Ausschuss für Bauen und Verkehr

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales (77.) rt-be ren Klasse, die ihnen finanziell nahesteht, aber nicht arbeitet, jetzt zusätzlich noch eine solche Leistung angeboten wird.

Stefan Pfeifer (DGB Bezirk NRW): Ich fange gerne mit der letzten Frage an. Es ist schon interessant, dass bei der Diskussion über dieses Thema das Lohnabstandsgebot von den Gleichen hochgehalten wird, die davon nichts hören wollen, wenn wir über Mindestlöhne und über die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen reden.

Das sind oft diejenigen, die ein Interesse daran haben, im Niedriglohnbereich die schon von Hartz IV Abhängigen gegen die noch kurz darüber Stehenden auszuspielen. Sie spielen sie aus und arbeiten nicht konstruktiv daran mit, für die Bezieher von Niedriglohn und für die Arbeitslosen Lösungen zu finden ­ mit Mindestlohn, mit allgemeinverbindlichen Tarifverträgen, mit einer vernünftigen Hartz-IV-Ausstattung und mit einem Sozialticket. Das alles muss man am Ende auch zusammen sehen. In der Tat geht es darum, die Betroffenen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern die Zusammenhänge zu erkennen und Lösungen zu konstruieren. Das ist der entscheidende Punkt.

Ich verfolge die Sozialneiddiskussion seit vielen Monaten. Häufig wird argumentiert, diejenigen, die knapp über Hartz IV lägen und nicht zu den Berechtigten gehörten, seien neidisch auf diejenigen, die ein Sozialticket bekämen. Ich sage Ihnen: Hauptsächlich kommt dieses Argument nicht von denen, die so wenig verdienen. Sie wissen, dass sie morgen selbst in der Situation sein können, auf ein solches Ticket angewiesen zu sein. Vielmehr wird die Sozialneiddiskussion in erster Linie von denjenigen geführt, die genug Geld haben, um ein großes Auto zu fahren, die Spritpreise zu bezahlen usw. Das geht auch aus den Umfrageergebnissen hervor. Wenn Sie die Menschen einmal nach ihrer Bewertung eines solchen Sozialtickets fragen, stellen Sie fest, dass es oft die besser Verdienenden sind, die es nicht gut finden.

Nun komme ich zu der anderen Frage. In diesen Monaten erleben wir, wer welche öffentlichen Finanzen für sich in Anspruch nimmt und wer sie auch verschleudert.

Vor diesem Hintergrund müssen wir die Diskussion heute anders führen als vor einem Jahr oder zwei Jahren. Aus unserer Sicht ist ganz offensichtlich, dass wir die öffentliche Daseinsvorsorge über Jahre vernachlässigt haben. Wir haben zu wenige Mittel dafür investiert. Der Staat hat sich zu stark daraus zurückgezogen. Er hat zu viel privatisiert und zu viel an Private übertragen. Die Daseinsvorsorge ist ausgehöhlt. Aus der Wirtschaftskrise kommen wir nur dann wieder heraus, wenn wir auch die Daseinsvorsorge insgesamt wieder stärken. Dazu gehören natürlich mehr Mittel für den ÖPNV ­ im ersten Schritt aus einem Konjunkturpaket, später aus weiteren Finanzierungsquellen. Dann müssen wir darüber diskutieren, wie man das Ganze finanziert. Das brauchen wir heute vielleicht noch nicht zu tun.

Barbara Steffens (GRÜNE): Herr Pfeifer, halten Sie es ­ unabhängig von der angeblichen Sozialneiddebatte ­ für sinnvoll, Sozialtickets auf den Personenkreis der SGB-II-Bezieher zu beschränken? Oder wäre es nicht ohnehin sinnvoller, einen größeren Personenkreis einzubeziehen, wie das in Köln geschieht oder früher in Müns

Ausschuss für Bauen und Verkehr (76.) 21.04.

Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales (77.) rt-be ter gemacht wurde? Sollte man das Ganze also an ein anderes Kriterium koppeln, beispielsweise den Wohngeldbezug, sodass auch die Bezieher der Niedrigsteinkommen ­ die wir bei der aktuellen Regierungskonstellation wahrscheinlich noch eine Weile haben werden ­ in den Kreis der Berechtigten für ein Sozialticket fielen?

Stefan Pfeifer (DGB Bezirk NRW): Ich danke für diese Frage. Weil ich schon lange genug gesprochen hatte, bin ich auf diesen Punkt gerade nicht mehr eingegangen. In der Tat haben wir große Sympathien für das Kölner Modell, das für die Bezieher von Leistungen nach SGB II, SGB XII und Asylbewerberleistungsgesetz sowie diejenigen, deren Einkommen bis zu 10 % darüber liegt, zur Verfügung steht. Damit erreicht man zum Beispiel auch diejenigen, die die Straßenbahnen fahren. Sie liegen ungefähr in dem Bereich von Hartz IV plus 10 %. Zu Beginn ihrer Berufstätigkeit verdienen Straßenbahn- und Busfahrerinnen und -fahrer ja nicht viel mehr. Am Ende muss nach unserer Auffassung aber die Kommune über die genaue Ausprägung entscheiden. Das braucht nicht vom Land vorgeschrieben zu werden. Allerdings halten wir als DGB die Pass-Modelle einzelner Kommunen für ausgesprochen interessant und unterstützen sie.

Vorsitzender Wolfgang Röken: Da im Augenblick keine weiteren Wortmeldungen zu Nachfragen vorliegen, rufe ich den nächsten Block von Sachverständigen auf.

