Wir möchten den Eltern mitgeben und sehen es als sehr wichtig an dass wohnortnah beschult wird

9. Sitzung (öffentlich) me

Deswegen ist unsere Entscheidung ganz klar: Wir Eltern müssen letztendlich laut Grundgesetz in der Pflicht sein und unsere Pflicht ernst nehmen zu entscheiden - unabhängig davon, ob wir über die Grundschule oder die weiterführende Schule sprechen, vor allen Dingen auch über die Schulform der weiterführenden Schule.

Wir möchten den Eltern mitgeben und sehen es als sehr wichtig an, dass wohnortnah beschult wird. Eltern müssen frühzeitig über die Wichtigkeit von Sozialraumbezügen und des Kennenlernens des eigenen Umfelds eines Kindes im Alter von vier bis sieben Jahren informiert werden. Die Bildung von Freundschaften ist ein ganz wichtiger Punkt.

Die Selbstständigkeit, die Identität mit dem Wohnumfeld, mit Freunden und anderen Schulgenossen muss erzielt werden.

Wir müssen auch hervorheben: Welche unterschiedlichen Konzepte haben Grundschulen? Das möchten Eltern langsam einmal hören. Heute haben Eltern kaum Chancen, sich vor dem Schulbesuch vernünftig zu informieren. Die Schulprogrammarbeit wird leider immer noch von vielen Schulen als notwendiges Übel erachtet. Die Möglichkeiten, die damit existieren, werden nicht gesehen. Nur sehr engagierte Eltern, die sich intensiv damit auseinander gesetzt haben, haben überhaupt die Möglichkeit zu erfahren: Was ist das für eine Schule?

Natürlich sind auch die Betreuungsmöglichkeiten, die offenen Ganztagsschulen ein wichtiger Punkt. Ich weiß aus Dortmund, dass heute schon öfter Wechsel außerhalb des Schulbezirks stattfinden, weil eine andere Schule eine offene Ganztagsschule anbietet und die eigene nicht. Eltern haben heutzutage immer häufiger die Notwendigkeit, ihre Kinder zumindest nachmittags betreut zu wissen. Wir wissen, dass es nachmittags nicht Schule in dem Sinne ist, aber es ist zumindest eine gute, verlässliche Betreuung, die bei den Eltern sehr gut ankommt. Auch das ist ein Aspekt, auch da muss ich die Möglichkeit haben zu wechseln.

Wie kommen wir dahin, diese scheinbaren Gegensätze aufzulösen? - In der vergangenen Legislaturperiode ist ein sehr gutes Instrument, und zwar die Informationsveranstaltung für Eltern von vierjährigen Kindern, eingeführt worden. Das erachten wir als einen sehr positiven Ansatz, der - zumindest läuft es in Dortmund so - es schon mit sich bringt, dass sich mehrere Schulen aus einem Stadtgebiet parallel präsentieren, dass sich dazu auch die Kindergärten präsentieren, dass man zeigt, wie man miteinander arbeitet. Ich habe in mehreren Veranstaltungen mitbekommen, wie Eltern das unwahrscheinlich gut aufnehmen, sehr intensiv und interessiert nachfragen und sich mit Konzepten, Ansätzen auseinander setzen, um dann ihre Entscheidung viel bewusster zu treffen. Das können Eltern. Gerade ist ein bisschen unterstellt worden, Eltern könnten das nicht. Eltern können das, sie müssen nur in die Lage versetzt werden.

Wir könnten uns auch vorstellen, dass es - ähnlich wie man es im Übergangsbereich 4/5 vorsieht - ein Beratungsgespräch gibt. Warum nicht ein Beratungsgespräch mit dem Leiter der wohnortnahen Schule? Als Anmerkung dazu: Es wird gar nicht ohne Schulbezirke gehen. Das ist genau richtig gesagt worden. Nur, sie sollen aus unserer Sicht nicht mehr verbindlich sein. Aber wir brauchen Schulbezirke. Eltern werden verstehen, wie wichtig eine wohnortnahe Beschulung ist. Eltern haben damit kein Problem.

