Wir kommen heute 14 Tage nachdem das Schneechaos im Münsterland Einzug erhielt hier zusammen

6. Sitzung (öffentlich) rt-beh de, wir sind es den Betroffenen im Münsterland schuldig, dass wir als Landtag Nordrhein-Westfalen uns sehr intensiv mit dem Thema hier beschäftigen. Insofern möchte ich vorab seitens unserer Fraktion insbesondere den Dank richten an alle, die in der Region geholfen haben, Feuerwehrkräfte, Polizei, Rotes Kreuz, Malteser Hilfsdienst, THW, Bundeswehr und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des RWE und der Telekom.

Wir kommen heute, 14 Tage nachdem das Schneechaos im Münsterland Einzug erhielt, hier zusammen. Ich meine, dass der Zeitpunkt sehr gut ist. Denn zuerst musste die Hilfe der Bürgerinnen und Bürger im Vordergrund stehen. Die Nachbetrachtung soll natürlich in einer zeitlichen Nähe geschehen, aber es war wichtig, dass zunächst einmal die Probleme abgearbeitet werden, bevor wir dies politisch nachbetrachten. Insofern halte ich den Zeitpunkt für richtig, da gerade am vergangenen Wochenende über die Medien einige neue Erkenntnisse zutage getreten sind, über die wir heute sprechen können, was sonst wohl nicht der Fall gewesen wäre.

Ich möchte der Höflichkeit halber nicht vorab meine Fragen stellen, denn meiner Meinung nach sollten wir erst einmal unseren Gästen die Möglichkeit geben, ihre Statements abzugeben, da ich glaube, dass sich dadurch eine Vielzahl der Fragen von selbst erledigen wird. Ebenso ­ hier möchte ich Herrn Römer ansprechen ­ möchte ich nicht vor der Anhörung Schlussfolgerungen ziehen, sondern ich finde es sinnvoll, zunächst einmal die Schilderung der Unternehmen und der regional Verantwortlichen zu hören.

Insofern möchte ich Sie dahingehend korrigieren, dass der Innenminister keineswegs eine Schlussfolgerung gezogen hat, sondern er hat in die derzeit laufende Diskussion den Vorschlag eingebracht, einmal darüber nachzudenken, die Kabel unter die Erde zu legen. Ich würde mich freuen, wenn wir heute einige Informationen über das Kosten/Nutzenverhältnis und darüber bekommen könnten, welche anderen Probleme dabei eine Rolle spielen.

Ich hoffe, dass wir uns heute sachlich fair austauschen werden. Das ist sicherlich der Beginn und nicht das Ende der Debatte. Ich bin mir sicher, dass wir noch einige Male über dieses Thema im Ausschuss und im Plenum reden werden. Ich hoffe, dass wir an einem Strang und in dieselbe Richtung ziehen werden, denn dies ist kein Thema, bei dem man sich politisch profilieren kann. Wir sollten vernünftig und sachlich gemeinsam dafür sorgen, dass sich solche Extremsituationen nicht wiederholen.

Ministerin Christa Thoben (MWME): Für mich ist es ein bisschen schwer, zu entscheiden, was ich alles vortrage. Wenn ich alle Ihre Fragen, die Sie bereits vorher schriftlich an mich herangetragen haben, beantworte, dann erschöpfe ich Sie wahrscheinlich, denn ich müsste deutlich über eine Stunde reden. Ich versuche, den Teil, den der Staatssekretär des Innenministeriums gestern vorgetragen hat, nicht zu wiederholen. Ich werde also nicht auf die Ausgangssituation und auf den Status der Stromversorgung im Ablauf eingehen.

Ich beginne mit dem Bereich Schadensursache und Belastbarkeit der betroffenen Leitungen.

