Grundschule

Sie sprechen Abgrenzungsprobleme an, dass man als Lehrer in der Praxis an gewissen Stellen sich nicht ganz sicher ist, wie trennscharf man die Notengebungen sortiert, ob der Schüler noch in der gerade etwas darüber liegenden Kategorie ist oder darunter. Die Frage: Ist Notengebung immer Präferenz frei? Kann man sich davon als Beurteiler vollkommen freimachen, als Lehrer genauso wie später auch als Arbeitgeber, im Vereinsleben, überall dort, wo solche Fragen anstehen.

Zur Beurteilung von Volljährigen: Wieso soll die Beurteilung von Arbeits- und Sozialverhalten, wenn es ein klares Kriterienraster gibt, wenn klar ist, was erwartet wird und das auch kommuniziert wird, mit dem Aspekt der Volljährigkeit im Gegensatz stehen zu einer Leistungsbewertung in Kunst, Sport, Musik oder Religion? Ist es ethischer, einen Volljährigen zu bewerten in Religion, aber unethisch, das im Bereich von Arbeits- und Sozialverhalten zu tun? Sie können vielleicht noch einmal erläutern, wo Sie dort die Differenzierung sehen zur generellen Notenvergabe. Es sei denn, Sie sagen, man muss die Notengebung an sich infrage stellen. Für Volljährige machen wir das nicht mehr. Wir geben es an sich für viele Fächer auf, weil es aus Sicht der Praxis viel zu schwierig ist in der gerechten Administration.

Zur Frage des Abschlusszeugnisses: Jede Note steht auf dem Abschlusszeugnis.

Deshalb gehören selbstverständlich auch Noten für das Arbeits- und Sozialverhalten auf ein Abschlusszeugnis, selbstverständlich. Ist es dann unethischer, wenn eine bessere Note im Sozialverhalten auf dem Abschlusszeugnis testiert wird, als die für Deutsch, Mathematik, Sport oder Religion? Wenn wir umgekehrt sagen würden, Kopfnoten dürfen wir auf halber Strecke geben, aber nicht auf dem Abschlusszeugnis, dann könnte das jemand erfahren, dann könnte das Bestand haben und Aussagekraft haben, auch anderen gegenüber. Damit würden wir hier Bewertungen und Noten erster und zweiter Klasse einführen. Im Sinne von Sport und Religion gehören Noten auf ein Abschlusszeugnis, weil es wichtig ist, aber das Arbeits- und Sozialverhalten gehören da nicht drauf, weil man damit über Jahrzehnte junge Menschen stigmatisiert. Das wäre völliger Unsinn.

Gerade in dieser Einheitlichkeit soll man auf Augenhöhe deutlich machen, dass Fachwissen und Arbeits- und Sozialverhalten bei einem ganzheitlichen Bildungsverständnis zusammengehören. So sehen wir das. Deshalb ist es systemimmanent, dass auf Abschlusszeugnissen alle Noten und Bewertungen auch hingehören.

Zur Frage der Verbalbeurteilung: Auf bestimmte Möglichkeiten an bestimmten Stellen hat Frau Ministerin Sommer noch einmal hingewiesen. Meine praktischen Rückmeldungen, jedenfalls in dem Wirkungskreis, in dem ich im Ruhrgebiet schwerpunktmäßig tätig bin, sind da sehr viel differenzierter. Ich höre teilweise Wünsche aus Elternhäusern, Verbalbeurteilungen zu bekommen, kenne aber auch nicht wenige Elternhäuser, in denen Verbalbeurteilungen und keine Noten präferiert werden und immer wieder Leute vorstellig werden und sagen: Was heißt das denn? Wir kennen es aus Beurteilungen der Grundschulzeugnisse, dass es schon Musterdateien gab zu Kodierung und Dekodierung wie in Arbeitszeugnissen, wie bestimmte Sätze und Passagen, die Verbalbeurteilungen enthalten, zu übersetzen sind.