Der wichtigste Punkt ist: Wir brauchen Schulqualität. Wenn wir die haben, dann haben wir die ganzen anderen Probleme nicht. Schulen müssen endlich in die Lage versetzt

9. Sitzung (öffentlich) me werden, den Unterricht zu erteilen. Frau Borns sprach vorhin über die Stundentafel.

Wenn sie irgendwo einmal eingehalten würde, fänden wir das schon ganz toll. Wir haben offizielle Zahlen: 5 % Unterricht fallen aus. Wenn man einmal real hinschaut, fallen mindestens 10 bis 15 % tatsächlich aus, weil vieles nicht zählt. Es wird Unterricht erteilt, ein Lehrer passt auf, dass Kinder da sind, aber er muss auf eine zweite Klasse nebenan auch noch aufpassen. Das ist kein Unterricht.

Deswegen sagen wir als Eltern: Wir möchten nicht mehr dem heutigen Zufallsprinzip in Schulen ausgesetzt sein. Wir möchten überall eine gleichmäßige Qualität sichergestellt haben. Das ist ein politischer Ansatz, zu dem Sie etwas beitragen können, meine Damen und Herren.

Wir begrüßen die Aufhebung der Verbindlichkeit der Schulbezirke, aber wir sind gegen eine Verbindlichkeit beim Grundschulgutachten. Das werden wir absolut bekämpfen.

Die Väter unseres Grundgesetzes wussten das. Eltern müssen in die Lage versetzt werden, qualitativ zu entscheiden.

Prof. Dr. Martin Twardy (Bergheim): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren!

Gestatten Sie mir einige Vorbemerkungen: Die interessierten und hoch brisanten Ausführungen zur Grundschulbezirksaufhebung haben mich insofern verwundert, weil niemand die Sondersituation der Berufskollegs ins Auge gefasst hat; denn dabei handelt es sich „nur" um eine knappe halbe Million Schüler, die auch davon betroffen sind.

Deswegen werde ich mich ausschließlich auf das Berufskolleg kaprizieren.

Da häufig von Wettbewerb die Rede ist, gestatten Sie mir, dass ich auch wettbewerbstheoretische Grundlagen, managementtheoretische Grundlagen, die KMK-Vorausberechnung der Schülerströme und zugleich das Schulfinanzierungsgesetz, den Ausbildungskonsens und Sonstiges in einer kurzen Form mit verarbeite. Meine wirtschaftsund berufspädagogischen Ausführungen basieren auf der Professionalität, die ich mit vertrete. Ich bin Ordinarius für Wirtschaftspädagogik an der Uni Köln. Wir sind seit Jahrzehnten traditionsgemäß die größte Lehrerbildungsstätte für die Berufskollegs.

Meine Ausführungen zur Zukunft der Berufsschule beziehungsweise der Schulbezirke konzentrieren sich auf die Frage der Abschaffung ausschließlich mit Auswirkungen auf die Bildungsgänge des dualen Systems; denn in anderen Bereichen gibt es schulbezirksübergreifend genug Wettbewerb. In den dualen Systemklassen hätten wir besonders große Probleme, wenn die Schulbezirke aufgehoben würden.

Mittelbar sind Berufskollegs von den Verschiebungen der Schülerströme betroffen, dem Zeitnachlauf und den Abgängen der Sekundarstufe I mit Überlastquoten, aber unmittelbar trifft eine Aufhebung der Schulbezirke zwei bildungspolitisch zentrale Fragen in höchst negativer Weise. Zwei ausgewählte Argumente gegen die Aufhebung der Schulbezirke für Berufskollegs:

Die Aufhebung von Schulbezirken wird im Kern mit zusätzlich geschaffenen Wahlfreiheiten und Chancen zur regionalen Profilierung begründet. Über Wahlfreiheiten können Entscheidungsträger ihre Präferenzen äußern, wobei dies im Bereich der Berufsbildung vor allem die Betriebe sein dürften, die faktisch darüber entscheiden würden, auf welche Berufsschule die Auszubildenden geschickt würden. Die Präferenz der Betriebe

9. Sitzung (öffentlich) me kann sich erwartungsgemäß auch in den nächsten zehn Jahren in Nordrhein-Westfalen durch ein knappes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen darauf richten, vermeintliche Ausbildungshemmnisse zu beseitigen. Dazu zählen in der gegenwärtigen Situation erneut die Zahl und Dauer der Berufsschultage, der berufsbezogene und berufsübergreifende Unterrichtsanteil, Fahrtzeiten usw.

Empirisch belegt, etwa im Rahmen des Modellversuchs „Neunstündiger Berufsschultag" - vom KMK Anfang der 2000er-Jahre in Auftrag gegeben -, ist das komplexe Geflecht von Hemmnissen und Gründen für Ausbildung und der relativ geringe Anteil einzelner Faktoren, etwa der Anwesenheit im Betrieb, oder anders herum: Die Abwesenheit während der Berufsschulzeit an zwei Tagen wurde von 10 % der Betriebe als ein Hemmnis für Einstellungen genannt, aber nicht als ausschließliches.

Zudem erwachsen aus einem Abbau von vermeintlichen Hemmnissen keineswegs automatische Zuwächse bei Ausbildungsplätzen. Verringerungen von Berufsschulzeiten führen so nicht allein zu erhöhten Ausbildungsplätzen, obwohl das Argument berechtigterweise im Entscheidungsprozess in kleinen Teilen zutrifft. So lässt sich empirisch belegen, dass für das Argument, durch Verringerung der Berufsschulzeiten mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, kein Beweis vorhanden ist.

Eine Aufhebung der Schulbezirke würde aus einem solchen Argument einen strategischen Faktor werden lassen; denn dann könnten innerorganisatorisch zu verantwortende Gründe einer Schule dazu führen, dass andere Berufskollegs, die sich etwa strenger an übergreifenden Standards und Regelungen der KMK orientieren, damit unter Druck geraten. Mit anderen Worten: Hier hätten wir einen negativen Effekt.

Die Wettbewerbstheorie nennt ein solches Verhalten Adverse Selection, weil eben nicht nach Kriterien optimiert, sondern auf Qualität und Quantität verzichtet wird. Man könnte auch noch das Greshamsche Gesetz anführen, nämlich dass das Unwichtige das Wichtige verdrängt. Mit anderen Worten: Eine solche Strategie würde den Bildungsauftrag der Berufsschulen im Kern treffen können, wenn durch negative externe Effekte, durch Adverse Selection, die Qualität, der Bildungsauftrag der Berufsschule gemindert wird.

Prof. Dr. Martin Twardy: Ich denke, es ist schwierig genug, mit der Festlegung von Schulbezirken und definierten Ansprechpartnern im dualen System einheitliche Regelungen zu treffen. Noch mehr Mühe bedarf es, wenn hier autonome Entscheidungsträger gegeneinander ausgespielt werden.

Fazit daraus: Eine Aufhebung in diesem Fall führt zu Adverse Selection, zu negativem Wettbewerb um die Anzahl der Schüler aus egozentrischem institutionellem Verhalten einzelner Lehrberufskollegs. Bedingt durch schulorganisatorische oder kapazitäre Überlegungen kann das in einigen Regionen zu einem Verlust eines flächendeckenden Angebots ortsnaher Beschulung von Berufsschulklassen führen.

Ein ganz wichtiges Argument aus der Handwerkswirtschaft, für die ich auch in der Aus- und Weiterbildung zuständig bin, ist dadurch gegeben, dass die Konkurrenz zwischen Innungs- und Schulbezirk nicht mehr gegeben ist, was beispielsweise in Abstimmungsfragen zwischen Schulen.