Für die Errichtung von Freileitungen gibt es eine nationale technische Regel ­ die VDENorm 0210 ­ und eine hieraus abgeleitete Europäische Norm 50341. Die Europanorm enthält drei Windzonen, deren Ausbreitung festgelegt ist, und drei Eiszonen, deren

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Festsetzung im Verantwortungsbereich der Versorgungsunternehmen liegt. Die Errichtung aller Freileitungen geschieht nach den Vorgaben dieser technischen Vorschriften.

Die Leitungen werden grundsätzlich in Deutschland überall gleich ausgelegt und gebaut. In begrenzten Regionen, in denen erfahrungsgemäß sehr hohe Schnee-, Eis- beziehungsweise Windbelastungen vorkommen, werden die Leitungen entsprechend verstärkt. Bezüglich der Auslegung für eine Eislast an den Leiterseilen schreibt die Norm eine zu berücksichtigende Belastung von Eis von 2 cm im Radius um das Seil vor. Im Münsterland wurde durch die extreme Wettersituation diese Auslegungslast nach anfänglichen Schätzungen um den Faktor sieben bis zehn und nach den neuesten Abschätzungen des RWE sogar um mindestens den Faktor 15 überschritten. Es sind Eislasten von bis zu 10 cm aufgetreten, die circa ein 25-faches Volumen der Leiterseile bewirkten. Gemäß der Auskunft von Meteosat soll in dieser Region ein vergleichbares Wetter in den letzten 100 Jahren nicht aufgetreten sein. Die zerstörten Masten sind der Eislastzone 1 zuzuordnen. Nach einer Abschätzung des RWE hätten selbst Masten in der höchsten Eislastzone 3 diesen Belastungen nicht standgehalten. Selbst diese Werte sollen um das sechs- bis siebenfache überschritten worden sein. Kabel sind auf der 110 kV-Ebene keine wirtschaftliche Alternative zu Freileitungen, weil sie um ein vielfaches teurer sind ­ bis zum dreifachen ­ und zudem keine gesicherten Betriebserfahrungen über längere Kabelstrecken vorliegen. Die durchschnittliche Kabellänge in städtischen Netzen liegt zwischen 2 und 3 km.

Zur Zuständigkeit des MWME: Das MWME hat nach dem Energiewirtschaftsgesetz aufsichtsrechtliche Zuständigkeiten. Die technischen Anforderungen werden im § 49 ­ Sicherheit und Zuverlässigkeit der Energieversorgung ­ geregelt. Demnach sind Energieanlagen so zu errichten und zu betreiben, dass die technische Sicherheit gewährleistet ist. Das wird gesetzlich vermutet, wenn die Regeln des Verbandes der Elektrotechnik eingehalten worden sind. Die eigentliche Kontrolle, ob die technische Sicherheit von Energieleitungen auch nach der Errichtung gewährleistet ist, wurde hingegen bewusst als allgemeine Überwachungsaufgabe geregelt, ohne dass im Gesetz periodische Überprüfungen vorgeschrieben sind oder sonstige Vorgaben für die Wahrnehmung der Aufsicht gemacht werden. Das macht deutlich, dass der Gesetzgeber die primäre Verantwortung für die technische Sicherheit beim Unternehmen gesehen hat. Die technische Energieaufsicht wird dementsprechend tätig, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die gesetzlichen Anforderungen nicht eingehalten werden. Im Strombereich hat es solche Anhaltspunkte bisher nicht gegeben. Insbesondere gab es weder seitens des Unternehmens noch vonseiten Dritter Hinweise auf Besorgnisse, dass die technische Sicherheit der Leitungen nicht gegeben sein könnte. Ich habe am 30. November 2005 ein Gespräch mit Herrn Bonekamp, Vorstandsvorsitzender RWE Energy, geführt und Fragen zu den Vorkommnissen im Münsterland gestellt. Die Antworten des RWE auf diese Fragen liegen nunmehr vor und bedürfen noch einer weiteren Auswertung. Aufgrund der aktuellen „Spiegel"-Berichterstattung ist ein Schreiben von mir mit weiteren Fragen an RWE am 5. Dezember 2005 versandt worden. Gestern Vormittag ist mir ein umfangreicher Ordner mit Antworten zugestellt worden. Ich bitte um Verständnis, dass ich den dicken Ordner bis heute nicht vollständig auswerten konnte.

