Zur Qualität und Quantität Ich bin der Meinung diese Punkte kann man gar nicht getrennt sehen

Frau Steffens, Sie haben gefragt, was die Gewerkschaft ver.di zur Erhöhung des Renteneintrittsalters meint. Das ist zynisch; das sage ich deutlich. Wenn man fordert, dass Altenpflegekräfte über 65 hinaus in der Altenpflege tätig bleiben sollen, dann stelle ich die Gegenfrage: Sollen Pflegebedürftige andere Pflegebedürftige pflegen? Wer 20 oder gar 30 Jahre in der Pflege beruflich tätig war, der ist so ausgepowert, dass er seinen Ruhestand verdient hat, nicht aber eine gekürzte Rente, weil er nicht mehr kann.

Zur Qualität und Quantität: Ich bin der Meinung, diese Punkte kann man gar nicht getrennt sehen. Wir können nur über Qualität reden, wenn wir auch genug Menschen in der Pflege haben. Zu wenige Pflegekräfte können nicht für eine gute Qualität stehen.

Insofern kann man das nur zusammen sehen.

Frau Monheim, Sie beklagen die schlechte Presse. Wir würden gerne gute Presse zur Pflege machen. Wenn es gute Dinge zu berichten gibt, dann tun wir das sogar.

Dass die Presse das nicht immer aufgreift, ist so eine Sache. Schließlich hängt es von den Themen ab, ob man in die Presse kommt. Ich warne aber davor, die Situation in der Pflege schönzureden, damit der Beruf attraktiver erscheint. Das wird ein Schauspiel sein, das schnell durchschaut werden wird. Wir stehen dafür, dass wir den Finger in die Wunde legen. Aber man kann nicht eine gute Presse haben wollen und gleichzeitig nichts dafür tun, dass sich die Situation dramatisch verbessert. Insofern sind wir alle aufgerufen, gemeinsame Kraftanstrengungen zu unternehmen, damit sich die Situation in der Pflege für die Beschäftigten und für die Pflegebedürftigen verbessert. Dann kommt auch die gute Presse. Davon bin ich sehr überzeugt.

Thomas Kutschke (Institut für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke gGmbH): Ich möchte einen Gedanken, der vorhin von Frau Prof. Bienstein aufgegriffen wurde ­ leider ist er erst spät aufgegriffen worden ­, deutlich hervorheben und vielleicht auch ein bisschen weiterführen. Die Pflegeberufe, und zwar gleichermaßen die Alten- wie die Gesundheits- und Krankenpflege, sind Heilberufe. Spätestens in § 63 Abs. 3 SGB V ist dies nun bestätigt worden. Wir reden von Heilkunde, die ausgeübt wird. Und Heilberufe bilden sich per se aus sich selbst heraus aus. Das können alle Ärzte, Mediziner und Apotheker hier bestätigen. Daher stellt sich die Frage, ob die Pflegeausbildung an ein duales System angedockt wird, gar nicht. Die Pflegeausbildung muss, um den gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen, aus sich selbst heraus erfolgen.

Wir haben die ganze Zeit nur darüber gesprochen, eine kurzfristige Lösung des Problems zu finden. Es ging nicht um eine mittel- oder langfristige Lösung, sondern um eine kurzfristige. Und bei einer kurzfristigen Lösung kann die Wiedereinführung der Umlage ein Weg von vielen sein ­ wir haben heute ja viele Antworten gehört ­, die beschritten werden müssen.

Ich möchte noch auf die Frage von Frau Steffens zu den Berufen eingehen. Ich kann Herrn Dr. Hilbert zustimmen. Wir werden gar nicht darum herumkommen, in der Pflege sehr viele Berufe zu integrieren. Aber gerade weil wir das müssen, muss die Qualität sichergestellt werden. Ich kann hier ein sehr plattes Beispiel bemühen, aber es ist sehr treffend: Wenn ich meinen Wagen in die Werkstatt bringe, erwarte ich, dass eine Fachkraft und nicht der Hausmeister oder ein Lagerarbeiter meinen Wagen repariert. ­ Genauso muss auch in der Pflege sichergestellt werden, dass die eigentliche Pflege, von der wir reden, von Fachkräften ausgeführt wird. Die Assistenzen, die wir in der Pflege brauchen, um den Mangel zu decken, liegen im Bereich der Alltagsassistenz, der hauswirtschaftsnahen Tätigkeiten, aber ausdrücklich nicht im Bereich der Pflege; da geht es um Fachkräfte.

Andreas Meiwes (AG der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes NRW): Ich möchte ein terminologisches Missverständnis aufklären und im Übrigen an Frau Löhken-Mehring weiterleiten. Herr Killewald, die Freie Wohlfahrtspflege fordert dezidiert keine Überleitung der Pflegeausbildung ins duale System. Wir möchten eine Berufsausbildung an der höheren Berufsfachschule nach dem nordrhein-westfälischen Berufskolleggesetz. Das ist kein duales System, wie es beispielsweise im Handwerk der Fall ist. Das hat etwas mit Theoriestunden zu tun. Das hat etwas mit dem modularen Aufbau und der Durchlässigkeit unterschiedlicher Qualifikationsniveaus zu tun. Und ­ hier kann ich nahtlos an das anknüpfen, was Frau Dr. Menke gesagt hat ­ das hat etwas damit zu tun, dass die Schule die praktischen Einsatzfelder steuern können muss.

