Bekenntnis zu umfassender Kultureller Bildung statt "Vorhang zu" für Theater und Literatur in der gymnasialen Oberstufe

Seit über 25 Jahren gehört das Fach "Literatur" in Nordrhein Westfalen zum Fächerkanon der gymnasialen Oberstufe. Dieses Fach wird an 90 Prozent der Schulen mit gymnasialer Oberstufe angeboten, mehr als die Hälfte aller Oberstufenschülerinnen und -schüler wählen es als Alternative zu Kunst oder Musik und decken damit ihre Pflichtbedingungen im sprachlich-literarisch-künstlerischen Aufgabenfeld ab. Das Fach Literatur wird als Schreib-, Medienoder Theaterwerkstatt angeboten; nach letzten Umfragen werden nahezu 60 Prozent der Kurse als Theaterwerkstatt durchgeführt. Das Fach Literatur sichert also institutionell einen entscheidenden Bereich der kulturellen Bildung, das Theaterspiel.

Die Zukunft des Faches ist jedoch unklar, denn die bisher vorgelegten, wenn auch aus politischen Gründen verschobenen Pläne der Landesregierung zur Oberstufenreform, bedeuten das Aus für das Fach Literatur in der Sekundarstufe II. Theater und Literatur müssen Schule machen

Auf der Homepage des Archivs der Zukunft (http://www.archiv-der-zukunft.de), das sich der Verbreitung der Praxis des gelingenden Lernens widmet, wird die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, Preisträgerin des Deutschen Schulpreises 2007, vorgestellt. Sie hat ein Drittel des klassischen Fachunterrichts abgeschafft. Die Schüler spielen stattdessen Theater und schneiden in den Fachleistungen hervorragend ab. Dazu wird ausgeführt: „Man hat eine Idee und dann realisiert man diese Idee. Man fängt nicht an, zu sagen: "Das klappt nicht." Oder: "Das ist zu kompliziert." Sondern, wenn man eine Idee hat, dann überlegt man zuerst, wie kann man das realisieren!", so bringt Armin Beber, Regisseur und ehemaliger Schüler der Helene-Lange-Schule seine Lebens- und Arbeitseinstellung auf den Punkt, die er hier erworben hat. Heute gibt er das, was ihm die Schule einst gegeben hat, zurück: Er arbeitet in den großen jährlich stattfindenden Theaterprojekten mit den Jugendlichen und eröffnet ihnen vielfältige Möglichkeiten, ihre eigene Kreativität und Leistungsfähigkeit zu erproben...

In der Laudatio im Rahmen der Verleihung des Deutschen Schulpreises im Dezember 2007 wurde die „künstlerische und theatrale Arbeit" der Schule gelobt, „die ihresgleichen sucht und die Jugendlichen zu sich selbst befreit ­ zu ihrer Kreativität und zur Leidenschaft für eine Sache."

Die Grundüberzeugung des Schulteams, dass, wer viel Theater spielt auch gut in Mathematik ist, wird bestätigt durch die beachtlichen Ergebnisse, die die Schule ­ nicht nur bei den Pisa-Tests ­ vorzuweisen hat. Der Anspruch der Pädagogen geht jedoch weit über diese formalen Standards hinaus. Im Kern geht es darum, den Kindern Rüstzeug für die eigenverantwortliche Gestaltung ihres Lebens mitzugeben, eine grundlegende „Lebenszuversicht", wie es die langjährige Schulleiterin Enja Riegel formuliert."

Die Erfahrungen belegen die positiven Effekte und den Wert des Theaters für umfassende Bildungsprozesse in der Schule.

Während das Fach Theater in Hamburg schon ein reguläres Schulfach in allen Schulformen bis zum Abitur ist, gibt es Bayern ein Profilfach in Oberstufe "Theater und Film", einen Schulversuch "Literatur und Theater" in Baden-Württemberg sowie zumindest Fachangebote, die das Theaterspiel in den Schulen fördert. Auch in NRW gibt es in Gesamtschulen im Rahmen eines Modellversuchs seit 1987 das Fach "Darstellen und Gestalten" als Wahlpflichtbereich in der Sekundarstufe I. Das Fachangebot umfasst, laut Schulministerium, "musik-, bild-, körper- und sprachbezogene Ausdrucksformen, die einerseits in ihrer Gestaltung und Darstellung und andererseits in ihrer Verbindung miteinander zum Gegenstand des Lernens werden. Damit geht dieses Lernangebot über die Kernfächer Kunst, Musik, Deutsch und Sport als Basis für ein zu erlernendes fachliches Grundlagenwissen hinaus und greift diejenigen Ansätze auf, die sowohl in der Bildenden Kunst und in der Musik als auch im Literaturunterricht und im Sport als komplexe Erscheinungsformen, wie z. B. als Performance, Tanztheater, Musiktheater und Sprechtheater ihren Ausdruck gefunden haben."