Die Eltern, die die entsprechenden Textbausteine nicht kennen oder auch nicht über die PC-Software verfügen, suchen dann die Lehrer auf und sagen: Jetzt haben Sie mir ein paar nette Sätze geschrieben. Was heißt das denn? Wo steht denn mein Kind? Wie ist jetzt tatsächlich der Leistungsstand? Wenn wir jetzt nur noch im Charakter der Systematik von Arbeitszeugnissen verfahren, wenn wir freundlich normierte standardisierte Textbausteine wählen, damit wir keine Note ausgesprochen haben und derjenige anhand von Signalwörtern das dann rücktransferieren muss, um zu übersetzen, wie die Einschätzung eigentlich gemeint ist: Ob das immer das sinnvollere System ist, weiß ich. Ich glaube, das ist insbesondere für die nicht so bildungskundigen oder interessierten Elternhäuser, denen es nicht so leicht möglich ist, diese Transferleistungen selber zu erbringen, wo dann schnell Desinteresse eintritt, nicht richtig. Da wäre es sehr viel besser, klar nachvollziehbar für die Eltern zu sehen: Ist das Kind im oberen Bereich angesiedelt? Gibt es Abweichungen vom Durchschnitt nach unten, was vielleicht auch Handlungsbedarf vonseiten der Erziehungsverantwortlichen verursacht? Das wäre sehr viel sachgerechter.

Zu den Schulen ein Letztes: Diesen Appell möchte ich hier loslassen. Das will ich auch öffentlich ansprechen. Wir haben kein konzeptionelles Defizit, was die Entwicklung für die Kopfnoten und die Systematik angeht. Wir haben aber in Teilen ein Umsetzungsdefizit, weil auch nicht von all dem, was politisch gewollt ist, jedwede Schule und jedweder Lehrer im vollen Umfang so Gebrauch macht, wie es sinnvoll wäre.

Wenn man hört - das wird regelmäßig von der Opposition vorgetragen, man liest es auch gelegentlich in der Presse -, dass es Lehrer gibt, Schulen, die sich öffentlich so äußern, dass sie bewusst von der Bandbreite der Notengebung im Bereich Arbeits- und Sozialverhalten keinen Gebrauch machen wollen - die Opposition hier im Haus verwendet den Bericht Einheitsnoten, vielleicht ist da auch die Nähe zu anderen Einheitsideen sehr groß, nehmen wir diesen Begriff -, dass sich dort Lehrer verabreden, weitestgehend Einheitsnoten für alle Schüler zu verwenden, dann fährt man ein solches System in der Tat ad absurdum. Das ist aber nicht ein konzeptionelles Defizit dessen, was hier in der Politik beraten und verabschiedet wird.

Ich appelliere ausdrücklich an jede Schule und an jeden einzelnen Lehrer, von den Möglichkeiten Gebrauch zu machen, jährliche Noten zu geben, begründete, sachgerechte Noten zu geben. Wenn sich Kollegien zurückziehen und sagen, den geringsten Konflikt haben wir, wenn 95 % der Schüler über alle Bereiche durchlaufend dieselbe Note bekommen und nur bei extremen Abweichungen überlegen wir, ob wir kleinere Korrekturen vornehmen, dann schöpfen wir in der Tat die Vorteile einer Bewertung im Bereich der Kopfnoten nicht voll aus. Hier muss man ehrlich miteinander sprechen. Wir müssen ein gemeinsames Interesse haben, mit den Schülern und den Lehrern zu sprechen, die nicht im Ergebnis dafür sorgen, dass die Möglichkeiten im Gebrauch der Bewertung vom Arbeits- und Sozialverhalten akzeptiert werden, die wir politisch extra nach dem Politikwechsel geschaffen haben.

