Herbert Tritscher Bundesagentur für Arbeit Regionaldirektion NRW Ich beginne mit den Zahlen der einzelnen Studiengänge

Vorsitzender Ewald Groth (AIWFT): Vielen Dank, Herr Dr. Brinkmeier. - Wir haben jetzt eine Fülle von Fragen und beginnen mit Herrn Tritscher von der BA. Bitte schön.

Herbert Tritscher (Bundesagentur für Arbeit Regionaldirektion NRW): Ich beginne mit den Zahlen der einzelnen Studiengänge. In den letzten drei Jahren hatten wir die höchste Anzahl von Studierenden in Technikstudiengängen. In den 90er-Jahren lagen wir bei 59.000 bis 60.000, jetzt sind es durchschnittlich 83.000 Studenten, teilweise 87.000, es schwankt. Im Maschinenbau hatten wir in 2007 mit 37.000 Studienanfängern die höchste Zahl. In der Elektrotechnik geht es leicht zurück, weiter stabil sind Informatik und Wirtschaftsingenieurwesen.

Diese Hochtäler machen etwas Hoffnung, jedoch weise ich darauf hin, dass wir das schon hatten. Ich selbst war Personalleiter in einer Zeit, als wir keine Ingenieure eingestellt haben. Das prägt den Schweinezyklus. Wir müssen aufpassen, dass nicht eine Wirtschaftskrise ökonomische Spielregeln nach vorne schiebt.

Man merkt das sehr deutlich an der Bewegung im Maschinenbau. Maschinenbau ist zehn Jahre schlechtgeredet worden. Jetzt haben wir dort die höchsten Studienanfängerzahlen und nicht in der Elektrotechnik. Hier ist nicht nur Sachlichkeit gefragt, sondern wir sehen Wellen, die aus meiner Sicht mit Einstellverhalten zu tun haben.

Bei der Frage nach dem Ingenieurmangel beziehe ich mich auf den IAB-Kurzbericht unseres Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, der für die aktuelle Situation sagt: Die hohen Nachfragen, über die wir diskutieren, sind real. Es gibt aber keinen breiten Mangel, sondern regionale Engpässe im Bereich Maschinenbau, Elektro- und Wirtschaftsingenieurwesen. Mittelfristig ist der Akademikermangel im technischen Bereich in fünf bis zehn Jahren deutlich vorhersagbar.

Norbert Wichmann (DGB Bezirk NRW): Wenn wir wirklich Bildungsbenachteiligung aufheben wollen und erkannt haben, dass diese im Wesentlichen auf viele Migrantinnen und Migranten zutrifft, dann wird das nicht gehen, ohne dass wir wesentlich mehr Geld in unser Bildungssystem investieren und damit entsprechende Maßnahmen fördern, die der Bildungsbenachteiligung entgegenstehen bzw. sie aufheben können.

Ich fange beim schulischen System an: Es geht darum, dass wir nicht so früh selektieren dürfen. Der Carl-Bertelsmann-Preis hat gezeigt, dass es Bildungssysteme gibt, die explizit für Migrantinnen und Migranten besonders förderlich sind. Ich bitte darum, den Blick nach Kanada zu richten. Dort gibt es keine Einheitsschule, sondern das ist ein vorzeigbares Modell, das insbesondere im Bereich der Wirtschaft hohe Akzeptanz findet.

Wir reden aber über das Gesamtportfolio, das wir nutzen müssen, damit Migrantinnen und Migranten eine höhere Bildungsbeteiligung bekommen. Es geht beispielsweise um die Frage: Welche Qualifikationen - Schulabschlüsse, Studienabschlüsse bringen Jugendliche oder Erwachsene mit? Welche Möglichkeiten haben wir, diese entsprechend anzuerkennen? In der Diskussion setzen wir eine gewisse Hoffnung auf den europäischen Qualifikationsrahmen und die Umsetzung in den deutschen Qualifikationsrahmen. Handlungsdruck ist aber in einem Maße vorhanden, dass wir zu schnelleren Verfahren kommen müssen und nicht darauf warten können, bis die Prozesse so abgeschlossen sind, dass jemand, der seine Kompetenzen hier nachweist, die Leistung, die er erbracht hat, nahtlos angerechnet bekommt.

Es geht auch um die Öffnung von Hochschulen. Wir müssen im Bereich der sprachlichen Kompetenzen insbesondere für diejenigen Angebote machen, die in einem höheren Alter hergekommen sind. Wir müssen im Weiterbildungsbereich darauf achten, dass wir die Bildungsbenachteiligung, die es nach wie vor gibt, angehen, sodass insbesondere bildungsbenachteiligte Schichten einen Zugang zur Weiterbildung haben und entsprechende Abschlüsse im beruflichen und hochschulischen Bereich erreichen können.

Prof. Dr. Bernd Kriegesmann (IAI, Ruhr-Universität Bochum): Sie hatten nach dem Vergleich zwischen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gefragt. Warum gibt es dort deutlich mehr duale Studienangebote, aber auch eine hohe Anzahl offener Stellen im Ingenieurbereich? Hier muss man sich die Wirtschaftsstruktur in beiden Ländern anschauen. Wir diskutieren sehr pauschal über einen Ingenieurmangel - ich beziehe es erst einmal auf den akademischen Bereich -, man muss allerdings auch sehen, dass wir Ingenieure an Fachhochschulen und an Universitäten ausbilden. Die Arbeitsbiografie dieser Absolventen ist in aller Regel unterschiedlich.

