Barrierefreiheit

Die notwendige Folgenabschätzung fällt nicht immer leicht. Deshalb sollte der Landesgesetzgeber die Dinge wirklich eingehend prüfen ­ mit dem Ziel, ein Gesetz zu verabschieden, durch dessen Anwendung der Schutz der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner vor den Risiken des Marktes in zukunftsfähiger Weise verbessert wird, und zwar im Vergleich zum bisherigen Bundesrecht.

Dr. Willibert Strunz (Landesbehindertenrat NRW): Ich spreche heute nur für die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Behinderter, weil der Landesbehindertenrat NRW keine Gesamtstellungnahme abgegeben hat. Herr Kreutz hat hier ja auch als Vertreter des gesprochen, und auch die anderen Verbände hatten die Möglichkeit zur Stellungnahme.

Die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Behinderter in NRW begrüßt es, dass durch den vorliegenden Gesetzentwurf die Interessen, Bedürfnisse und Teilhaberechte der Bewohnerinnen und Bewohner hervorgehoben werden, die Mitbestimmungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten verbessert werden und der erforderliche Schutz der betroffenen Menschen geregelt wird.

Wir unterstützen die allgemeinen Ziele, die mit dem Gesetzentwurf verfolgt werden, ausdrücklich. Das gilt insbesondere für die Stärkung des Verbraucherschutzes und die Verbesserung der Transparenz in der Betreuung und Pflege im Rahmen des ordnungsrechtlich Möglichen. Auch der Hinweis auf die Anpassungsnotwendigkeiten bei den nicht immer zeitgemäßen baulichen Gegebenheiten ist wichtig und stößt bei den Heimträgern hoffentlich auf fruchtbaren Boden.

Der Gesetzentwurf liegt zu einem Zeitpunkt vor, an dem die Diskussionen über die älter werdende Bevölkerung und deren zunehmenden Anteil an der Gesamtbevölkerung dramatische Züge annehmen. Wir meinen dennoch, dass Zeit genug ist ­ darin stimme ich mit Herrn Kreutz überein ­, die aufgrund der Zuständigkeitsfragen notwendige Gesetzesänderung umsichtig anzugehen, und dass man sich auch Zeit lassen sollte.

In der heutigen Stellungnahme werden wir uns angesichts der Kürze der Zeit auf einige wenige Punkte konzentrieren. Im Übrigen verweisen wir auf die abgegebene Stellungnahme zum Entwurf des Wohn- und Teilhabegesetzes.

Zum Zweck des Gesetzes. Wir sehen es als positiv an, dass die in § 1 Abs. 1, 2 und 3 genannten Grundsätze Anregungen aus der Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen enthalten und auch ­ das erkennt man, wenn man sich das genau durchliest ­ eine Orientierung an der UN-Menschenrechtskonvention für Menschen mit Behinderungen aufweisen. Daneben enthalten sie unter anderem auch die in den Art. 19 und 22 der Konvention genannten Rechte auf Privatheit und Teilhabemöglichkeiten in der Gesellschaft.

Vor dem Hintergrund der immer wieder vorkommenden Gewaltübergriffe, die auch nicht zu verhindern sind, ist der Hinweis besonders wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger in Betreuungseinrichtungen vor Gefahren für Leib und Seele geschützt werden sollen. Allerdings wird auch durch diese Prinzipien nichts an der strukturell bedingten Gewalt verändert, die die Unterbringung in Betreuungseinrichtungen mit sich bringt. Dennoch hoffen die Menschen, die ein Wohnen mit Assistenz und Pflege in Betreuungseinrichtungen benötigen, und ihre Angehörigen sehr darauf, dass der in § 1 formulierte Zweck auch tatsächlich umgesetzt wird.

Noch etwas zur Begrifflichkeit. Der im Gesetzentwurf gebrauchte Begriff Assistenz ist unserer Ansicht nach problematisch. Zwar ist er inzwischen in vielen Gesetzen adaptiert worden, weil dadurch offensichtlich eine moderne Sichtweise suggeriert wird, letztlich wird damit aber eine Light-Version von Assistenz in die Welt gesetzt, die mit dem Begriff persönliche Assistenz ­ also dem ursprünglichen Begriff ­, der vor allem in der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung verwendet wird ­ dort ist die Idee geboren worden ­, nur wenig gemein hat.

Der Begriff Assistenz, wie er beim Arbeitgebermodell der persönlichen Assistenz verstanden wird, beinhaltet eigene Kontrollmöglichkeiten über die Hilfeleistungen, die Wahrnehmung der Personal-, Anleitungs- und Organisationskompetenz und zukünftig bei Budgets auch noch die Finanzkompetenz. Das ist im Kontext Heim ja nicht vorgesehen.

Zur Mitwirkung und Mitbestimmung der Bewohner. Durch den Entwurf wird zwar vorgegeben, die Selbstbestimmung und die Mitwirkungsrechte der Bewohner zu stärken, gleichzeitig werden aber die Mitspracherechte bei wirtschaftlichen Angelegenheiten beschnitten. Das ist ein Widerspruch, der unseres Erachtens der Auflösung bedarf.

Die baulichen Vorgaben des Heimgesetzes für Betreuungseinrichtungen können nicht hinter bereits bestehenden gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit zurückbleiben oder ihnen geradezu widersprechen. Auch dort müsste man noch genauer hinsehen.