Sigrid Beer (GRÜNE): Ich möchte Frau Ministerin bitten, uns im Ausschuss mitzuteilen, wann welche Gespräche mit Lehrerverbänden nach den Abschlusszeugnissen, mit der Landesschülerinnenvertretung, mit Elternverbänden zu Rückmeldungen zu den Kopfnoten stattgefunden haben, welche Ergebnisse es gab. Es wäre sehr nett, wenn Sie uns das vorlegen würden.

Sie haben eben in einer Bemerkung zur Frage gesagt: Wie sind die drei Noten pädagogisch begründet? Ich zitiere, so, wie ich es mir mitgeschrieben habe: Wir haben gemerkt, Selbstständigkeit ist nicht mit schulischem Leben gefüllt. Ich hoffe, das war keine Analyse der Schulen in Nordrhein-Westfalen. Das verweist aber durchaus auf etwas, dass nämlich Dinge, die wünschenswert sind, nicht durchgängig in Schule implementiert sind. Da spreche ich Herrn Bos mit seiner Studie und den Ergebnissen an, weil es darauf auch Hinweise gibt, dass in der Umsetzung in den Schulen - deswegen sind die Kopfnoten auch nicht belastbar - sehr unterschiedlich vorgegangen wird.

In der Tabelle 9 bei den Schulleitungsrückmeldungen fragen Sie: An meiner Schule wurden die Beurteilungskriterien für alle Lehrenden verbindlich definiert. Da sagen knapp 50 %, das trifft für meine Schule zu. Knapp 30 % sagen, es trifft eher zu. Das heißt, in dem einen oder anderen Fall mag es vielleicht angewendet werden oder nicht. Der Rest sagt sogar: trifft eher nicht oder nicht zu. In Bezug auf eine sehr wichtige Sache, das trifft die Problematik mit der Selbstständigkeit: An meiner Schule wird im Kontext des Unterrichts explizit angemessenes Arbeits- und Sozialverhalten vermittelt. Bewerten kann eine Schule seriöserweise auch nur das, was sie im Lernangebot hat. Denn sie soll ja nicht die Elternleistungen bewerten. Auch da ist interessanterweise die Rückmeldung, dass nur knapp 55 % sagen: Das trifft wirklich zu. Der Rest ist in einer Grauzone. Das heißt, es ist nicht durchgängig an den Schulen so, dass die Lernangebote auch da sind. Was wird dann eigentlich in den Kopfnoten hinterher bewertet? Wie bewerten Sie dieses häufig zu findende Phänomen, dass Schulleitungen sagen: Das trifft eher zu. Das heißt, es ist offensichtlich nicht vollkommen in der Schule implementiert.

Ute Schäfer (SPD): Ich möchte auch noch einmal auf die Aussagen von Frau Ministerin eingehen, was die unterschiedlichen Grundlagen für diese Evaluation angeht.

Sie sagen einerseits, Sie hätten mit allen besprochen, was Sie vorher versprochen haben. Nur wir haben nichts von dem auf dem Tisch, was Sie hier behaupten. In der Evaluation steht drin: Es ist in den Anhörungen zum Ausdruck gekommen. Es gibt Beschwerden bei den Bezirksregierungen. Da ist auch etwas zum Ausdruck gekommen. Darüber liegt uns aber nichts vor, nur eine Bewertung Ihrer Aussagen, aber keine wissenschaftliche Untersuchung. Die einzige wissenschaftliche Umfrage liegt vor bei der Befragung der Arbeitgeber und der Schulleitungen. Das ist und bleibt für mich der Wortbruch mit Blick auf das, was wir hier und heute besprochen haben.

Es ist das Verfahren, Herr Kaiser, das wir heute diskutieren. Wir wollen nicht noch einmal in die Anhörung zu den Kopfnoten hinein, damit das ganz klar ist. Deswegen hatten wir die Experten auch gebeten. Es geht schlicht und einfach um das Verfahren. Das Verfahren, das Sie uns als Ergebnis auf den Tisch gelegt haben, entspricht nicht dem, was Sie den Menschen im Land Anfang des Jahres versprochen haben.

Das bleibt schlicht und einfach Fakt.