Unterwandert die Stadt Velbert die Ziele der „Allianz für Fläche" und den Freiraumschutz durch überhöhte Bevölkerungsprognosen?

Die Stadt Velbert hat Ende vergangenen Jahres einen Flächennutzungsplan 2020 beschlossen. Dieser liegt der Bezirksregierung Düsseldorf zur Genehmigung vor.

Die Stadt Velbert geht davon aus, dass zwischen 2004 und 2020, aufgrund einer im Jahr 2003 prognostizierten Einwohnerzahl, ein zusätzlicher Flächenbedarf von 67 ha für Wohnbauten bestehen soll.

Der Flächennutzungsplan geht davon aus, dass Velbert im Jahre 2020 noch ca. 82 400 Einwohner haben wird. Dies sind 6000 Einwohner weniger als im Jahre 2004. Zur Begründung der geschätzten Einwohnerzahl von ca. 82 400 Einwohnern im Jahre 2020 bezieht sich die Stadt Velbert auf 3 Wanderungsprognosen, die für das Jahr 2010 eine Einwohnerzahl zwischen ca. 81 900 und ca. 82 600 voraussagen. Diese Prognosen sind von der Wirklichkeit bereits überholt. Die realen Zahlen entwickelten sich im Vergleich zu den 3 Prognosen stärker nach unten, die Schere zwischen Annahme und Realität ging immer weiter auseinander.

2008 wurde die prognostizierte Zahl von ca. 87 400 Einwohnern durch die Realität schon um ca. 1300 Einwohner unterboten (86 100). Die Stadt geht von jährlichen Zuwanderungsgewinnen von 90 Personen, während es real in den letzten 6 Jahren Abwanderungsverluste von jährlich 300 bis 400 Personen gab.

Geht man daher von einer weitaus realistischeren Zahl von 80 000 Einwohnern in Velbert im Jahre 2020 aus, würde der Flächenbedarf für Wohnbauten nur noch 27 ha statt 67 ha betragen.

Da dieser Bedarf aber durch die im alten Flächennutzungsplan vorhandenen Reserven von ca. 30 ha befriedigt werden könnte, scheint Velbert tatsächlich keinen Bedarf an der Neuausweisung von Wohnbauflächen zu haben.

Vorbemerkung der Landesregierung:

Die notwendige Verminderung der Inanspruchnahme neuer freier Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke ist eine komplexe Aufgabe, die langfristig angelegt sein muss und den Einsatz eines differenzierten Instrumentariums erfordert. Die Allianz für die Fläche setzt dabei vorrangig auf Dialog und Konsens - insbesondere mit den Hauptbetroffenen, den Städten und Gemeinden des Landes. Wichtig ist es, die Kommunen davon zu überzeugen, dass übermäßiger Flächenverbrauch keine erfolgreiche Entwicklungsstrategie ist ­ weder für eine einzelne Kommune noch für das gesamte System. Kommunale Flächenmanagementsysteme, der Einsatz von Kosten-Nutzen-Rechnern zur Siedlungsentwicklungsplanung und Flächenmonitoring-Systeme sind wichtige Instrumente, die den Kommunen eine nachhaltige Siedlungsentwicklung ermöglichen. Dass der Einsatz dieser Instrumente auf der Grundlage realistischer Bedarfsprognosen erfolgen muss, ist unerlässlich.

Die Prüfung der Plausibilität kommunaler Entwicklungsplanungen im landesplanerischen Anpassungsverfahren durch die regionalen Planungsbehörden erfolgt allerdings im Wege eines Verfahrens, das neben der Bevölkerungsprognose weitere Kriterien berücksichtigt.

In den Verfahren zur landesplanerischen Anpassung der Bauleitpläne nach § 32 Landesplanungsgesetz Nordrhein-Westfalen (LPlG NRW) berechnet die Regionalplanungsbehörde bei der Bezirksregierung Düsseldorf keine Flächenbedarfsgrößen oder Bevölkerungszielgrößen.

