Immissionsschutzgesetz

Genehmigung einer Produktionsanlage für Kohlenstoff-Nanoröhren (Nanotubes) in Leverkusen

Der Minister für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 3857 mit Schreiben vom 22. April 2010 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie wie folgt beantwortet: Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Ende Januar hat die Firma Bayer MaterialScience in Leverkusen eine Produktionsanlage zur Herstellung von CNT-Graphit (Carbo-Nano-Tubes, kurz Nanotubes) eröffnet. Geplant ist die Herstellung von bis zu 200 t CNT-Graphit pro Jahr.

Offenkundig wurde die Anlage nur vom Leverkusener Bauamt genehmigt, welches ausschließlich eine bauaufsichtliche Prüfung vorgenommen hat. Ein Genehmigungsverfahren nach Maßgabe des Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) hat nicht stattgefunden, da die Anlage nach § 1 Abs. 6 4. BImSchV als "Forschungsanlage" deklariert wird.

Die Produktionsanlage dürfte demnach nur für Forschung, Entwicklung und Erprobung genutzt werden. Bei einer Produktionsmenge von bis zu 200 t pro Jahr kann aber nicht glaubhaft von einem Labor- und Technikumsmaßstab gesprochen werden, wie er in § 1 Abs. 6 4. BImSchV vorgesehen ist. Vielmehr scheint es sich hier um eine gewerbsmäßige Produktion zu handeln, deren Endprodukte in den Verkauf gehen sollen.

Sollte es sich nicht um eine Versuchsanlage handeln, ist ein reguläres Genehmigungsverfahren nach Bundesimmissionsschutzgesetz notwendig.

1. Nach welchem Verfahren wurde die o. g. Produktionsanlage in Leverkusen genehmigt?

Bei der Anlage zur Herstellung von Kohlenstoff-Nanoröhren der Firma Bayer Material Science AG (BMS) in Leverkusen handelt es sich nicht um eine Produktionsanlage, sondern um eine Anlage zur Forschung, Entwicklung und Erprobung im Technikumsmaßstab für eine zukünftige Produktionsanlage. Diese Technikumsanlage wurde baurechtlich genehmigt. Die Baugenehmigung wurde am 12.09.2007 durch die Stadt Leverkusen erteilt.

Die Abluft aus der Technikumsanlage wird in der bestehenden Abluftreinigungsanlage einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Produktionsanlage behandelt. Ein entsprechendes Änderungsvorhaben wurde für diese Produktionsanlage seitens BMS nach § 15 Bundes-Immissionsschutzgesetz angezeigt und durch die Genehmigungsbehörde Bezirksregierung Köln am 18.11.2008 bestätigt.

2. Warum erfolgte keine Genehmigung nach Bundesimmissionsschutzgesetz?

Bei der Anlage handelt es sich um eine Anlage, die der Forschung, Entwicklung und Erprobung neuer Einsatzstoffe, Erzeugnisse und Verfahren im Technikumsmaßstab dient. Daher ist gemäß § 1 Abs. 6 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV) eine Genehmigung nach Bundes-Immissionsschutzgesetz nicht erforderlich. Die unter § 1 Abs. 6 der 4. BImSchV genannten Kriterien wurden und werden nach Prüfung durch die zuständige Überwachungs- und Genehmigungsbehörde Bezirksregierung Köln bei der Technikumsanlage als gegeben angesehen (s. Antworten zu Fragen 3 und 4).

3. Mit welcher Begründung kann bei einer Produktion von geplanten 200 t pro Jahr und bei einer schon ausgereiften Erforschung von Nanotubes in diesem Fall von einer Versuchsanlage nach § 1 Abs. 6 BImSchV gesprochen werden?

Die technische Machbarkeit der Herstellung von Nanoröhren wurde und wird durch BMS im Rahmen einer Unternehmenskooperation in Baden-Württemberg zunächst in einer Laboranlage geprüft. Die Technikumsanlage der BMS in Leverkusen stellt eine Zwischenstufe auf dem Weg zu einer Produktionsanlage mit einer geplanten Kapazität von rund 3000 t/a dar.

Die maximal mögliche Leistung der Technikumsanlage von 200 t/a bezieht sich auf einen theoretischen Dauerbetrieb. Diese Leistung wird in der Praxis jedoch nicht ausgeschöpft, da zur Erprobung des Herstellungsprozesses jeweils einzelne Chargen zur Produktspezifikation gefahren werden. Eine wirtschaftliche Vermarktung der in der Technikumsanlage hergestellten Nanoröhren findet nicht statt und wäre auch rechtlich von § 1 Abs. 6 der 4. BImSchV nicht gedeckt.

Die Anlage in Leverkusen dient der Ermittlung wichtiger Scale-up-Faktoren wie z. B. Temperaturverläufe im Wirbelschichtreaktor, der Erforschung der optimalen Temperatursteuerung bzw. der Ableitung der Abwärme aus dem exothermen Reaktionsprozess, der Erforschung der Zusammenhänge zwischen Katalysatorkorngröße und der Größe der erzeugten Kohlenstoff-Nanoröhren etc. Ferner werden an der Technikumsanlage eine Reihe von Anlagenteilen, wie z. B. Katalysatordosierstation, Desorptionsbehälter, Kühldrehrohr oder Siloabfüllung als Peripherieeinrichtungen erprobt, die in der Laboranlage in Baden-Württemberg nicht vorhanden sind. Die Abläufe in der Technikumsanlage stellen mithin jedoch keinen ausgereiften Produktionsprozess dar.

Es sei erwähnt, dass die Firma BMS für die Technikumsanlage in Leverkusen Fördermittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) aus dem Clusterprojekt „Inno.CNT" für die Skalierungsversuche an dieser Anlage erhält.

4. Nach welchen grundsätzlichen Kriterien kann eine Anlage als Versuchsanlagen nach § 1 Abs. 6 BImSchV genehmigt werden?

Die grundsätzlichen Kriterien für die Anwendung des § 1 Absatz 6 der 4. BImSchV ergeben sich aus dem Wortlaut der Rechtsquelle selbst: „Keiner Genehmigung bedürfen Anlagen, soweit sie der Forschung, Entwicklung oder Erprobung neuer Einsatzstoffe, Brennstoffe, Erzeugnisse oder Verfahren im Labor- oder Technikumsmaßstab dienen; hierunter fallen auch solche Anlagen im Labor- oder Technikumsmaßstab, in denen neue Erzeugnisse in der für die Erprobung ihrer Eigenschaften durch Dritte erforderlichen Menge vor der Markteinführung hergestellt werden, soweit die neuen Erzeugnisse noch weiter erforscht oder entwickelt werden."

5. Wann planen die Behörden eine Genehmigung nach Störfallverordnung, unter Beteiligung der Öffentlichkeit nachzuholen?

Genehmigungen nach Störfall-Verordnung (12. BImSchV) sind vom Gesetzgeber nicht vorgesehen.

Die Technikumsanlage befindet sich im Betriebsbereich der Firma BMS am Standort Leverkusen. Der Betriebsbereich unterliegt den erweiterten Pflichten nach der Störfall-Verordnung.

Die Technikumsanlage fällt für sich allein betrachtet aufgrund der geringen Mengen an vorhandenen Stoffen der Stoffliste des Anhangs I der 12. BImSchV nicht unter die StörfallVerordnung.

Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist aus den bereits zuvor angeführten Gründen für die Anlage nicht erforderlich.