Bei einer Aufhebung der Schulbezirke würden sich die Unterschiede zwischen den Schulen vergrößern

9. Sitzung (öffentlich) me kaum eine Chance gegen eine Schule in einem sozial und ökonomisch besser gestellten Stadtteil haben. Der bloße Vergleich von Ergebnissen, Angeboten, Übergangsquoten sowie undifferenzierte Rankings ohne Berücksichtigung der sozialen Rahmenbedingungen würden daher wenig über die tatsächliche Leistungsfähigkeit und Qualität einer Schule aussagen.

Bei einer Aufhebung der Schulbezirke würden sich die Unterschiede zwischen den Schulen vergrößern. Auf der einen Seite gäbe es eine Ballung von Problemen, die Situation bisheriger sogenannter Problemschulen würde sich verschlechtern. Auf der anderen Seite gäbe es eine Konzentration der sozial und ökonomisch Starken an anderen Schulen. Um es ganz deutlich zu sagen: Wettbewerb über bloße Abschaffung der Schulbezirke herstellen zu wollen, hieße, Selektion und Ungleichheit der Chancen weiter zu verstärken.

Was könnte nach unserer Auffassung nun eine Lösung darstellen? - Eine Einschränkung der Wahlfreiheit durch die Festlegung der Aufnahmekapazität, wie in den Eckpunkten zur Novellierung des Schulgesetzes vorgesehen, wäre keine Lösung, da durch den faktischen Druck vor Ort kein Schulträger auf Dauer dem Ausbau einer aus welchen Gründen auch immer begehrten Schule wird widerstehen können. Erhebliche zusätzliche finanzielle Belastungen wären somit die Folge. Andererseits bekämen Schulen mit weniger Zulauf Bestandsprobleme oder müssten gar geschlossen werden.

Auch die in diesem Zusammenhang aufgeführte Begrenzung der Fahrtkostenerstattung ist wegen der damit verbundenen Selektionswirkung nicht unproblematisch. Es ist allerdings einzuräumen, dass die aufgezeigten Probleme nicht in allen Städten und Gemeinden in gleicher Weise vorhanden sind, sich in gleicher Weise stellen, sondern je nach örtlichen Verhältnissen unterschiedlich ausfallen können. Wir plädieren daher für eine Umwandlung der bisher in § 84 des Schulgesetzes geregelten verpflichtenden Bildung von Schulbezirken in eine Kann-Bestimmung analog der Regelung, wie sie derzeit schon für die Schuleinzugsbereiche bei den weiterführenden Schulen gilt. Einen entsprechenden einstimmigen Beschluss hat unser Vorstand bereits im September 2005 gefasst. Hierdurch hätte der Schulträger weiterhin die Möglichkeit, je nach örtlichen Verhältnissen über die Frage der Schulbezirke zu entscheiden.

Zusätzlich halten wir eine Flexibilisierung der bestehenden Regelung für denkbar, etwa durch die Möglichkeit der Bildung eines gemeinsamen Schulbezirks für mehrere Schulen. Durch eine solche Regelung könnte der gewünschte Wettbewerb stadtteilbezogen beziehungsweise in einem räumlich abgegrenzten Gebiet unter in etwa vergleichbaren Bedingungen gefördert werden. Allerdings müssten auch in diesem Fall faire Rahmenbedingungen durch besondere Fördermaßnahmen beziehungsweise zusätzliche Ressourcen, kleinere Klassen, Bildungsmöglichkeiten oder Ähnliches geschaffen werden.

Meine Damen und Herren, die Reaktionen auf die aktuelle Diskussion aus der kommunalen Praxis zeigen - übrigens parteiübergreifend -, welche Bedeutung die Schulbezirke für die Gestaltung des örtlichen Schulangebots haben. Ich sage offen: Schulbezirke waren vor dieser Diskussion im kommunalen Bereich überhaupt kein Thema und sind erst durch diese Diskussion zum Thema gemacht worden. Jedenfalls zeigen die Erfahrungen aus der Praxis, dass sich eine pauschale Regelung über Schulbezirke und Einzugsbereiche durch das Land verbietet.