Zum Thema Privatheit und Schutz der Intimsphäre. Bei diesem Thema zeigt sich unseres Erachtens die ganze Widersprüchlichkeit der sogenannten Heimsituation. Auf der einen Seite ist in einem Zimmer, das mit zwei Personen belegt ist, Privatheit nicht möglich, auf der anderen Seite kann das dauernde alleinige Verweilen in einem Zimmer einer Isolation gleichkommen, wenn der Heimbewohner bzw. die Heimbewohnerin keine Verwandten mehr hat und auf die täglichen Kontakte mit dem Personal angewiesen ist, das verständlicherweise nicht dauerhaft zur Verfügung stehen und keine wirkliche bzw. echte Beziehung zu den Bewohnern aufbauen kann.

Von einem Paradigmenwechsel ­ damit widerspreche ich Herrn Fuchs ­ kann man bei diesem Gesetzentwurf eigentlich nicht sprechen. Insgesamt werden gute Ansätze gezeigt. Mit dem Reformansatz ist man zwar um eine Verbesserung gegenüber dem vorhandenen System, aber nicht um dessen Überwindung bemüht. Deshalb ist das auch kein Paradigmenwechsel.

Das eigentliche Dilemma der heutigen und künftigen Gesellschaftsentwicklung ist der zunehmende Verlust von Beziehungen. Die Betreuungseinrichtung kann hier nur eine Notlösung sein.

Vorsitzender Günter Garbrecht: Frau Servos vom Netzwerk von Frauen und Mädchen mit Behinderungen ist bisher noch nicht eingetroffen. ­ Weil ich die Ungeduld meiner Kolleginnen und Kollegen kenne, würde ich ihnen vor dem Beitrag von Frau Oncken gerne die Möglichkeit zu Nachfragen geben, falls das gewünscht wird, damit der weitere Ablauf nicht unterbrochen wird. Wenn ich keine Wortmeldung sehe, werden wir in der Anhörung wie besprochen fortfahren.

Angelika Gemkow (Die Beauftragte der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung in NRW): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Mit dem Wohn- und Teilhabegesetz werden für mich wichtige Weichen für die Zukunft des Wohnens und die Zukunft der Pflege gestellt. Behinderung und Pflege müssen gemeinsam und zusammen gedacht werden.

Die Landesregierung hat mit der umfangreichen Beteiligung und dem ausführlichen Dialog vor der Vorlage des Gesetzentwurfs einen guten Weg gefunden ­ ich habe mich in vielen Teilbereichen beteiligt ­, Meinungen und Impulse der beteiligten und verantwortlichen Akteure zu bündeln. Die widerstreitenden und unterschiedlichen Interessen der Akteure, die auch in dieser Anhörung teilweise wieder klar geworden sind, wurden für mich im Vorfeld sehr deutlich.

Ich will hier einen Punkt ansprechen, nämlich den Anwendungsbereich des Gesetzes, um den sich letzten Endes alles dreht. Wann ist es ein Heim? Wann kommt die Heimaufsicht? Wann wird kontrolliert? Wie wird die Vielfalt des Wohnens aussehen?

Das ist ein wichtiger Bereich. Wir müssen miteinander klären, wann wir die Heimaufsicht akzeptieren und wann nicht.

Ganz besonders freue ich mich darüber, dass die Enquetekommission Situation und Zukunft der Pflege in Nordrhein-Westfalen im Landtag, deren Vorsitzende ich von 2000 bis 2005 war, mit ihren Handlungsempfehlungen und Vorschlägen Pate gestanden hat. Viele der Mitglieder der Enquetekommission sitzen hier im Raum. Ich glaube, wir alle haben eine sehr gute Arbeit für die Zukunft der Pflege geleistet.

Wir alle müssen die Weichen für eine menschenwürdige Assistenz und Pflege behinderter und pflegebedürftiger Menschen in Nordrhein-Westfalen gemeinsam und unabhängig von diesem Gesetzentwurf stellen. Die Anforderungen an das Wohnund Teilhabegesetz möchte ich nur in ganz wenigen Sätzen beschreiben. Meine Stellungnahme liegt vor. Ansonsten haben wir ja immer wieder die Möglichkeit, über die Regelungen zu reden.

Das Wohn- und Teilhabegesetz ist ein Schutz- und Ordnungsrechtgesetz. Vorrangiges Ziel, das mit dem Wohn- und Teilhabegesetz verfolgt wird, ist es vor allen anderen Interessen, den Schutz und die Sicherheit für behinderte und pflegebedürftige Menschen zu leisten, die einen Assistenz- und Pflegebedarf haben.

Mit dem Wohn- und Teilhabegesetz werden nach meiner Auffassung wichtige Weichen für das Wohnen und die Teilhabe behinderter und pflegebedürftiger Menschen in Nordrhein-Westfalen gestellt. Ich begrüße den Gesetzentwurf ausdrücklich, weil dadurch, wie ich schon sagte, wichtige Weichen für die Zukunft der Pflege und die Vielfalt des Wohnens bei Pflege- und Assistenzbedarf gestellt werden.

Es ist eine Herausforderung für uns alle, neue und verlässliche Betreuungskonzepte und Dienstleistungen für die Zukunft der Pflege zu fördern.