage beginnen, dass ich völlig anderer Ansicht als Herr Korioth bin, was die Rationalisierungswirkung der EUVerschuldungsvorschriften betrifft. Denken Sie einmal 15 Jahre zurück. Wer hat damals in Deutschland über Staatsverschuldung gesprochen? Das haben vielleicht ein paar Finanzwissenschaftler getan, sonst aber niemand. In der Öffentlichkeit war dieses Problem einfach nicht existent. Dieses Problem wurde erst in dem Moment existent, als die EU-Kommission blaue Briefe verschickt hat. Es wurde ein Sanktionsmechanismus für Politiker ­ in diesem Falle allerdings nur für den Bundesfinanzminister ­ deutlich. Dem Bundesfinanzminister wurde in der Presse vorgehalten, dass er versagt habe. Er geriet in eine Verteidigungsrolle. Die Zahlen über die Staatsverschuldung wurden öffentlich diskutiert. Davon ist eine enorme politische Wirkung ausgegangen. Die Verschuldungsneigung ist daraufhin bei uns und in den anderen EU-Staaten ebenfalls stark gebremst worden.

Die EU-Regel ist aus der Sache heraus eine nationale Regel. Man muss sich im Rahmen eines nationalen Verschuldungspaktes also immer top down einigen. Man muss sich darüber einigen, wer sich wie verschulden darf. Das kann man durch die Festlegung von irgendwelchen festen Quoten tun. Dann sind Sie ziemlich inflexibel.

Sie können es aber auch so regeln, dass Sie sagen: Es muss in jedem Jahr ein Beschluss gefasst werden, allerdings mit der bindenden Wirkung, dass insgesamt nicht mehr als die zulässige Verschuldung herauskommt. Zulässig heißt dabei im Normalstatus close to balance. Nur im Falle der Rezession dürfen die automatischen Stabilisatoren ausgenutzt werden. Ergänzend könnte eine Auffangregel beschlossen werden. Das haben wir im Beirat so auch vorgeschlagen. Falls man sich politisch, das heißt unter Bund und Ländern, nicht auf eine Verteilung der Verschuldung einigen kann, die insgesamt die nationalen Grenzen nicht überschreitet, würde im Rahmen der Auffangregelung hilfsweise eine vorgeschriebene, in der Verfassung festgelegte Verteilung wirksam. Wenn dies für die Länder unbequemer ist als für den Bund, wovon auch ich ausgehe, werden die Länder umso mehr Anlass haben, sich vorher mit dem Bund zu einigen.

Der Bund hat relativ hohe Anreize, sich im europäischen Rahmen stabilitätskonform zu verhalten. Die Länder haben demgegenüber relativ geringe Anreize. Wenn es eine Auffangregelung gibt, wird dieses Anreizdefizit aber in gewisser Weise beseitigt oder jedenfalls vermindert.

Woran sollte man bei der inneren Diskussion jetzt anknüpfen? Beim Bund neigt man dazu zu sagen: Wir brechen die Stabilitätsregeln der EU auf die innerdeutsche Situation herunter. ­ Ich meine, dass man darauf hinwirken sollte, dass die Ländereinnahmen stabilisiert werden, damit der Zwang zur konjunkturellen Verschuldung auf der Länderebene entfällt. Ich meine, dass man sich auch auf der Länderebene an Nettoinvestitionen orientieren könnte. Dabei habe ich im Auge, dass man auf der Länderebene mehr und mehr dazu übergeht, eine kaufmännische Buchführung einzuführen. Dann haben wir auch klare Abschreibungsregeln, die wir bei den Investitionen beachten können.

Was Humankapitalinvestitionen angeht, so bin auch ich der Meinung, dass man beachten muss, dass dort eine sehr hohe Abschreibungsrate gegeben ist. Insofern muss man sich fragen, was an Nettoinvestitionen überhaupt noch übrig bleibt. Was eine inländische Verschuldungsregelung angeht, so meine ich durchaus, dass wir auf den Nettoinvestitionsbegriff rekurrieren können. Wenn man einmal eine Abschätzung vorzunehmen versucht, wird aber auch nicht mehr herauskommen, als dass Bund und Länder im Normalfall allenfalls 0,5 % des BIP für die Verschuldung in Anspruch nehmen können. Wenn es operational besser machbar ist, würde ich es akzeptieren zu sagen, dass wir an den Verschuldungsgrenzen des BIP anknüpfen.