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Die bisher vorgetragenen Argumente für eine ersatzlose Abschaffung der Schulbezirke, etwa der Hinweis auf den Kindergartenbereich oder auf die ohnehin schon gegebene Möglichkeit zum Schulwechsel - wir haben das einmal erhoben und Wechselquoten von 5 bis 10 % ermittelt -, sind nicht überzeugend. Die Entscheidung über die Festlegung von Schulbezirken ist eine Angelegenheit der kommunalen Selbstverwaltung. Meine Damen und Herren, sie sollte es auch in Zukunft bleiben.

Dr. Hans-Georg Küppers (Stadt Bochum): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich will mich kurz fassen und zum besseren Überblick an den gestellten Fragen orientieren.

Ich kann das bestätigen, was Herr Hebborn gerade gesagt hat: Auch in der Stadt Bochum ist das Thema der Schulbezirke kein Thema gewesen - weder bei den Eltern noch bei den Lehrern noch in der Verwaltung. Hier ist ein Thema aufgemacht worden, das im Augenblick überhaupt nicht auf der Tagesordnung steht. Ich glaube, dass es bei der Aufhebung der Schulbezirke darauf hinauslaufen wird, dass wir Schulen erster, zweiter und dritter Klasse bekommen werden. Wir werden in verschiedenen Stadtteilen Elitegrundschulen haben, wir werden Grundschulen haben, die weiterhin eine - von mir jedenfalls gewünschte - Heterogenität besitzen, und wir werden soziale Brennpunktschulen haben, an denen sich benachteiligte Schichten oder auch Kinder aus Migrationsfamilien versammeln werden.

Durch die Aufhebung der Schulbezirke wird vor allen Dingen auch das, was Schule tun soll, nämlich den sozialen Kontext zu stärken, gefährdet. Schülerinnen und Schüler werden aus ihrem sozialen Kontext herausgelöst. Das ist im Augenblick besonders deshalb von Nachteil, weil wir wissen, dass die Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Schule insbesondere zum Beispiel in Bezug auf die Sprachförderung etwas Elementares, Wichtiges ist. Diese engen Kontakte würden neben der Tatsache, dass möglicherweise Freundschaften auseinander gerissen würden, in diesen Bereichen verschwinden.

Wenn Schule und Lernstandort und der Wohnstandort getrennt werden, kann auch das, was Schule leisten soll, nämlich die Öffnung in den Stadtteil hinein, nicht mehr stattfinden. Das, was wir in den Kommunen einmal mit „Öffnung von Schule in die Stadtteile hinein" auf unsere Fahnen geschrieben hatten, würde dadurch ganz stark gefährdet.

Dies gilt insbesondere für Kinder, die mit einem Migrationshintergrund an unsere Schulen kommen. Wir wissen aus der Pisa-Studie, dass wir dort vieles nachzuholen haben.

Durch die Aufhebung der Schulbezirksgrenzen würde die Heterogenität der Schülerschaft, die wir immer noch haben, zugunsten einer falschen Homogenität geopfert. Wir würden diese Schüler, die auch im Übergang zu den weiterführenden Schulen ohnehin Schwierigkeiten haben, ein zweites Mal dadurch benachteiligen, dass sie sich an bestimmten Schulen versammeln würden.

Dass dies auch von der Landesregierung so gesehen wird, wird schon allein dadurch deutlich, dass Integrationshilfen eingesetzt werden sollen. Das ist gut und richtig, bedeutet aber für die Schulen letztendlich eine „positive Diskriminierung". Grund für die Problemschulen sind keineswegs die bestehenden Schuleinzugsbezirke, sondern die Stadtteile, die - Herr Hebborn hat es gerade gesagt - jeweils die eigene Lage abbilden.

