Ich bin Vorsitzender Richter am OLG Hamm und seit sieben Jahren Leiter des Organisationsdezernats

Grundbuchzeiten, auf die die meisten Leute ganz besonders dringend warten, als nicht gerade kurz bezeichnet werden.

Karl-Heinz Volesky (OLG Hamm): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!

Ich bin Vorsitzender Richter am OLG Hamm und seit sieben Jahren Leiter des Organisationsdezernats. Insofern habe ich genau mit diesen Fragen der Gerichtsorganisation in meinem Aufgabenbereich zu tun und sehe die Landschaft der Gerichte sehr genau von innen.

Zunächst vorausgeschickt: Die Debatte, die hier geführt wird, scheint auf zwei Ebenen zu laufen. Es geht aus meiner Sicht erst einmal um die grundsätzliche Frage, tief greifende Strukturveränderungen mit organisatorischen Auswirkungen vorzunehmen, aber nicht so sehr darum, irgendwelche Vor- und Nachteile kleinteilig gegeneinander abzuwägen. Das führt so ein bisschen von dem Grundsatz, der hier in Rede steht, weg.

Wir haben nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern bundesweit grundsätzlich die Situation, dass in einer Kommune ein Amtsgericht steht; das ist die Regel. Die Ausnahme ist, dass es zwei gibt. Dass es hier diese zwei Gerichte gibt, basiert auf historischen Zufälligkeiten, die auf die Kommunalreform in den 70er-Jahren zurückgeführt werden müssen, als bestimmte Möglichkeiten der Umorganisation, die an vielen Stellen vollzogen wurde, schlechterdings nicht konsequent weitergeführt werden konnten, weil der Büroraum an einer zentralen Stelle in den Gerichten fehlte, um ein Amtsgericht im Stadtzentrum zu schaffen und alle Bedienstete und Aufgaben unterzubringen.

Das ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien der Landtagsdrucksache, die ich meinem Beitrag beigefügt habe. Das Problem stellt sich heute nicht wesentlich anders dar. Hier wird das damalige Problem schlechterdings beseitigt, und auf der Grundlage des damaligen Willens des Landesgesetzgebers wird das nachgezogen, was damals schon angelegt wurde, und konsequent umgesetzt.

Ziel der Justiz heute ist es natürlich, die Effizienz in den Gerichten zu steigern. Wir sehen heute die Möglichkeit, durch eine solche Zusammenführung von Aufgaben Effizienzgewinne zu schöpfen.

Was die Gerichtsgröße betrifft, so hat Herr Lindemann sicherlich recht: Es gibt keine pauschalen Aussagen dazu, welche die ideale Größe ist. ­ Aufgrund meiner Erfahrung meine ich, dass Gerichte der mittleren Größe ­ 30 bis 30 plus ­ heute wahrscheinlich die besten Einheiten sind. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass wir inzwischen eine sehr weit ausgeprägte Spezialisierung in den Gerichten fahren, und diese Spezialisierung bedeutet vor allem vor dem Hintergrund der eingesetzten Informationstechnik, dass man nicht mehr so viele Möglichkeiten hat, die Vertretung sicherzustellen.

Das ist heute eigentlich das Kernproblem in den Gerichten, in denen die Personaldecke aufgrund von PEBB§Y sehr scharf kalkuliert ist: Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann resultieren diese daraus, dass irgendwo Personal ausfällt. ­ Diese Lücken kann man in kleinen Gerichten so gut wie nicht mehr schließen. Dann ist man auf fremde Hilfe angewiesen, und diese fremde Hilfe lässt sich auch aus einer Mittelbehörde von einem Landgericht oder Oberlandesgericht nicht mehr zeitnah steuern. Dort sitzen nämlich keine Leute auf der Ersatzbank. Vielmehr muss man von anderen Gerichten Leute wegholen, die dort wiederum ein Loch reißen. In diesen größeren Einheiten ist man in der Lage, mit Leuten, die in derselben Abteilung arbeiten, das entsprechende Fachwissen haben und die Fachanwendung beherrschen, diese Lücken zu schließen, sodass der Geschäftsbetrieb weiterhin gewährleistet ist.

Die Strukturveränderung betrifft diese beiden Gerichte; über die ganz großen Gerichte ist hier gar nicht die Rede. Hier geht es darum, zwei neue Gerichtszentren in einer Strukturgröße zu schaffen, die im Prinzip unserem Erfahrungsschatz nach eine Idealgröße darstellt. Das bedeutet auch nicht, dass sich die Landesregierung aus der Fläche zurückzieht, sondern dass sie einen Bereich abdeckt, der nur ein Gerichtszentrum in der Stadt vorsieht.

Einsparpotenziale sind gleichwohl vorhanden. Wir gehen davon aus, dass es ein paar Kleinigkeiten im Planstellenbereich mit sich bringt, wenn wir eine Direktorenstelle einsparen. Wir werden auch im Bereich des Verwaltungspersonals Synergieeffekte erzielen. Es liegt auf der Hand: Wenn man zwei identische Aufgaben in einer Stelle vereint, dann muss man bestimmte Dinge nur noch einmal machen. Und selbst wenn es darum geht, mehr Menschen zu verwalten, ist letztlich ein Einspareffekt vorhanden, der sich langfristig auswirkt.