Gisela Walsken (SPD): Herr Professor Grossekettler, ich würde gern eine direkte Nachfrage an Sie richten. Sie bezogen sich gerade auf das, was operational machbar sei. Wer soll denn die jährliche Neuverschuldung beschließen? Wie habe ich es mir im praktischen parlamentarischen Ablauf vorzustellen? Hat das Parlament kurz vor Ende des Jahres dann einen entsprechenden Beschluss im Sinne einer Selbstbindung zu fassen, und zwar im Angesicht der aktuellen Haushaltssituation und möglicherweise unter Berücksichtigung von Hinweisen aus der Regierung, wie Haus haltsverfahren auf der Regierungsseite gelaufen sind? Welche Vorstellungen haben Sie diesbezüglich?

Prof. em. Dr. Heinz Grossekettler (Westfälische Wilhelms-Universität Münster): Diesbezüglich möchte ich auf den Vorschlag des Sachverständigenrates betreffend eine Schuldenbremse zurückkommen. Eine Schuldenbremse ist so etwas wie ein institutionalisiertes Gedächtnis. Das heißt, wenn man sich bei der Haushaltsplanung verkalkuliert, wird das im Rahmen der Schuldenbremse beim Haushaltsvollzug sichtbar werden. Die politische Selbstbindung liegt dann in der Tat darin, dass man Schulden zurückführen muss.

Gisela Walsken (SPD): Jede Ebene beschließt dann für sich?

Prof. em. Dr. Heinz Grossekettler (Westfälische Wilhelms-Universität Münster): Ja, jede Ebene beschließt für sich. Damit ergibt sich auch Verantwortungsklarheit.

Vorsitzende Anke Brunn: Zur Klarstellung frage ich noch einmal nach, ob dann jede Ebene für sich durch die dafür legitimierten Institutionen eine entsprechende Feststellung zu treffen hätte.

Prof. em. Dr. Heinz Grossekettler (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) : Ja. Wir brauchen ­ ich habe vorhin von top down gesprochen ­ natürlich einen Kompromiss im Finanzplanungsrat, der sicherstellt, dass das, was die einzelnen Ebenen haben wollen, jeweils mit den tauglichen Grenzen in Einklang gebracht wird.

Momentan ist es so, dass die Verschuldung beim Bund und in den einzelnen Ländern völlig unkoordiniert erfolgt. Im Finanzplanungsrat wird gegenwärtig nur Window Dressing betrieben, es werden aber keine verbindlichen Beschlüsse gefasst. Die Obergrenzen müssten schon klar festgelegt werden. Unser Vorschlag ging ja dahin, dass man top down planen muss und dass im Wege einer Selbstverpflichtung für alle Gebietskörperschaften ­ Bund und Länder ­ festgelegt wird, wie hoch die in Anspruch genommene Verschuldung maximal sein darf.

Prof. Dr. Helmut Siekmann (Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main): Die eben geführte Diskussion zeigt, dass einige begriffliche Unklarheiten bestehen. Wenn wir von den EU-Vorgaben ausgehen, ist zu sagen, dass diese ja nicht in konkreten Eurozahlen gefasst sind, wie hoch die Kreditaufnahme sein darf. Die EU-Vorgaben beinhalten vielmehr Prozentsätze. Wenn wir diese Prozentsätze in das nationale Recht übernehmen, muss jede Einheit für sich umrechnen, was diese Prozentsätze für sie bedeuten und wie hoch die Kreditaufnahme in Euro sein darf. Dann wäre beispielsweise im Falle Bremens umzurechnen, was 0,02 % für den konkreten Etat bedeuten.

Sodann taucht das Problem auf, das ich vorhin schon ansprach: Wird auf die im Haushaltsgesetz geplante Größe oder wird auf den Haushaltsvollzug abgestellt? Die Analyse konkreter Länderhaushalte zeigt.