Welche gefährlichen Stoffe brannten in der Sondermüllbehandlungsanlage SchiederSchwalenberg (Kreis Lippe)?

Die Sondermüllbehandlungsanlage in Schieder-Schwalenberg (Kreis Lippe) wurde Raub der Flammen. Ein Großbrand mit katastrophalen Auswirkungen für Schieder-Schwalenberg ereignete sich in der Nacht von Sonntag den 11.04.2010 auf Montag den 12.04.2010. Im Ortsteil Schwalenberg ist die Sondermüllbehandlungsanlage laut Berichten regelrecht explodiert, der Brand konnte erst nach 6 Stunden mit 400 Feuerwehrleuten unter Kontrolle gebracht werden. Seit Jahren sollen in der Anlage Farben, Lacke und Öle aufbereitet und entsorgt werden. Auch ein erstes Fischsterben in der Niese wird beobachtet. Die Frage ist, wie es zu einem solchen Großbrand hat kommen können und ob die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz von Mensch und Umwelt ausreichten.

Vorbemerkung der Landesregierung:

Am 11.04.2010 geriet eine Betriebshalle der Firma OWL Entsorgungs-GmbH & Co. KG in Schieder-Schwalenberg in Brand. Die Brandursache wird derzeit noch ermittelt. Die Feuerwehr war mit rund 400 Einsatzkräften vor Ort. Die umliegende Bevölkerung wurde während des Brandereignisses aufgefordert, Türen und Fenster geschlossen zu halten. Die Betriebs6 halle brannte nahezu vollständig aus. Personenschaden entstand nicht. Der Sachschaden beläuft sich nach ersten Schätzungen auf mehrere Millionen Euro.

Die Firma OWL Entsorgungs-GmbH & Co. KG betreibt am Standort Julius-Müller-Straße 10 in 32816 Schieder-Schwalenberg eine Anlage zur physikalisch-chemischen Behandlung von Abfällen. Die Anlage wurde erstmals mit Planfeststellungsbeschluss vom 01.12.1977 genehmigt. Der Zweck der Anlage besteht zum einen darin, flüssige ölhaltige und ölfreie Abfallstoffe wie Farb- und Lackschlämme, Leime, Tankreinigungsreste, Säuren, Laugen u.ä. zu neutralisieren, Emulsionen zu spalten, Öl und Wasser zu trennen, die schädlichen Inhaltsstoffe durch Flockung/Fällung abzutrennen und diese getrennt zu entsorgen. Einen weiteren Teil der Anlage bildet eine Feststoffkonditionierung der Abfälle mit Holzspänen/Polyurethanschaummehl (PU-Mehl). Die letzte wesentliche Änderung der Anlage wurde mit Bescheid vom 19.11.2007 genehmigt.

1. Welche Schadstoffe wurden in der Sondermüllbehandlungsanlage gelagert bzw. "entsorgt"?

Die Anlage unterteilt sich in zwei Anlagenteile. Im sogenannten chemisch-physikalischen Teil (CP-Teil) der Anlage werden überwiegend flüssige oder schlammige ölhaltige bzw. ölfreie Abfallstoffe behandelt. Dabei werden u.a. die Ölanteile abgetrennt, Säuren oder Laugen neutralisiert, anorganische Inhaltsstoffe (z.B. gelöste Metallverbindungen und bestimmte Salze) ausgefällt oder organische Substanzen durch Flockung entfernt. Dies dient zum einen dem Ziel, den hohen Wasseranteil abzutrennen und einer Kläranlage zuzuführen und zum anderen einen möglichst wasserarmen festen Rückstand zu erzeugen, der dann problemlos deponiert bzw. unter Tage verbracht oder thermisch verwertet oder entsorgt werden kann.

In der sogenannten Feststoffkonditionierung werden feste oder pastöse Abfälle restentwässert und mit einem Bindemittel (PU-Mehl) gemischt, damit sie einer Verbrennung zugeführt werden können.

Im Detail sind die in den beiden Anlagenteilen zur Verarbeitung zugelassenen Abfälle, aufgeschlüsselt nach Abfallschlüsselnummern gem. Abfallverzeichnisverordnung, der Anlage 1 zu entnehmen.

2. Welche Stoffe gelangten in die Umwelt bzw. welche Auswirkungen hat der Brand auf die Luft, die Gewässer samt Ufer sowie das unmittelbar betroffene Erdreich in Schwalenberg (bitte detailliert Messergebnisse angeben)?

