Beifall Von mir aus gesehen links außen sitzt Herr Martin Florack

„Demokratie! Nein danke?" durchgeführt hat. Dabei hat er festgestellt, dass in der Bundesrepublik Deutschland ein großer Demokratieverdruss herrscht. Seine Quintessenz lautet ­ er wird sicherlich etwas mehr dazu sagen ­, dass die Politik der letzten Jahre das Vertrauen der Bürger verspielt hat. ­ Herzlich willkommen, Herr Embacher!

(Beifall)

Von mir aus gesehen links außen sitzt Herr Martin Florack. Er ist kurzfristig für den ursprünglich vorgesehenen Prof. Korte eingesprungen, der heute zur Kanzlerinnenwahl in Berlin weilen will. Herr Florack ist Akademischer Rat im Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen und hat unter anderem eine Veröffentlichung hervorgebracht, die für uns möglicherweise interessant sein könnte. Er hat sich nämlich mit dem Verhältnis von politischer Bildung und Partizipationschancen beschäftigt. ­ Herzlich willkommen, Herr Florack!

(Beifall)

Die Dame links neben mir kennen Sie sicherlich alle. Frau Sonia Mikich war früher Korrespondentin in Moskau. Ich fand es immer interessant, zu sehen, wie sie vor dem Kreml saß. Jetzt sitzt sie hier. Wir leben eben in einer globalisierten Welt. Mittlerweile ist Frau Mikich Redaktionsleiterin des Politmagazins „Monitor". Von ihr stammt der Satz: Unsere Arbeit bei „Monitor" soll dazu beitragen, dass die Bürger ihren Willen zum Ausdruck bringen können. ­ Hier sehe ich eine unmittelbare Parallele zu dem, was wir im Rahmen der politischen Bildung versuchen. Darüber werden wir vielleicht gleich auch reden können, ebenso über das Wechselverhältnis von politischer Bildung und politischer Information durch die Medien. ­ Herzlich willkommen, Frau Mikich!

(Beifall)

Als letzten Teilnehmer ­ das ist einfach dem Alphabet geschuldet ­ begrüße Herrn Prof. Oberreuter, der von mir aus gesehen rechts außen Platz genommen hat. Herr Prof. Oberreuter kommt aus Passau. Er ist Politikwissenschaftler, vertritt dieses Fach an der Universität Passau und ist gleichzeitig Direktor der bedeutenden Akademie für Politische Bildung Tutzing. Er hat ­ das sollte einmal erwähnt werden ­ einen Termin in Berlin abgesagt, weil er schon ahnte, dass unser Zeitkorsett aus den Fugen gerät.

Das freut mich ganz besonders. Er wird heute Abend nicht in Berlin sein, sondern den Tag in Düsseldorf verbringen. ­ Herzlich willkommen, Herr Prof. Oberreuter!

(Beifall) Lassen Sie mich gleich einen Hinweis auf eine mögliche Kontroverse hier auf dem Podium geben. Herr Oberreuter hat sehr viel veröffentlicht und zahlreiche Würden erhalten. Ein Buch möchte ich beispielhaft erwähnen. Irgendwann einmal hat er konstatiert: „Übermacht der Medien. Erstickt die demokratische Kommunikation?" ­ Frau Mikich, Sie ahnen schon, worauf das vielleicht hinauslaufen könnte. ­ Ein weiterer von Herrn Oberreuter geprägter Satz, der mir sehr am Herzen liegt, lautet: Bildungspolitik ist die Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts.

Damit sind die Teilnehmerin und die Teilnehmer des Podiums vorgestellt.

Meine Dame, meine Herren, wir fangen damit an ­ so war es vereinbart ­, dass Sie einmal eine kurze Einschätzung der vier eben präsentierten Projekte abgeben. Die Referenten haben ja versucht, Schlüsselbegriffe und Tendenzen der Gesellschaft aufzugreifen, didaktisch zu übersetzen und Ihnen vorzustellen. Wie sehr überzeugt Sie das aus Ihrer jeweiligen Warte, also Politikwissenschaft, auch Akademie für Politische Bildung, Erwachsenenbildung und Medien? ­ Sie haben einen großen Zettel vor sich liegen, Herr Embacher. Wollen Sie beginnen?

Dr. Serge Embacher (Friedrich-Ebert-Stiftung): Ich habe hier zwar einen Zettel, auf dem ich mir ganz viel aufgeschrieben habe ­ aber nicht, um das jetzt vorzutragen; denn für mich ist die Teilnahme an einer Weiterbildungskonferenz natürlich auch ein Beitrag zu meiner persönlichen Weiterbildung. Das ist der Grund für meine vielen Notizen.

Wir wurden gebeten, die hier vorgestellten Projekte aus unserer jeweiligen Perspektive zu beleuchten. Das will ich gerne tun. Wenn man über politische Bildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen nachdenkt oder überhaupt Weiterbildung und politische Bildung zusammen denkt, sind zwei Punkte wichtig.

Erstens. Politische Bildung von Jugendlichen muss untrennbar mit Partizipation verknüpft sein. Wenn ich politische Bildung durchführe, muss also Partizipation darin enthalten sein. Es hat keinen Sinn, den Gang der Gesetzgebung zu erläutern. In anderen Zusammenhängen ist es zwar durchaus wichtig, dass man das weiß. Es bringt aber nichts, sich vor Jugendliche zu stellen, ihnen das zu erläutern und dann zu sagen: Jetzt wisst ihr ja, wie Politik funktioniert; nun macht einmal. ­ Vielmehr muss die politische Bildung selber beteiligungsorientiert sein.

