Sie waren reiflich geplant man hat eine wissenschaftliche Begleitung vorgesehen vor der Ausweitung wollte man eine

In der ersten Bewertung haben wir auch die Vermutung, dass die Ausweitung der Kompetenzzentren eine Reaktion auf die UN-Konvention darstellt.

Lassen Sie mich kurz den Gesamtzusammenhang darstellen. Bisher hatten wir in NRW 20 Kompetenzzentren. Sie waren reiflich geplant; man hat eine wissenschaftliche Begleitung vorgesehen; vor der Ausweitung wollte man eine Rechtsverordnung erproben bzw. erlassen. Die wissenschaftliche Begleitung ist heute immer noch nicht geregelt. Es ist auch nicht klar, wer sie finanziert, wer sie durchführt und mit welchen Zielsetzungen sie angegangen werden soll. Wir erleben nur, dass es zurzeit keine wissenschaftliche Begleitung und auch keine Rechtsverordnung gibt, dass aber gleichwohl 30 weitere Kompetenzzentren in NRW gebildet werden.

Außerdem haben wir wahrgenommen, dass es Ziel ist, diese 30 weiteren Kompetenzzentren jetzt als relativ große Systeme zu bilden. Ich will Ihnen darstellen, was das bedeutet. Mit relativ großen Kompetenzzentren kann man natürlich einen sehr großen sozialen Raum abdecken. Von daher gehen wir zurzeit davon aus, dass mit 50 Kompetenzzentren etwa 25 % der sonderpädagogischen Schulen in NRW abgedeckt sind. Mit diesen 50 Kompetenzzentren hätte man also ein Viertel der sonderpädagogischen Landschaft in Kompetenzzentren umgewandelt. Das ist eine Menge, wenn man eigentlich erst eine Rechtsverordnung schaffen will, was ja bedeutet, dass man noch gar nicht weiß, wohin es wirklich gehen soll.

Im Zusammenhang mit den Kompetenzzentren sind die Frage der Vernetzung und die Frage der Prävention bisher nicht richtig bzw. nicht endgültig geklärt. Wir erleben, dass Kompetenzzentren sich sagen: Wenn ich präventiv arbeiten und damit eine der mir gesetzten Aufgaben erfüllen soll, muss ich insbesondere bei den entwicklungsgestörten Kindern bei null anfangen. ­ Dafür gibt es zurzeit aber keine personellen Ressourcen. Ich habe in den 70er-Jahren studiert. Schon damals war klar, dass Lernbehinderung im sozialen Raum entsteht und kein medizinisches Problem ist.

Wenn Lernbehinderung in einem sozialen Raum entsteht, entwickelt sie sich von Geburt an. Daher muss die Prävention gerade bei entwicklungsgestörten Kindern bei null beginnen. Das haben ganz viele Kompetenzzentren erkannt. Sie verfügen aber nicht über die dafür notwendigen Ressourcen.

Des Weiteren haben wir als Gewerkschaft gesagt, diese Kompetenzzentren müssten Schulen ohne Schüler sein. Ferner haben wir gesagt, diese Kompetenzzentren müssten an den Regelschulen gebildet werden können. Auch das ist nicht umgesetzt. Wir sehen zurzeit die Gefahr, dass durch diese Abdeckung von einem Viertel der sonderpädagogischen Landschaft ganz viele Vorentscheidungen für die künftige sonderpädagogische Förderung in NRW getroffen werden.

Eine weitere Frage lautete: Welche Maßnahmen würden helfen, damit es den Eltern nicht so schwer fällt, Integration zu bekommen? ­ Frau Thoms hat sehr deutlich dargestellt, welche Ochsentour heute notwendig ist, um zu erreichen, dass ein Kind integriert wird. Ich kenne das auch aus persönlicher Erfahrung. Vor 25 Jahren habe ich den ersten Schulträger beraten. Damals ging es darum, eine Grundschule in eine integrative Schule umzuwandeln. Rückblickend stelle ich fest, dass es in den vergan genen 25 Jahren immer zwei treibende Kräfte gab ­ zum einen die Eltern und zum anderen Lehrkräfte, die sich dieser Zielsetzung angeschlossen haben.

Ich hätte nicht gedacht, dass es 25 Jahre dauern würde, bis wir in diesem Parlament zum ersten Mal wieder darüber sprechen, wie Integration umgesetzt werden kann.

Wir haben jetzt eine UN-Konvention auf dem Tisch und reden noch darüber, ob diese UN-Konvention umgesetzt werden soll. 25 Jahre haben wir schon über das Thema Integration diskutiert. Ich hoffe, dass dieses Parlament in der Lage ist, das Ganze diesmal umzusetzen.

Frau Kastner, ich bin der Meinung, dass dieses Parlament sich entscheiden muss und dass nicht irgendwo in den Schulen wieder versucht werden muss, irgendetwas zu regeln. Deswegen habe ich eben auch gesagt, dass eine Veränderung der Schulgesetzgebung notwendig ist.

Darüber hinaus brauchen wir meiner Meinung nach Schulentwicklungspläne, und zwar Schulentwicklungspläne mit einer zeitlichen Perspektive dahin gehend, wann die Aussonderung beseitigt ist. Das halte ich nach der UN-Konvention für eine Aufgabe der Schulträger.

Ich bin auch der Meinung, dass die Inklusion ein Qualitätsmerkmal für gute Schule sein soll und sein muss.