In der gymnasialen Oberstufe bietet allein das Fach Literatur die Möglichkeit zum Theaterspiel. Davon wird in den Schulen allerdings rege Gebrauch gemacht.

Doch diese Optionen werden durch die geplante Oberstufenreform der Landesregierung in Frage gestellt. Wenn die Reform auch aufgrund der Zumutungen, die den Schulen schon durch die Zwangschulzeitverkürzung auferlegt wurde, zunächst ausgesetzt wurde, sind die Pläne nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.

Deshalb weist nun der Landesverband Theater in Schulen NRW e.V. zu Recht daraufhin, dass bezüglich der Zukunft des Faches Literatur Klarheit geschaffen werden muss. In einer Stellungnahme an den Landtag wird ausgeführt: "Zur Qualitätssicherung des Unterrichts im Fach Literatur hat das Land jahrelang große Anstrengungen in Form unter- und überregionaler Fortbildungen unternommen, so dass mittlerweile ein hoher, uneingeschränkt mit den anderen künstlerischen Fächern vergleichbarer Unterrichtsstandard erreicht ist. Die Präsentationen und Inszenierungen der Literaturkurse sind unverzichtbarer Bestandteil des kulturellen Lebens an den Schulen geworden und finden auch in der Presse immer wieder positiven Widerhall.

Vor dem Hintergrund Iänderübergreifender Bildungsstandards und kompetenzorientierter Lehrpläne verdient es das Fach Literatur, das als einziges Fach der Oberstufe durchgängig projektorientiert und fachübergreifend angelegt ist, gleichberechtigt neben den Fächern Kunst und Musik zu stehen, da es über die künstlerisch-ästhetische Bildung hinaus in besonderem Maße auch Medienkompetenzen, soziale und personale Kompetenzen, Ergebnisorientierung, Präsentationskultur und Sprachbewusstsein vermittelt.

Der Reformentwurf, der im Zuge der G8-Umstrukturierung entwickelt wurde, sah vor, das Fach Literatur in der bisherigen Form abzuschaffen und Schülerinnen und Schülern nur noch die Möglichkeit zu geben, zwischen Kunst und Musik zu wählen, um ihre Pflichtbedingungen abzudecken; Literatur sollte allenfalls freiwillig und zusätzlich als ein Projektkurs gewählt werden können. Realistisch gesehen bedeutet dies den Tod des Faches angesichts der zusätzlichen und auch zeitlichen Belastung der Schülerinnen und Schüler durch das Abitur nach zwölf Schuljahren.

Den Schülerinnen und Schülern in Nordrhein- Westfalen muss die Möglichkeit bleiben, im Regelunterricht das Theaterspiel zu erlernen und die erbrachten Leistungen in die Gesamtqualifikation des Abiturs einzubringen. Eine Einschränkung der Wahlmöglichkeiten geht hier vor allem auf Kosten der Schülerinnen und Schüler. Zur Landesinitiative "Modell-Land Kulturelle Bildung NRW" gehört das Theaterspiel konstitutiv hinzu. Eine Abschaffung des Faches Literatur verbietet sich auch aus diesem Grund. Gäbe es das Fach Literatur nicht mehr, müssten zudem die zahlreichen zur Zeit noch in den Literaturkursen beschulten Schülerinnen und Schüler in Zukunft allein von Kunst- und Musiklehrerinnen und -lehrern unterrichtet werden, die in Nordrhein-Westfalen in diesem Umfang schon jetzt und in Zukunft erst recht nicht zur Verfügung stehen. Außerdem sind die meisten Schulen strukturell nicht in der Lage, den erhöhten Bedarf in diesen Fächern zu decken, da die nötigen Fachräume und Lehrmaterialien fehlen. Massiver Unterrichtsausfall auf dem Feld der kulturellen Bildung wäre unausweichlich - und das im Modell-Land Nordrhein-Westfalen."

Der Fortbestand des Fachs Literatur ohne Einschränkung und Abwertung in den Wahlmöglichkeiten muss für die Sekundarstufe II muss sichergestellt werden.

Das Fach Darstellen und Gestalten muss als Lernangebot zur Regel werden.

Der Landtag bekräftigt den Wert und die Bedeutung des Theaters in der Schule als unverzichtbaren Bestandteil der kulturellen Bildung.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass das Fach Darstellen und Gestalten zu einem Regel-Lernangebot wird.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sicherzustellen, dass das Fach Literatur weiterhin ohne Einschränkung der Wahlmöglichkeit in der Sekundarstufe II gewählt werden kann.