Zweitens. Politische Bildung vor allen Dingen von jungen Menschen ist nur dann sinnvoll, wenn danach auch konkrete Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung aufgezeigt werden. Es reicht nicht aus, zu erklären, warum es wichtig ist, sich am demokratischen Gemeinwesen zu beteiligen, sondern es muss auch aufgezeigt werden, wo das ganz konkret möglich ist.

Das sind meine beiden Maßstäbe. Diesbezüglich habe ich heute eine Menge gesehen und gelernt. Ich will nur zwei Punkte herausgreifen.

Erstens. Das Projekt zum Handlungsfeld „Migration und Interkulturelles Lernen", in dessen Rahmen im Kreis Herford aufsuchende Bildungsarbeit stattfindet, hat mir sehr gut gefallen, weil dort etwas zugrunde gelegt wurde, was im öffentlichen Diskurs meistens verloren geht. Man sagt immer, die Politikverdrossenen seien die Bildungsfernen; sie hätten keine Ahnung und interessierten sich nicht. Die Chancenlosen werden also noch einmal denunziert, indem man ihnen vorwirft, sie würden den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen oder Computerspiele spielen. Eine zentrale Erkenntnis ist aber, dass die Bereitschaft zum Lernen und zum politischen Engagement immer vorhanden ist. Es geht also gar nicht an erster Stelle um die Frage, was wir tun können, um Jugendliche politisch zu motivieren. Vielmehr muss man zunächst einmal fragen: Was haben wir getan, um sie zu demotivieren? Also: Warum sind sie eigentlich so, wie sie sind? ­ Hier ist ein wichtiger Befund, vor allen Dingen bei Menschen aus dem Einwanderermilieu: Menschen wollen sich beteiligen und sind an Bildung interessiert. Sie wollen Beteiligung ­ und keine Hilfestellung, also keine pädagogische Begleitung; denn sie wissen schon ganz genau, was sie wollen. Das ist ein wichtiger Punkt.

Zweitens. Das Projekt „Demokratieführerschein" fand ich ebenfalls sehr interessant.

Im Übrigen würde mich einmal interessieren, ob der Zebrastreifen denn nun gebaut wurde oder nicht. Ich habe herausgehört, dass das nicht geschehen ist. Eine solche Frustration von politischen Erwartungen ist auch ein Problem. Hier habe ich allerdings noch einmal bestätigt bekommen, dass es ganz wichtig ist, gerade jungen Leuten zu zeigen: Du machst einen Unterschied. Es ist nicht egal, ob es dich gibt oder nicht. Es ist auch nicht egal, ob du dich engagierst oder nicht. ­ Das kann man aber natürlich nur machen, wenn man das Ganze nicht als Sonntagsrede formuliert, sondern es ernst nimmt und auch akzeptiert, dass jemand, der mitmacht, dann auch mitbestimmen will ­ und dann wird Demokratie richtig kompliziert.

Dr. Klaus-Peter Hufer (Kreisvolkshochschule Viersen): Kurze Nachfrage: Ihrer Untersuchung, die wirklich atemberaubende Ergebnisse zutage fördert, ist zu entnehmen, dass ein horrender Demokratieverdruss existiert. Könnte diesem Demokratieverdruss denn durch mehr politische Bildung entgegengewirkt werden?

Dr. Serge Embacher (Friedrich-Ebert-Stiftung): Ja. Ich halte politische Bildung für eminent wichtig. Im offiziellen Bildungsdiskurs wird das entgegen aller Beteuerungen doch als weiches Thema begriffen. Ich glaube, dass es mitten ins Zentrum der Demokratiediskussion gehört. Lassen Sie mich nur eine Zahl nennen. Unsere Untersuchung hat ergeben, dass ungefähr drei Viertel aller Menschen in Deutschland an Politik interessiert sind, dass sich aber immer auch die Hälfte vorstellen kann, nicht an den jeweils kommenden Wahlen teilzunehmen. Da scheint ja ein Paradox vorzuliegen. Weil Ulrich Beck vorhin schon einmal zitiert wurde, möchte ich auch ein kurzes Zitat von ihm vortragen. Er hat davon gesprochen, dass wir in Deutschland eine „hochpolitische Politikverleugnung" haben. Die Bürger sind also nicht unpolitisch, sondern haben auf eine bestimmte Form von Politik keine Lust. Das ist das Problem.

An dieser Stelle ist politische Bildung ­ und vor allen Dingen die Art und Weise, wie sie didaktisch vermittelt wird ­ von ganz zentralem Stellenwert.

Dr. Klaus-Peter Hufer (Kreisvolkshochschule Viersen): Herr Oberreuter, auch Sie bitte ich um eine kurze Einschätzung der Projekte, die hier beispielhaft präsentiert worden sind. Im Übrigen hat Herr Embacher ja gesagt, wenn politische Bildung nicht mit der Möglichkeit zum Handeln verbunden sei, bleibe sie möglicherweise steril. Da gibt es aber eine lange Debatte und auch ein großes Problem.

Prof. Dr. Dr. h. c. Heinrich Oberreuter (Akademie für Politische Bildung Tutzing): Ja, da gibt es in der Tat eine lange Debatte. Es gibt auch die Position, dass Bildung eigentlich immer in handlungsarmen Räumen angesiedelt ist. Beim Projekt „Demokratieführerschein" ist man ja nicht so weit gegangen.