Auf der einen Seite bin ich zwar sehr skeptisch

Lassen Sie mich abschließend noch auf die Klassengröße eingehen. Die entsprechende Diskussion wird man auch noch in den nächsten Jahren führen. Sie kennen alle Untersuchungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass die Klassengröße letztendlich nicht das Entscheidende ist. Mit 30 Schülern können Sie unter Umständen erstklassigen Unterricht durchführen. Bei einer Klassengröße von 20 Schülern muss der Unterricht nicht unbedingt besser sein.

Auf der einen Seite bin ich zwar sehr skeptisch. Ich glaube, dass es für Schüler ­ und auch für Lehrer ­ zweifellos günstiger ist, Englischunterricht in einer Klasse mit 20 Schülern durchzuführen, als in einer Klasse mit 30 Schülern Englisch zu unterrichten. In kleineren Klassen ist die Chance, dass jeder einzelne Schüler zu Wort kommt und dass man eine Kommunikation betreiben kann, ungleich höher als in großen Klassen. Die Möglichkeit des Lehrers, sich intensiv um jeden einzelnen Schüler zu kümmern, ist in Klassen mit 20 bis 23 Schülern höher als in Klassen mit 30 Schülern.

Auf der anderen Seite kann aber ein schlechter Lehrer ­ lassen Sie mich das so platt ausdrücken ­ auch in einer Klasse mit 22 Schülern keinen vernünftigen Unterricht durchführen. Umgekehrt werden Sie feststellen, dass engagierte, gute Lehrerinnen und Lehrer auch in einer Klasse mit 30 Schülern genau das bringen, was wir uns vorstellen.

Ich halte es also für zu kurz gesprungen, die Qualität des Unterrichts allein an der Klassengröße festzumachen. Nach meiner Einschätzung wächst die Chance, sich intensiver um die Schüler zu kümmern, aber eindeutig, je kleiner die Klassen werden.

Werner Kerski (Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule Nordrhein-Westfalen): Vieles von dem, was Herr Großmann gesagt hat, kann ich voll unterstützen.

Insbesondere muss man in der Tat die Schieflagen zwischen den Schulen angehen, beispielsweise zwischen den Gesamtschulen im nördlichen Ruhrgebiet und anderen Schulen. An dieser Stelle ist der Einbau von Steuerungsinstrumenten notwendig.

Das kann man nicht einfach laufen lassen. Ich habe zwar keine konkreten Vorschläge. Man muss das Problem aber überhaupt erst einmal erkennen, um dann Ideen zu entwickeln, wie man ihm entgegenwirken kann.

Lassen Sie mich auch etwas zu den Laufbahnwechslern sagen; denn dort bin ich gebranntes Kind. Die Gesamtschulen haben immer noch einen Anteil von S-IILehrerinnen und -Lehrern, die auf S-I-Stellen sitzen. Wenn diese Lehrkräfte Mangelfächer unterrichten, was sehr häufig der Fall ist, bekommen wir ein großes Problem, wenn sie abwandern.

Ich schildere Ihnen einmal die Situation bei uns. Meiner Schule ist eine einzige Laufbahnwechslerstelle zugewiesen worden. Ich hätte gerne mehr gehabt. Dass ich dadurch keinen einzigen zusätzlichen Lehrer bekomme, ist mir klar. Ich halte aber wenigstens die Lehrkräfte, die bei uns sind. Weil wir nur eine entsprechende Stelle hatten, sind zwei Laufbahnwechsler zum Gymnasium gegangen. Einer von ihnen unterrichtet das Fach Physik. Jetzt haben wir nur noch einen Physiklehrer. Den Rest können Sie sich denken.

Ich habe diese Situation zwar konkret aus der Perspektive meiner Schule geschildert. Das ist aber kein Einzelfall. Das heißt, dass dieses Problem angegangen werden muss. Hätten wir mehr Laufbahnwechslerstellen an den Schulen, würden die Schulleitungen nach meiner Einschätzung verantwortlich versuchen, ihre Lehrkräfte

­ insbesondere in den Mangelfächern ­ auch zu halten.

Das von mir vorhin angesprochene Problem bezüglich der Prognose der Schülerzahlen hat für die Gesamtschulen auch Auswirkungen, die ich hier noch einmal verdeutlichen möchte. Dankenswerterweise konnte im Auswahlverfahren 2 zum 1. August 2009 eingestellt werden. Man konnte also versuchen, die Referendarinnen und Referendare, die an den Schulen sind, zu halten. Das ist unser Hauptrekrutierungsinstrument. Wenn die Referendare sich wohlfühlen, ist der eine oder andere von ihnen ­ und zwar mit Fächern, die man sonst auf dem Markt nicht leicht besetzt bekommt ­ natürlich auch bereit, an der Schule zu bleiben.

Dafür müssen die Zahlen aber stimmen. Ich nenne sie Ihnen noch einmal, damit Sie sehen, worüber wir hier reden. Im Landeshaushalt sind den Gesamtschulen 230.

Schüler zugerechnet worden. Nach den amtlichen Schuldaten ­ ASD 2008 ­ haben wir 232.814 Schüler. Mir kann niemand vorrechnen, dass wir von 2008 auf 2009

2.100 Schüler verlieren. Das bedeutet, dass in der Berechnung erst einmal 2.

Schüler fehlen. Irgendwann merkt vermutlich jemand, dass die Zahlen nicht stimmen, und es wird nachgebessert. In den frühen Verfahren haben wir aber geringere Chancen und werden unterversorgt.

In der Folge werden wir in den weiteren Verfahren, beispielsweise jetzt im Auswahlverfahren 4, zwar recht gut bedient; im Augenblick kann ich mich als Schulleiter nicht beschweren. Die Stellen alleine nützen mir aber nichts. Ich brauche auch Personen ­ und zwar mit den richtigen Fächern. Problematisch sind übrigens nicht nur die Naturwissenschaften, sondern auch das Fach Englisch, um einmal ein Beispiel zu nennen, das einem vielleicht nicht direkt einfallen würde.

Vor diesem Hintergrund bitte ich dringend darum, fair miteinander umzugehen und die Prognosezahlen realistisch zu berechnen. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass wir im Schuljahr 2009/2010 nicht erheblich weniger Gesamtschüler haben werden als im laufenden Schuljahr. Ich will mich jetzt nicht um 50 Gesamtschüler streiten; wir werden aber auf keinen Fall erheblich weniger Schüler haben.

Damit komme ich zu der Unterrichtsversorgung und der immer wieder angeführten Bedarfsdeckungsquote von 102,5 %. Ich schildere Ihnen einmal, wie sich das Ganze aus Perspektive der Eltern und der Schulen darstellt. Uns ist die Höhe der Bedarfsdeckungsquote vergleichsweise egal. Für Eltern ist entscheidend, ob der Unterricht vollständig stattfindet.

In diesem Zusammenhang erfahren die Eltern bei uns folgenden Widerspruch ­ das sage ich den Eltern auch ganz offen ­: Wir sind zu 100 % besetzt; nicht zu 102,5 %, sondern zu 100 %. Das hoffen wir hinzubekommen, wenn wir die Neueinstellungen realisieren können. Dann sind wir zu 100 % besetzt. Trotzdem fällt strukturell Unterricht aus. Dafür gibt es zwei Erklärungsmuster. Möglicherweise ist die Schulleitung nicht in der Lage, mit 100 % vernünftig zu wirtschaften. Angesichts unserer Klassen frequenzen ­ wir haben 30er-Klassen ­ wird man davon wohl kaum reden können.

Daher muss es andere Gründe geben, die dazu führen, dass 100 % nicht ausreichen, um den Unterricht vollständig stattfinden zu lassen. ­ Das ist der Widerspruch, den Eltern erleben und den sie nicht verstehen können. Darauf muss auch eine vernünftige Antwort gegeben werden.

In diesem Zusammenhang ist auch die Ungleichverteilung zu nennen. Die Weiterentwicklung des Instruments SchIPS halte ich an dieser Stelle für wichtig. Lassen Sie mich einmal den Fall der Schwerbehinderung herausgreifen. Es gibt Schulen, die relativ viele schwerbehinderte Lehrerinnen und Lehrer haben. Diese Schulen stehen vor dem Problem, dass ihnen aufgrund der Entlastung für Schwerbehinderte faktisch anderthalb Stellen verloren gehen, für die sie überhaupt keinen Ausgleich erhalten.

Woher sollen sie ihn auch bekommen?

Selbst wenn diese Schulen zu 102 % besetzt sind, werden die 2 % schon allein zum Ausgleich der Schwerbehinderung genutzt. Das kann es auch nicht sein.

Klaus Schwung (Philologen-Verband Nordrhein-Westfalen): Viele Fragen sind schon weitgehend beantwortet. Manches wäre nur noch eine Wiederholung. Ich will aber doch noch einmal etwas zur Stellenausstattung sagen. Die Stellenausstattung ist an den Gymnasien im Moment nicht das Problem. Das Problem ist die Lehrerversorgung in speziellen Fächern ­ insbesondere im ländlichen Raum; denn dort sind die Schulleitungen durch das schulscharfe Einstellungsverfahren benachteiligt. Herr Großmann hat bereits darauf hingewiesen. Sehr viele Schulleitungen befürworten dieses Ausschreibungsverfahren. Allerdings nimmt die Zustimmung zu diesem Verfahren im ländlichen Raum zurzeit deutlich ab, weil die dortigen Schulen mit ihren Stellenausschreibungen zum Teil immer wieder leerlaufen und dann hinten herunterfallen.

Hier wird man nach Lösungsmöglichkeiten suchen müssen. Vielleicht muss man auch dazu übergehen, Stellen im ländlichen Raum zeitlich deutlich vor Stellen in anderen Regionen auszuschreiben. Kombiniert mit dem von Herrn Großmann vorgeschlagenen Bonifizierungssystem für junge Bewerberinnen und Bewerber, die nach drei oder vier Jahren die von ihnen eigentlich nicht gewünschte Schule wieder verlassen können, hätten wir eine Möglichkeit, die Schulen im ländlichen Raum zu stützen. Diese Problematik stellt sich ja inzwischen in vielen Regionen Nordrhein-Westfalens.

Herr Kaiser, SchIPS ist ein sehr gutes Instrument, weil es für Transparenz an den Schulen sorgt. Die Schulen können selbst kontrollieren, ob das, was dort für die Schule gebucht worden ist, überhaupt mit der Realität übereinstimmt. Deshalb ist es gut und richtig, dass diese Daten jetzt abgerufen werden können. Fehler, die in diesem System noch vorhanden sind, können dann sehr schnell geklärt und behoben werden. Manchmal führt das im Übrigen auch dazu, dass eine Schule noch eine weitere Stelle bekommen kann.

Frau Hendricks, in Bezug auf die Vertretungslehrkräfte haben die Schulen in der Tat ein großes Problem.