Hubert Jung (Dortmunder Stadtwerke AG): Naturgemäß kann ich hier nur aus der Praxissicht eines Verkehrsunternehmens berichten. Die Entscheidung, ob ein Sozialticket eingeführt wird, obliegt nach unserer Auffassung der jeweiligen Kommune. Es ist eine sozialpolitische Entscheidung ­ genauso wie die Entscheidung über die konkreten Tarifhöhen im VRR bei politisch Tätigen liegt, nämlich dem Zweckverband bzw. dem Verwaltungsrat, der sich bekanntermaßen aus Delegierten der einzelnen Kommunen zusammensetzt.

In unserem Fall hatte die Stadt Dortmund die Einführung eines Sozialtickets gewünscht. Dies stieß in unserem Aufsichtsrat auf Zustimmung. Mit dem Modell, ein Sozialticket im Abo abzugeben, haben wir einen Weg gewählt, der eine schnelle Einführung erlaubte. Das reguläre Ticket1000, das im VRR vertrieben wird, wird gegen einen Eigenanteil von 15,00 an den Bezugsberechtigten abgegeben. Den Differenzbetrag zum regulären Verkaufspreis von derzeit 48,90 bezahlt die Stadt. Die Entwicklung eines lokalen Sozialtickets als Tarifangebot wurde verworfen, weil uns dies als in der Kürze der Zeit nicht machbar erschien. Das hätte nämlich genau kalkuliert werden müssen, dann vom VRR beschlossen werden müssen und anschließend auch von der Bezirksregierung in Düsseldorf abgesegnet werden müssen. Dieses Prozedere dauert erheblich länger als die Umsetzung des von uns gewählten Modells, das innerhalb von drei Monaten realisiert werden konnte.

Mittlerweile verfügen 23.600 Berechtigte über dieses Sozialticket im Abo. Das von der Stadt kofinanzierte Ticketangebot führt bei vielen treuen Kunden unseres Unternehmens zu spürbaren Entlastungen. Rund 7.100 Abonnenten, die für ihre Abokarte

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Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales (77.) rt-be zuvor im Mittel 40,00 ausgegeben hatten, wechselten zu dem für sie günstigeren Sozialticket. Etwa 2.500 Personen aus diesem Kreis hatten zuvor das Ticket2000, das heute etwa 53,00 kostet. Ungefähr 11.700 Fahrgäste, die bisher mit im Barverkauf erworbenen Einzel- oder 4er-Tickets oder auch mit einzeln erworbenen Monatskarten im ÖPNV unterwegs waren und dafür ca. 30,00 monatlich bezahlten, wechselten ebenfalls in das Abonnement. Die große Mehrheit der 23.600 Sozialticketinhaber war somit schon vor der Einführung des Sozialtickets mit Bussen und Bahnen in Dortmund mobil unterwegs.

Diese Zahlen sind in zwei Befragungen von einem unabhängigen Institut nach Einführung des Sozialtickets seriös ermittelt worden. Die Angaben zu den bisherigen Ausgaben für Tickets im Barverkauf sind in diesem Zusammenhang auch plausibel.

Wer nur zweimal wöchentlich zum Beispiel zum Einkauf oder zum Arztbesuch unterwegs ist, also hin- und zurückfährt, benötigt im Monat vier 4er-Tickets, die heute einzeln 7,70 kosten, also etwas mehr als 30,00 monatlich.

Die Ausgleichszahlung der Stadt ist in diesem Zusammenhang unabdingbar. Der Tarifwechsel der knapp 19.000 Sozialticketbezieher, die bereits vorher unser Fahrangebot genutzt haben, führt, wenn man den von der Stadt zu tragenden Anteil an den Sozialtickets ausblendet und unberücksichtigt lässt, zu spürbaren Einnahmerückgängen. Die von den Neukunden ­ nach dem Ergebnis unserer Befragungen sind es etwa 4.700 ­ kommenden Einnahmen gleichen bei der Dortmunder Lösung diese Rückgänge nicht aus. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass wir einen Kostendeckungsgrad von etwa 65 % haben, also nicht in der Lage sind, großzügig über Gewinne zu disponieren, sondern aufpassen müssen, dass uns das Defizit von mehr als 60 Millionen nicht ganz aus dem Ruder läuft.

Nach den Erfahrungen meiner Mitarbeiter im Kontrolldienst ist Unehrlichkeit kein schichtenspezifisches Phänomen. Auch steigt die Neigung zum Schwarzfahren nicht, wenn die Höhe des verfügbaren Einkommens sinkt. Die Zahl der Fahrgäste, die bei einer Kontrolle keinen Fahrausweis vorzeigen konnten, schwankte in Dortmund in den letzten drei Jahren ­ bei 1,3 Millionen Fahrten, die wir tatsächlich kontrollieren ­ unverändert um den Wert von 2,3 %. Jeder Dritte, der bei einer Kontrolle ohne Fahrschein angetroffen wurde und deshalb nach den Regeln des VRR in diese Schwarzfahrerquote von 2,3 % einberechnet wurde, hatte tatsächlich doch einen Fahrschein; er hatte ihn nur nicht dabei. Er hatte nämlich ein persönliches Aboticket, das nur für ihn gilt. Wenn er dieses Ticket später vorzeigt, braucht er nur eine geringe Bearbeitungsgebühr zu zahlen, und die Sache ist erledigt. Er ist eigentlich kein Schwarzfahrer, sondern hat sich nur ein bisschen dusselig benommen.

Ursula Grewe (Kreis Unna): Der Kreistag des Kreises Unna hat im Jahr 2008 die Einführung eines Sozialtickets beschlossen. Das Ticket wurde tatsächlich zum 1. Dezember 2008 eingeführt. Als Berechtigte für das Sozialticket kommen gut 40.000 Empfänger von Transferleistungen aus dem Kreis Unna infrage. Neben den Transferleistungsempfängern nach dem SGB II und dem SGB XII gehören dazu auch Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten,