Arbeitslosigkeit

Lehrerinnen und Lehrer, die für Vertretungen zur Verfügung stehen.

An meiner Schule geht eine junge Kollegin mit den Fächern Deutsch und Italienisch jetzt für ein Jahr in Mutterschutz und Erziehungsurlaub. Die Vertretungsstelle war mehrfach ausgeschrieben. Sie ist nicht zu besetzen. Nun findet das statt, was Herr Großmann bereits für unbefristete Beschäftigungsverhältnisse beschrieben hat: Wir sortieren innerhalb des Kollegiums um und schreiben Geschichte aus. So können wir

­ natürlich verbunden mit einer erheblichen Mehrbelastung der anderen Kolleginnen und Kollegen ­ den Unterricht abdecken. Solche Ausweichstrategien müssen wir wählen.

Damit komme ich zur Klassengröße. Die meisten Lehrerinnen und Lehrer dürften die Auffassung vertreten, dass die Klassengröße sehr wohl einen großen Einfluss auf das Unterrichtsgeschehen und auch auf den Erfolg des Unterrichts hat. Wenn gewisse Grippewellen um sich greifen, hat man ja manchmal kleinere Klassen. In diesen Phasen berichten die Lehrer immer, wie angenehm und erfolgreich das Arbeiten mit den restlichen Schülerinnen und Schülern ist.

Frau Beer, Sie haben die Fachleiterproblematik angesprochen. Derzeit befindet sich eine große Zahl von Referendarinnen und Referendaren in der Ausbildung. Das führt dazu, dass die Fachleiter manchmal mit ihrer vollen Stundenzahl nur noch im Seminar tätig sind. Der jeweiligen Schule wird das zwar angerechnet, sodass die einzelnen Schulen dadurch keinen Nachteil haben. Die große Frage ist aber, ob dieser hohe Bedarf an Fachleiterstellen auch entsprechend im Haushalt abgebildet ist. Wenn das nicht der Fall wäre, ginge das Ganze zwar nicht zulasten der betroffenen Schule, aber zulasten der Schulen insgesamt. Wir haben schon unsere Sorgen, ob diese Stellen im Moment voll im Haushalt berücksichtigt sind.

Die Probleme in Bezug auf den bedarfsdeckenden Unterricht sind hier schon geschildert worden. So etwas hören wir auch von vielen Schulen. Sie haben zunächst vier Referendare zugewiesen bekommen. Zwei davon treten ihre Stelle nicht an, aus welchen Gründen auch immer. Dann fehlen schnell 18 Stunden bedarfsdeckender Unterricht, die vielleicht schon fest eingeplant waren.

Zur Kienbaum-Lücke ist Folgendes zu sagen: In den Gymnasien ist die Zahl der Planstellen deutlich angestiegen. Das hängt mit der Sekundarstufe II und dem Aufbau des verkürzten Bildungsganges zusammen. Dadurch wird diese Lücke auch vergrößert. In der Folge wächst die Problemlage ein Stück weit an. Dennoch bleibt es bei der Aussage, dass sich die Gymnasien im Moment von der Stellenausstattung her gut bedient fühlen. Das muss man der Ehrlichkeit halber feststellen. Im Übrigen geht in den Gymnasien derzeit der Satz um: Früher hatten wir die Leute, aber keine Stellen; jetzt haben wir die Stellen, aber keine Leute. ­ Das ist die große Veränderung, die in den letzten Jahren eingetreten ist.

Karin Clermont (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Nordrhein-Westfalen): Ich versuche einmal, kurz und mit etwas weniger Lyrik zu antworten, damit wir auch schneller fertig werden. ­ Frau Schäfer, Sie haben in Bezug auf die Berufskollegs nach der Zukunftsperspektive gefragt. Man kann sich ausmalen, dass die Finanzkrise zu höherer Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen führen wird. Was machen sie also? Sie gehen in die Warteschleife der Berufskollegs und werden den dort vorhandenen Mangel vergrößern. ­ So sieht das Szenario der Zukunft aus. Die Frage ist, ob die Berufskollegs darauf vorbereitet sind.

Zur passgenauen Berechnung für eine Schule ist Folgendes festzustellen: Zum Teil fließen Bedarfe durchschnittlich ein. Passgenau bedeutet, dass die Bedarfe der einzelnen Schulen entsprechend angepasst werden sollten. In der einen oder anderen Situation muss man genau prüfen, ob diese Durchschnittswerte denn stimmen.

Darüber hinaus wird für einige Dinge überhaupt keine Erstattung vorgenommen. Zu nennen sind hier die Altersermäßigung, die Entlastung für Schwerbehinderte, die Wiedereingliederung nach schwerer Krankheit mit verminderter Stundenzahl, die vorzeitige Pensionierung, der Mutterschutz vor und nach der Entbindung, die Seiteneinsteiger, die Entlastung in Höhe von sieben Stunden für ein Aufbaustudium, die Entlastung der Jahrgangsstufenleiter der Sekundarstufe II, die Entlastung der Ausbildungskoordinatoren und der zum Teil nicht geleistete bedarfsdeckende Unterricht von Referendaren. Diese Aufzählung könnte man noch fortsetzen.

Alle diese Stunden müssen irgendwie ersetzt werden. Das bedeutet passgenaue und bedarfsgerechte Berechnung der Stunden, die eine Schule benötigt. Sie braucht die Stunden für den Unterricht plus alle anderen Zuschläge.

Interessanterweise werden selbst in den vom MSW unter dem Titel „Das Schulwesen Nordrhein-Westfalen aus quantitativer Sicht" vorgelegten amtlichen Schuldaten zum Schuljahr 2008/2009 die Mehr- oder Minderstunden aus persönlichen oder schulorganisatorischen Gründen ­ das sind die Stunden, die nicht mit eingerechnet werden

­ mit 6 % beziffert. Die Frage ist, ob diese 6 % in die Berechnung der Grundstellenzahlen mit eingebunden sind. Das wage ich zu bezweifeln.

Frau Schäfer, interessant ist auch die Frage, ob es eine strukturelle Lücke gibt, weil in den Grundschulen zu kleine Klassen gebildet werden. Meines Erachtens ist es die Aufgabe des MSW, darzustellen, wie groß diese Lücke denn ist und wie viele Klassen und wie viele Stellen davon betroffen sind. Man wäre gut beraten, diesen Sachverhalt bei der Landesregierung abzufragen.

Prof. Dr. Hermann Hansis (Europäische Fachhochschule Brühl / Verband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen NRW): Lassen Sie mich dasselbe Stichwort aufgreifen und auf die Frage der Einschätzung der zukünftigen Situation an den Berufskollegs eingehen. Schon letztes Jahr hat sich ja abgezeichnet, dass die Prognosen nicht ganz zutrafen und doch mehr Jugendliche in Vollzeitbereiche eingemündet sind ­ die man bitte nicht als Warteschleife disqualifizieren sollte. Dort werden Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt. Das wissen Sie auch.

(Karin Clermont [Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Nordrhein-Westfalen]: Die Jugendlichen würden aber sicher lieber arbeiten!)

­ Das wissen wir nicht immer. Wenn Sie darüber eine Debatte eröffnen wollen: Zum Teil melden sich ganze Realschulklassen für die Höhere Handelsschule an, ohne nennenswerte Anstrengungen um einen Ausbildungsplatz unternommen zu haben, weil diese Jugendlichen weiterkommen wollen. Einen solchen Willen, weiterzukom men, würde ich nach wie vor nicht als Warteschleife bezeichnen, sondern als echte Anstrengung und die bewusste Entscheidung dafür, seine schulischen Karrieremöglichkeiten wahrzunehmen. In dieser Angelegenheit haben wir aber schon seit längerer Zeit keinen Konsens. Ihre Ansicht ist für mich ­ wenn ich das an dieser Stelle sagen darf ­ absolut unverständlich.

Auch die Ausbildungsplatzentwicklung sehe ich etwas differenzierter. Vom Ergebnis her ändert das nicht allzu viel. Sie ist aber in der Tat deutlich differenzierter. Es gibt zahlreiche Bereiche, in denen die Betriebe bereits abschätzen können, dass sie ­ in der Annahme, dass sich die wirtschaftliche Situation wieder stabilisiert ­ in drei oder vier Jahren eine Personalknappheit haben werden, und deswegen heute ausbilden und Auszubildende suchen. Das gilt beispielsweise für die Logistikbranche. Obwohl die Speditionsbetriebe derzeit deutlich weniger zu tun haben ­ wir merken es auf den Straßen ­, bilden sie unvermindert aus. Auch das Handwerk sucht zum Teil unvermindert Auszubildende. Die Situation ist also nicht ganz so einseitig, wie sie hier dargestellt wurde.

Gleichwohl werden wir generell damit rechnen müssen, dass in diesem Jahr und aller Voraussicht nach auch im nächsten Jahr mehr Jugendliche in Vollzeitbereiche einmünden. In diesem Zusammenhang stehen wir vor dem bereits angesprochenen Prognoseproblem und der Frage, wie man einigermaßen flexibel nachjustieren kann.

Das ist nicht vollkommen neu; so etwas haben wir schon häufiger gehabt. Ich kann nur hoffen, dass die zukünftigen Prognoseinstrumente vielleicht noch weiter differenziert werden ­ in engerer Abstimmung mit dem, was in den Berufskollegs vor Ort ankommt. Wenn im Februar die ersten Anfragen vorliegen, weiß man immer deutlich mehr als beispielsweise bei der Oktober-Statistik. Selbst im Februar ist aber noch nicht abschließend klar, wie viele Schülerinnen und Schüler sich im April oder im Mai dann tatsächlich anmelden.

Ich weiß, dass diese Problematik schwierig ist. Möglicherweise kommt man wirklich nicht darum herum, in der Paralleleinschätzung zu konjunkturellen Entwicklungen auch Korridore aufzumachen, die einfach notwendig sind, um den Bedarf, der sich abzeichnet, zu decken.

Ein zweites Problem ­ da stimme ich Ihnen voll zu, Frau Schäfer ­ ist der massive Fachlehrerbedarf in einigen Teilgebieten, speziell im gewerblich-technischen Bereich

­ Elektro und Metall ­, aber auch in berufsübergreifenden Fächern. Mit steigendem Vollzeitanteil nimmt dieser Fachlehrerbedarf auch immer wieder zu ­ insbesondere in den Fächern, die auch in der Sekundarstufe II an Gymnasien und Gesamtschulen unter Knappheit leiden, beispielsweise Englisch und Mathematik. In der Regel ziehen wir an den Berufskollegs den Kürzeren, wenn Kollegen die Alternative haben, an ein Gymnasium zu gehen. Das ist nun einmal so ­ warum auch immer.

Ich gehe davon aus, dass für diese Entwicklung wieder der ganze Instrumentenkasten mit Ergänzungsqualifizierungen und dergleichen mehr in die Hand genommen werden muss, den man früher auch schon angewendet hat. Das wird unvermeidlich sein. Über den normalen Lehrerausbildungsmarkt werden wir unseren Bedarf an Lehrkräften nicht vollständig gedeckt bekommen.