Umweltschutz

54. Sitzung (öffentlicher Teil) nie 1 Nordrhein-Westfalen muss aufwachen - Sirenenalarm!

Die Bevölkerung muss bei Störfällen, Unglücken und Naturereignissen alarmiert werden (Anlage) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

- Sachverständigengespräch Vorsitzender Winfried Schittges begrüßt die Sachverständigen, kündigt die abschließende Beratung und Abstimmung über den Antrag für die Sitzung am 18. Juni an und erteilt dem ersten Redner das Wort.

Norbert Kronenberg (Städtetag Nordrhein-Westfalen): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal herzlichen Dank dafür, dass wir hier vortragen dürfen. - Seit zehn Jahren führen wir eine Systemdiskussion. Ein System zum Wecken, zum Alarmieren und zum Informieren muss ein umfassendes System sein. Den Kommunen ist es eigentlich völlig egal, wie dieses System aussieht.

Das, was funktioniert, ist das Informieren. Das ist gewährleistet.

Das, was verbesserungswürdig ist, ist das System zum Wecken und zum Alarmieren.

Ein System zum Alarmieren kann nach unseren derzeitigen Kenntnissen ­ und die sind sehr gut begründet; das werden wir gleich noch hören ­ nur aus Sirenen bestehen. Es gibt immer wieder Expertenrunden, die sich auf Ergänzung von Rauchmeldern, über Telefon, über Handy, über Radio und über Fernsehen unterhalten. Das sind allerdings alles keine Systeme zum Wecken.

Gebraucht werden aber zwei Phasen: Wecken und Informieren. Wir reden jetzt nur über die erste Phase, das Wecken.

Die eierlegende Wollmilchsau, die haben wir noch nicht. Sirenen, die sprechen können, gibt es. Aber wenn wir darüber reden, reden wir über wesentlich mehr Geld als das, was wir gerne hätten, um eine Alarmierung durchführen zu können.

NRW ist ein hervorragendes Chemieland. Das, worüber Sie entscheiden, ist eine Erhöhung der Sicherheit der Menschen in NRW. Wir als Kommunen bitten Sie, in diese Richtung und in unserem Sinne zu entscheiden. Entscheiden Sie aber bitte nicht, dass Sirenen kommen sollen, aber die Kommunen sie zu bezahlen hätten.

Der heutige Termin ist ein Expertengespräch. Experten sitzen für uns vor Ort. Aus diesem Grunde habe ich Herrn Döpcke gebeten, hier teilzunehmen. Herr Döpcke ist der Vorsitzende der Umweltamtsleiterkonferenz. Und wir haben Herrn Fritzen gebeten, sich zu dem Thema Sirenentechnik Ihren Fragen zu stellen. Herr Fritzen ist für uns der Sirenenguru.

54. Sitzung (öffentlicher Teil) nie Helmut Döpcke (Städtetag Nordrhein-Westfalen): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Den meisten wird es bekannt sein, aber ich möchte Ihnen doch noch einmal die Problematik an zwei Zahlen deutlich machen.

In Nordrhein-Westfalen unterliegen knapp 16.000 Anlagen der 4. Dabei handelt es sich nur um die besonders großen Anlagen, die einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen. Innerhalb dieser Gruppe gibt es gut 2.000 Anlagen, die zusätzlich noch erhöhte Anforderungen nach der EVU-Richtlinie bzw. der Störfallverordnung erfüllen müssen.

Bis zur Verwaltungsstrukturreform war sowohl die Genehmigung als auch die Überwachung dieser Anlagen ausschließlich Sache der Landesverwaltung. Mit der Verwaltungsstrukturreform ist eine Teilung erfolgt: Rund 11.000 Anlagen liegen nunmehr in kommunaler Zuständigkeit, etwa 4.000 in Landeszuständigkeit. Diese Teilung sagt aber nichts über die Art der Anlagen und ihre Gefährlichkeit in Bezug auf die Gefährdung der Bevölkerung aus.

Wir - sowohl die Kollegen der Landesverwaltung als auch der Kommunalverwaltung sind bei einer Gefährdungslage elementar darauf angewiesen, frühzeitig und rechtzeitig eine Einschätzung vornehmen zu können. Hier hat die Verwaltungsstrukturreform Veränderungen gebracht. Denn die Anlagen, unabhängig davon, ob sie in der chemischen Industrie oder in anderen Bereichen eingesetzt sind, arbeiten mit sehr vielfältigen und unterschiedlichen Grundstoffen. Wenn es dann zu einem Störfall kommt, ist es unglaublich schwierig und komplex, sehr schnell vor Ort Entscheidungen zu treffen, welche Reaktionen zum Schutz der Bevölkerung vorzunehmen sind.

Ist nun aber ein solcher Entscheidungsweg gewählt worden, sind einheitliche Standards und die Möglichkeit, das Ganze entsprechend zu kommunizieren, elementar und zwingend erforderlich. Ein derartiges einheitliches System, was der Bevölkerung bekannt ist und womit sie umgehen kann, ist gerade aus Sicht des Umweltschutzes und mit Blick auf den Schutz der Bevölkerung vor Immissionen wichtig.

Und dieses ist nun einmal ein Sirenensystem.

Gestatten Sie mir eine Anmerkung zum Schluss. ­ Wir haben ­ nicht zuletzt in der Stadt des Vorsitzenden ­ in den vergangenen Jahren vielfältige Erfahrungen mit Störfällen sammeln müssen. Es war sehr problematisch, die Bevölkerung zu warnen, und zwar insbesondere immer dann, wenn - als Einstieg - eine Grundwarnung erfolgte, die da lautete: Die Lage lässt sich noch nicht genau einschätzen. Halten Sie bitte Türen und Fenster geschlossen! - Wenn man diese Warnung über Polizeifahrzeuge mit relativ leisen Mikrofonen versucht zu verbreiten, können Sie sich vorstellen, was das Erste ist, was die Bevölkerung tut: Sie reißt das Fenster auf, um zu hören, worum es eigentlich geht. Damit haben wir das Gegenteil von dem erreicht, was wir wollten.

Andere Warn- und Alarmsysteme sind hier besser geeignet. Wir als Städtetag haben dazu Vorschläge eingebracht.

Christoph Unger (Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Herzlichen Dank

54. Sitzung (öffentlicher Teil) nie zunächst einmal für die Einladung. - Ich muss hier, im Landtag von Nordrhein Westfalen, noch einmal ganz deutlich sagen: Wir, der Bund, sind nicht für den Katastrophen- und Brandschutz und damit auch nicht für die Warnung in derartigen Lagen zuständig. Unsere Aufgabe ist es, die Bevölkerung im Verteidigungsfall zu warnen. Das ist seit vielen Jahren unsere Aufgabe und wird auch nach der Änderung des Zivilschutzgesetzes weiterhin unsere Aufgabe sein.

Sie wissen alle, dass wir während des Kalten Krieges ein umfassendes Sirenenwarnsystem hatten. Es waren nicht nur rein technisch Sirenen vorhanden, sondern es gab ein Netzwerk von Behörden, von Warnämtern, von denen aus dieses Sirenennetz gesteuert werden konnte. Allerdings diente dieses Netz in der Tat nur der Warnung vor Gefahren im Krieg, also ABC-Warnungen und Warnungen vor Luftgefahr.

Der Bund hat ­ das wissen Sie auch ­ dieses System in den 90er-Jahren abgebaut.

Die große Masse der Sirenen wurde den Kommunen angeboten und zum Teil von ihnen - so auch in Nordrhein-Westfalen - übernommen. Die Sirenen dienen seitdem aber im Wesentlichen nur zur Alarmierung von Einsatzkräften bzw. sind existent im Nahbereich von gefährlichen Anlagen.

Seine Aufgabe Warnung der Bevölkerung nimmt der Bund seitdem bis zum heutigen Tage durch ein neues System, ein sogenanntes satellitengestütztes Warnsystem, wahr. Wir nutzen einen kommerziellen Satelliten, über den dann Warninformationen an die Bevölkerung über Rundfunk, über Fernsehen, über Internet, über Paging etc. weitergegeben werden können.

Es fehlt aber der berühmt-berüchtigte Weckeffekt. Darüber, was man diesbezüglich gemeinsam tun kann, um zum Ziel zu gelangen, gab es in der Folgezeit Diskussionen zwischen Bund und Ländern. Denn nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in anderen Bundesländern besteht Druck, zu einer neuen Lösung zu kommen.

Wir als Behörde haben auch deshalb in den letzten Jahren verschiedene technische Varianten - als da wären: Funkuhren, Rauchwarnmelder, Teilfunktionen des Mobilfunknetzes, andere technische Lösungen -, die unser System ergänzen können, geprüft; die Ergebnisse liegen Ihnen in Kurzform vor. Alle Lösungen weisen nach unserer Auffassung Vor- und Nachteile auf, auch die Sirenen; darauf werde ich abschließend kurz eingehen.

Zum aktuellen Stand der Gespräche zwischen Bund und Ländern: Im Januar hat der Arbeitskreis 5 der Innenministerkonferenz einen Beschluss gefasst, mit dem wir als Behörde beauftragt worden sind, ein neues umfassendes, bundeseinheitliches Warnkonzept technisch zu entwickeln. Wir werden darüber in der nächsten Woche im AK 5 beraten. Das Ziel ist es, bis Ende des Jahres ein solches neues Warnkonzept bundeseinheitlich zu entwickeln, das auf dem vorhandenen Satellitenwarnsystem aufsetzt, es ergänzt und letztlich lage-, region- und ortsangemessen entsprechende Warnmittel andocken lässt. Das kann im Einzelfall die Sirene sein, das können aber auch ganz andere Warnmittel sein: Je nach Gefährdungsgrad der Region, je nach Geländetopografie etc. müssen unterschiedliche technische Lösungen genutzt werden.