Situation im Maßregelvollzug in Hessen

Die Situation in den Einrichtungen des Maßregelvollzugs ist vollkommen unzureichend, da die meisten Einrichtungen hoffnungslos überbelegt sind. Kapazitätserweiterungen sind daher längst überfällig. Die Landesregierung muss ihre Untätigkeit in diesem Bereich endlich beenden.

Diese Vorbemerkung der Fragesteller vorangestellt, beantwortet die Sozialministerin im Namen der Landesregierung und im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen und dem Minister der Justiz die Große Anfrage wie folgt:

Frage 1. Wie sind die einzelnen Einrichtungen für den Maßregelvollzug nach §§ 63 und 64 StGB in Hessen belegt, untergliedert nach Einrichtungen, Anzahl und Auslastungsgrad der "Planbetten"?

Zum Stichtag 31. Dezember 2001 stellt sich die Belegungssituation wie folgt dar: Klinik für forensische Psychiatrie Haina

Bei 290 Planbetten lag die erreichte Durchschnittsbelegung bei 345,7 Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten (Auslastungsgrad 119,2 v.H.). Klinik für forensische Psychiatrie Hadamar

Bei 120 Planbetten lag die erreichte Durchschnittsbelegung bei 171,3 Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten (Auslastungsgrad 142,8 v.H.).

Frage 2. Welche Maßnahmen sind geplant bzw. werden bereits umgesetzt, um in Zukunft Überbelegungen in den Einrichtungen zu vermeiden?

Es wurden in den letzten Jahren in enger Abstimmung mit dem Hessischen Ministerium der Finanzen, dem Hessischen Ministerium der Justiz, dem Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen als Träger der Maßregelvollzugseinrichtungen in Hessen und den forensischen Kliniken in Haina mit Außenstelle Gießen und Hadamar zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Kliniken für forensische Psychiatrie trotz kontinuierlich steigender Belegungszahlen aufnahme- und behandlungsfähig zu halten. Hier ist insbesondere auf folgende Aktivitäten hinzuweisen:

- Es wurden weitere Stationen (Haus G 3 in der Außenstelle Gießen, Haus 7 in Haina und Stationen 2.3 und 3.01 in Hadamar) für den Maßregelvollzug eröffnet.

- Personelle Verstärkung der Nachsorgeambulanzen in Haina mit Außenstelle Gießen und Hadamar.

Eingegangen am 3. Juli 2002 · Ausgegeben am 16. Juli 2002

- Beschleunigung der Verfahren zur Feststellung der "Aussichtslosigkeit".

- Verstärkte Beantragung des Vorwegvollzugs von Freiheitsstrafen bei nicht therapiefähigen oder -willigen Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten.

- Rückverlegung außerhessischer Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten in ihre Herkunftsländer.

- Forcierung der Verfahren zur Abschiebung ausländischer Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten mittels Beschäftigung eines so genannten "Ausländerbeauftragten" in den Maßregelvollzugseinrichtungen in Haina/Gießen und Hadamar.

Ferner hat der Bundesrat beschlossen, beim Bundestag einen Gesetzentwurf einzubringen, der unter anderem vorsieht, das Strafgesetzbuch dahin gehend zu ändern, dass bei einer neben der Maßregel verhängten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren zunächst ein Vorwegvollzug eines Teiles der Freiheitsstrafe stattfinden soll. Dieser Teil ist dabei so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung der Strafrest gegebenenfalls zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Die Dauer der Maßregel nach § 64 StGB würde sich dann in einem Teil der Fälle auf maximal zwei Jahre reduzieren. Zwar ist die Höchstfrist einer Maßregel nach § 64 StGB schon jetzt in § 67 d StGB auf zwei Jahre festgelegt. Sie verlängert sich jedoch im Falle des Vorwegvollzugs der Maßregel nach § 67 d Abs. 1 Satz 3 StGB um die Dauer der nach dem Vollzug der Maßregel verbleibenden Freiheitsstrafe, soweit die Zeit des Vollzuges der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird. Die genannte Gesetzesänderung würde vorliegend dazu führen, dass nach dem Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe in einem bestimmten Maße nur noch eine Restfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verbleibt und sich die Höchstfrist der Unterbringung dadurch nicht verlängern würde.

Dies dürfte eine Entlastung insbesondere der Klinik für forensische Psychiatrie in Hadamar darstellen.

Frage 3. Falls Neubauten oder Umstrukturierungen in bestehenden psychiatrischen Einrichtungen geplant sind, an welchen Standorten sind sie geplant und wie werden sie finanziert?

Die steigende Belegung in den Maßregelvollzugseinrichtungen hält, wie in der Beantwortung zu Frage 1 dargestellt, unvermindert an. Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung zur weiteren Standortplanung folgende Festlegungen getroffen: ZSP Rheinblick, Eltville

Zur Entlastung der forensischen Klinik in Haina und um den mittelfristigen Bedarf für den Vollzug der Unterbringung nach § 63 StGB zu decken, wird im ZSP Rheinblick, Eltville, eine Klinik für forensische Psychiatrie für die Unterbringung nach § 63 StGB mit 57 Betten geschaffen. In einem ersten Bauabschnitt sollen ab 2002 das Haus 9 umgebaut und eine Sporthalle errichtet werden. Mit der Realisierung des zweiten Bauabschnitts (Umbau des Hauses 10/Rückbau des Hauses 9) ist frühestens im Jahre 2006 zu rechnen. Das Finanzierungsvolumen in Höhe von 10.456.000 wurde in den Landeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2002 mit Verpflichtungsermächtigungen bis 2006 ff. eingestellt.

