Krankenpflege

Dort hat der Patient auch jederzeit die Möglichkeit, sich zu melden und Kontakt mit dem Pflegepersonal aufzunehmen. Wir arbeiten auch mit der Bezugspflege. Wenn der Patient zu uns auf die Station kommt, wird ihm mitgeteilt, welche Krankenpfleger für ihn zuständig sind.

Neben der medikamentösen Therapie arbeiten wir, wie gesagt, auch sehr stark mit Beziehungsaufbau sowie mit Gruppenpsychotherapie und Einzelpsychotherapie. Das führt allerdings auch zu einer etwas längeren Verweildauer ­ die aus meiner Sicht aber nicht dramatisch ist. Es gibt Zahlen, nach denen die durchschnittliche Verweildauer in der Abteilung von Prof. Konrad in Berlin vor einigen Jahren 80 Tage betrug.

Wir hatten letztes Jahr eine durchschnittliche Verweildauer von 59 Tagen. Jetzt ist es uns gelungen, sie auf 49 Tage zu senken. Infolge dieser gesenkten Verweildauer können wir auch mehr Patienten aufnehmen. Allerdings haben wir nach wie vor noch eine Warteliste. Wenn die vier kameraüberwachten Zimmer belegt sind, ist uns praktisch auch die Möglichkeit genommen, Notaufnahmen durchzuführen.

Dr. Wolfgang Riekenbrauck (Justizvollzugskrankenhaus Nordrhein-Westfalen):

Ich bin 61 Jahre alt und vom ersten Tag des Krankenhauses in Fröndenberg an dort in meiner jetzigen Funktion als Leitender Arzt der Inneren Abteilung und Ärztlicher Direktor tätig. Ich habe schon sehr früh Kontakt mit dem Strafvollzug bekommen. Bereits 1965 habe ich als Schüler im Dortmunder Gefängnis an einer Weihnachtsfeier teilgenommen. Als Student habe ich auch im Düsseldorfer Gefängnis famuliert und immer wieder Kontakt gehabt. Als man mir dann das Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg vor meine Nase gebaut hat, habe ich mich dort beworben. Zuerst hatte ich nicht gedacht, dass ich lebenslang damit zu tun haben würde. Mittlerweile ist es das praktisch geworden.

Meine Mitreferenten haben die Psychiatrie und die psychischen Störungen als besonderen Schwerpunkt. Ich bin Internist. Warum bin ich hierher gekommen? Wie gleich wahrscheinlich gesagt werden wird und wie ich auch in meinem eigenen Schreiben deutlich zu machen versucht habe, besteht im psychiatrischen Bereich bei Gefangenen Handlungsbedarf bei Patienten mit psychischen Störungen, Persönlichkeitsstörungen und Drogenproblemen. Diese drei Komplexe, vor allem die Persönlichkeitsstörungen, betreffen den größten Teil aller Gefangenen. Dort besteht in der Tat Handlungsbedarf. Das möchte ich auch unterstützen. Meine Hauptaussage ist aber, dass ich alle bitte, dabei die bestehenden Strukturen ­ also das, was wir bisher geschaffen haben und geleistet haben, vor allem auch im somatischen Bereich ­ nicht zu übersehen und nicht zu glauben, wenn man jetzt noch ein paar Betten mehr einrichte oder an verschiedenen Stellen im psychiatrischen Bereich etwas nachrüste, tue man genug. Wir müssen das Bestehende im Blick behalten, erhalten und auch ausbauen. Entsprechende Ansätze gibt es. Diese müssen von der Politik aber natürlich auch unterstützt und gefördert werden.

