Weiterentwicklung der sonderpädagogischen Förderung

Mit den vorliegenden Stellungnahmen verfügen Sie über eine ausgezeichnete Synopse der gegenwärtigen Diskussion zur Weiterentwicklung der sonderpädagogischen Förderung. Es wird auch bei allen Beiträgen klar, dass es eine Weiterentwicklung im Sinne des Art. 24 der UN-Konvention geben soll und geben muss. Diese Forderung geht für mich unstrittig aus allen Papieren hervor. Man könnte sofort in die Diskussion einsteigen, wie dieser notwendige Anpassungsprozess gestaltet werden muss.

Ideen und Vorschläge gibt es in den vorliegenden Papieren zuhauf.

Franz-Jürgen Witteborg (Richard-von-Weizsäcker-Schule, Münster): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Abgeordnete!

Zunächst möchte ich mich dafür bedanken, dass ich die Gelegenheit erhalten habe, im Kontext einer von vermutlich allen hier Anwesenden angestrebten Weiterentwicklung der sonderpädagogischen Förderung auf die besonderen Belange meiner Schülerschaft hinzuweisen. ­ Vorab will ich bekennen, dass ich ein freudiger Rezipient mancher Ausführungen von Prof. Wocken und Prof. Preuss-Lausitz bin. Als Sonderpädagoge kann ich mich mit vielen ihrer Äußerungen gut anfreunden. Die Praxis treibt mir allerdings nicht selten Zweifel ins Gehirn, ob das, was doch ganz einfach scheint, wirklich so leicht umsetzbar ist.

Ich bitte die SPD-Fraktion um Nachsicht, dass ich ihren Antrag nicht beantwortet habe. Manchmal erzeugen nicht nur unsere Kinder Stress, sondern auch glückliche Familienplanungen von Lehrkräften im gebärfähigen Alter. Mein Beitrag wäre inhaltlich ähnlich ausgefallen wie meine Stellungnahme zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, allerdings wohl nicht so sehr ins Detail gegangen, da ich dem SPD-Antrag nicht die Gefahr entnehmen kann, dass man bereit wäre, einen Schnellschuss zu wagen, unter dem vermutlich gerade meine Schüler wieder leiden könnten

­ Kinder, die eigentlich schon genug gelitten haben.

Frau Löhrmann und die weiteren Unterzeichner des Erstantrages bitte ich um Verständnis dafür, dass ich das so formuliere. Ich betrachte die Dinge aber nun einmal aus einer spezifischen Sicht. Ich hoffe auch, dass mir Schulleitungen Ihrer Fraktion, mit denen ich bisher sehr gut und vertrauensvoll zusammenarbeite, dies nicht übel nehmen. Wer diese Sache befördern will und wer Schüler, Eltern und Schulen nicht überfordern will, braucht den Schulterschluss allen Sachverstandes. Wer Inklusion predigt, der sollte zusammenführen; sonst sind wir nicht glaubhaft.

Das Thema Integration/Inklusion beschäftigt mich nicht erst, seit es den § 20 Abs. 5 des Schulgesetzes gibt. Von meinen bald 35 Dienstjahren habe ich zunächst etwa 40 % im allgemeinen Schulwesen verbracht. Ehemalige Schulleitungen gaben schon immer gerne die etwas schwierigeren Kinder an die Hand. Das war auch anschließend an der Sonderschule ­ wie wir heute sagen, Förderschule ­ nicht anders. Im Übrigen gibt es viele Lehrkräfte an den allgemeinen Schulen, die ein gutes Händchen für diese Kinder haben.

Vor 15 bis 20 Jahren habe ich nicht wenige Wochenenden im Kreise Gleichgesinnter hinsichtlich einer sinnvollen Weiterentwicklung der sonderpädagogischen Förderung im Sinne stärkerer Integration ­ heute sind wir uns wohl über Inklusion einig ­ verbracht, teils mit ministerieller Beratung oder unter Einbeziehung anderer Fachleute.

Auch im Hauptpersonalrat war uns allen Sonderpädagogen dieses Thema stets wichtig.

Ich war damals wie heute der Überzeugung, dass man nicht erst auf die Bereitstellung eines goldenen Handwerkszeuges warten sollte, wollte man diese Sache eher flächendeckend auf breitere Beine stellen. Ich war damals wie heute der Überzeugung, dass für die Umsetzung einer solchen Sache eine große Bejahung der allgemeinen Schulen Voraussetzung ist, da die Förderung der Kinder zunehmend an ihrem Förderort stattfindet. Ich war damals wie heute der Überzeugung, dass dies nur durch den Aufbau vertrauensvoll gestalteter Netzwerke geeignet transportiert werden kann.

Durch die Übernahme der Schulleitung in Münster und die damit verbundenen vielfältigen Aufgabenstellungen hinsichtlich des Aufbaus eines geeigneten Vor-OrtNetzwerkes, der mir nur im Schulterschluss mit vielen anderen gelungen ist, verlagerten sich meine Schwerpunkte etwas. Die Entwicklung zum Beispiel in Schleswig Holstein habe ich trotzdem gerne verfolgt und mich gefreut, dass anfänglich klar sichtbare Fehler nachsteuernd korrigiert wurden. Dieses Netzwerkmodell betrachte ich auch als realistische Chance, möglichst viele meiner Schüler, sukzessive zunehmend, in ihrem Sozialraum beheimatet zu sehen ­ ohne Vorschaltung unserer Förderschule.