Vielmehr beurteilt sie den durch die Gemeinden errechneten Flächenbedarf anhand einer Plausibilitätskontrolle. Innerhalb von Vorausberechnungen gibt es eine Vielzahl von Annahmemöglichkeiten, so dass die Plausibilitätskontrolle das geeignete Instrument für die Regionalplanungsbehörde ist. Hierzu werden die Raumordnungsprognose, die Bautätigkeitsstatistik und die Bevölkerungsvorausberechnung des früheren Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik (heute IT.NRW) zugrunde gelegt. Die Regionalplanungsbehörde geht bei dieser Plausibilitätskontrolle von der 0-Wanderungsvariante aus. Deshalb legt sie meist bei der landesplanerischen Beurteilung einen wesentlich geringeren Wohnbauflächenbedarf als die Gemeinden in ihren Berechnungen zu Grunde.

Der Beschluss zur Flächennutzungsplan-Neuaufstellung wurde von der Stadt Velbert im Jahre 2004 gefasst. Ein erstes Gespräch im Rahmen der landesplanerischen Anpassung des Flächennutzungsplanentwurfs hat im Sommer 2007 bei der Bezirksregierung Düsseldorf stattgefunden. Die landesplanerische Anpassung nach § 32 LPlG NRW erfolgte in zwei Schritten: mit Schreiben vom 31.03.2008 nach § 32(1) LPlG NRW und mit Schreiben vom 16.03.2009 nach § 32(5) LPlG NRW.

Der erste Entwurf der Flächennutzungsplan-Neuaufstellung der Stadt Velbert sah über 120 ha Wohnbauflächendarstellung vor. Grundsätzlich war für die Regionalplanungsbehörde bei der Bezirksregierung Düsseldorf ein Flächenbedarf für 15 Jahre von rund 60 bis 70 ha tragfähig. Dieser ha-Wert ist im Wohnbauflächenbereich unter Hinzuziehung der städtebaulichen Dichte zu beurteilen. Hier hat die Stadt Velbert aufgrund der Topographie und des steten Einfamilienhauswunsches mit einer sehr geringen Dichte argumentiert. Vor dem Hintergrund eines gewissen Handlungsspielraums für die kommunale Bauleitplanung bei der zukünftigen Entwicklung des Flächennutzungsplanes wurden rund 65 ha Wohnbauflächen als abstimmungsfähig beurteilt. Die einzelnen Wohnbauflächen wurden zudem einer Standortbeurteilung zugeführt. Die Stadt Velbert hat im weiteren Verfahren dargelegt, dass es unter Berücksichtigung der „Umwidmungen" der Flächennutzungsplankategorien in dem Vergleich der überbaubaren Flächen im alten und neuen Flächennutzungsplan insgesamt keinen Zuwachs gibt.

1. Wie aktuell müssen die Prognosen sein, mit deren Hilfe zukünftige Einwohnerzahlen und entsprechender Flächenbedarf errechnet werden bzw. ist es zulässig, auf Prognosen zurückzugreifen, die von der Wirklichkeit schon längst überholt sind?

Die landesplanerische Anpassung nach § 32 LPlG NRW erfolgt in einem frühen Planungsstadium. Es ist deshalb möglich, dass innerhalb eines Flächennutzungsplan Neuaufstellungsverfahrens, das i. d. R. mehrere Jahre dauert, aktuellere Vorausberechnungen veränderte Vorausberechnungswerte ergeben. Zu dem Zeitpunkt der Bewertung durch die Regionalplanungsbehörde (landesplanerischen Anpassung nach 32 (1) LPlG NRW) sind die von den Gemeinden vorgelegten Prognosen aktuell. Vor dem Hintergrund, dass die Vorausberechnungen alle drei Jahre erneuert werden und für einen Flächennutzungsplan ein Planungshorizont von mindestens 15 Jahren anzusetzen ist, ist eine gewisse Unschärfe nicht auszuschließen.

Im konkreten Fall des Flächennutzungsplanentwurfs der Stadt Velbert lag der Prognose die Vorausberechnung des früheren Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik für den Kreis Mettmann von 2006 zu Grunde.

2. Wer überprüft die Aussagekraft der dem Flächennutzungsplan zugrunde liegenden Prognosen zur Einwohnerzahl und Flächenbedarf?