ZSP Kurhessen, Bad Emstal

Zur Entlastung der forensischen Klinik Hadamar und um den mittelfristigen Bedarf der Unterbringung nach § 64 StGB zu decken, wird auf dem Gelände des ZSP Kurhessen, Bad Emstal, eine neue Klinik für forensische Psychiatrie zur Behandlung nach § 64 StGB mit 72 Betten entstehen. Hierfür wurde im Landeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2002 ein Finanzierungsvolumen von insgesamt 12.500.000 (200.000 für 2002 und Verpflichtungsermächtigungen bis 2005 in Höhe von 12.300.000) eingestellt.

ZSP Lahnhöhe, Marburg

Nicht nur im Bereich des Maßregelvollzugs für Erwachsene, sondern auch bei jugendlichen Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten sind steigende Belegungen zu verzeichnen. Es wurde daher entschieden, das ZSP Lahnhöhe, Marburg, mit der Anzahl der dort untergebrachten jugendlichen Maßregel vollzugspatientinnen und -patienten als Maßregelvollzugseinrichtung auszuweisen.

Frage 4. Für welche bereits bestehenden Einrichtungen sind Kapazitätserweiterungen geplant und welche Kosten werden dadurch entstehen?

Hierzu wurden mit dem Landeswohlfahrtsverband Hessen folgende Planungen einvernehmlich abgestimmt: ZSP Rheinblick, Eltville

Zur weiteren Entlastung der Klinik für forensische Psychiatrie in Haina werden im Jahr 2002 bis zu 18 Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten in das Haus 5 nach Eltville verlegt. Für die Herrichtung des Hauses 5 werden Kosten in Höhe von ca. 375.000 entstehen, die aus dem Gesamtvolumen der Maßnahme finanziert werden sollen. Die Behandlungskosten werden Gegenstand von Budgetverhandlungen sein. Bis zu einer Festsetzung des Budgets 2002 wird für die bereits verlegten 12 Maßregelvollzugspatientinnen und patienten der Pflegesatz der Klinik für forensische Psychiatrie in Haina abgerechnet. Bis zur Herrichtung des Hauses 5 werden diese Maßregelvollzugspatientinnen und -patienten im Haus 9 in Eltville untergebracht.

Klinik für forensische Psychiatrie in Haina; Außenstelle Gießen

In der Außenstelle Gießen werden bislang 60 Plätze vorgehalten. Bereits im letzten Jahr verständigte man sich mit dem LWV darauf, die Platzkapazität ab dem kommenden Jahre auf 72 Plätze zu erhöhen. Nach der Fertigstellung würden dann alle vier Stationen über 18 Betten verfügen. Die Klinik für forensische Psychiatrie erklärte sich bereit, die Umbaukosten aus den Instandhaltungsmitteln zu tragen.

Klinik für forensische Psychiatrie in Hadamar

Es ist geplant, die bisher durch die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie genutzten Stationen 2.0 und 2.4 der Maßregelvollzugseinrichtung zu übertragen und im Gegenzug die Station 3.01 an die Allgemeinpsychiatrie zurückzugeben. Mit diesem Tausch könnte das Haus 2 komplett für den Maßregelvollzug genutzt werden. Die investiven Kosten inklusive der vorzuhaltenden Sicherheitsstandards werden auf ca. 1.300.000 geschätzt. Der Umbau des Hauses 2 soll im Jahr 2002 abgeschlossen werden.

Frage 5. Wie beurteilt die Landesregierung die weitere Entwicklung des Maßregelvollzugs in Hessen?

Hierzu wurde vom Hessischen Sozialministerium im Januar 2001 die Erstellung eines Gutachtens zur "Bedarfsermittlung im Bereich der psychiatrischen Versorgung und des Maßregelvollzugs in Hessen" ausgeschrieben. Im März 2001 wurde das Institut für Gesundheits - und Sozialforschung (IGES) Berlin mit der Durchführung beauftragt. Der Zeithorizont für die Aussagen der Gu tachter ist das Jahr 2007.

Das Teilgutachten für den Maßregelvollzug wurde im November 2001 vorgelegt und im Dezember 2001 der Öffentlichkeit vorgestellt. Zur weiteren Entwicklung wird im Gutachten Folgendes ausgeführt: Bundesweite Trends und Kapazitäten im Maßregelvollzug

Die Entwicklung des Platzbedarfs im Maßregelvollzug wird von nicht medizinischen Einflussfaktoren dominiert. Es sind dies die tatsächliche Kriminalitätsentwicklung, insbesondere im Bereich Sexual- und Gewaltdelinquenz, die vermeintliche Kriminalitätsentwicklung, wie sie durch die Medien und die Politik dargestellt wird, Zwischenfälle im Maßregelvollzug, rechtspolitische Entwicklungen, die Entwicklung der Rechtsprechungsgrundlagen, die Entwicklung der tatsächlichen Spruchpraxis der erkennenden Gerichte und der Strafvollstreckungskammern sowie die Anzahl der jährlich mit einem Urteil abgeschlossenen Strafverfahren.

Die Zahl der Verurteilten hat in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1989 und 1999 um rund ein Viertel zugenommen. In dem etwa gleichen Ausmaß hat die Zahl vermindert Schuldfähiger und Schuldunfähiger zugenommen. Noch wesentlich stärker erhöht hat sich die jährliche Zahl der Unterbringungen nach den §§ 63, 64 und 66 StGB. Es ist davon auszugehen, dass die Bereitschaft der Gerichte zur Unterbringung in Einrichtungen des Maßregelvollzugs zugenommen hat.