Über mögliche Materialprobleme aufgrund des verwendeten Stahls bei Hochspannungsmasten, die gegebenenfalls bis zu einer Gefährdung der Standsicherheit führen

6. Sitzung (öffentlich) rt-beh können, war die Landesregierung und auch die Energieaufsichtsbehörde in NRW bisher nicht informiert. Es hat weder eine Information von betroffenen Unternehmen noch von den relevanten Verbänden der Stromwirtschaft stattgefunden. Auch wurde dieses Thema nie in dem Bund-Länder-Ausschuss Elektrizitätswirtschaft, der dem Informationsaustausch und der Erörterung aktueller Probleme zwischen Bund, Ländern und Stromwirtschaft dient, zur Sprache gebracht. In dem „Spiegel"-Artikel von 2003, der wie dargelegt kein Echo im Fach fand, war NRW nicht angesprochen und berührt.

Zum weiteren Vorgehen: Auch ich danke natürlich allen, die an der Behebung der Versorgungsstörungen beteiligt waren, sich unermüdlich eingesetzt haben. Mitarbeiter vor Ort, die 60 Stunden und mehr fast ohne Schlaf ausgekommen sind, haben unter den extremen Witterungsbedingungen enorme Leistungen vollbracht.

Angesichts der Schwere der aufgetretenen Versorgungsstörungen ist eine intensive Nachbereitung erforderlich. Dabei wird auch zu bewerten sein, welche Schlüsse aus den Vorkommnissen für die Sicherstellung der zukünftigen Versorgung zu ziehen sind.

Vor dem Hintergrund der besonderen Heftigkeit und Singularität der zugrunde liegenden Wetterlage muss aber auch kritisch beurteilt werden, inwieweit die vorliegende Versorgungsstörung überhaupt exemplarisch zur Bewertung der Versorgung herangezogen werden kann, da durch die großflächigen Einwirkungen selbst redundante Systeme vollständig ausgefallen sind. Es ist in der Aufarbeitung der Ereignisse, die in enger Zusammenarbeit mit allen Beteiligten erfolgen muss, insbesondere den folgenden Fragen nachzugehen:

Gibt es aufgrund der aufgetretenen Schäden Erfordernisse, das schon erwähnte Regelwerk hinsichtlich der zugrunde gelegten Eislasten und des kumulierten Lastfalls „Wind- und Eislasten" anzupassen?

Ist die regionale Anwendung der Eislastzonen zu überprüfen? Hierbei ist zu berücksichtigen, dass hierzu relativ wenig statistisches Datenmaterial vorliegt.

Die Instandhaltungs- und Wartungsmaßnahmen sowie die Investitionen zur Erhaltung des Netzes sind kritisch zu hinterfragen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Materialproblematik bei den Masten. Hier werden detaillierte Erläuterungen des Unternehmens zum Sachverhalt und zu den schon ergriffenen und noch geplanten Gegenmaßnahmen in den Versorgungsgebieten eingefordert und überprüft werden. Wir werden diesen und weiteren sich ergebenden Fragestellungen intensiv nachgehen.

Zusammenfassende Bewertung: Es haben außergewöhnliche Schnee- beziehungsweise Eislasten auf die Leitungen eingewirkt. Zusätzlich erfolgte eine Belastung durch den Wind. Die Masten sind nach den uns und von mir persönlich vor Ort gewonnenen Eindrücken verformt. Es sind Masten unterschiedlicher Bauart und unterschiedlichen Alters von den Schäden betroffen.

Waren die Masten in einem ordnungsgemäßen Zustand?

Sind die vorgesehenen Instandhaltungsmaßnahmen hinreichend?

Haben die optischen Korrosionsbefunde einen Einfluss auf die Festigkeit der Masten gehabt?