Im Bereich der Sicherheit werden wir sicherlich auch Effekte erzielen, weil nur noch eine Eingangsschleuse zu bewachen und dafür Sorge zu tragen ist, dass die Menschen sicher ins Gericht hineinkommen. Dieser Effekt wird sicherlich dadurch verstärkt, dass das Sozialgericht in Gelsenkirchen sowie das Arbeitsgericht in Herne an diesen Standort dazukommen. Diesbezüglich sehen wir aus Sicht der Justiz langfristig Perspektiven, um auch heute ­ Stand 2008/2009 ­ und in den folgenden Jahren die Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten und auch die baulichen Möglichkeiten und Chancen einzubringen, die die Zeit heute mit sich bringt.

An beiden Standorten zu verharren, heißt, an den Grenzen dieser Möglichkeiten stehen zu bleiben und mit den Unzulänglichkeiten, die momentan vor Ort vorhanden sind, weiterhin leben zu müssen. Das heißt vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass in Gelsenkirchen und Gelsenkirchen-Buer in größerem Umfang bauliche Maßnahmen erforderlich sind, dass man einen Zustand festschreiben würde, der für die Zukunft unbefriedigend wäre.

Auswirkungen auf die Bürger sehen wir aus unserer Sicht nicht. Wenn man die Statistik betrachtet, dann ist es so, dass ein Durchschnittsbürger nur selten persönlich vor Gericht auftaucht. Insofern macht es für einen Bürger keinen Unterschied, ob er innerhalb eines Stadtgebiets zu Ort A oder Ort B fährt.

Für die Mitarbeiter gilt im Prinzip dasselbe. Sie kommen von außen und nicht aus der unmittelbaren Umgebung des Gerichts. Von daher ergeben sich für den einen ein paar Kilometer mehr und für den anderen ein paar Kilometer weniger Anfahrt. Das ist allerdings in Anbetracht der sehr geringen Entfernungen, um die es letztlich geht, hinzunehmen. Betroffen sind sicherlich die Notare in der Umgebung der Vorstadtgerichte, die inzwischen allerdings auch über andere Möglichkeiten verfügen; auch in diesem Bereich entwickelt sich die Technik weiter. Wir haben inzwischen ein elektronisches Grundbuchregister, auf das man von jedem Ort aus Einsicht nehmen kann, sodass der unmittelbare Weg der Notare, der früher gang und gäbe war, entfallen kann.

Für die Rechtsanwälte, die inzwischen überall auftreten können und nicht an irgendwelche Gerichtsorte gebunden sind, ist dieser Effekt vielleicht etwas negativ, weil sie nicht mehr die Robe über den Arm nehmen und zum Gericht laufen können. Das, was man an einem zentralen Gericht konzentrieren und gemeinsam abarbeiten und abhandeln kann, dürfte dies langfristig sicherlich aufwiegen.

Insofern kommen wir unter der Voraussetzung, dass die Standorte verkehrstechnisch günstig und gut zu erreichen sind und zentral liegen, zu der Auffassung, dass es aus unserer Sicht ausgesprochen wünschenswert und wichtig ist, dies umzusetzen und der Justiz die Chance zu geben, die aus solchen Maßnahmen resultierenden Rationalisierungspotenziale zu nutzen.

Vorsitzender Dr. Robert Orth: Vielen Dank. ­ Dann kommen wir nun zur ersten Fragenrunde, und ich darf Herrn Kollegen Stüttgen das Wort erteilen.

Gerd Stüttgen (SPD): Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Herren Sachverständige! Ich möchte direkt an die Ausführungen von Herrn Volesky anknüpfen. Herr Volesky, Sie stützen sich in Ihrer Stellungnahme wie auch in Ihrem Statement sehr stark auf Effizienz, Effektivität, Synergieeffekte und dergleichen. Allerdings vermisse ich sowohl in Ihrer Stellungnahme als auch in Ihren heutigen Ausführungen valide Zahlen. Ich gehe davon aus, dass man sich in einer Zeit, in der alle öffentlichen Haushalte besonderen fiskalischen Restriktionen unterworfen sind, solche Entscheidungen auch unter dem Gesichtspunkt der Finanzwirtschaftlichkeit, der Effektivität und der Effizienz sehr genau überlegt. Ich unterstelle, dass man Nutzwertanalysen, Kosten-Nutzen-Analysen und all das, was es in der modernen öffentlichen Betriebswirtschaftslehre heutzutage gibt, durchführt.

Also, der bloße Glaube daran ­ so habe ich es zumindest vernommen ­, dass sich Synergieeffekte ergeben werden, dass sich Einsparungen ergeben werden, dass sich ein Nutzen ergeben wird, reicht mir nicht aus, um dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Als Parlamentarier verlange ich valide Zahlen und dass gesagt wird: Wir haben das gegenübergestellt und im Sinne einer Kostenprojektion für die nächsten zehn Jahre ermittelt, welche Kosten entstehen, wenn die Gerichte zu Gerichtszentren vereint werden, und welche Kosten entstehen, wenn es beim Status quo bleibt. ­

Diese Zahlen, die ich für eine fundierte Entscheidung als notwendig erachte, vermisse ich ein Stück weit.

Thomas Kutschaty (SPD): Ich habe eine Frage an die beiden Vertreter der Kommunen. Sie sprachen das Thema aus kommunaler Sicht unter Stadtentwicklungsaspekten an; das ist aus Ihrer Sicht durchaus nachvollziehbar.