Die einzelnen Abwägungsgründe habe ich aufgeführt

Klientel und gegenüber heterogener werdenden Studierenden.

Die einzelnen Abwägungsgründe habe ich aufgeführt. Sie führen im Ergebnis dazu, dass wir für eine sehr viel stärkere Individualisierung von Lernangeboten eher in Richtung eines Coachings und weniger in Richtung einer professionsbezogenen Entwicklung von Lehrangeboten gehen müssen, die die Hochschulen und insbesondere die Universitäten im Wesentlichen betreiben. Nein, das muss weiter entwickelt werden mit Blick auf eine professionelle Ausrichtung an individuellen Bildungs- und Weiterbildungsbedürfnissen. Das ist mein zentraler Punkt.

Dr. Christian Berthold (CHE Consult GmbH): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Fast alles wurde schon gesagt, nur noch nicht von uns.

(Teilweise Heiterkeit)

Wir halten die Ziele dieses Antrags für außerordentlich unterstützenswert. Wir sind sehr dafür, dass man diesen Bereich öffnet; vieles hierzu ist schon gesagt worden.

Ich will an dieser Stelle vor allem auf die quantitative Dimension hinweisen. Wenn NRW besonders erfolgreich wäre und innerhalb von fünf Jahren den Anteil an Studenten ohne Abitur verdoppeln würde, wären es 2 % der Studierenden und damit das Niveau von Niedersachsen. Wenn NRW auf diesem Weg besonders weitermachen würde, würde es in 20 Jahren vielleicht mit 6 % der Studierenden auf das Niveau von Schweden kommen. 1 % mehr würde ungefähr 700 zusätzliche Anfänger bedeuten.

(Prof. Dr. Thomas Sternberg [CDU]: Was bringt das?)

­ Ich komme gleich auf den Punkt. ­ Die Frage lautet: Worum geht es eigentlich? Es geht um den Punkt, mehr jungen Leuten akademische Bildung zu vermitteln, was ich im 21. Jahrhundert und im Zeitalter der Wissensgesellschaft für ein angemessenes Ziel halte, weil höhere Bildung, wie wir wissen, sehr viel bessere Lebenschancen, ein sehr viel höheres Einkommen, geringere Arbeitslosigkeit, mehr Sozialbeziehungen, mehr Gesundheit und mehr Glück beschert. Das alles ist in Studien belegt.

Wenn man also akademische Bildung erzielen will, dann hätte NRW zum Beispiel bei der Übertrittsquote der Fachhochschulreife einen viel höheren Wirkungshebel. NRW hat eine Übertrittsquote bei der Fachhochschulreife von 35 %. Würden Sie das nur auf 50 % anheben, was nicht besonders ehrgeizig erscheint, reden wir von 6.000 bis 7.000 zusätzlichen Studienanfängern. Insofern muss man prüfen, wo man den meisten Effekt bei dem erzielt, was man will.

Unbestritten: Studieren ohne Abitur ist ein ehrenwertes politisches Ziel. Wenn Sie das ernsthaft und intensiv weiterverfolgen wollen, können Sie sehr viel von Großbritannien lernen. Dort ist mit den Programmen „Widening participation" und „Aimhigher" sehr viel Geld bewegt worden. Damit sind die Hochschulen erheblich beanreizt worden, neue Zielgruppen in die akademische Bildung einzuführen.

Dann lernt man allerdings auch, dass es nicht allein darum geht, zusätzliche Zielgruppen hineinzubringen, sondern Sie müssen sich auch Gedanken darüber ma chen, wie Sie sie zum Studienerfolg führen. Das bringt mich auf den entscheidenden Punkt. Ich schlage vor, die Perspektive zu erweitern. Wir wissen alle, dass das deutsche Bildungssystem und die deutschen Hochschulen sehr selektiv sind und dass eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Gruppen dort unterrepräsentiert sind wie die Migranten, die Bildungsfernen, die sozial Schwachen, die Berufstätigen oder Studierende mit Kindern.

Das alles sind in deutschen Hochschulen kritische Erfolgsfaktoren für den Studienerfolg. Wenn Sie zu einer dieser Gruppen gehören, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie oben ankommen, geringer. Die deutsche Hochschule ist tendenziell an Normalstudierenden orientiert, das heißt: jung, Vollzeit, Deutsch und on-campus studierend. Es erfordert eine erhebliche Veränderung, das zu verändern. Wir müssen das verändern, weil erstens die Heterogenität der Studierenden schon zugenommen hat und weil sie zweitens im Kontext des demokratischen Wandels weiter zunehmen muss.

Wir müssen wollen, dass diese jungen Leute und diese Gruppen dort stärker repräsentiert sind. Wenn in Düsseldorf zwar 50 % der Neugeborenen, aber nur 5 % der Studierenden einen Migrationshintergrund haben, ist das ein Zeichen dafür, dass wir sehr verschwenderisch mit unseren Potenzialen umgehen. Das müssen wir ändern.

Dazu müssen wir aber die Hochschulen in die Lage versetzen, mit diesen Zielgruppen umzugehen. Dann ist für mich das Studieren ohne Abitur eigentlich nur ein weiteres Diversitätsmerkmal neben denen, die ich genannt habe.