Lassen Sie mich einmal einen Schwerpunkt herausgreifen. Als ich vor über 20 Jahren angefangen habe, im Strafvollzug zu arbeiten, habe ich mich natürlich erkundigt, wo unser Schwerpunkt liegen müsse. Ich habe also gefragt: Welche Prob leme haben wir? ­ Unser Problem waren Mitte der 80er-Jahre im Wesentlichen angeblich die Simulanten, und zwar durch die Bank. Später haben wir dann erkannt, dass es unter den Simulanten etliche gibt ­ ungefähr ein Drittel ­, die von der Persönlichkeit her gestört sind. Unter Haftbedingungen entgleisen sie eher und erkennen an sich alle möglichen körperlichen Symptome, vom Haarausfall bis zum Pickel, die sie früher in Freiheit nicht bemerkt haben. Nun glauben sie aber zunehmend, daran schwer zu leiden und irgendwann zu versterben.

Die medizinische Struktur im Strafvollzug muss in der Lage sein, diese Patienten durch eine medizinische Mühle zu drehen und ihnen anschließend zu sagen: Wir haben alles nachgeguckt. Da ist nichts. ­ Früher hat man ihnen ja gesagt: Ich sehe dir an, dass du kerngesund bist. Das ist alles Blödsinn. ­ Das war die normale Verfahrensweise. Unter Sparzwang ist man natürlich auch geneigt, das zu tun. Wir hatten jetzt aber wirklich Ressourcen ­ das haben auch gegenwärtig noch ­, diese Leute durchzuchecken. Die überraschende Erfahrung ist, dass es auch bei denjenigen, die eingebildet subjektiv ernsthaft krank sind, zu einer erheblichen Pazifizierung führt, wenn sie merken, dass man sich mit ihnen auseinandergesetzt hat. Auch nach ihrer Rückkehr in die Anstalten ist der Umgang mit ihnen im Vollzug dann erheblich einfacher.

Als unser Krankenhaus fünf Jahre existierte und wir damit natürlich einen quantitativen und auch qualitativen Sprung gemacht hatten, habe ich vor einer Versammlung der rund 50 Leiter der Sanitätsabteilungen aller Anstalten die These aufgestellt: Mit dem JVK Fröndenberg und dem Ausbau der Sanitätsabteilungen haben wir das Problem der Simulanten im Strafvollzug gelöst. ­ Ich habe keinen Widerspruch erfahren. Dieser Punkt ist auch immens wichtig. Hier kommt es ja zu einer Überlappung mit der Klientel, die eigentlich durch Psychotherapeuten zu behandeln ist. Wenn sie sich körperlich krank fühlen und durch ihre Fokussierung auf ihre vermeintliche Krankheit abgelenkt sind, ist das ganz schlecht.

Bei einem weiteren Drittel der ganz großen Gruppe von Simulanten handelt es sich um Patienten, die durchaus etwas haben, es aber inadäquat vorbringen. Ihre Sozialisation ist nun einmal ohnehin schlecht; deswegen sind sie auch im Gefängnis. Weil sie es schlecht vorbringen, wird es übersehen und nicht erkannt. Man kann es abstellen. Man findet etwas, wenn man genau nachguckt. Damit hat man gleichzeitig insgesamt etwas Positives geleistet und auch die ganze Persönlichkeit im Sinne einer Resozialisierung betreut. Ich habe das in den ganzen Jahren immer als Resozialisierung empfunden und erlebe es auch heute noch so.

Das dritte Drittel der Simulanten sind die richtigen Betrüger, die bewusst etwas vortäuschen. Dies herauszufinden, ist eine ganz besondere Aufgabe der Medizin im Strafvollzug. Deswegen muss sie auch kompetent sein. Man hat ja mit den hochkarätigsten Betrügern zu tun. Wenn sie im medizinischen Bereich zu betrügen versuchen, während man immer nur von dem guten Menschen ausgeht, kommt man nun einmal nicht klar. Wenn ich diese Betrüger nicht gründlich untersuche, wissen sie ganz genau, dass ich gar nicht wissen kann, dass sie nichts haben, und machen erst recht Druck, verursachen Probleme und Kosten, wenden sich an Petitionsausschüsse und Presse usw. Auch an dieser Stelle sind entsprechende Möglichkeiten ganz wichtig. Deswegen darf man die somatische Medizin nicht aus dem Blick verlieren. Wir haben hier eine sehr gute Struktur. Diese müssen wir auch erhalten.