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Ich glaube, dass die Frage, die sich auf die Umgehungstricks der Eltern bezieht, die ihre Kinder dann doch an anderen Schulen anmelden, marginal ist. Bei uns in Bochum werden ungefähr 10 % der Schülerinnen und Schüler an anderen Schulen angemeldet.

Wenn ich davon noch einmal die wegnehme, die durch Umzug dazu gezwungen sind, fällt die Frage der Umgehungstricks ins Minimale und stellt von daher mit Sicherheit keinen Grund dar, Schulbezirksgrenzen aufzugeben.

Ich will noch auf ein praktisches Problem aufmerksam machen: Die Aufhebung der Schulbezirksgrenzen bedeutet auch, dass die Eltern ihre Kinder an der Schule eins, zwei, drei und vier anmelden, weil sie nicht wissen: An welche Schule kommt mein Kind? Das ist ein gewaltiger bürokratischer Aufwand und eine Unsicherheit, die bei den Eltern vorherrschen wird.

Das Prinzip „kurze Beine - kurze Wege", das auch für uns gilt, wird durch das Prinzip „lange Wege - lange Fahrten" ersetzt. „Lange Wege - lange Fahrten" können sich die Eltern erlauben, die überhaupt mobil sind und auch die Zeit haben, ihre Kinder zu transportieren; denn wir in Bochum würden unsere Kinder nicht mit dem ÖPNV quer durch die Stadt schicken wollen.

Für uns als Schulträger beinhaltet die Schulentwicklungsplanung auch - es ist schon angesprochen worden - eine optimale Ausnutzung von Schulräumlichkeiten. Wir glauben, dass aufgrund des demographischen Faktors und auch der sich verändernden Gesellschaft überhaupt dann hier kein Steuerungsinstrument mehr vorhanden ist. Wir werden - das kennen Sie alle aus Ihrer eigenen Erfahrung - auch Modeschulen bekommen - wir kennen das aus dem gymnasialen Bereich -, aus welchem Grund auch immer dies Modeschulen sind. Das hängt manchmal einfach mit dem Gerede zusammen. Der Druck auf die Kommunen, an diesen Schulen noch zusätzliche Räumlichkeiten zu bauen, wird enorm werden, obwohl sich diese Modeschule in den nächsten zwei, drei Jahren wieder ändern kann. Das heißt, unsere Steuerung über die Schulentwicklungsplanung wird damit wesentlich eingeschränkt.

Ob man an der Grundschule, in der es um Bildung und Erziehung geht, überhaupt einen Wettbewerb einbringt, ist ein politisches Thema. Ich bin nicht der Meinung, dass hier ein Wettbewerb notwendig ist. Ein solcher Wettbewerb kann nur ausgerufen werden, wenn die Startchancen in der Tat gleich, zumindest annähernd gleich sind. Die Startchancen werden aber nie gleich sein; ich nenne hierzu ein banales Beispiel aus der Kommune: Nicht jede dieser Grundschulen ist in einem optimalen Gebäude untergebracht. Nicht jede der Grundschulen hat eine Turnhalle oder ein Schwimmbad. Das heißt, auch in Zukunft sind schon die Wettbewerbschancen bei den Schulen, da wir mit Sicherheit finanziell nicht in der Lage sein werden, hier neu zu bauen, eingeschränkt.

Es war auch angefragt, wie das mit den Familienzentren zusammenpasst. - Ich wüsste nicht, wie das zusammenpassen soll. Die Familienzentren sind im Augenblick auch wie ich gestern aus dem Radio erfahren habe - in der Diskussion. Die Idee, im Kindergarten Familien zu beraten und die Schülerinnen und Schüler dann sozusagen an andere Stellen zu transportieren, passt meiner Meinung nach nicht zusammen.

Dass durch die Abschaffung von Schulbezirksgrenzen die Qualität von Unterricht verbessert wird, sehe ich überhaupt nicht. Das ist mir nicht klar.