Gemäß dem Einsatzbericht der Feuerwehr wurde die Ausbreitung der Schadstoffwolke laufend kontrolliert und Messungen unternommen. Die Messungen ergaben in allen Bereichen erhöhte Werte für nitrose Gase und Salzsäure. Diese befanden sich allerdings unterhalb der für Menschen gefährlichen Grenzwerte. Die Bevölkerung wurde hierüber informiert.

Darüber hinaus ist durch die Rufbereitschaft der Bezirksregierung Detmold der Messwagen des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) angefordert worden. Auf dem südlich des Brandherds gelegenen Parkplatz wurde durch das LANUV eine Wischprobe zur Analyse auf Dioxine und Furane entnommen; in den umliegenden Wohngebieten wurden keine Rußablagerungen gefunden. Bei der Untersuchung der Wischprobe wurde ein PCDD/F-Gehalt von 1,2 ng/m² I-TE1 festgestellt. Dieser Wert liegt um den Faktor 8 unter dem Reinigungsrichtwert von 10 ng/m² I-TE für Wohnräume. Dieser Wert wurde nach dem Seveso-Unglück als Vorsorgewert für bewohnte Räume nach einer Reinigung abgeleitet.

Südlich der Brandstelle wurden vereinzelt aufgefundene, abgewehte Brandreste als Probe eingesammelt. Bei der Analyse auf Dioxine und Furane wurde eine Konzentration von 5,1 ng/kg I-TE festgestellt. Dieser Wert liegt um den Faktor 20 unter dem nach der BundesBodenschutz- und Altlastenverordnung für Kinderspielplätze festgelegten Maßnahmenwert von 100 ng/kg I-TE. Es handelt sich daher um geringe Konzentrationen, die nicht geeignet sind, Böden, Spielplatzsande etc. nennenswert zu beeinträchtigen, zumal die Brandreste nur als vereinzelte Flocken vorgefunden wurden.

Gewässer:

Bei dem Brandereignis ist eine unbekannte Menge an Löschwasser über die öffentliche Entwässerung der Stadt Schieder-Schwalenberg in den Lippebach, die Niese sowie die Emmer gelangt.

Zur Beurteilung des ökologischen Schadens in den genannten Gewässern wurde am 12.04.2010 ein öffentlich bestellter Sachverständiger für Fischerei- und Gewässerökologie zur Erstellung eines entsprechenden Fachgutachtens durch den Kreis Lippe beauftragt.

Dieser kommt in einer ersten Bewertung zu dem Ergebnis, dass der Fischbestand und die Benthosorganismen im gesamten Lippebach vollständig vernichtet sind. Eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes mit Wiederbesiedelung von Benthosorganismen und Fischen sei in 3 ­ 5 Jahren zu erwarten.

Weiterhin kommt der Sachverständige in seiner Ersteinschätzung zu dem Ergebnis, dass die Fischfauna der Niese von der Einmündung Lippebach bis in die Ortslage Schieder weitgehend vernichtet ist. Als wahrscheinliche Todesursache wird eine Verklebung der Kiemen durch feinschluffige Teilchen (z.B. suspendierte Farbreste) angesehen. Es wird ausgeführt, dass die Benthosorganismen von der Einmündung des Lippebaches bis zur Ortslage Schieder zu 70 ­ 80 % im Bestand vernichtet wurden.

Die Emmer wurde am 13.04.2010 untersucht. Hierbei konnten keine Ablagerungen von Farbresten etc. festgestellt werden. Tote Fische wurden nicht gesichtet. Der Sachverständige geht davon aus, dass aufgrund der Wasserführung in der Niese und der Emmer keine Schäden am Fischbestand und den Benthosorganismen aufgetreten sind. Diese Einschätzung ist auch aufgrund der inzwischen vorliegenden Ergebnisse der Wasseruntersuchungen durch das LANUV nachvollziehbar. Danach ergeben sich nach den vorliegenden Daten an der Mündung der Niese in die Emmer, in der Emmer selbst und im Schieder-See keine Hinweise auf eine Beeinflussung durch den Brand.

Durch die Löschwassereinleitung wurden die Uferbereiche des Lippebaches fast auf der gesamten Fließlänge mit Lackschlamm verunreinigt. Diese Verunreinigungen werden seit dem 15.04.2010 in manueller Arbeit beseitigt.

Zur Berechnung der Internationalen Toxizitätsäquivalente werden die Konzentrationen der verschiedenen chlorsubstituierten Verbindungen mit einem Faktor, der ihre unterschiedliche Toxizität berücksichtigt, auf die höchste (=1 gesetzte) Toxizität des „Seveso"-Dioxins 2,3,7,8 Tetrachlordibenzodioxin (2,3,7,8-TCDD) umgerechnet.