Dr Thomas Fischbach Berufsverband der Kinder u Jugendärzte. Zu den Fragen zu den Daten

Ich werde diese Frage an Frau Nothhafft weitergeben. Wir werden Ihnen die Antwort dann zuleiten.

Dr. Thomas Fischbach (Berufsverband der Kinder- u. Jugendärzte): Zu den Fragen zu den Daten. Eines ist klar, und das möchte ich vorwegschicken: Die individuelle Entscheidung kann uns Ärzten niemand abnehmen. Ob man etwas als ernsthaft betrachtet und weitere Schritte für erforderlich hält oder nicht, wird immer eine individuelle Entscheidung bleiben. Und es wird sich auch nicht verhindern lassen, dass es zu Fehleinschätzungen kommen.

Ich möchte es etwas überspitzt formulieren: Wie stellen Sie es sich vor, Frau Schäfer? Sollen wir die Eltern, die ihre Kinder misshandeln, um Erlaubnis fragen, ob wir deren Daten weiterleiten können? ­ So kann es nicht gehen. Natürlich sprechen wir hier über eine recht geringe Zahl von Menschen.

Es wird auch immer wieder die Frage aufgeworfen: Ist es zu rechtfertigen, dass wir 97 % der Elternschaft misstrauisch beäugen, um die 3 % zu finden, die ihre Kinder zu Schaden bringen? ­ Ich bejahe dies. Ich persönlich habe in meiner Praxis ­ ich habe eine sehr gemischte Klientel ­ folgende Erfahrung gemacht: Wenn ich das mit Eltern bespreche, höre ich eigentlich nie, dass sie damit ein Problem hätten. ­ Sie ziehen sich diesen Schuh nämlich nicht an. Und wer sich den Schuh nicht anziehen muss, der muss auch nicht darunter leiden.

Grundsätzlich bin ich der gleichen Auffassung wie Sie, dass nämlich die gesetzlichen Grundlagen ausreichen. Die Frage ist bloß, wie man die ärztliche Schweigepflicht definieren will.

Ich möchte auf Riskid eingehen. Bislang ist es so, dass die ärztliche Schweigepflicht als eine individuelle Schweigepflicht des behandelnden Arztes gegenüber seinem Patienten verstanden wird. Bei Riskid geht es um eine innerärztliche Informationsdatei. Das heißt, das Ziel dieses Projektes ist es, zu verhindern, dass Ärzte ihre Patienten verlieren, wenn sie die Eltern auf irgendwelche Auffälligkeiten ansprechen.

Dass diese Fluchttendenzen entwickeln und nicht mehr zu diesem Arzt gehen, sondern zu einem anderen Arzt gehen, der von all dem nicht weiß, ist klar. So passiert es eben, dass dieses Doktor-Hopping dazu führt, dass auch schwere Kindesvernachlässigungen einfach nicht entdeckt werden. Jeder Arzt muss nämlich bei der Erschaffung der Erde anfangen und hat keine Ahnung von den Informationen, die bereits andere Kolleginnen und Kollegen gewonnen haben. Daher können wir uns durchaus vorstellen, dass man die Schweigepflicht auch in diesem Bereich modifiziert, sodass die behandelnde Berufsgruppe unter sich Informationen über Kinder, bei denen wir annehmen, dass es bei ihnen zu Kindesvernachlässigungen oder -misshandlungen gekommen ist, austauschen können. Ob das rechtlich möglich ist, wird zurzeit geprüft.

Zu Ihrer Frage hinsichtlich der elterlichen Erziehung in Kindertageseinrichtungen. Es ist schon in der ersten Fragerunde erörtert worden, dass wir ­ und das ist unstrittig ­ eine mangelhafte Erziehungskompetenz unter Eltern beklagen; die Gründe dafür sind schon genannt worden. Die Landesregierung hat die Familienzentren auf den Weg gebracht, die in verschiedenen Kreisen und Städten inzwischen entstanden sind und auch noch entstehen. Das wäre eine ureigene Aufgabe solcher Zentren, wenn sie personell und von ihren Ressourcen dazu geeignet wären, diese Aufgaben zu übernehmen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass viele Familienzentren beispielsweise keinen Zugang zu Erziehungsberatungsstellen oder zu anderen Institutionen und Strukturen, die erforderlich sind, um diese Aufgabe zu übernehmen, haben, weil diese Strukturen abgebaut oder nicht in ausreichender Anzahl in den Kreisen und Kommunen vorgehalten werden. Wenn Erziehungskompetenzen nicht mehr innerfamiliär weitervermittelt werden, dann müssen wir uns die Frage stellen, wo wir diese an anderer Stelle vermitteln können. Und hier sehe ich in der Tat die Möglichkeit.

Nun möchte ich Herrn Kahl zum Thema Vorsorge das Wort geben.

Dr. Hermann-Josef Kahl (Berufsverband der Kinder- u. Jugendärzte): Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die Einladung. Ich bin niedergelassener Kinder- und Jugendarzt und bei uns im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Vorsitzender des Ausschusses Prävention. Außerdem sitze im Unterausschuss Prävention des Gemeinsamen Bundesausschusses, in dem zurzeit die Vorsorgeuntersuchungen modifiziert bzw. überarbeitet werden.