Ich verfolge mit Interesse zum Beispiel Gutachten von Prof. Preuss-Lausitz und seinem Kollegen Prof. Klemm zum Stadtstaat Bremen und hoffe, dass noch viele Schülerspezialverkehrsmittel mit eingerechnet werden können, weil sich das Konnexitätsprinzip in einem Stadtstaat vielleicht etwas anders darstellt.

Vor allem lese ich gerne ­ dies fällt mir angesichts der neuen Medien nicht schwer ­ Stellungnahmen zu Umsetzungen. Hier wird manchmal klar, dass Radikalschritte doch ihre Tücken haben können, weil sich Probleme ergeben, für die man schon Lösungen hätte erarbeiten müssen. Wie gedenkt man dem Förderbedarf von zum Beispiel Schulanfängern oder Kindern der Klassen 1 und 2 gerecht zu werden, die ja nicht grundlos in Kinderkrisenhilfe-Stationen, spezifische Heimeinrichtungen oder auch Psychiatrien aufgenommen werden? Welche Konzepte hält man bereit? Gibt es diese in genügender Anzahl? Ist die Kostenträgerschaft gesichert? Welche Konzepte hält man insbesondere für Jugendliche mit einem hohen oder sogar sehr hohen Maß an Risikoentwicklung bereit?

Mit den letzten Aussagen will ich keineswegs der Zementierung des Förderschultyps ES das Wort reden. Sie können jedoch ­ ich glaube, nicht nur aus meiner Sicht ­ nicht ohne Antwort bleiben. Die Devise „Je gründlicher die Detailplanung, desto heftiger trifft einen der Zufall" sollte gerade für die sonderpädagogische Weiterentwicklung gelten.

Die Ratifizierung der UN-Konvention wird ­ wie Herr Dr. Jülich, den ich seit meiner Arbeit im Hauptpersonalrat schätze, in der Zeitschrift „SchulVerwaltung Nordrhein-Westfalen" verdeutlicht hat ­ nicht ohne Auswirkungen bleiben. Die UN-Konvention strebt gesamtgesellschaftliche Weiterentwicklungen in der Frage des Umgangs mit Behinderten und Benachteiligten an. Schule ist ein wichtiger Eckpfeiler unserer Gesellschaft. Auch wenn manchen offensichtlich eine gewisse Ungeduld umtreibt, scheint es mir wichtig, zu begreifen, dass wir es hier mit einem klassischen Schulentwicklungsprojekt einschließlich einer notwendigen Leitbilddiskussion zu tun haben. In diese Leitbilddiskussion ist zwingend auch die Schulgemeinde zu integrieren. Formulierungen wie „Transformationskonzept" und „am besten gleich" tragen zur Verunsicherung mancher Schulpflegschaften bei, sodass sie in Gesprächen, wie ich es selbst erlebt habe, bewusst noch einmal auf eine ­ Zitat ­ „offene und ehrliche Beantwortung unserer Fragen" abheben.

Manche Schulen haben sich schon auf den Weg gemacht. In einigen Regionen ist dies schon weiter fortgeschritten. Schulentwicklungsforscher gehen in der Regel davon aus, dass zumindest 70 % der inhaltlich zu Beteiligenden eine Leitbildentwicklung bejahen sollten; ansonsten sei kein tragfähiger Effekt zu erzielen. Vermutlich wollen doch alle hier Anwesenden, dass wir einen tragfähigen Effekt erzielen und dass bei den Kindern etwas ankommt.

Schulentwicklungsforscher würden sicherlich auch empfehlen, besonders auf die Stärken der inhaltlich zu Beteiligenden abzuheben ­ ein Prinzip, das auch für den Umgang mit unseren Schülern und deren Eltern gilt. Von daher vermisse ich im Erstantrag zu meinem Bedauern jegliche Einbindeformulierung, die erfreulicherweise im Nachantrag der SPD-Fraktion enthalten ist.

Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen. Ich gehe davon aus, dass sich die zukünftigen Leitungen jetzt aus spezifischen Gründen auszugliedernder Bankabteilungen nicht in einigen Jahren dem Vorwurf ausgesetzt sehen werden, die von ihnen verwalteten Papiere würden möglicherweise eine weniger gute Rendite abwerfen.

Die Weiterentwicklung zum Kompetenzzentrum halte ich für einen richtigen Schritt in die gewünschte Richtung. Daher waren wir auch bereit, als Kooperationsschule mitzuarbeiten.

Wenn ich Beratung oder Coaching leiste ­ ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf meine schriftlichen Ausführungen ­, dann immer als Kollege, der zu Kollegen kommt, die in der Regel wissen, was sie tun. Ich bin lediglich speziell ausgebildet und geübter im Umgang mit heftigsten Unterrichtssituationen und in der Erarbeitung von vielleicht geeigneten Lösungsstrategien, da ich mich mittlerweile fast täglich im Gesprächsdreieck von Schule, Jugendhilfe und Psychiatrie bewege. Die Schulleitungen und Lehrkräfte der allgemeinen Schulen verfügen ­ ich bin oft genug in anderen Schulen, um das beurteilen zu können ­ auch über viele spezifische Kompetenzen. Im Interesse unserer Kinder gilt es, dies vertrauensvoll stärker zusammenzuführen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass man nach Auswertung der Pilotphase und der einen oder anderen sich eventuell ergebenden Nachsteuerung ­ hier denke ich vor allen Dingen an den Punkt Prävention ­ in der Lage ist, ein Datum anzupeilen, ähnlich wie es beim Modellprojekt „Selbstständige Schule" möglich war.

Bis dahin sollte man allerdings auch Lösungen für Worst-Case-Fälle erarbeitet haben, die es aus meiner Sicht geben wird.