Ich komme zu meinem letzten Punkt. Wenn wir das wollen ­ ich halte es für unverzichtbar, dass wir uns auf diesem Weg bewegen ­, müssen wir die Hochschulen mit besseren Daten ausstatten. Die meisten Hochschulen in Deutschland haben zum Beispiel keine Informationen darüber, wie viele Studierende einen Migrationshintergrund haben. Wir erheben das nicht. Wir wissen über diese Aspekte, die kritische Erfolgsfaktoren für den Studienerfolg sind, immer nur hochschulübergreifend und nicht hochschulspezifisch Bescheid.

Das wiederum ist ein politisches Thema. Wir müssen den Datenschutz an dieser Stelle ein bisschen neu interpretieren. Eine Aufgabe jedes Parlamentes liegt darin, die rechtlichen Rahmenbedingungen auch dafür zu schaffen, dass Informationen vorliegen, damit gezielte Angebote entwickelt werden können ­ das ist teilweise angesprochen worden ­, um diese Gruppen, die besonderen Risiken ausgesetzt sind, unterstützen zu können.

Ich komme zu meinen letzten Gedanken. Wir müssen lernen, Diversität als eine Bereicherung und nicht als eine Belastung von Hochschulen wahrzunehmen. Aber dazu müssen wir den Hochschulen helfen, solche Instrumente zu entwickeln.

Dr. Lothar Jansen (Verein zur Wiedereinführung staatlicher Studienkollegs in NRW): Auch wir unterstützen das Anliegen, sehen aber in beiden Feldern Probleme: sowohl bei den Hochschulen, die diese neue Bewerbergruppe aufnehmen sollen, als auch bei den Bewerbern selbst. Ich habe nicht den Eindruck, dass man sich bei den Hochschulen ­ darin unterscheide ich mich etwas von dem Vorredner ­ zu sehr auf die Normalstudenten fokussiert. Man fokussiert sich überhaupt nicht mehr bzw. viel zu wenig auf die Studierenden.

(Teilweise Heiterkeit)

Ich habe den Eindruck, die Forschung steht im Mittelpunkt, während die Lehre deutlich zu kurz kommt. Wir haben deutschlandweit den Bachelor/Master nach dem englischen und nicht nach dem amerikanischen Modell eingeführt. Das heißt, wir haben nicht mehr die Chance, ohne Weiteres Orientierungsphasen einzubauen.

Wir haben eine Reihe von Problemen an den Hochschulen ­ nicht so sehr an den Fachhochschulen ­ und Probleme in Nordrhein Westfalen. Das ist sicherlich auch deshalb der Fall, dass wir durch das Hochschulfreiheitsgesetz eine viel größere Autonomie gegeben haben und insofern nicht mehr so stark lenkend eingreifen können.

Die Konsequenz ist auch, dass an den Universitäten die Zahl der Studienplätze gesunken ist. So gibt es etwa bei uns in Münster 20 % weniger Anfänger. Das ist erheblich.

Ich sehe die Studienbedingungen ganz deutlich bei meinen Kindern, weil sie genau das Gleiche studieren. Meine Tochter hat noch Glück gehabt und studiert im Diplomstudiengang Mathe mit Wirtschaft, während mein Sohn das im Bachelorstudiengang studiert. Mein Sohn muss im Bachelorstudium mehr Klausuren als meine Tochter im gesamten Diplomstudium schreiben. Also läuft etwas schief in unserer Hochschullandschaft. Das hören wir an vielen Stellen. Deswegen lautet unsere Forderung, stärker lenkend einzugreifen. Ähnlich wie man bei den Schulen mehr Freiheit gegeben und ein Inspektorat eingerichtet hat, um dort kritisch und auch helfend zur Seite zu stehen, sollte man das an den Hochschulen auch tun, um die Bedingungen zu verbessern.

Zweitens sollten wir uns die Bewerber selbst ansehen. Es reicht nicht, einfach zu sagen: Wir geben dem Meister den Zugang. ­ Wir müssen ihm auch die Chance geben, das Studium zu bewältigen. Dafür reicht es nicht, wie vom DGB vorgeschlagen wurde, während des Studiums Kurse einzurichten. Wir brauchen einfach Propädeutik. In diesem Bereich hat unser Verein sehr große Erfahrungen mit ausländischen Studierenden, die mit Blick auf spezielle Studiengänge in die Hochschulen gebracht werden. Solche propädeutischen Einrichtungen muss eine Hochschule einfach vorhalten, um den Bewerbern eine Chance zu geben.

Leider sind die Studienkollegs abgeschafft worden. Das ist, wie man sieht, nicht nur ein moralischer oder ein wirtschaftlicher Fehler gewesen. Man hat damit auch ein Instrument genommen, das andere Bundesländer haben und das man nutzen könnte.

Wir sehen im Augenblick kein Instrument hierfür außer der Wiedereinführung der Studienkollegs in NRW. Sie könnten die Hochschulen in die Lage versetzen, diese nicht so große Gruppe ­ das haben wir eben gehört ­ wirklich in die Universitätslandschaft einzugliedern. Denn nicht jede Universität wird für die nicht so vielen Studierenden propädeutische Kurse einrichten können. Dabei braucht man aus wirtschaftlichen Gründen eine Bündelung. Dafür muss sich das Land etwas einfallen lassen. Wir sind gerne bereit, dabei zu helfen.