Hier kann man gleich an Ihrem Einwand ansetzen, Frau Dr. Schäfer, dass nämlich die Qualität der Vorsorge natürlich unterschiedlich ist und zum Teil auch zu wünschen übrig lässt. Das liegt unter anderem daran, dass das jetzige gelbe Heft mit dem Vorsorgeprogramm aus dem Jahre 1971 stammt; es ist also sehr betagt. Wir hatten vom Berufsverband vor sechs Jahren zusammen mit der Deutschen Akademie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin einen völlig neuen Entwurf der Vorsorgen gestaltet. Dieser ist mit der Expertise sehr vieler wissenschaftlich tätiger Kinder- und Jugendärzte zustande gekommen. Dieser Entwurf ist von den Krankenkassen abgelehnt worden. Er wird in Bezug auf die Inhalte und Qualität der Vorsorgeuntersuchungen von vielen Praxen übernommen, ist aber im Moment noch kein offizielles Programm. Er würde uns aber die standardisierte Untersuchung in vielen Bereichen vereinfachen, auch in der Erfassung von vernachlässigten Kindern.

Ich kann Ihnen versichern, dass wir Kinder, die vernachlässigt sind, erkennen. Ich kann Ihnen auch versichern, dass wir Entwicklungsrückstände erkennen, die nicht unbedingt einen organischen Grund haben, sondern sehr wohl in einer Vernachlässigung begründet liegen können. Wenn Sie sich die Kinder ansehen, die in der letzten Zeit so spektakulär von der Presse aufgegriffen worden sind, so ist es so, dass wir bei solchen auffälligen Befunden selbstverständlich Konsequenzen ziehen und fordern, dass etwas geschieht.

Nichtsdestotrotz ist es doch schon so, dass wir eine verbesserte Qualität der Vorsorgeuntersuchung brauchen. Da brauchen wir auch Ihre Hilfe ­ also die der Politik ­ im Bereich der Primärprävention. Das heißt, wir müssen die Eltern auch besser beraten können. Wir müssen sie darauf hinweisen, dass es Hilfen und Netzstrukturen gibt.

Ich kann hier Herrn Dr. Motzkau ­ Sie kennen ihn ­, den Leiter der Ärztlichen in Düsseldorf, zitieren. Er hat gesagt, dass die Anzahl der Eltern, die sich dort melden, mit dem Bekanntheitsgrad der Ärztlichen wächst. ­ Wenn wir das Informationsmaterial dort weitergäben, wären wir als Kinder- und Jugendärzte aufgrund der Vorsorgeuntersuchungen in der Lage, den Eltern den Schritt zu erleichtern, selbst wenn sie uns gegenüber so etwas nicht äußern.

Dann würden wir es ihnen erleichtern, sich zum Beispiel bei der Kinderschutzambulanz zu melden.

Die Möglichkeit, Kinder mit standardisierten Untersuchungen besser zu erfassen bzw. zu schützen, haben wir schon längst. Dies muss lediglich in die Vorsorgen eingebaut werden. Da bitte ich Sie, dass Sie die Möglichkeiten, die Sie haben, um zum Beispiel auf den Gemeinsamen Bundesausschuss Druck auszuüben, nutzen, damit die Qualität der Vorsorgeuntersuchungen höher wird. Sie kennen die zähen Wege in den Ausschüssen, aber Sie kennen auch die Möglichkeiten, die Sie haben, zum Beispiel die Einführung der U7a. Diese Einführung der Vorsorgeuntersuchungen bei den Dreijährigen ist letztendlich auf Druck ­ das müssen wir ganz ehrlich sagen ­ der Politik zustande gekommen. Dafür möchte ich mich bedanken, wenngleich die Qualität der jetzt eingeführten Vorsorgeuntersuchungen nicht unseren Vorstellungen entspricht. Wir können damit allerdings Kinder erfassen.

Ich bin sicher, dass wir mit der verpflichtenden Vorsorge, wie sie jetzt eingeführt wird, diejenigen erfassen, die tatsächlich nicht zu uns kommen. Dies beinhaltet einen Großteil derjenigen, die auffällig sind. Dann werden wir einen Großteil dieser Kinder erfassen und diesen vernachlässigten und misshandelten Kindern Hilfen anbieten können. Hierin sehe ich einen großen Fortschritt.

Eine Bitte noch an Sie: Wir brauchen verbreiterte Toleranzzeiten, in denen diese Vorsorgeuntersuchungen in unseren Praxen abgewickelt werden können. Zurzeit sind die vom G-BA vorgegebenen Toleranzzeiten sehr eng. Das hat seine Gründe; darüber kann man reden. Es ist dann für uns allerdings nicht mehr praktikabel, all die Kinder zu erfassen, die möglicherweise auch aus harmlosen Gründen zu spät kommen. Es geht also auch darum, dass wir diejenigen, die nicht aus harmlosen Gründen zu spät kommen, mit diesem Vorsorgesystem erfassen können.

Dieter Greese (Deutscher Kinder- und Jugendschutzbund, Landesverband NRW e.V.): Sie haben den § 8 a angesprochen, der jetzt auf Bundesebene schon wieder in der Veränderungsdiskussion steht. Die Zielsetzung ist der Pflichtbesuch in den Familien. Davor haben wir als Kinderschutzbund gewarnt, weil die Jugendhilfe unserer Meinung nach immer das Problem hat, sich zwischen Hilfe und Kontrolle positionieren zu müssen. Es ist zweifellos so, dass der § 8 a die Kontrollrolle der Jugendämter verstärkt hat. Wenn jetzt auch noch gesagt wird, dass die Jugendämter bei jedem Hinweis sofort in die Familien gehen müssen, dann wird dieser Kontrollcharakter der Jugendhilfe ein weiteres Mal verstärkt. Das wiederum erschwert den Fachkräften in den Ämtern ihre Arbeit. Denn Leute, die sich nicht kontrollieren lassen möchten, entwickeln Verheimlichungs- oder Fluchtstrategien, die es schwerer machen, mit ihnen konstruktiv zusammenzuarbeiten.