Eine Prüfung erfolgt durch die Regionalplanungsbehörde vor dem Hintergrund bestehender regionalplanerischer Ziele. Die Annahmen werden auf Plausibilität geprüft und mit der Wanderungs-, Bevölkerungs- und Bautätigkeitsstatistik abgeglichen. Hinzu kommt ein Abgleich mit der IT.NRW-Bevölkerungsprognose und der Raumordnungsprognose des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR). Hierdurch ergibt sich eine Bandbreite einer möglichen Entwicklung. Die Prognose der Gemeinde soll innerhalb dieser Bandbreite liegen, damit man von einer bedarfsgerechten Darstellung ausgehen kann.

3. In wie vielen Fällen hat die Bezirksregierung Düsseldorf in den letzten 5 Jahren Einwohnerentwicklungsprognosen in der Bauleitplanung als zu hoch zurückgewiesen?

Nach Aussage der Regionalplanungsbehörde bei der Bezirksregierung Düsseldorf hat es in vielen Fällen Zurückweisungen einzelner Bauflächenwünsche der Kommunen des Regierungsbezirkes gegeben. Eine genaue Bezifferung würde allerdings die Analyse jedes einzelnen landesplanerischen Anpassungsverfahrens im fraglichen Zeitraum erfordern, was auf Grund des damit verbundenen hohen Zeitaufwandes im Rahmen der Beantwortung der kleinen Anfrage durch die Bezirksregierung nicht geleistet werden kann. Eine Untersuchung landesplanerischer Stellungnahmen im Rahmen des REFINA-Forschungsprojektes Dorif hat nach Auskunft der Bezirksregierung Düsseldorf aber gezeigt, dass die Bedarfsfrage die häufigste Konfliktursache in landesplanerischen Anpassungsverfahren ist. Beispielsweise sah der erste Entwurf der Stadt Velbert zur Flächennutzungsplan-Neuaufstellung, der in der frühzeitigen Beteiligung veröffentlicht worden ist, über 120 ha Wohnbauflächendarstellung vor.

Die Regionalplanungsbehörde bei der Bezirksregierung Düsseldorf hat diesen Wert als nicht plausibel zurückgewiesen und dargelegt, dass unter Berücksichtigung des Handlungsspielraumes eines Flächennutzungsplanes ca. 60 bis 70 ha ausreichen. Eine andere Stadt hat beispielsweise das Verfahren zur Flächennutzungsneuaufstellung eingestellt, weil weitere Bauflächenpotentiale von der Regionalplanungsbehörde als nicht bedarfsgerecht beurteilt wurden. Für zurückgewiesene einzelne Bauflächenwünsche in den Gemeinden des Regierungsbezirkes gibt es eine Vielzahl von Beispielen.

4. Hält die Landesregierung einen prognostizierten zusätzlichen Bedarf von 67 ha an Wohnbaufläche in nur 15 Jahren für ein Mittelzentrum wie Velbert angesichts sinkender Einwohnerzahlen für vereinbar mit dem Ziel des Flächensparens im Rahmen der „Allianz für die Fläche"?

Das Ziel des Flächensparens im Rahmen der „Allianz für die Fläche" sieht einen bewussten Umgang mit der Ressource Fläche vor. Dieses ist ein politisches Ziel, welches auch die seit langem bestehenden Ziele der Raumordnung im LEP und Regionalplan aufgreift. Die landesplanerische Anpassung erfolgt anhand der entsprechenden Ziele im Regionalplan und nicht im Bewertungsrahmen der Allianz. Die Allianz ergänzt allerdings das Spektrum planerischer Vorgaben und Instrumente durch dialog- und konsensorientierte Prozesse. So tritt sie bei den Städten und Gemeinden insbesondere für den Einsatz nachhaltiger kommunaler Flächenmanagementsysteme und von Kosten-Nutzen-Rechnern zur Siedlungsentwicklung ein.

5. Hält die Landesregierung den vorgelegten Flächennutzungsplan für genehmigungsfähig?

Die Prüfung durch die Bezirksregierung Düsseldorf im Rahmen des Genehmigungsverfahrens ist bereits abgeschlossen. Die Prüfung hat im Ergebnis dazu geführt, dass der Flächennutzungsplan ordnungsgemäß zustande gekommen ist und nicht dem Baugesetzbuch, den aufgrund des Baugesetzbuchs erlassenen oder sonstigen Rechtsvorschriften widerspricht.

Deshalb wurde der Flächennutzungsplan am 17.02.2010 von der Bezirksregierung Düsseldorf genehmigt.