Eine weiterer Punkt sind die Suchtabhängigen mit ihrer Sucht im engeren Sinne. Jeder Bürger denkt in diesem Zusammenhang ja an den Psychiater und den Psychologen. In Wirklichkeit werden die Alkohol- und Drogenabhängigen, die von Aachen bis Herford im nordrhein-westfälischen Strafvollzug aufgenommen werden, zuerst einmal vom Sanitäter, vom Krankenpfleger und vom Anstaltsarzt betreut, bekommen eine Substitution oder auch nicht und werden im Zweifelsfall auch ins Krankenhaus nach Fröndenberg verlegt. Das heißt, dass der gesamte Empfang dieser Menschen und die erste Weichenstellung über die somatische Medizin erfolgen. Die Psychiatrie kann und will das auch gar nicht leisten; meine Kollegen rechts und links können mir ja gegebenenfalls widersprechen. Im Gegenteil! In den vergangenen Jahren wurden beispielsweise aus Eickelborn Patienten zu uns nach Fröndenberg geschickt, damit wir einen warmen Entzug mit Methadon durchführen, den die Psychiatrie dort nicht machen wollte ­ auch aus ideologischen Gründen nicht. Diese Schrittmacherfunktion kann nur die somatische Medizin übernehmen. De facto ist es auch so gelaufen.

Im Übrigen haben die Suchtkranken auch erhebliche somatische Erkrankungen.

Denken Sie an HIV und Aids, an Abszesse, an Hepatitis, an Lungenentzündung und Tuberkulose usw. Bei den Suchtabhängigen handelt es sich um eine multimorbide Gruppe von Menschen. Sie sind dauerhaft in der somatischen Medizin beheimatet.

Wenn die somatische Medizin unterbelichtet ist, wird man zum Spielball der Interessen ­ der Interessen des Süchtigen sowie seines Rechtsanwaltes und auch sonstiger Interessen.

Ich fasse zusammen: Der Ausbau der Psychiatrie ist gut. Man darf aber auf keinen Fall die gegenwärtigen Strukturen im somatischen Bereich vernachlässigen. Sie sind ganz wichtig. Nur ihnen ist zu verdanken ­ die Psychiatrie ist ja noch ein kleines Pflänzchen ­, dass Nordrhein-Westfalen mit 45.000 Haftfällen im Jahr überhaupt so lange klargekommen ist. Das ist tatsächlich ein notwendiges Ventil gewesen.

Gestatten Sie mir abschließend folgendes Petitum: Nach meiner Überzeugung müssen sowohl die psychiatrische als auch die somatische Medizin im Strafvollzug auf hohem Niveau und auf gleicher Augenhöhe mit der zivilen Medizin sein. Wenn es eine schlappere, eine schwächere, eine aus einer Defensive heraus argumentierende Medizin ist, verursacht das enorme zusätzliche Kosten und Schäden. Jeder weiß, dass heute Ärztemangel herrscht und dass auf dem Markt der Preis steigt, wenn irgendwo Mangel besteht. Die Ärzte werden also teurer. Genau in dieser Zeit versuchen wir, an den Ärzten zu sparen. Das ist ein ganz gravierender Fehler. Damit macht man alles kaputt. Man muss unbedingt gute Qualität einkaufen und diese gute Qualität im personellen Bereich durch Controlling sowie eine klare, gute, professionelle Steuerung überprüfen und an der Kette halten. Es geht also nicht darum, Ressourcen zu verschleudern und dann abzuwarten, dass freiwillig etwas gemacht wird.

Vielmehr muss ein Controlling geschaffen werden ­ das wir in der Medizin im Strafvollzug bisher nicht in der gleichen Art und Weise haben wie in der zivilen Medizin, wo die Einrichtungen in Dauerkonkurrenz zu anderen Krankenhäusern und Institutionen stehen. In diesem Bereich muss man unbedingt nachrüsten.