Die Universitätsabsolventen gehen zweifelsfrei in höherem Maße etwa in die Forschung und Entwicklung, während die FH-Absolventen stärker in den umsetzenden Bereich gehen.

Wenn wir uns den Anteil an Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen am Bruttoinlandsprodukt anschauen, dann sieht der in Baden-Württemberg anders aus als in Nordrhein-Westfalen. Insofern kann man fest davon ausgehen, dass wir in einen sehr viel stärkeren Mangel im Bereich von Ingenieuren haben, die von der Universität kommen und in die Forschung und Entwicklung gehen. Baden-Württemberg ist extrem forschungs- und entwicklungsstark und hat dort hohe Bedarfe.

Man muss auch sehen, dass man mit dualen Studiengängen - ich persönlich bin sehr davon überzeugt, dass man das weiter forcieren muss - nicht alle Ingenieurprobleme erschlägt. Ich halte es für in hohem Maße begrüßenswert, dass duale Studienplätze im Rahmen der Ausbauplanung der Landesregierung eine so prominente Rolle spielen. An der Stelle möchte ich erwähnen, dass ich nicht nur Leiter des Instituts für angewandte Innovationsforschung bin, sondern seit kurzer Zeit auch Präsident der Fachhochschule Gelsenkirchen, die eine gewisse Erfahrung im Bereich dualer Studienangebote hat.

Worauf muss man achten? - Man muss darauf achten, dass nicht irgendwelche - ich sage es ganz salopp - absurden Quoten in den Ausbauanträgen auftauchen, die im mens hoch sind, aber nicht erreicht werden. Duale Studienangebote sind keine Selbstläufer. Das kreuzt sich ein bisschen mit Ihrer Frage, Herr Schultheis. Wir haben in Nordrhein-Westfalen durchaus Studienangebote in den Fachhochschulen Universitäten sind dort fast nicht beteiligt -, bei denen in einem Studiengang lediglich zwei Studierende sind. Mehr passiert dann nicht.

Wie kommen solche dualen Studienangebote zustande? - Entweder durch das Engagement eines einzelnen Kollegen, der davon überzeugt ist, oder eines - meist Großunternehmens. Die Kollegen machen das engagiert, um solche dualen Studienangebote zu forcieren. Es gibt in den Fachhochschulen überhaupt keine professionellen Strukturen, die beispielsweise aktiv insbesondere mit der mittelständischen Wirtschaft zusammenarbeiten. Duale Studienplätze laufen den Hochschulen nicht ins Haus, sondern man muss sich auf den Weg machen und sie ins Haus holen. Darauf sind Hochschulen qua ihrer Sozialisation nicht vorbereitet.

Großunternehmen sind im Bereich dualer Studienangebote relativ gut vertreten, der gesamte Mittelstand fast gar nicht. Wenn man Glück hat, dann gibt der Mittelständler alle drei Jahre einen dual Studierenden in das System, und das war es. Woran scheitert das? - Sie müssen plötzlich die Verträge mit denjenigen neu gestalten, die nicht nur die Ausbildung machen, sondern auch an der Hochschule studieren. Sie wissen gar nicht, wie die aussehen müssen. Wie müssen diejenigen vergütet werden? Ich möchte nur ein paar konkrete Fragestellungen aufwerfen. Ist der- oder diejenige berufsschulpflichtig? Das wissen viele Mittelständler nicht. Wenn sich Berufsschulen in dem Bereich bei kleinen Gruppen engagieren wollen, dann merkt man relativ schnell, dass das Engagement nicht deputatsmäßig erfasst wird. Hier fehlt die Schnittstelle zum Schulministerium. Die meisten Berufsschulen halten es für völlig unattraktiv, wenn sie für vier oder fünf Köpfe plötzlich zusätzliche Engagements fahren müssen.

Die Fachhochschule Gelsenkirchen - wenn ich kurz den Hut wechseln darf - macht sich jetzt auf den Weg und organisiert den Berufsschulunterricht für die Unternehmen, die mit uns kooperieren. Es gibt ganz pragmatische Fragen von Unternehmen von Studierenden: Zahlen sie die vollen Studienbeiträge oder nur die Hälfte? Zumindest bei den ausbildungsintegrierten Modellen sind sie ja nicht die ganze Zeit in der Hochschule. Das sind sehr konkrete Fragen, um die sich der einzelne Kollege neben seiner Überlast - die in meiner Hochschule im Maschinenbau derzeit bei 200 % liegt kümmert. Außerdem soll er auch noch kooperierende Unternehmen akquirieren. Das ist eine ganze Reihe von Detailproblemen, man könnte sie beliebig konkretisieren und ausweiten.

Vor diesem Hintergrund - das in Richtung Ihrer Frage, Herr Brinkmeier - muss bei den Ausbauplanungen dringend darauf geachtet werden, dass es nicht nur um die Zahl der Plätze geht, sondern dass dahinter auch überzeugende Strukturen stehen, die es ermöglichen, dass diese Studienplätze tatsächlich gefüllt werden bis hin zu möglicherweise entsprechenden Zielvereinbarungen und einer strukturellen Verankerung.