Gertrud Löhken-Mehring (AG der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes NRW): Ich möchte noch einmal ein Augenmerk auf die Frage werfen, ob eine Umlage eingeführt werden soll oder nicht. Ich finde, diese Frage kann man nicht aus dem Bauch heraus beantworten. Die entscheidende Frage ist: Wohin wollen wir in Zukunft mit der Pflegeausbildung bezogen auf die Verortung, auf die Ansiedlung? Wir wollen in das Schulsystem, und wir wollen eine Ausbildung, die am europäischen Qualifikationsrahmen orientiert ist. Dann verbietet sich eigentlich die Frage nach einer Umlage. Denn eine Umlage würde das jetzige System, nämlich eine Ausbildung außerhalb des normalen Ausbildungssystems, zementieren. Die Zementierung der Altenpflegeausbildung außerhalb des regulären Systems bedingt aber die vielen Nachteile, die wir heute beklagen: fehlende Durchlässigkeit, Eindimensionalisierung usw., tarifliche Eingruppierung, Orientierung als Frauenberuf. Wenn die langfristige Ausrichtung darin bestehen soll, die Altenpflegeausbildung innerhalb des Schulsystems zu qualifizieren und sich am europäischen Qualifikationsrahmen zu orientieren, dann stellt sich die Frage einer Umlage nicht, dann geht es um Steuerfinanzierung; denn es ist eine öffentliche Aufgabe.

Die Freie Wohlfahrtspflege könnte sich vielleicht damit einverstanden erklären, im Moment einen Übergangsweg zu schaffen. Dieser wird aber schwierig. All jenen, die von der ehemaligen Umlage, die wir in Nordrhein-Westfalen hatten, nicht praktisch betroffen sind, kann ich nur sagen: Einige Einrichtungen befinden sich heute, fünf Jahren nach Abschaffung der Umlage, noch immer im Verrechnungsverfahren. Das heißt, sie werden bei Budgetverhandlungen, bei Pflegesatzverhandlungen immer noch verrechnet, weil es im System Überzahlungen gegeben hat. Und das hat zur Konsequenz, dass auch heute noch Personalbudgets reduziert werden, weil die Umlage verrechnet werden muss. Das ist eine Katastrophe.

Das System, das wir hatten ­ ich sage das ein bisschen im Straßenslang ­, war ein Teufelssystem. Keiner hat es mehr durchblickt. Es war ungeheuer verwaltungsaufwendig. Und es ist bis heute nicht abgearbeitet. Das heißt, die heutigen Einrichtungen, die im System waren und noch verrechnen müssen, leiden nach wie vor unter diesem System ­ und das kann es nicht sein. Wenn also ein neues Umlagesystem eingeführt werden soll, dann muss es einfach und nachvollziehbar sein. Und es muss sich innerhalb eines Zeitraums von einem oder anderthalb Jahren auf null stellen lassen. Alles andere wäre verrückt.

Ein weiterer Aspekt: Wir haben heute über die schlechten bzw. dramatischen Arbeitsbedingungen in den Arbeitsfeldern der Altenhilfe gesprochen. Ich warne davor, hier mit Dramatik zu argumentieren. Das ist nichts anderes als schlechte Presse.

Richtig ist, dass die Einrichtungen zum Teil schwierige Arbeitsbedingungen vorhalten. Das hat ganz unterschiedliche Gründe:

Zum einen gibt es ein Pflegesatzsystem, das im personellen Bereich mit Orientierungswerten hinterlegt wird. Diese sind von den Kostenträgern gesetzt. Es gibt überhaupt kein Bemessungssystem, um festzustellen, ob sie den tatsächlichen Bedarfen entsprechen oder nicht. Das heißt, ein wesentlicher Schritt wäre, ein Personalbemessungssystem einzuführen, um überhaupt messbar machen zu können, ob das Anforderungsprofil seitens der Pflegebedürftigen mit dem übereinstimmt, was wir qualitativ und quantitativ an Personal gegenüberstellen können. Da geht die Schere unserer Ansicht nach heute weit auseinander.

Zum anderen sind auch die Personalorientierungswerte an Pflegeeinstufungen ­ Pflegestufe I, II oder III ­ gebunden. Nach diesen bemisst sich die Personalmenge.

Sobald sich die Pflegestufen in den Einrichtungen bzw. Diensten ändern, hat dies sofort Auswirkungen auf das Vorhalten von Personal. Wenn der Anteil an Pflegestufe III absinkt und der an Pflegestufe I nachwächst, gibt es sofort einen personellen Überhang.

Damit knüpfe ich an Ihre Frage an: Warum erlauben es sich Einrichtungen heute, jungen Menschen nach der Ausbildung eine Halbtagsstelle anzubieten? Genau wegen des Systems, das uns die Pflegeversicherung vorgegeben hat! Das heißt, Personal ist an Auslastung und Pflegeeinstufung gebunden, und sobald es in diesen Bereichen zu Verschiebungen kommt, gibt es sofort ein Floating innerhalb des Personalkegels. Das sind für die Menschen schwierige Aussichten. Das bedeutet Befristung, das bedeutet Teilzeitbeschäftigung. Das bedeutet auch, dass sich Pfleger nur wenig auf ihren Arbeitgeber einlassen, wenn sie nur einen Zweijahresarbeitsvertrag haben. Daraus resultiert Identitätsverlust oder deutliche Zurückhaltung, und das hat Auswirkungen auf die Qualität der Pflege, auf die Qualität der Teambildung, auf die Qualität der Teilhabe usw. Wir haben also systemische Rahmenbedingungen, die die Freie Wohlfahrtspflege oder die öffentlichen Träger überhaupt nicht aushebeln können. Die Rahmenbedingungen sind systembedingt vorgegeben.

Ich komme noch einmal auf die Qualifizierung der Ausbildung zu sprechen. Die Träger der stationären und ambulanten Dienste investieren aus ihren eigenen Reihen ungeheuer viel in Qualifikation. Die Mittel sind allerdings begrenzt.