Barbara Wachenberg (Verband Bildung und Erziehung, Landesverband NRW): Gestatten Sie mir, einige kurze Gedanken darzustellen, die mir gerade durch den Kopf gegangen sind, als ich die vielen Beiträge gehört habe.

Inklusive Schule ist eine Frage der allgemeinen Schule. Das habe ich in meinem Kurzstatement auch deutlich gemacht. Es ist ­ auch für dieses Parlament ­ verkürzt, nur darüber nachzudenken, wie man es schafft, Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder von Behinderung bedrohte Kinder in dieses Schulsystem, das wir jetzt haben, hineinzubringen. Alle hier Anwesenden haben vielleicht gut funktionierende Grundschulen vor Augen, an denen man relativ schnell etwas gut machen könnte.

Das Umswitchen im Kopf müssen wir allerdings noch leisten. Von daher finde ich es auch bedauerlich, dass keine Vertreter der allgemeinen Schule hier sind; denn diese müssen wir mitnehmen. Schulentwicklung passiert nur, wenn man Leute mitnimmt.

Sie gehen auch gerne mit, wenn man einen vernünftigen Motor hat und ihnen aufzeigt, wie der Weg sein könnte.

Aber wie geht es nach der Grundschule weiter? Soll dann die Integration ­ wobei Integration für mich nicht dasselbe ist wie Inklusion ­ zu Ende sein? Wenn eine Grundschule inklusive Arbeit geleistet hat, kann es nicht sein, dass nach vier Jahren überlegt wird, die einen Kinder auf die eine Schule und die anderen Kinder auf die andere Schule zu schicken. Das geht nicht.

Dieses System muss erst geändert werden. Eine Wende im Kopf dahin gehend, dass wir die anderen Kinder nicht aussortieren, ist aus meiner Sicht der erste Schritt ­ ohne den anderen Schritt vernachlässigen zu wollen. Vorsitzender Wolfgang Große Brömer: Danke schön für die erste Antwortrunde. ­

Wir setzen die Anhörung mit weiteren Fragen fort.

Sigrid Beer (GRÜNE): Herzlichen Dank für die sehr differenzierten Äußerungen, die das Thema in seiner ganzen Problematik auffächern und deutlich machen, welcher Handlungsbedarf besteht.

Ich will zunächst auf die jetzt mehrfach gehörte Äußerung „Was lässt die allgemeine Schule zu?" zurückkommen, die dann gegen das Recht von Eltern und Kindern gestellt wird. Diesen Punkt haben wir hinter uns gelassen, glaube ich. Das geht so nicht mehr. Vielmehr müssen wir fragen: Wie bringen wir die allgemeine Schule dazu, diese Leistungen wirklich erbringen zu können? Wie können wir die allgemeine Schule auch mit den entsprechenden Ressourcen ausstatten und sie unterstützen?

Frau Wachenberg, in der Tat ist es nicht mehr nachzuvollziehen, dass wir auf der einen Seite über die Frage der Inklusion reden und auf der anderen Seite die Schüler noch in dieser Art und Weise sortieren. Das ist dann anachronistisch. Es passt ohnehin nicht mehr zusammen. Das bedeutet, dass wir die Aufgabe haben, miteinander das gesamte System umzubauen. Damit wird die Dimension noch einmal sehr deutlich. Man kann diesen Prozess aber auch nicht mehr lange aufschieben.

In diesem Zusammenhang ist meine Frage, nach welchen Parametern wir das tun sollten. Sie haben sehr deutlich gemacht, dass wir auch von der politischen Seite gesetzte Zielmarken brauchen. Im Prinzip sind Sie ja alle Protagonisten und Protagonistinnen des Gedankens der Inklusion. Eine politische Zielsetzung ist aber ebenfalls notwendig. Diese muss dann zum Beispiel auch in den Bedingungen für die Kompetenzzentren deutlich werden. Auch dort muss es solche Zielmarken geben. Es kann nicht sein, dass es Schwellen gibt ­ Frau Lücke-Deckert hat das sehr schön dargestellt ­, die dann wieder die Haltekraft der Förderschulen zementieren und genau die umgekehrte Bewegung hineinbringen.

Ich finde es auch sehr interessant, dass Frau Lücke-Deckert und Herr Witteborg hier nebeneinander sitzen. Frau Lücke-Deckert, Sie haben ja schon eine sehr lange Tradition des Bestrebens, Inklusion zu bewegen. Es ist auch ein Erfolg, dass es Ihnen ausweislich Ihrer Stellungnahme jetzt schon gelingt, 42 % der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des Lernens, der emotionalen und sozialen Entwicklung und der Sprache in den allgemeinen Schulen... erfolgreich zu fördern.

Sie nutzen jetzt die Kompetenzzentren in Ihrem Sinne. Das ist aber nicht überall im Land so. Im Übrigen erleben wir auch ­ mir liegen zahlreiche Petitionen vor, die das bebildern und deutlich machen ­, dass es auf der Schulaufsichtsebene Menschen gibt, die Inklusion noch ganz bewusst ausbremsen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wo das Ganze ­ auch vonseiten der Schulverwaltung ­ dahin gehend bewegt wird, die vorhandenen Barrieren abzubauen und dann weiter den Weg der Inklusion gehen zu können. Das ist dann ja auch eine Zielmarke.

Herr Witteborg, ich habe Sie so verstanden, dass Sie auch dorthin wollen.